Theodor Hermann Pantenius
Im Gottesländchen
Theodor Hermann Pantenius

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Neuntes Kapitel.

»Wo bliebst du denn gestern so lange?« fragte Wezwagar am folgenden Morgen Peter, den er am Tage zuvor mit den hundert Rubeln für den Herrn von Mukowski zur Stadt geschickt hatte.

»Wirt,« erwiderte dieser, »wir müssen ja jetzt immer auf der Landstraße bleiben. Das macht zwei Meilen mehr.«

»Ach ja,« erwiderte Wezwagar, wandte sich um und ging an die Arbeit.

Wezwagars ungewöhnliche Arbeitskraft und Arbeitslust waren immer weit und breit bekannt gewesen. Man hatte sich auch schon früher im Kruge oder auf der Bank unter dem Fenster viel Merkwürdiges von dem Manne erzählt, der täglich zwei Pferde brauchte, weil eins nicht so lange arbeiten konnte wie er. Jetzt war es, als ob Wezwagar sich selbst übertraf. Mit steigender Verwunderung sahen ihm der Knecht und der Junge zu, mit wachsender Besorgnis betrachtete ihn seine Frau. Er selbst hätte am liebsten auch noch während der Mittagsstunden und der Nacht gearbeitet. Es war ihm, als ob er 143 sich so die Ruhe der Seele wieder erkämpfen und ihr gestörtes Gleichgewicht wieder herstellen könnte. Er fand, daß sich nie besser nachdenken ließ über die große Frage, an deren Lösung sein Lebensglück hing. »Wir ernten immer nur, was wir gesäet haben,« das war bisher der Inbegriff seiner Lebensanschauung gewesen, und diese hatte ihn zu einem nüchternen, fleißigen, besonnenen Manne gemacht. Jetzt aber schien es ihm, als ob dort, wo er in der Zerstreutheit Sandhafer gesäet hatte, Dornbüsche emporwüchsen, die sein Land zur Einöde machten und deren spitze Dornen sein Fleisch zerrissen. Sein Augapfel, sein herziges Weib, war ihm entfremdet, die Gegenwart seiner kleinen Lieblinge war ihm drückend, das Gesinde, das er so viele Jahre treu und redlich gepflegt hatte, sollte er räumen; das Bild seines Wohltäters war in ihm beschmutzt, sein Herz zerrißen, sein Sinn gespalten; und das alles – weil er ein Ei vergaß. Wo war da Saat und Ernte, Ursache und Wirkung?

So verging eine Woche. Wezwagar verließ das Weichbild seines Gesindes nicht, und niemand kam zu ihm. Die Eheleute gingen still und bedrückt neben einander her. Sie wechselten wohl noch wie vorher Zärtlichkeiten und sprachen wie früher freundlich mit einander, aber es war nicht mehr das alte beglückende Verhältnis. Das eine trug Sorge um das andere, denn beide verfielen sichtlich.

Der Knecht und der Junge brachten, wenn sie aus gewesen waren, schlechte Kunde heim. In einer Nacht war die Schleuse, die den oberen Gutsteich 144 verschloß, geöffnet worden, und das stürmisch abfließende Wasser hatte große Verheerungen angerichtet. In der darauf folgenden Nacht war eine Heuscheune im Walde in Brand gesteckt worden und bis auf den Grund niedergebrannt.

Peter berichtete über den letzteren Vorfall in Gegenwart der Bäuerin. »Das ist ein nichtswürdiger Frevel!« rief sie empört.

Der Bauer blickte seine Frau erstaunt an; er hatte sie noch nie so heftig sprechen hören.

»Das ist eine gemeine, ruchlose That,« fuhr sie fort, »und die Gemeinde sollte nicht ruhen, bis sie den Brandstifter entdeckt hat.«

Der Bauer zuckte die Achseln. »Die Gemeinde wird schwerlich für den Baron eintreten,« erwiderte er. »Der Baron hat vielen Unrecht gethan.«

»Und wenn er allen Unrecht gethan hätte, dürfen sie deshalb in dunkler Nacht seine Scheune, die doch unter Gottes Schutz steht, niederbrennen? Dürfen wir, weil er hart ist, schwere Schuld auf uns laden?«

»So werden die, denen er Unrecht gethan hat, schwerlich denken.«

»So sollten sie aber denken, so sollten wenigstens die denken, denen er nie ein Unrecht gethan hat, so sollten wir denken!«

Der Bauer betrachtete sein sonst so sanftes Weib mit sprachlosem Erstaunen. Ihr aber kam jetzt alles über die Lippen, was sie in all diesen schweren Tagen auf dem Herzen gehabt hatte.

145 »Uns,« fuhr sie fort, »hat er kein Unrecht zugefügt, uns hat er, so lange er konnte, immer nur Gutes gethan. Er hat mir und meinen Eltern das Leben gerettet, er hat uns dieses Gesinde verliehen, auf das wir keinerlei Anspruch erheben konnten, und er ist uns auch sonst ein gütiger Herr gewesen. Wenn er das Ei von uns verlangte, so hatten wir es ihm zu geben, und wenn wir es zweimal nacheinander vergaßen, so haben wir an unsere Brust zu schlagen und nicht er. Nicht das Ei hat uns ins Unglück gebracht, sondern unser Jähzorn und unser Trotz. Nicht weil wir das Ei vergaßen, müssen wir aus dem Gesinde, sondern weil Gott uns demütigen will.«

Der Bauer blickte noch immer starr vor Staunen auf seine Frau. Sie war wie verwandelt. Ihre sonst so zarten Wangen waren hoch gerötet, ihre sonst so sanftblickenden Augen funkelten erregt. Auch Peter stand wie versteinert da. War das seine sonst so gleichmütige Herrin?

Als die Bäuerin geendet hatte, wandte sie sich um und begab sich ins Zimmer. Dort nahm sie ihr jüngstes Kindchen aus der Wiege, drückte es an ihre hochwogende Brust und ging, es auf ihren Armen schaukelnd, rasch auf und nieder. »Möge nun kommen, was da wolle,« sagte sie laut, »ich habe wenigstens meine Pflicht gethan. Soll ich dulden, daß dein Vater sich fortreißen läßt zur Rache und Ungerechtigkeit? Daß er, der Gute, schwere Sünde begeht? Sei ruhig, schrei nicht, Gott wird meine 146 Gebete erhören und uns nicht verlassen, und ihn nicht verlassen.«

Es war ihr, als ob ihr seliger Vater neben ihr herschritt und ihr in seiner kurzen Art lobend zunickte. Das hob ihr den Mut.

Wezwagar aber war hinausgegangen auf das Feld und arbeitete – arbeitete.

Der Baron, dem es unerträglich erschien, das feindselige Vorgehen seiner eignen Leute bekannt werden zu lassen, hatte das Öffnen der Schleuse noch ruhig hingenommen, den Brand der Scheune aber doch dem Hauptmann (Landrat) angezeigt. Dieser, ein geschickter und seiner Rechtlichkeit wegen allgemein geachteter Beamter, kam auch sofort nach Waldburg und stellte sehr eingehende Nachforschungen an; da er aber auch ein Thorhaken war, so erschien es den Bauern, als ob das Verfahren nur die Vorbereitung zu einem Akt der Familienrache sei. Sie hielten daher samt und sonders gegen den Hauptmann zusammen. Auch die Anhänger des Waldburgschen, auch diejenigen, die die That verabscheuten, thaten, was in ihren Kräften stand, um den Beamten zu verwirren. Die Verbrechen waren überdies so geschickt verübt, daß sich auch nicht der kleinste Anhalt für die Untersuchung bot. Die Herren gewannen zwar privatim die Überzeugung, daß Wezwagar in allen drei Fällen der Thäter oder wenigstens der Anstifter sei; sie konnten sich aber trotzdem bei dem Mangel an irgend welchen Beweisen nicht entschließen, ihn auch nur vorzuladen. Man beschloß aber, ihn scharf 147 beobachten zu lassen. Gleichzeitig wurde eine ganze Anzahl Maßregeln, von denen man hoffte, daß sie auf die Spur des Verbrechers führen könnten, verabredet. Andersohn erhielt als Vertrauensmann den Auftrag, sie anzuordnen und ihre Ausführung zu überwachen. Dann aß der Hauptmann zu Mittag und fuhr davon.

Wieder nach einer Woche lief plötzlich die Nachricht von Mund zu Mund, daß auf den Baron geschossen worden sei. Der Baron sei, so erzählte man sich übereinstimmend in den Krügen und in den Gesinden, in der Dämmerstunde von einem entfernten Beihof aus allein durch den Wald nach Hause geritten. Da sei ein Schuß gefallen, und die Kugel habe ihm die Cigarrenspitze aus der Hand gerissen. Der Baron sei darauf vom Pferde gesprungen und in das Dickicht eingedrungen; die Schonung sei aber so dicht und die Dunkelheit schon so groß gewesen, daß er den Schützen nicht habe entdecken können.

So erzählten sich die Bauern; es hätte aber keiner anzugeben vermocht, von wem dieser Bericht eigentlich herrührte, denn der Baron ignorierte den Vorfall vollständig, und der Verbrecher blieb unbekannt. Trotzdem zweifelte man nicht daran, daß sich alles so begeben hatte.

Einige Tage später kam Breede nach Wezwagar. Er kam, um sich zu erkundigen, ob die Badstube schon für ihn und die Seinigen hergerichtet sei und war nicht wenig erstaunt, als er sah, daß die Schwester bereits alles auf das umsichtigste vorbereitet hatte. 148 Trotzdem jammerte er: »Ach du lieber Gott! Erbarme dich, das ist ja doch nur für ein Jahr! Dann müssen wir alle mit dem weißen Stabe durch das Land!«

Die Schwester suchte ihn, so gut sie konnte, zu trösten. »So Gott will,« sagte sie, »finden wir noch ein Obdach, und da könnt ihr dann auch unterschlüpfen. Ein Arbeiter, wie mein Mann findet schon sein Brot.«

Dann schickte sie den Bruder auf das Feld, damit er sich mit Wezwagar begrüßte.

»Ach du lieber Gott! Erbarme dich, wie haben sie dir übel mitgespielt!« begann Breede dort die Unterhaltung. »Es könnte einen Stein erweichen!«

»Ja, mein Alterchen, so geht es im Leben,« erwiderte Wezwagar so freundlich, wie ihn der Schwager lange nicht gesehen hatte. »Aber das thut nichts, zieht deshalb nur immer zu uns. Für den Winter ist gesorgt, und im Frühling wollen wir auch Rat schaffen.«

»Ach du mein lieber Gott! Erbarme dich, wie sind die Leute böse! Jetzt sagen sie sogar, du habest auf den Baron geschossen.«

Wezwagar erbleichte. »Was sagen sie?«

»Ach du mein lieber Gott! Erbarme dich, sieh mich nicht so schrecklich an! Ich wiederhole ja nur, was die bösen Menschen sich erzählen.«

»Was erzählen sie sich?« rief Wezwagar und faßte den Schwager an beiden Schultern.

149 »Ach du mein lieber Gott! Sie sagen, du habest auf den Baron geschossen; aus einer Flinte auf ihn geschossen!«

»Ist denn auf den Baron geschossen worden? Wann?«

»Ach du mein lieber Gott! Erbarme dich, du weißt natürlich von nichts. Am vorigen Mittwoch hat ein Mann, der im Walde versteckt war, aus einer Flinte auf den Baron geschossen! Erbarme dich, die Kugel hat dem Baron die Cigarrenspitze aus dem Munde gerissen und ihm dadurch alle vier Vorderzähne ausgeschlagen. Erbarme dich! Ach du mein lieber Gott!«

Wezwagar zitterte am ganzen Leibe. »Und die Leute sagen, daß ich auf ihn geschossen habe?«

»Sie sagen, daß du auf ihn geschossen habest. Der arme, arme Baron! Jetzt werden er und die Seinigen von Haus und Hof müssen!«

Wezwagar zog sein Taschentuch und trocknete sich den kalten Angstschweiß von der Stirn. So hatten ihn die Gefährten von neulich doch getäuscht! Ihm selbst war ja der Gedanke durch den Kopf gegangen, den Baron zu töten; aber er hatte ihn nur mit Entsetzen gefaßt. Jetzt, wo das Ungeheure durch einen anderen geschehen war, erschien es ihm wie das, was es war, wie ein fluchwürdiges Verbrechen. Und er galt für den Thäter!

»Jakob,« fragte er, »hast du meiner Frau davon erzählt?«

150 »Ach du mein lieber Gott! Erbarme dich, wie werde ich meinem Schwesterchen davon erzählen? Ihr würde ja das Herzchen darüber brechen, wenn du nach Sibirien müßtest!«

»Gut. Erzähle ihr auch künftig nichts davon. Und nun fahre mit Gott. Ich komme euch am Tage eures Umzuges mit vier Wagen zu Hilfe.«

Sie gingen mit so raschen Schritten dem Gesinde zu, daß Breede in eine Art Trab verfallen mußte, um nur neben dem Schwager bleiben zu können. Er nahm dann zärtlichen Abschied von der Schwester und ihren Kindern und fuhr davon.

Die Bäuerin bemerkte mit Angst und Schrecken, daß ihr Mann wieder im höchsten Grade aufgeregt war. Das Verhältnis der beiden hatte sich nach jener Scene auf dem Hof, da ihr das Herz überquoll, noch seltsamer gestaltet als bisher. Als sie am Abend jenes Tages ihren Mann fragte, ob er ihr zürne, blickte er ihr hell ins Auge und erwiderte: »Nein, durchaus nicht.« Er zog sie aber nicht an sich, sondern ging still zu Bett.

»Du willst noch ausgehen?« fragte sie jetzt, als sie sah, daß ihr Mann sich anschickte, seine Arbeitskleider mit seinen Sonntagsgewändern zu vertauschen.

»Ja,« erwiderte er kurz. »Sage Dorothea, sie möge mir den Fuchs anspannen.«

»Georg,« sagte die Bäuerin entschlossen. »kannst du mir die Versicherung geben, daß du nichts gegen den Baron im Felde führst?«

151 »Sei unbesorgt,« erwiderte er und fuhr mit seiner Rechten über ihr Haar. »Ich sinne auf Gutes, nicht auf Böses.«

Die Bäuerin schlang ihre Arme um seinen Hals und schluchzte laut. »O sage mir, was dich so aufgeregt hat, was du vor hast!« bat sie.

Der Bauer drückte sie an sich und küßte sie zärtlich. »Nachher,« erwiderte er.

»Sei unbesorgt,« wiederholte er, als er schon im Wagen saß und die Fahrleine ergriff. Die Bäuerin beugte sich rasch über den Wagen vor, faßte seine Hand und küßte sie innig. Dann blieb sie stehen und sah ihm nach. Dort, wo der Weg im Walde verschwand, wandte er sich noch einmal nach ihr um.

Der Fuchs trabte munter vorwärts und ließ sich darin auch nicht irre machen, als er den schützenden Schatten des Waldes verlassen hatte und zwischen die heißen Felder hinaus mußte. Es war ganz windstill, und die Sonnenstrahlen brannten so heiß wie im Juni. »Es gibt heute abend das erste Gewitter,« dachte der Bauer.

Endlich erreichte er sein Ziel, das Pastorat. Wezwagar band das Pferd im Schatten an, stäubte sich mit dem Taschentuch den Staub von den Kleidern und ging ins Wohnhaus.

Als der Pastor, der an seinem Schreibtische saß, aufsah und Wezwagar gewahr wurde, fuhr er ein wenig zurück. Er faßte sich aber gleich wieder, trat auf ihn zu und sagte: »Es freut mich, daß du gekommen bist. Ich wollte selbst heute noch zu dir.«

152 »Herr Pastor,« erwiderte der Bauer gerade heraus, »Sie halten mich wohl auch für einen Mörder?«

Der Pastor machte große Augen. »Wezwagar,« versetzte er, »ich kann es dir nicht ausdrücken, wie sehr es mich freut, daß du so sprechen kannst. Rede, Mann, und sage mir, wie es geschehen konnte, daß man einen so schrecklichen Verdacht faßte.«

»Herr Pastor,« entgegnete der Bauer, »ich komme in großer Not zu Ihnen. Raten Sie, helfen Sie! Ich bin ein verlorener Mann. Ich bin wie betäubt, ich weiß nicht mehr, was recht ist und was unrecht, was gut ist und was böse.«

Der Bauer atmete schwer aus und fuhr sich mit dem Taschentuch über Stirn und Wangen.

Der Pastor betrachtete Wezwagar mit steigender Verwunderung. »Komm,« sagte er freundlich und strich sich nach seiner Gewohnheit das silberweiße Haar aus der hohen Stirn, »setze dich hierher auf den Stuhl und erzähle mir, was sich ereignet hat.«

Wezwagar erzählte nun, anfangs verworren, bald aber klar und fest. Er erzählte von dem Ei, von seiner Begegnung mit den Buschwächtern, von seinem Besuch bei Herrn von Mukowski. Er verschwieg auch den Vermittlungsversuch seiner Frau nicht und die Aufnahme, die derselbe im Hof gefunden hatte.

Während er das alles dem still zuhörenden Pastor, der immer hastiger rauchte, erzählte, war es, als ob ihm eine Binde von den Augen genommen wurde. Sein eignes Verfahren erschien ihm jetzt 153 thöricht und seiner unwürdig. Sein Weib allein hatte, wie immer, so auch in diesem Falle richtig gefühlt und gesprochen. Er hatte den Pastor fragen wollen, ob denn das Recht nicht auf seiner Seite war; aber er beantwortete sich die Frage jetzt selbst.

»Wezwagar,« begann der Pastor, als dieser schwieg, »der Baron handelte gewiß nicht richtig, als er deine Vergeßlichkeit so hart strafte; aber sei überzeugt, er meinte es nicht böse. Ihm gehen mitunter wunderliche Gedanken durch den Kopf, und er handelt dann wunderlich, aber er ist nicht schlecht. Du mußtest das Ei bringen und brachtest es nicht, da mußtest du es dir gefallen lassen, daß er dir das Fahren durch den Wald verbot. Es war weder nötig, daß er es that, noch gut; aber er hatte zweifellos das Recht dazu. Er hatte auch das Recht, dir, der du ihn schwer beleidigtest, das Gesinde zu kündigen. Laß dir von Mukowski nichts weiß machen. Ich habe von diesem sauberen Herrn schon gehört. Man hat ihn wegen schlechter Geschichten aus dem Zolldienst ausgeschlossen, und er ist jetzt einer jener schamlosen Blutsauger geworden, die euch arme Bauern auf das frechste betrügen und hintergehen. Deine hundert Rubel wird dir die Grabschaufel bezahlen. Mein Schwiegersohn hat dir, ohne es zu wollen, einen schlechten Rat erteilt. Der Advokat, an den er dich wies, ist ein wackerer aber hochmütiger Mann und kann eben deshalb den Adel nicht leiden. Er wäre gern selbst ein Junker, und er wäre dann schlimmer als die anderen. Es gibt 154 allerdings ein Gesetz, das den Advokaten verbietet, die Bauern vor Gericht zu vertreten. Ich mißbillige dieses Gesetz, das uns die Mukowskis groß gezogen hat, aber es ist in wohlmeinender Absicht erlassen worden; man wollte durch dasselbe die Bauern davor schützen, ihr Hab und Gut in unbesonnenen Prozessen zu vergeuden. Ein anderer Advokat hätte zwar deine Sache auch nicht führen können, aber er hätte dich angehört und dir dann gesagt, daß sie aussichtslos ist.«

»Herr Pastor, sind solche Gesetze nicht nur erlassen, um uns Letten niederzuhalten?«

Der Greis blickte Wezwagar erstaunt an. »Lieber Freund,« sagte er und legte seine Hand auf den Arm des Bauern, »ich weiß nicht, wer es ist, aber es lebt ein schlechter Mann unter euch, der euch aufreizt gegen uns alle. Es ist bei uns gewiß nicht alles so, wie es sein sollte, und auch ich glaube, daß wir vor allem andere Gerichte brauchen, ganz andere; wenn man aber sagt, daß die Bauern mitunter nicht zu ihrem Recht kommen, weil sie Letten sind, so ist das nicht wahr. Uns nichtadeligen Deutschen geht es ganz ebenso, denn der Fehler liegt darin, daß alle Richterposten aus den Mitgliedern eines Standes gewählt werden. Da ist es denn nur zu menschlich, daß wohl einmal ein Kreisrichter oder ein Hauptmann in einer schwachen Stunde um der Verwandtschaft willen das Recht beugt. Darunter leiden wir alle gleich, und das wird, so Gott will, 155 bald anders werden; die Regel aber ist ein solches Verfahren keineswegs, und mit deutsch und lettisch hat das nichts zu thun. Wenn die Barone jetzt häufig härter sind als bisher, so erklärt sich das daraus, daß allerlei Gesetze zu euren Gunsten im Anzuge sind, die sie mit Unrecht als Eingriffe in ihr Eigentumsrecht betrachten. Dadurch sind sie tief erbittert und lassen sich für eine Weile das gesunde Gefühl verwirren. Das wird aber bald vorübergehen und alles wieder werden wie früher, wo unsere Edelleute auf nichts so stolz waren als auf die Liebe und den Wohlstand ihrer Bauern. Ich höre jetzt aus allerlei Reden heraus, daß man euch vorlügt, daß, ehe die Deutschen ins Land kamen, eure Vorfahren wie im Paradiese lebten und alles Unglück erst mit der Ankunft der Deutschen begann. Das ist nicht wahr. Damals bekriegten sich die kleinen Völker, die in unserem Lande lebten, ununterbrochen, und was sie übrig ließen, zerstörten die Litauer und Esthen. Niemand war seines Lebens, seiner Habe sicher. Als dann die Deutschen ins Land kamen, haben sie auch schlimm genug gehaust; aber sie gingen miteinander nicht besser um. Sie lebten eben in einer rohen Zeit. Wezwagar, ich weiß nicht, wer euch so aufreizt, ich ahne es nicht einmal, aber der Mann versündigt sich schwer an uns allen. Wezwagar, tritt du dem Treiben mannhaft entgegen, dulde nicht, daß das Gift immer weiter um sich greift. Dich achten alle um deiner Gaben, deines Fleißes und deines reinen Lebenswandels willen. Du bist wie 156 eine Leuchte, siehe zu, daß du deinen Gemeindegenossen stets den rechten Weg zeigst.«

Der Geistliche hatte die letzten Worte mit geröteten Wangen und flammenden Augen gesprochen. Der Bauer atmete schwer. »Herr Pastor,« sagte er endlich und beugte sich auf die Hand des Greises nieder, »ich danke Ihnen.«

Der Pastor erbot sich nun, zwischen dem Baron und Wezwagar zu vermitteln; aber der Bauer lehnte das Anerbieten dankend ab.

»Herr Pastor,« sagte er ruhig, »ich mag selbst nicht mehr in dem Gesinde bleiben.«

Der Pastor drang noch in ihn, aber der Bauer blieb bei seinem Entschluß.

Als der Pastor den Bauer auf die Veranda hinaus begleitete, stießen sie dort auf den Nörgelnschen Baron Thorhaken, der den Halfter seines Reitpferdes eben durch den Eisenring zog. »Guten Tag, Herr Pastor! Was Tausend, da steht ja der angebliche Attentäter! An dem Gerede ist doch natürlich nichts Wahres? Was? Ihr habt doch nicht auf den Waldburgschen Herrn geschossen?«

»Nein, Herr, wahrhaftig nicht.«

»Nun, das habe ich immer geglaubt. Was ist denn aber zwischen euch vorgefallen?«

Der Pastor erzählte in der Kürze, was sich ereignet hatte. Der Bauer hörte still zu.

»Wezwagar,« rief der Baron, als der Pastor seinen Bericht beendet hatte, »Ihr seid ja ein Teufelskerl! Wahrhaftig, ich hätte das Gesicht meines 157 Vetters sehen mögen, als ihm der Eidotter um die Nase spritzte. Ich habe gerade ein Gesinde frei, wollt Ihr das haben.«

»Ich danke Ihnen, gnädiger Herr,« erwiderte der Bauer ernst, »aber ich will nicht in der Gegend bleiben.«

»Nicht? Schade! Ich hätte Euch gern aufgenommen, einmal, weil Ihr der beste Wirt seid, von dem ich weiß, dann aber auch, weil ich meinen Vetter durch nichts so sehr ärgern könnte. Überlegt Euch die Sache noch, Ihr sollt das Gesinde billig haben.«

Der Bauer verneigte sich dankend, grüßte die Herren und fuhr davon. 158

 


 


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