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Fünfzehntes Kapitel

Die Übergabe des Pokals

Den ganzen Freitag über verließ M'Adam auch nicht einen Augenblick die Küche. Er saß vor dem Pokal, Hände auf den Knien, und starrte ihn mit trüben Augen an, wie ein zärtlicher Gatte, der zum letztenmal neben seiner Lebensgefährtin wacht. Und der Rote Will wachte mit ihm.

Der Samstag kam und noch immer hielten diese beiden ihre Wacht. Gegen Abend erhob sich der Kleine zitternd, nahm den Pokal liebevoll in die Arme und setzte sich wieder.

Leise weinend, das Gefäß fest an seine Brust gepreßt, schaukelte er sich hin und her. Und der Rote Will saß aufrecht neben ihm auf seinen Hinterbeinen und wiegte sich mit ihm in stummem Mitgefühl.

Als es dunkel wurde, betrat David das Zimmer; beim Geräusch der sich öffnenden Tür schwang sich M'Adam herum, den Pokal immer noch fest in den Armen, und starrte den Jungen, ohne ihn jedoch zu erkennen, mürrisch, schweigend und argwöhnisch an. Im Dämmerlicht konnte David Tränen über seine runzligen Wangen rinnen sehen.

»Auf mein Wort, er ist verrückt geworden«, lautete sein Kommentar, als er sich Kenmuir zuwandte. Die Trauernden blieben mit ihrer Trauer allein.

»Nur noch ein paar Stunden, Willie«, jammerte der Kleine Mann, »dann nehmen sie ihn uns weg. Wir haben ihn gewonnen, Willie – ihn ehrlich gewonnen.

Licht hat er uns ins Haus gebracht, das Leben uns leicht gemacht – und wir konnten's brauchen. Gott weiß es. Er war das einzige, das wir liebten und an dem wir uns freuten. Jetzt nehmen sie ihn uns weg, und es wird alles wieder dunkel werden.« Er erhob sich, und der große Hund folgte ihm. Seine Stimme schwoll zu einem schrillen Schrei an, er schwankte mit dem Pokal in seinen Armen, bis es schien, daß er fallen müsse.

»Haben sie ihn ehrlich gewonnen, Willie? Nein; verschworen haben sie sich, konspiriert gegen uns, jeder einzelne von ihnen, bis sie uns besiegt haben. Aber sie sollen ihn nicht bekommen. Er gehört uns oder niemandem, Willie, uns oder niemandem!«

Krachend stellte er den Pokal auf den Tisch und stürzte wie toll zur Tür hinaus. Im nächsten Augenblick kehrte er zurück, eine Axt in den hocherhobenen Händen.

»Los! Vorwärts, Willie!«

Vor ihm auf dem Tisch schimmerte heiter und schön die Trophäe. Der Kleine Mann fiel über sie her; er schwang seine Waffe gleich einem Dreschflegel.

»Uns gehört er oder niemandem, Willie. Vorwärts marsch!«

Er holte zum tödlichen Schlage aus, und fast wäre es mit dem Schäferpreis, der die Unbilden eines Jahrhunderts überdauert hatte, zu Ende gewesen. Der Pokal zitterte, als der Schlag fiel. Aber der Stahl verfehlte ihn, und die Axt vergrub sich sauber und tief in die Holzplatte wie ein Spaten im Schnee.

Der Rote Will war auf den Tisch gesprungen und röchelte eine hohle Begleitung zu seines Herrn Gekeif.

Der Kleine Mann tanzte, in seinem verzweifelten Bemühen, die Axt freizubekommen im Zimmer auf und ab. »Du und ich, Willie! Du und ich!«

Die Axt war so unbeweglich wie die Moorspitze.

Der Axtstiel zersplitterte, und M'Adam taumelte zurück. Der Rote Will sprang vom Tisch hinunter und warf den Pokal um. Er fiel zu Boden und rollte klirrend davon. Und der Kleine Mann floh, immer noch seinen Schlachtruf gellend, aus dem Hause.

*

Als er spät in jener Nacht heimkehrte, war der Pokal verschwunden.

Auf Händen und Knien verfolgte er im Staube den deutlich erkennbaren Weg, den er genommen, bis zu dem Platz, wo er sich zur Ruhe gewiegt. Dahinter hörten alle Spuren auf.

Anfänglich betäubte ihn der Verlust. Dann raffte er sich zusammen und schwankte durch den Raum wie ein Wrack im Sturm. Er fluchte, er schrie, er trommelte mit fiebernden Händen gegen die Mauern; er belud James Moore, den Grauen Hund und seine Verfolger mit den schrecklichsten Verwünschungen, er rief Himmel und Hölle an, ihn an seinen Feinden zu rächen, sie bis in alle Ewigkeit zu verdammen, und flehte in gleichem Atem zu Christus, daß er das ihm angetane Unrecht sühne.

Endlich brach er völlig erschöpft in einer Ecke zusammen.

»Es ist David, Willie, kannst dich drauf verlassen – David, der seines Vaters Haus beraubt hat. Ja, 's ist schon eine großartige Sache, einen treuen Sohn zu besitzen!« Und er beugte sein schütteres Haupt.

*

Es war wirklich David gewesen. Er war während seines Vaters Abwesenheit nach dem Kornhof zurückgekehrt und hatte den Pokal seiner schmutzigen Ruhestatt entnommen und ihn in das rechtmäßige Heim geführt. Noch am nämlichen Abend hatte James Moore zu dem Burschen gesagt:

»David, dein Vater hat den Pokal nicht geschickt. Ich werde ihn mir morgen holen.« David jedoch wußte, was das zu bedeuten hätte. Um einen Zusammenstoß zwischen seinem Vater und seinem Freunde zu vermeiden – einen Zusammenstoß, dessen Ergebnis er kaum zu erwägen wagte, da er die felsenfeste Entschlossenheit des einen und den leidenschaftlichen Wahnsinn des anderen kannte –, hatte der Bursche beschlossen, lieber selbst den Pokal herüberzubringen, ja, ihn, wenn nötig, seinem Vater und dem Schwanzlosen Köter zu entreißen. Und sein Plan war geglückt.

Als er in jener Nacht nach Hause kam, marschierte er entgegen seiner Gewohnheit schnurstracks in die Küche.

Dort gegenüber der Tür erwartete ihn sein Vater, die Hände auf den Knien. Ausnahmsweise befand sich der Kleine Mann allein, und trotz seines Mutes dankte David dem Himmel aus tiefstem Herzen, daß der Rote Will fehlte.

Eine Weile beobachteten einander Vater und Sohn zwei Duellanten gleich.

»Warst du es, der mir den Pokal genommen hat?« fragte der Kleine Mann endlich und beugte sich in seinem Stuhle vor.

»Ich war's, der Mr. Moores Pokal holte«, entgegnete der Bursche.

»Du nahmst ihn – angestiftet von James Moore, ohne Zweifel!«

David verneinte durch eine Geste.

»Ja, ja, angestiftet von James Moore«, fuhr sein Vater fort. »Er wagt es nicht, sich selbst seine Diebesbeute zu holen, deshalb schickt er den Sohn aus, seinen Vater zu berauben – Feigling der!« Er zitterte am ganzen Leibe vor Wut. »Hätte gedacht, James Moore wäre Manns genug, sich zu nehmen, wonach ihm der Kopf steht. Seh jetzt, daß ich mich geirrt habe – hab' ihn falsch beurteilt. Wußt', daß er 'n Heuchler ist, einer von den sauberen Frommen, ein Kerl, der nach einer Sache aussieht, 'ne zweite behauptet und nach 'ner dritten Sache handelt; jetzt weiß ich obendrein noch, daß er 'n Feigling ist. Angst hat er vor mir, so wie ich hier steh.« Er erhob sich von seinem Stuhl und richtete seine elende kleine Gestalt zu ihrer vollen Größe auf.

»Mr. Moore hatte nichts damit zu tun«, beharrte David.

»Du lügst – James Moore hat dich angestiftet. Wärst auch ohne ihn bereit genug dazu gewesen, wenn's dir nur eingefallen wäre, das geb' ich zu. Aber soviel Grips hast du nicht. Was einst davon da war, ist in deine langen Arme und Beine gefahren. Aber das tut nichts zur Sache. Ich rechne mit James Moore ein andermal ab und mit dir jetzt auf der Stelle, David M'Adam.«

Er hielt inne und musterte den Jungen von Kopf bis zu Fuß.

»Bist also nicht nur 'n fauler Schlingel, 'n Landstreicher und 'n Schwindler! –« er spuckte die Worte geradezu hervor – »bist auch 'n Dieb, Gott steh dir bei!«

»Ich bin kein Dieb«, erwiderte der Bursche hitzig; »ich hab' dem Manne nur zurückgegeben, was mein Vater – schämen sollt' er sich! – ihm vorenthalten hat.«

»Schämen?« schrie der Kleine Mann und trat mit brennenden Wangen einen Schritt näher.

»Ist's etwa 'ne ehrliche Tat, zurückzubehalten, was einem nicht gehört? Einem Mann nicht zu geben, was ihm von rechtswegen zukommt? Wenn einer 'n Dieb ist – ich bin's nicht. Du bist's, sag ich dir, du!« – Er blickte seinen Vater mit funkelnden Augen an.

»Ich, ein Dieb?« schrie der andere. »Und wenn du auch dreimal so groß bist wie ich: ich werd' dir schon zeigen, wie man als Sohn zu seinem Vater spricht.«

Der alte, lang schon in Vergessenheit geratene Riemen hing immer noch im Ofenwinkel. Bei seinen letzten Worten sprang der Kleine Mann zurück, riß ihn von der Wand, und ehe David noch begriffen hatte, was er im Schilde führte, ließ er ihn mit voller Wucht über des Burschen Schultern sausen. Gleichzeitig stieß er seinen schrillen, gebieterischen Pfiff aus:

»Willie, Willie, hierher zu mir!«

David fühlte, wie der Hieb ihn trotz seines schützenden Rockes gleich einer heißen Eisenstange versengte. Leidenschaftlicher Zorn stieg in ihm auf! Jetzt, in einer Minute, würde er ein- für allemal die Rechnung vieler Jahre begleichen; im Augenblick jedoch gab es Dringenderes zu tun, denn draußen hörte er das eilige Rascheln jagender Pfoten, sowie den Lärm und das Schnaufen eines mächtigen Tieres, das heranrast, einem Befehl zu folgen. Mit einem Satz schnellte er zur offenen Tür; wieder sauste der Riemen herab und eine wilde Stimme kreischte: »Rasch, Willie, rasch, um Gottes willen!«

David schmiß die Tür ins Schloß. Krachend fiel sie zu. Gleichzeitig donnerte von draußen ein riesiger Körper gegen die Füllung und eine tiefe Stimme heulte in ohnmächtiger Wut über die entrissene Beute.

»Zu spät, auch dieses Mal!« David atmete schwer und schob klirrend den Riegel vor. Dann wandte er sich gegen seinen Vater.

»Und jetzt«, rief er, »Mann gegen Mann!«

»Ja«, schrie der andere, »Vater gegen Sohn!«

Der Kleine Mann machte eine halbe Wendung zur Seite und sprang hoch, um die alte Donnerbüchse von der Wand zu holen. Aber er verfehlte sie, drehte sich um und zielte mit dem Riemen unmittelbar nach seines Sohnes Gesicht. David jedoch packte den schwingenden Arm am Handgelenk und stieß ihn zur Seite. Dann schlug er seinem Vater gegen die Brust; der Kleine Mann wankte zurück, rang nach Luft, und der Riemen entfiel seinen tauben Fingern.

Draußen winselte der Rote Will und kratzte an der Tür, aber die beiden Männer achteten seiner nicht.

David schritt auf den anderen zu: Mord stand auf seinem Gesicht. Der Kleine Mann erkannte: seine Zeit war gekommen, aber selbst sein erbittertster Feind hatte niemals Adam M'Adams Mut angezweifelt.

Gegen die Wand gedrückt, die Haare wirr, den einen Arm streichelnd, zuckte er nicht mit der Wimper.

»Überleg' dir's, David«, sagte er vollkommen ruhig. »Es bedeutet Mord.«

»Mord soll es sein«, antwortete der Bursche mit gepreßter Stimme und hatte im nächsten Augenblick das Zimmer durchquert.

Draußen trommelte und hämmerte der Rote Will mit ohnmächtigen Tatzen gegen die Tür.

Plötzlich fuhr der Kleine Mann mit der Hand in die Tasche, zog einen Gegenstand hervor, warf ihn David an den Kopf. Weich wie ein Regentropfen fiel das Geschoß auf sein Gesicht, und David lächelte. Geräuschlos sank es auf den Tisch an seiner Seite und – er blickte hinab – auf seiner Mutter Antlitz.

Aufschluchzend hielt er inne. »Mutter! Mein Gott, diesmal hast du ihn gerettet – ihn und mich!«

*

Vollkommen fassungslos, greinend, stand er da.

Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich gesammelt hatte. Dann schritt er zur Wand, holte ein paar Schafscheren herunter und setzte sich, immer noch zitternd, an den Tisch. In greifbarer Nähe, hart neben der tiefeingegrabenen Axt, lag die zerknüllte und zerrissene Photographie.

David hob den Riemen auf und begann ihn in winzig kleine Stücke zu zerschneiden. »Da! da! da!« stieß er bei jedem Zuschnappen der Schere hervor. »Wenn du mich noch einmal schlägst, ist Mutter vielleicht nicht da, deine Haut zu retten.«

Rot und Grau. Die Zeit rollt dahin.

In der Wohnküche von Kenmuir tanzt ausgelassen der Schein der Herdflammen über den roten Ziegeln des Fußbodens, den dunklen Fensterläden und dem mächtigen Eichenschrank. Vor dem Feuer sitzt James Moore. Er hat sich wenig verändert, trotz des Wirbelschritts der Jahre. Er läßt Klein-Anne auf seinen Knien reiten; der rötliche Feuerschein spielt in ihrem Haar, und sie schlägt mit den kleinen Händen nach der hageren Wange, die sich über sie neigt. Es ist einer der wenigen Momente, in denen man James Moore sieht, wie er ist – ein ernster und kalter Mann mit einer tiefen und warmen Zärtlichkeit unter der Eiskruste.

Aus dem Hintergrunde lacht Maggie, jetzt ganz Weib an Ausdruck und Gestalt, zu ihnen hinüber; sie wirft ihrem Vater vor, daß er das Kind verwöhne. Unter dem Tisch schnitzt Andrew, ein halberwachsener Bub, an einem derben Knüttel.

Über dem Kaminsims hängt samt Pulverflasche und Horn eine blankgeputzte Muskete, darunter ein Ölbild: der Kopf eines Grauen Hundes. Trotz der rohen und unvollendeten Ausführung ist es dem Maler gelungen, etwas von der wirklichen Schwermut und Nachdenklichkeit der Augen festzuhalten: eine Eigenschaft, die man unfehlbar bei den Grauen Hunden findet. Das Bild stellt Rex, Sohn des Rally, dar. Und hier an würdiger Stelle unter des alten Helden Porträt, thront in wuchtiger und keuscher Majestät der Schäferpreis. In dieser schmucklosen Küche zieht er aller Augen auf sich: ein Diamant an einer Perlenkette, und das Ruhmesverzeichnis verkündet an den letzten drei Stellen die Namen:

A. M'Adam's Will

J. Moores Bob

J. Moores Bob

Und dort unter seines Herrn Stuhl, den dunklen Kopf ein wenig vorgeschoben, die Lichter weich verschleiert, dann wieder auffunkelnd gleich Wachtfeuern, liegt Old Bob – der beste Schäferhund des Nordens.

Noch ein dritter gewaltiger Sieg an den Ufern der Lea, und der Grenzpokal, der hundert Jahre lang heimatlos von Norden nach Süden, von Süden nach Norden wanderte, wird endgültig in dem alten Bauernhaus am Fuße der Moorspitze zur Ruhe gelangen. Es war gelegentlich dieses zweiten Sieges, daß der alte Lochrae, der kritischste aller kritischen Schotten, während einer Pause in dem Hurragebrüll rund heraus erklärte:

»Der beste Schäferhund des Nordens, so wahr ich lebe«, worauf der Lärm sich verzehnfachte.

»Weshalb nicht der beste in der Welt, Mylord?« forschte Pastor Leggy, sobald es ihm gelang, zu Worte zu kommen. »Weshalb nicht, alter Schellfisch?« fragte eine schrille, zornige Stimme aus der Menge (es war Tammas, Tammas Thornton, trunken vom Siege und von noch anderen Dingen).

Der alte Lord hatte seine Antwort parat.

»Sind nicht die Schäferhunde des Nordens die besten der Welt?« rief er und machte sich mit einem Schlage zum populärsten Mann unter zehntausend. Es war nach Überreichung des Pokals, daß Lochrae, bedächtiger Mann, der er war, James Moore hundert Pfund auf den Tisch des Hauses für den Grauen Hund bot und, da dieser sich weigerte, ihm resigniert einen Blankoscheck reichte mit der Bemerkung: »Machen Sie damit, was Sie wollen.«

»Dann, Mylord,« sagte der Großbauer trocken, »mache ich dies«, und zerriß das Papier in Fetzen.

Erneut brausende Hurrarufe: »Treu wie die Moores und ihre Hunde! Fressen soll er's! Stopft dem alten Kerl den Schlund damit!« und so weiter. Dies war auch der Anlaß zu James Moores Bemerkung: »Wir haben uns niemals von unseren Hunden getrennt, und ich wäre der letzte, mich von dem besten von allen zu trennen!«

Seit jenem Tage gab es in jedem Schankzimmer vom Mitternachtssee bis zur Grammochspitze nur noch einen brennenden Gesprächsstoff: Würde »unser Bob« – der »Alte«, wie sie ihn jetzt mit Vorliebe nannten – noch einmal gewinnen – endgültig gewinnen? Würde er trotz seines Alters – denn alt war er wirklich inzwischen geworden – imstande sein, ein drittes Mal jenen anderen zu besiegen, jenen anderen, über den bei dem letzten Wettbewerb Teddy Bolstock den einen Preisrichter zum anderen hatte sagen hören: »Wäre nicht jener Knick an der Bergschneise gewesen, der Rote hätte gewonnen.«

*

Old Bob von Kenmuir.

Man nenne diesen Namen, einerlei wem, in zwanzig Meilen Umkreis von der Moorspitze; man frage den Betreffenden, ob er einen anderen Namen wüßte, der sich mit ihm messen könne? Zuerst wird der Mann den Frager in der langsamen, kritischen Art der Talbewohner von Kopf bis zu Fuß prüfend ansehen, ob man seiner auch nicht spotten wolle; hat er sich dann des Gegenteils vergewissert, so wird er den anderen auslachen, und endlich, falls er glaubt, einen bereitwilligen Zuhörer gefunden zu haben, wird er stundenlang von den Heldentaten des »besten Schäferhundes, den es je gegeben und je geben wird«, erzählen. Die Geschichten über ihn sind so zahlreich wie Sand am Meere, einige von schwerem und gewichtigem Inhalt wie das Leben und der Tod, andere voll ausgelassenen Gelächters; etliche handeln von seiner Arbeit, andere berühren tiefere und ernstere Fragen. Stets jedoch muß man sich auf die unvermeidliche Schlußbemerkung gefaßt machen: »Und ich kann mich noch erinnern, wie um dieselbe Zeit Adam M'Adam und sein Roter Will –«

Des alten Hundes Taten bildeten das einzige Thema, das mitunter James Moore zum Reden hinriß. »Man braucht ihn bloß auf den ›Alten‹ zu bringen, und er entwickelt, auf mein Wort, ein förmliches Rednertalent!« meinte Baron Sylvester.

»Ja,« stimmte Pastor Leggy zu, »die beiden gleichen mehr zwei nahen Freunden als Herrn und Hund. Erst gestern sagte er mir: ›Hab' zu meiner Zeit schon 'ne Menge Grauer Hunde gehabt, aber keinen wie den ›Alten‹ hier.‹ Und ich glaube, er hat recht.«

Trotzdem würde ein Fremder, hätte er die beiden zusammen gesehen, niemals erraten haben, welch inniges Band sie verknüpfte, so sehr scheuten sich diese zwei, ihre Gefühle zu zeigen. Man mußte sie zusammen arbeiten sehen, ruhig, energisch, rasch im Handeln und langsam im Zorn, dann erst erkannte man die stumme, unendlich feine Sympathie, die sie verband.

In jenen Tagen war es gefährlich, über den besten Schäferhund des Nordens ein böses Wort fallen zu lassen. Jim Mason, wahrhaftig ein friedfertiger Mensch, jagte einen spöttischen Fremden den ganzen Abhang hinunter in die ausgangslose Schlächterschlucht, wo er ihn zu Boden warf und ihm die Wahrheit mit Fäusten einhämmerte. Tupper verprügelte einen baumlangen Kerl aus Yorkshire mitten auf dem Marktplatz, weil er Old Bob erwähnte und gleichzeitig ausspuckte. Der Kerl hatte, wie er später erklärte, durchaus nichts Böses damit gemeint, aber – er hatte nun mal gesündigt und dafür büßen müssen, was sollte man dabei machen? Ja, selbst Sam'l Todd, dessen Fischblut kaum je in Wallung zu bringen war, sich jedoch, wenn erregt, ebenso schwer wieder beruhigen ließ, erbot sich im »Grenzbock« jedes Mannes Nase zu Brei zu schlagen, der es wagen sollte, des Grauen Hundes Überlegenheit anzuzweifeln: eine offene Herausforderung, die niemals angenommen wurde – außer von dem kleinen M'Adam; und den wies Sam'l mit den Worten ab: »Schon gut, schon gut, dich hab' ich nicht gemeint; ich sagte: ein Mann, nicht ein Knirps.« M'Adams Antwort war ein Schlag ins Gesicht – aber das Folgende hat nichts mit dieser Geschichte zu tun.

*

Auf manchen Menschen wirkt eine Niederlage erhebend, auf andere niederdrückend. Bei Adam M'Adam und seinem Roten Will schien sie gleichzeitig die besten und schlechtesten Eigenschaften zu entfesseln.

Unter den Talbewohnern herrschte Furcht, tief, aber nie tief genug, Haß, der täglich den Siedepunkt erreichte, sowie Eifersucht auf jenen kleinen, angeblich verrückten Menschen und den mächtigen Hund, von dessen Mordlust man überzeugt war, gemischt mit widerwilliger Bewunderung für dieses Paar, das sich nie geschlagen gab, dessen Taten nur von zweien übertroffen wurden.

Als Schäferhund haben die Grenzbewohner bis auf den heutigen Tag nichts als Schimpf- und Schmähreden für des »Alten« Rivalen übrig, so bitter ist die alte Feindschaft, so glühend ihre Anhänglichkeit an Old Bob. Jedoch als »Schrecken der Grenzlande«, als furchtbarsten Rächer, der je seinen Feind erschlug, erfüllt auch heute noch die Erinnerung an den Schwanzlosen Köter manchen Mann mit heimlichem Stolz.

Bis auf den heutigen Tag hat sich hier in dem Seengebiet die Legende erhalten, wie er mit dem unüberwindlichen Trio The Vexer, Venus und Van Tromp verfuhr – jenen drei schönen Schwestern, von denen John Swan, als er ihre elenden Überreste musterte, mit Tränen in den Augen erklärte: »Hab' tatsächlich geglaubt, meine drei würden es mit jedem Lebewesen aufnehmen, das je Zähne gezeigt.«

Dennoch verband der Rote Will mit jener Wildheit, die ihm in drei Königreichen eine infernalische Berühmtheit schuf, eine Art rauhe Ritterlichkeit, einen ungeschlachten Edelmut, der es verachtete, sich seines Gegners Schwächen zu Nutze zu machen. Das geben heute selbst Männer zu, die ihn mit Freuden umgebracht hätten. Nicht einmal der lange Kirby vermochte ihn einen Raufbold zu nennen, nicht einmal Tammas Thornton, seinen Mut zu leugnen. Nie – mit einer einzigen Ausnahme – war er der Angreifer.

Trotzdem bewegte er sich, wie sein Herr, als Ausgestoßener unter seinesgleichen. Weit und breit gab es kaum einen Hund – ausgenommen das kleine, struppige Fräulein aus dem »Grenzbock« –, der sich nicht vor der überlegenen Kraft seiner Zähne gebeugt hätte und auf den Tag der Rache lauerte. Nacheinander suchten alle den Kampf mit ihm, und nacheinander rang er sie zu Boden, schüttelte sie und ließ sie laufen – mit jener einzigen Ausnahme –, und sie kamen niemals wieder. Folgte er M'Adam ins Wirtshaus, so ließ er sich nieder, wo sein Herr sich niedergelassen, nachdem er zuvor nötigenfalls die anderen Hunde vertrieben, und diese scharten sich zähnefletschend und mit gesträubtem Fell zusammen, wagten jedoch nicht, sich zu rühren; sie kannten ihren Meister und harrten, weise wie sie waren, ihrer Gelegenheit.

Dem kleinen Fräulein aus dem »Grenzbock« zuliebe schlug er auch seine blutigste Schlacht – das große Treffen gegen die beiden Doggen von Woods Wanderzirkus, Wilhelm und Bismarck, jenes kriegerische Paar, das allabendlich neben Cäsar, dem Löwen mit der mächtigen Mähne, auf den Brettern erschien.

»Los, zeig's ihm, Bissy! – Faß, Wilhelm! Mahlt ihn zu Mus, den unverschämten Lümmel, haha!« lachte der junge Wood zu Beginn des Ringens.

»Hihi!« kicherte M'Adam und kaute an seinen Nägeln, sein Gesicht jedoch war totenbleich.

»Treibt sie auseinander!« schrie ein Fremder aus dem rasch sich sammelnden Haufen der Zuschauer.

»Ja, ja«, bestätigte M'Adam; er sprang mit einem Satz zur Seite, da die kämpfenden Drei ihn um ein Haar umgerannt hätten; »treibt den Sand am Meer auseinander.« Sein Gesicht war betaut wie das Gras am Morgen.

Die Hauptstraße hinunter quer über den Markt, am Glockenturm vorbei, hinaus auf das Galgenfeld ging's – ein stummes, mörderisches Knäuel, wogend, wankend, achtlos des schweigenden Pöbels, der es allseits umringte.

Es heißt, dies sei das einzige Mal gewesen, daß »der Schrecken« ernst machte, mit dem Willen zum Töten focht. Es war das einzige Mal, daß der Rote Will, wahrhaft aufgerüttelt, bis zum Finish kämpfte und seine Riesenkräfte in das schweigende, blutige Ringen warf. Jedenfalls war es das einzige Mal, daß alle Talbewohner bis auf den letzten Mann hinter ihm standen.

Während dieser ganzen Zeit, von dem geräuschvollen Anfang bis zum lautlosen Ende, hüpfte zwischen den Kämpfenden und der Zuschauermenge eine kleine, bleiche Gestalt vor und zurück, hin und her.

»Hallo! Jetzt ist's aber genug: sie werden ihm was tun!« protestierte Wood aufgeregt, fünf Minuten nach Beginn des Treffens.

»Ja, ja,« stimmte wie im Trance M'Adam zu, »das werden sie wohl.« Schweiß rann ihm übers Gesicht, als er seinen Rundtanz fortsetzte.

Fünf Minuten später.

»So rufen Sie ihn doch zurück!« brüllte der Zirkusdirektor.

»Ja, ja,« murmelte M'Adam, »Willie, hierher«!

Eine weitere Pause.

»Das ist ja Mord!« kreischte Wood. »Er wird sie umbringen!«

»Ja, ja,« tönte die leise Stimme, »das wird er.«

»Ich verklage Sie, beim – –, das tu ich. So rufen Sie ihn doch zurück! Hol' einer ein Gewehr! Hi, fünf Schilling für ein Gewehr!«

»Ja, ja,« meinte M'Adam, nach rechts und nach links ausweichend, »Willie, laß ab!« Sie hörten ihn nach Atem ringen, als Wilhelms Zähne sich tiefer eingruben.

»Das Paar ist seine hundert Pfund wert!« gellte der andere. »Ich brauch' sie für meinen Lebensunterhalt!«

»Ja, ja.« M'Adam wandte keine Sekunde den Blick von den Kämpfenden. »Willie ist mein Leben selbst!« Und sie sagen, seine weißlippige Qual, als der Rote Will ausglitt und beinahe fiel, sei zum Gotterbarmen gewesen.

Abermalige Pause.

Bismarck lag jetzt am Boden. Wilhelm hielt sich nur noch mit Mühe auf den Beinen. Der Tierbändiger warf sich dazwischen.

»Ich mach' ein Ende, beim – – –«

»Zurück! Sind Sie wahnsinnig?« keuchte die Menge. Irgend jemand riß ihn fort. »Sonst geht's Ihnen wie Ihren Hunden!«

Als endlich alles vorbei war und Wilhelm und Bismarck, »der Stolz der Kaiser, die Lieblinge der Königinnen«, langsam vom Felde der Ehre getragen wurden, während Wood abwechselnd fluchte und weinte, saß der Kleine Mann am Wegrande, wusch das blutende Haupt auf seinen Knien und flüsterte:

»Willie! Willie! Du ungezogener Hund! Was bist du auch gleich so grob!«

*

So wandern diese beiden, Rot und Grau, in tödlicher Rivalität durch das Tal: der eine nachtragend und rachsüchtig, der andere höflich, still und tapfer, wenn auch kampfbereit, ja kampffreudig, jeder den anderen übertreffend, jeder auf seine Weise unnachahmlich: beide aber wartend auf das Ende.


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