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Zehntes Kapitel

Rivalen

Niemals verzieh M'Adam seinem Sohn. Nach der Szene am Tage des Begräbnisses konnte es zwischen diesen beiden nur noch Krieg geben, Krieg bis aufs Messer. Der Kleine Mann hatte versucht, zu Kreuze zu kriechen, und war zurückgestoßen worden; und die Bitterkeit der Niederlage, da er doch den Sieg verdient hätte, schwärte wie ein giftiger Pfeil in seinem Herzen.

Allein die ganze Wut seiner Empörung richtete sich nicht gegen David, sondern gegen den Großbauern von Kenmuir. James Moores Einfluß und Wirkung schrieb er sein Unglück zu und benahm sich dementsprechend. Ob in der Öffentlichkeit, ob unter vier Augen, ob in der Schankstube oder auf dem Markt, niemals konnte er sich an boshaften Schimpfreden genug tun.

»Leidet unter dem Verlust seiner Frau, sagt Ihr? Jawohl. So viel wie ich unter dem Verlust meiner Haare leide. James Moore kann überhaupt nichts fühlen, sag' ich, außer wenn etwas seinem elenden Köter zustoßen sollte.«

Begegneten die beiden einander, was selbstverständlich häufig vorkam, so war es M'Adams ständiges Bemühen, seinen Feind zu einer würdelosen Preisgabe seiner Gefühle aufzureizen. James Moore jedoch, dieser Mann mit der eisernen Selbstbeherrschung, gab niemals nach. Er begegnete sämtlichen Hohnreden des Kleinen mit zwingendem Schweigen, und aus den stahlblauen Augen blickte eine Verachtung, die seinen Gegner mehr als alle Worte verletzte. Ein einziges Mal ließ sich der Großbauer zu einer Antwort hinreißen. Es war im Schankzimmer von »Des Grenzers Tochter«, wo eine stattliche Schar von Pächtern mit ihren Hunden versammelt war. M'Adam stand neben dem Kamin, ihm zur Seite der Rote Will.

»Eine feine Rolle spielt Ihr hier, James Moore«, rief der Kleine laut. »Den Sohn gegen den Vater und Haus gegen Haus aufzuhetzen! Das sieht Euch ähnlich, Euch mit Eurer Kirchengeherei, Eurem Psalmsingen und Eurer Frömmigkeit!«

Der Großbauer blickte vom anderen Ende des Zimmers auf.

»Ihr scheint nicht zu wissen, M'Adam,« sagte er hart, »daß Ihr es nur mir zu verdanken habt, wenn David Euch nicht längst verlassen hat – und recht wäre Euch geschehen, meiner Meinung nach.«

Der Kleine Mann zog die Hosen hoch, grinste und wechselte die Front zum Angriff.

»Brüllt doch nicht so, Mann; ich bin ja nicht taub. Außerdem reizt Ihr meinen Willie.«

Der Schwanzlose Köter hatte seinen Platz am Kamin verlassen und stand jetzt in ragender Scheußlichkeit mitten im Zimmer. Dumpfes Donnergrollen stieg aus seiner Kehle, eine Drohung blickte aus seinen Augen, Herausforderung aus jeder Falte seiner Stirn. Gleichzeitig stahl sich der Graue Hund hinter seines Herrn Rücken hervor, freudig bereit, den Kampf zu wagen.

Augenblicklich senkte sich Schweigen herab: das Geschwätz verstummte, die Humpen hörten auf zu klirren. Stumm scharten sich sämtliche Männer und Hunde im Raum um diese zwei. Da war keiner, der nicht einen Groll gegen den Schwanzlosen Köter nährte, keiner, der nicht darauf brannte, an der kommenden Schlacht teilzunehmen. Und die beiden Gladiatoren standen Schnauze an Schnauze, einen schmalen, blitzenden Streif Zähne zwischen den Lippen, und blickten starr aneinander vorbei: der eine der Typ des kampfgewohnten Verbrechers, der andere ein geborener, reinrassiger Gentleman.

Aber es sollte nicht so weit kommen. Wohl zum zwanzigsten Male griff der Großbauer ein.

»Bob, Junge, bei Fuß!« rief er und griff seinem Liebling in die Mähne.

M'Adam lachte leise.

»Willie, Willie, hierher zu mir! Der tapfere Bursch da drüben hat schon von deinem Anblick genug.«

»Wenn's zum Kämpfen kommt, wird's nicht der Bob sein, den ich verprügele, ich warne Euch, M'Adam«, sagte der Großbauer finster.

»Wenn Ihr auch nur 'n Finger an Willie legt, wißt Ihr, was ich dann tue, James Moore?« forschte der Kleine ungemein liebenswürdig.

»Jawohl: fluchen«, antwortete der andere und stapfte unter beifälligem Hohngelächter zum Zimmer hinaus.

James Moore bot für die Angriffe des Kleinen kein leichtes Ziel, ganz anders war es mit David. Beleidigungen, die sich gegen ihn selbst richteten, ertrug der Junge mit stoischem, aus Gewohnheit geborenem Gleichmut. Aber eine giftige Bemerkung über Kenmuir verfehlte niemals ihren Zweck. Und der Kleine Mann entwickelte ein erstaunliches Talent im Ersinnen geschickter Lügen über seinen Feind.

»Ich höre,« bemerkte er eines Abends, als er tabakkauend in der Küche saß, »ich höre, James Moore will sich wieder verheiraten.«

»Dann hast du 'ne Lüge gehört – oder besser noch, eine erfunden,« entgegnete David leichthin.

»Sieben Monate sind's her, daß seine Frau gestorben ist«, fuhr der andere nachdenklich fort. »Naja, ich wundere mich nur, daß er so lange gewartet hat – die eine begraben und die nächste ins Haus geholt. Das ist so James Moores Art.« Kichernd blieb er mit Willie allein zurück, während der Junge zornig aus dem Zimmer rannte.

Etwas ganz neues zog David jetzt nach Kenmuir. Maggie bedeutete für ihn seit kurzem eine endlose Quelle des Erstaunens. Es war, als sei über Nacht aus dem reizenden Kinde eine reife Frau geworden. Und sehr bald entdeckte er, daß Maggie als Herrin von Kenmuir sich völlig von seiner ehemaligen Kameradin und Sklavin unterschied. Sie verkehrten jetzt auf ganz neuem Fuß miteinander. Sie war Königin, wo er früher König gewesen; sie befahl, er mußte gehorchen. Die Folge war ein endloses Ringen, in dessen Verlauf er vergeblich um seine verlorene Oberhoheit kämpfte. Und doch – trotz all seiner Vorurteile mußte der Junge zugeben, daß Maggie ihre neue Rolle, jung wie sie war, mit überraschender, liebreizender Geschicklichkeit durchführte, galt es nun, sich mit den ernsten Aufgaben des Haushalts auseinanderzusetzen oder das Baby, Klein-Anne, zärtlich zu bemuttern.

In diesen letzten Liebesdienst teilte sie sich allein mit Old Bob, und keine Wärterin hatte je einen zuverlässigeren Gehilfen. Stundenlang lag der Hund neben der Wiege und bewachte seinen Schützling, liebevoll, verständig und gewissenhaft, während das Kind vor Freude jauchzte und strampelte und die dicken kleinen Fäuste tief in sein silbergraues Fell vergrub; oder aber es schrie in ungeduldigem Entzücken, wenn die dunkle Schnauze sich leise über den Wiegenrand stahl und es behutsam, aber unerbittlich in das sichere Bettchen zurückschob.

Old Bob hatte jetzt nahezu den Gipfel seines Könnens erreicht. Pastor Leggy erklärte rund heraus, es hätte seit den ruhmreichen Tagen von Rex, Sohn des Rally, nicht seinesgleichen gegeben.

Sie liebten ihn, einer wie der andere, um seiner selbst willen; liebten ihn dank seines gewinnenden Wesens, seiner scheuen Höflichkeit; liebten ihn kraft seiner weithallenden Taten, liebten ihn seines edlen Zornes, seiner prachtvollen Selbstbeherrschung willen, die ganz der seines Herrn glich; und am meisten liebten sie ihn, weil er die Antithese des Schwanzlosen Köters, dessen Feind bis in den Tod war.

In der ganzen Gegend gab es kaum einen Mann, der es nicht auf jenen blutrünstigen Wilden abgesehen hätte, keinen, der es wagte, sich an ihm zu rächen. Ein einziges Mal freilich hatte der lange Kirby, erfüllt von Bier und Tapferkeit, versucht, diese Rechnung auszugleichen. Zwischen dem Städtchen Grammoch und dem Gasthaus »Zu des Grenzers Tochter« war er auf M'Adam und seinen Roten Will gestoßen; da hatte er sich vorgebeugt und mit seiner Peitsche dem Hunde einen furchtbaren, schwertgleichen Hieb versetzt, der von der Flanke bis zur Schulter eine dicke, blutige Strieme erzeugte. Dann hatte er seinen Gaul zum Galopp angetrieben, noch ehe des Kleinen Mannes schrille Schreie, halbverschlungen von einem furchtbaren Heulen, sein Ohr erreichten.

Jetzt erhob er sich vom Sitz und peitschte auf das Pferd ein. Als er über die Schulter blickte, sah er, ihm heiß auf den Fersen, eine riesige Gestalt, die ihn so rasch einholte, als wäre er selbst geschlichen. Sein Gesicht nahm eine kalkig weiße Farbe an, er schrie, peitschte und blickte noch einmal zurück. Unmittelbar am Hinterbrett des Wagens jagte der Rote Teufel durch den Staub, während ein viertel Kilometer dahinter wie toll M'Adam raste.

Der Schmied schlug hinter sich und vor sich auf das Pferd. Umsonst. Mit einem Satz schwang sich der Rächer auf das fliehende Fuhrwerk. Bei dem Zusammenprall wurde der Gaul heftig auf die Seite geworfen, Kirby flog über die Hecke, und der Rote Will lag unter den Trümmern begraben.

M'Adam stürmte noch rechtzeitig herbei, um ein schweres Unglück zu verhüten.

»Am liebsten jagt' ich Euch mein Messer in die Eingeweide, Kirby«, keuchte er, als er des Schmiedes aufgeschlagenen Schädel verband.

Nach diesem Ereignis zogen es die Talbewohner vor, alle Beleidigungen herunterzuschlucken, statt ihr Leben zu riskieren; allein ihre Ohnmacht diente nur dazu, ihre Feindschaft bis zur Weißglut zu erhitzen.

Jedoch mochte ihr Haß auch noch so sehr ihr Urteil trüben, sie waren gezwungen, zuzugeben, daß der Rote Will in seiner Arbeit nur einem nachstand: Old Bob von Kenmuir. Diese beiden, die den Durchschnitt um Haupt und Schultern überragten, wurden notgedrungen ständig zum Wettbewerb und zur Feindschaft angestachelt. Die Bewunderung für den einen wuchs noch dank der herausfordernden Tüchtigkeit des anderen. Die alte Feindschaft zwischen ihren Herren gab der Rivalität erst die rechte Würze, und der Wettbewerb durch Vergleich – tödlichste aller eifersüchtigen Fehden – verschärfte sich von Tag zu Tag.

Die Arbeitsmethoden der beiden Gegner waren so verschieden wie ihre äußere Erscheinung. Mit einem Wort: wo der eine Gewalt anwandte, griff der andere zur Überredung. Des Schwanzlosen Köters Feinde behaupteten, er wäre brutal, aber selbst Tammas vermochte seine Klugheit nicht zu leugnen. Sein Gehirn war so kräftig entwickelt wie sein Körper, und er benutzte beide mit sicherem Geschick. »Hurtig wie eine Katze, mit dem Herz eines Löwen, der Stärke Anaks und der Laune des Bösen selbst«, lautete Pastor Leggys Charakterisierung.

Was Energie zu leisten vermochte, das leistete der Rote Will; jedoch die Erreichung des Zieles durch Inaktivität – diese feinste aller Taktiken – die Kunst der Leistung durch Suggestion blieb ihm verschlossen. Selbstverleugnung mochte für die liebenswürdigen Untüchtigen taugen; für den Schwanzlosen Köter gab es nur Handeln, Handeln, immer wieder Handeln. In Fragen des delikatesten Taktes, wo alles außer scheinbarer Gleichgültigkeit eine Niederlage bedeutet – wenn die Schafe unruhig werden und der Wind ihnen ängstliche Vorahnungen zuflüstert, wenn unsichtbar Panik über ihnen schwebt, wenn eine einzige unbedachte Bewegung eine sichere Katastrophe bedeutet – dann war Old Bob von Kenmuir unvergleichlich.

Die Leute erzählen heute noch, wie seinerzeit, als des Barons neue Dreschmaschine im Städtchen Grammoch Amok lief und einige Minuten lang der Marktplatz ein aufgeregtes Meer von fluchenden Männern, kläffenden Hunden und fliehenden Schafen barg, eine Herde allein unbewegt neben dem Mühlenteich ausharrte und den Tumult fast gleichgültig beobachtete. Denn unmittelbar vor ihnen, in ostentativer Behaglichkeit, lag ein Grauer Hund, und sein Maul öffnete sich zu ausgiebigem Gähnen: Gähnen hieß gewinnen, und er gewann.

Als das Ärgste vorüber war, blickte manch ein Auge triumphierend zuerst nach der einen friedlichen Herde und dann zu M'Adam hinüber, der sich durch die aufgeregten, aneinandergedrängten Schafe seinen Weg bahnte.

»Wo ist denn jetzt Euer Willie?« fragte verächtlich Tupper.

»Nun,« antwortete der Kleine mit seinem unerforschlichen Lächeln, »im Augenblick ist er gerade dabei, unten bei der Pumpe Euerm Rasper den Garaus zu machen.« Es war in der Tat so; der große, graublaue Rasper hatte den mächtigen Hund in der Ausübung seiner Pflicht gestört und mußte dementsprechend büßen.

Diese Geschichte ist indes nur eine von vielen. Etliche hatten auch einen anderen Helden. Jim Mason erzählte, wie einmal des Roten Willies Herde, von einem durchgegangenen Fuhrwerk aufgeschreckt, den steilen Sauhang, der schroff auf dem neuen Eisenbahndamm endet, hinunterstürmte. Ihnen den Weg abschneiden hieß sie auseinandertreiben, nicht sie aufhalten. Die einzige Möglichkeit war, sie als Ganzes zum Kehren zu bringen. Und der große Hund jagte neben den Leithammeln her, schiebend, stoßend, knurrend, zähnefletschend, bis er sie durch schiere körperliche Kraft beiseite drängte. Die ganze Herde machte, immer noch im Galopp, eine Schwenkung nach links, zehn Meter vom Rande des Todes entfernt.

So gingen die Dinge weiter: hinter Old Bob standen viele, hinter dem Roten Will auch nicht ein Einziger. Und das Turnier um den Grenzpokal, bei dem diese beiden großen Rivalen Seite an Seite um den Schäferpreis ringen sollten, rückte näher und näher heran und setzte schließlich die langsam schwelende Zündschnur in Brand.


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