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Siebentes Kapitel

Eines Burschen Vater

Von nun an gab es für David nur noch die Fron zu Hause. Einzig in einem Punkte glich der Junge seinem Vater: in seinem Fleiß. M'Adam war zwar ein Trunkenbold, aber er war keine Drohne.

Der Knabe arbeitete mit unermüdlicher Energie; dennoch war sein Vater nie zufrieden. Hohn im Gesicht, mit verächtlich gekräuselten Lippen stand der kleine Mann daneben und spottete der tapferen Bemühungen.

»Sieh doch den großartigen Arbeiter, Willie! Ist's nicht eine Freude, wie er mit den Händen in den Taschen in den Himmel döst?« bemerkte er, wenn sich der Junge einige wenige, wohlverdiente Minuten Ruhe stahl. »Du und ich, Willie, können uns für ihn zu Tode schuften, während er daneben steht und lacht.«

So ging es weiter, tagaus, tagein, Woche für Woche, bis der Junge krank ward vor Ekel und Hoffnungslosigkeit.

In seinen dunkelsten Stunden dachte David mitunter ans Fortlaufen. Aber er stand jämmerlich allein in der Welt. Schon die Tatsache, daß er seines Vaters Sohn war, hatte genügt, ihn unter den Talbewohnern zu isolieren. Dank seiner natürlichen Verschlossenheit besaß er außer der Familie auf Kenmuir keine Freunde. So war es lediglich der Gedanke an diese, der ihn von seinem Vorhaben zurückhielt. Sie waren alles, was er auf der Welt hatte, und er hielt sie dementsprechend wert.

Inzwischen war der Schwanzlose Köter zu einem Zerberus herangewachsen: breitbrüstig wie eine Tonne, mit Beinen gleich gotischen Bögen, einem mächtigen Stierkopf und vorgeschobenem Unterkiefer, als laure er ständig auf Beute. Die boshaften Augen blickten nie geradeaus: die kurzen Stutzohren lugten mausgleich über einen runden, kahlen Schädel, sein Fell war rauh wie aus Kokosfasern, und der Senkrücken endete abrupt in einem kleinen Stummelschwanz. Blickte er einen Menschen an, so rollten die Augen unablässig in dem sturen Schädel; alles in allem glich er dem Satan in Person, ein Hundeteufel.

Mehr als einmal hatten er und Old Bob versucht, alte Konten auszugleichen, wobei der Rote Will stets der Angreifer war. Bisher jedoch hatte James Moore immer eingegriffen, wenn sie miteinander um den tödlichen Kehlbiß rangen, dessen Bedeutung beide nur allzu gut kannten.

Es schien indessen, als gäbe es zwischen diesen beiden noch andere Ursachen zur Feindschaft als die bloße Vergangenheit. In Dingen des Berufs – beim Hüten und Sammeln der Schafe – versprach der Rote Will von sämtlichen Hunden des weiten Tallandes einzig dem Grauen Hunde von Kenmuir nachzustehn. In allen Punkten des Stils waren sie Antipoden: ruhig, überredend der eine, eine Frau an Takt, ein Salomo an Klugheit, ein wahrer Bayard in allen seinen Taten; der andere furchtbar in seiner Kampflust, stark wie Samson und gewalttätig wie Saul.

M'Adam selbst entwickelte bei der Dressur des Roten Will eine Geduld und Ausdauer, die David in Erstaunen setzten. Die zärtliche Umsicht, mit der der Kleine den Hund nach seinen Wünschen formte, wäre rührend gewesen, hätte sie nicht gegenüber der Behandlung von seinem eigenen Fleisch und Blut aller Natur Hohn gesprochen.

Nach einer vielversprechenden Leistung träumte er mit gefalteten Händen, Priem im Munde, von der rosigen Zukunft, so glücklich wie nur ein Mensch sein kann.

So schleppten sich die Dinge hin – – ein endloses Jahr.

Dann kam die unvermeidliche Krise.

David hatte an jenem Tage von Mensch und Hund das Äußerste ertragen. Mitunter heftete sich ihm das mächtige Tier von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang an die Fersen, verfolgte ihn mit mürrischen, gierigen Augen. Jetzt nach getaner Arbeit suchte David seinen Rock, ehe er sich auf den Weg nach Kenmuir machte. Er fand ihn, und auf ihm liegend den Roten Will.

»Herunter von meinem Rock!« befahl der Junge zornig.

Der große Hund rührte sich nicht. Leise bebte der Vorhang seiner Oberlippe und enthüllte eine Mauer von milchigem Weiß; der erbarmungslose Unterkiefer langte nach seiner Beute; tiefer und tiefer duckte er sich zum Sprung, das Haupt zwischen den Tatzen, die Augen glühend unter ihren Lidern.

Mühsam hielt David seine Hand zurück. »Was, du willst nicht, ekelhaftes Vieh?« schrie er heftig, packte den einen Zipfel seines Rocks und versuchte, ihn an sich zu reißen.

Ein Schauer durchzitterte den Roten Will, er erhob sich, röchelte und sprang zu.

Blitzschnell wich David zur Seite, bückte sich und hob einen handfesten Knüppel vom Boden auf. Blitzschnell holte er aus, und ein kräftiger Hieb traf des Gegners Schädel.

Halb betäubt sank das mächtige Tier zu Boden, faßte sich wieder und setzte mit tiefem, scheußlichem Geheul zum zweiten Sprunge an. Es hätte dem Burschen übel ergehen können, prachtvoller, junger Riese, der er war, denn der Rote Will stand jetzt in der ersten Blüte jener Kraft, die ihm später rings im Lande üblen, wenn auch unsterblichen Ruhm eintragen sollte.

Zufällig jedoch hatte M'Adam von der Küche aus die Szene beobachtet. Jetzt stürzte er mit schrillen Befehlen und Flüchen auf die Kämpfenden los. Noch ehe der Rote Will zuspringen konnte, hatte der Kleine sich dazwischen geworfen. Sein schmächtiger, hagerer Körper empfing die volle Wucht des Stoßes. Er taumelte, gewann das Gleichgewicht wieder und rief den Hund gebieterisch an seine Seite.

Dann kehrte er sich gegen David, wand ihm den Knüttel aus der Hand und begann den Jungen wütend zu bearbeiten.

»Ich werde dir's – zeigen – ein armes – stummes – Tier – schlagen – du hartherziger – hartherziger – Bengel!« brüllte er. »Wie kannst du's wagen – meinen Will – deines Vaters Will – zu schlagen? – Will – Adam – M'Adams – Roten Will?« Er keuchte vor Anstrengung, und seine Augen flammten. »Ich find' mich ab, so gut ich kann, mit allen möglichen Ungezogenheiten gegen mich selbst, wenn's aber um meinen armen Will geht, dann kann ich's nicht dulden. – Hast du gar kein Herz?« forschte er, ohne im geringsten der Ironie der Frage inne zu werden.

»So viel wie andere Leute auch, sollte ich meinen«, knurrte David mit bleichem Gesicht.

»Was, was soll das heißen? Was hast du gesagt?«

»Du haust mich, bis du blind bist, alles, nur weil's deine Pflicht ist, aber wenn einer auch nur wagt, deinen Willie anzusehen, wirste verrückt«, lautete des Jungen bittere Antwort. Und damit wandte er sich trotzig und in deutlicher Absicht nach der Richtung von Kenmuir.

M'Adam trat einen Schritt vor und blieb stehen.

»Wir sehen uns wieder, mein Junge, heute abend«, rief er mit grausamer Betonung.

»Wirst wohl viel zu voll sein, um überhaupt was zu sehen – die Flasche natürlich ausgenommen«, schrie der Junge zurück und stolzierte den Berg hinunter.

In Kenmuir brachte die unverhohlene und besondere Güte Elisabeth Moores des Burschen Becher zum Überfließen. Er brach in einen Sturm von Schmähungen gegen seinen Vater, sein Heim, sein Leben, die ganze Welt aus.

»Nicht doch, David; nicht doch, liebster Junge!« rief Mrs. Moore bekümmert. »Red' nicht in solchem Tone weiter. Er wird sich bessern, ich verbürg's dir, er wird!« Sie nahm den großen, schluchzenden Jungen in ihre Arme wie ein kleines Kind.

Endlich blickte er auf in das blasse Gesicht seiner liebsten Trösterin. Reue packte ihn, daß er sich hatte gehen lassen und ihr Schmerz bereitet; er wußte, daß sie selbst nur allzu gebrechlich war.

Mühsam beherrschte er sich und war den Rest des Abends ganz sein altes, vergnügtes Selbst. Er neckte Maggie, hänselte den kleinen phlegmatischen Andrew und zog Sam'l Todd auf, bis der sonst so schwerfällige Mann erklärte, er würde ihm eins hinter die Löffel hauen.

Dennoch schnürte ihm etwas die Kehle zu, als er sich dann den Hügel hinunter heimwärts wandte.

James Moore und Pastor Leggy begleiteten ihn bis zur Brücke und blickten ihm eine Weile nach, bis die Sommernacht ihn umfing.

»Er ist ein guter Junge«, meinte der Großbauer halb für sich.

»Ja,« bestätigte der Pastor, »wenn nur der Vater ihn in Ruhe ließe. So brockt er sich für die Zukunft auf dem Kornhof eine häßliche Suppe ein.«

»Sollte es eines Tages zu 'nem Mord kommen,« entgegnete der Großbauer ruhig, »dem Jungen könnt' ich kaum die Schuld geben.«

Unbemerkt glitt David in sein Zimmer hinauf. Allein in der Dunkelheit gestattete er sich den seltenen Trost von Tränen, und bald erbarmte sich seiner der Schlaf.

Er erwachte, um neben seinem Bett seinen Vater zu finden. Der kleine Mann hielt eine Talgkerze in der Hand, die das fahle Gesicht in krasses Schwarz und Gelb tauchte. Auf der Schwelle lauerte als trübe Silhouette die mächtige Gestalt des Roten Will.

»Wo bist du heute gewesen?« fragte der Kleine, dann blickte er nieder auf das tränennasse Gesicht und fügte hastig hinzu: »Magst lügen, so will ich dir glauben.«

Im Nu war David aus dem Bett; sehr aufrecht stand er in seinem Nachthemd, verächtlich musterte er seinen Vater.

»Ich war in Kenmuir. Für deinesgleichen lüg' ich nicht.«

Der Kleine zuckte die Achsel.

»Sag 'ne Lüge und halt dran fest, das ist meine Regel, und keine schlechte hier in dem ehrlichen England. Ich für mein Teil nehm's dir nicht übel, wenn dein Gedächtnis dich im Stich läßt.«

»Glaubst, ich frag' auch nur 'nen Pfifferling danach, was du von mir denkst?« fragte der Junge brutal. »Nein: 's sind ohnehin schon Lügner genug in der Familie.«

Die Kerze zitterte und kam wieder in Ruhe.

»Die Lüge oder die Prügel: wähle.«

Spöttisch blickte der Junge auf seinen Vater herab. Selbst mit bloßen Füßen überragte er ihn um die Länge eines halben Hauptes, und an Kraft stand er doppelt seinen Mann.

»Meinst, ich hätt' Angst vor 'ner Tracht Prügel von dir? Du lieber Himmel!« höhnte er. »Grad' so gut ließ ich mich von 'nem Mädel verdreschen.«

Jede Erwähnung seiner physischen Mängel ließ den Kleinen so sicher aufflammen, wie ein brennendes Zündholz eine Lunte.

»Du mußt dich ja erkälten, so wie du dastehst. Lauf nach unten und hol' unsern kleinen Freund. Wollen doch mal sehen, ob ich dir nicht einheizen kann.«

David machte kehrt und stolperte die dunkle, schmale Treppe hinunter. Eisig wie der Tod trafen die Dielen seine nackten Füße, während des Roten Wills heißer Atem seine Beine anfächelte.

So ging's in die Küche und wieder hinauf, immer hinterdrein der Rote Will.

»Ich werd' dir's noch beibringen – und wenn ich selber drüber zugrunde gehe –, deinen Vater zu ehren!« schrie der Kleine und riß den Riemen aus des Jungen tauben Fingern.

Als es vorbei war, wandte sich M'Adam, völlig außer Atem, zum Gehen. Auf der Schwelle hielt er inne und warf einen Blick über die Schulter: eine kleine, undeutliche, teuflische Gestalt im Türrahmen; hinter ihm aus der Finsternis glühten gleich flüssigem Metall die Augen des Roten Will.

Da gewahrte der kleine Mann einen solchen Ausdruck in seines Sohnes Gesicht, daß er dieses eine Mal wenigstens sich aufrichtig fürchtete. Er schmiß die Tür ins Schloß und humpelte behende die Treppe hinunter.


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