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Neuntes Kapitel

M'Adam und sein Rock

Für David M'Adam bedeutete der Verlust der sanften Elisabeth Moore einen ebenso großen Schmerz wie für ihre Kinder. Trotzdem unterdrückte der Junge tapfer seinen Kummer und suchte nach Möglichkeit die Trauernden auf Kenmuir zu trösten.

In den Tagen nach dem Tode Mrs. Moores vernachlässigte er tollkühn seine sämtlichen Pflichten auf dem Kornhof. Allein M'Adam hielt mit jedem Tadel zurück, mitunter sogar versuchte er auf seine eigene passive Weise zu dem Jungen freundlich zu sein. David jedoch war so sehr in seinen großen Schmerz versunken, daß er diese Änderung gar nicht merkte.

Es kam der Tag des Begräbnisses. Die Erde war dabei, ihre Eisfesseln zu sprengen, und das Tal hatte sich in Trauerschleier gehüllt.

Am Nachmittag stand M'Adam am Küchenfenster und blickte in die grenzenlose Schwermut der Landschaft, als plötzlich die Haustür ging. Der Rote Will erhob sich von der Türschwelle und knurrte; dann hastete David an dem Hause vorbei auf den Weg nach Kenmuir. Gleichgültig beobachtete ihn M'Adam und sprang plötzlich mit einem zornigen Fluch ans Fenster.

»Bring' mir den Rock zurück, Dieb du!« brüllte er, heftig gegen die Scheibe klopfend. »Sofort ziehst du ihn aus, du großer Lümmel, sonst reiß ich ihn dir vom Buckel herunter. – Hast du gesehen, Willie, der lange Schlaks hat meinen Rock an – meinen schwarzen Rock, den zu Michaeli angeschafften, und dabei gießt es mit Kannen!«

Krachend stieß er das Fenster hoch und lehnte sich weit hinaus. »Bring' ihn zurück, Tunichtgut, oder ich werd' dir's zeigen! Hast du auch keinen Respekt vor mir, sollst du doch meine Sachen respektieren. Glaubst etwa, er ist für'n Elefanten zugeschnitten? Er platzt dir ja am Leibe. Herunter damit! Gleich bring' ihn hierher, oder ich hetz' dir den Willie nach, ihn zu holen!«

Statt aller Antwort fing David an, den Berg hinabzulaufen. In runzliger Qual spannte sich der Rock über seinem Rücken; des Jungen dicke, rote Handgelenke ragten gleich Schinkenknochen aus den Ärmeln hervor, und die kurzen Rockschwänze flatterten in dem vergeblichen Bemühen, des Trägers Beine zu erreichen, müde hin und her.

Voll schäumender Empörung war M'Adam bereits halb und halb durch das Fenster geklettert. Jedoch ein Sinn für Humor ist manchen Mannes Rettung; ihn amüsierte Davids unglaubliche Unverschämtheit, er hielt inne, ließ sich lächelnd wieder zu Boden gleiten und blickte der ungeschlachten Gestalt nach.

»Hast schon so was gesehen, Willie?« murmelte er. »Mein armer Rock – mein armer, guter, kleiner Rock! 's tut mir wahrhaftig selbst weh, wenn ich seh, wie er Schmerzen leidet – manchen Mannes Rock, Willie, ist viel zu klein für seines Sohnes Rücken; und unser David da spannt und strafft ihn zum Platzen, ganz wie meine Geduld. Was fragt er schon nach dem einen oder dem anderen? – Wahrhaftig keinen Deut!«

Noch während er der schwindenden Gestalt nachstarrte, begann das gemessene Läuten der Totenglocke.

Fast ehrfürchtig lauschte M'Adam. Unermüdlich tönte die Glocke, der einzige Laut in dem schweigenden Tale. Draußen fiel ein dünner Regen; in schmutzigen kleinen Bächen ergoß sich der Schnee ins Tal; Bäume, Dächer und Fenstersimse tropften, tropften, tropften.

Noch immer läutete die Glocke; mitleidlos rief sie Erinnerungen an einen ähnlichen Tag vor vielen Jahren zurück.

Der Rote Will, der seinen Herrn unruhig beobachtet hatte, näherte sich ihm jetzt und schob seine Schnauze in M'Adams Hand. Die kalte Berührung riß den Kleinen in die Wirklichkeit zurück. Er schüttelte sich, wandte sich müde vom Fenster weg und schritt zur Haustür.

Dort stand er und blickte ins Weite; rings um ihn das ewige Tropf-Tropf-Tropf des Tauwetters. Der Wind schwieg; wieder erklang die Totenglocke, mitleidlos, eisern, entschlossen Vergangenes ins Leben zurückzurufen.

Keuchend rannte der Kleine Mann ins Haus zurück und die Treppe hinauf in sein Zimmer. Neben der großen Kommode in der Ecke ließ er sich auf die Knie fallen und kramte endlich ein kleines Päckchen hervor, von einem vergilbten gelben Band gehalten.

Es enthielt einen billigen, herzförmigen Rahmen mit einer Daguerrotype.

Hier oben war es zu dunkel, um das Bild zu betrachten. Der Kleine lief von neuem die Treppe hinunter, wobei er den Roten Will unsanft zur Seite drängte, und eilte ans Küchenfenster.

Es war ein reizendes, lachendes Gesicht, scheu und doch spitzbübisch – ein Gesicht, in das man gerne blickte, ein Gesicht zum Liebhaben.

Während er es betrachtete, huschte ein winterliches Lächeln, halb Tränen und ganz Zärtlichkeit, über des Kleinen Gesicht.

»Mädel,« flüsterte er, »'s ist lang her, daß ich dich angesehen habe. Aber vergessen hab' ich dich nicht.«

Der Rote Will trabte zu seinem Herrn hin und schmiegte sich mitfühlend an ihn; aber der Kleine stieß ihn rauh beiseite, und der Hund zog sich zerknirscht und vorwurfsvoll in eine Ecke zurück.

Erinnerungen umdrängten den Kleinen jetzt in Scharen.

Er gedachte der Tage, da er noch bei dem alten M'Leod gearbeitet hatte; oben in den Heidehügeln, nach denen er so häufig Heimweh spürte; er gedachte seines Freiens um Flora M'Leod. Wie sie ihn geneckt hatte, wie er fortgegangen war mit dem Schwur, sie nie wieder zu sehen, denn selbst damals schon war er rasch in Zorn geraten. Und wie sie dann am folgenden Tage ihm nachgegangen war, Sittsamkeit auf den Lippen und funkelnden Übermut in den Augen, und wie er sie mehr denn je geliebt. Endlich hatte er sie demütig und ängstlich gebeten, seine Frau zu werden, und sie, das anerkannt hübscheste Mädel der ganzen Gegend, hatte ihn genommen – ihn, den elenden, sauertöpfischen Adam M'Adam, obwohl sie unter sämtlichen Burschen hätte die Wahl haben können. Niemals hatte er sich zu wundern aufgehört.

Der Kleine hielt die Photographie von sich und betrachtete die Züge in dem Rahmen mit Augen, welche Tränen blendeten. »Aber du hast mich doch genommen, Mädel; Gott segne dich dafür.«

Jetzt kam ihm die Erinnerung an den Abschied aus Schottland, an den Einzug im Kornhof, an die Geburt Davids und an seiner Frau unersättlichen Stolz auf den kräftigen Jungen, den sie getragen, bis er vor Eifersucht gestürmt und getobt hatte.

»Ist er nicht ein prachtvoller Kerl?« fragte sie mitunter und tätschelte des Kindes starke Arme und Beine.

»Ja, aber er ist seinem Vater nicht ähnlich«, lautete dann M'Adams bittere Antwort, und sie hatte ihn in gute Laune zurückschmeicheln müssen.

Das waren die besten Tage seines Lebens gewesen, als seine Frau, er und der Junge im ernsthaften Glück das kleine Haus auf dem Hügel bewohnten.

Das Ende kam bald.

Es war jetzt über zehn Jahre her, und doch wagte er kaum an den letzten Abend zurückzudenken, als sie bleich und still oben in dem kleinen Zimmer gelegen hatte.

»Heb' das Kind aufs Bett hinauf, Adam, Mann«, hatte sie leise gebeten. »Ich muß bald hinüber. – Diesmal ist's das lange Lebewohl an dich – und ihn!«

Er hatte getan, wie sie ihm geheißen, und David auf ihr Bett gehoben. Einen Augenblick lag der kleine Bursche ganz still und sah in das weiße Gesicht der Mutter, das er kaum wiedererkannte.

»Mama!« rief er jämmerlich; dann steckte er eine kleine, schmutzige Hand in die Tasche und zog eine unappetitliche Süßigkeit hervor.

»Mama, nimm doch ein Zuckerplätzchen – eins von Davids Zuckerplätzchen!« Ängstlich hielt er es ihr in seiner warmen, dicken, kleinen Faust entgegen, als sei es ein unfehlbares Mittel gegen jede Krankheit.

»Iß es für Mutter«, lächelte sie zärtlich; dann: »David, mein Herzblatt, ich muß jetzt fort von dir.«

Der Junge hörte auf, an seiner Süßigkeit zu lutschen; er blickte sie an, und seine Mundwinkel verzogen sich kläglich:

»Du nimmst doch deinen kleinen David mit, Mama?« bettelte das Kind und kroch näher an ihr Gesicht heran. Dicke Tränen rollten ihr über die Wangen, während M'Adam am Kopfende des Bettes unverhohlen schluchzte.

»Ach, Kind, Kind, es wird mir schwer genug, dich zu lassen!« rief sie gebrochen – »Reich ihn mir zu, Adam.«

Er legte das Kind in ihre Arme, aber sie vermochte es nicht zu halten. Statt dessen bettete M'Adam es auf der Mutter Kissen, und der Kleine schlang seine Arme um ihren Hals und schluchzte bitterlich.

So hatten die beiden Seite an Seite gelegen.

Kurz vor dem Ende hatte sie noch einmal den Kopf gewandt und geflüstert:

»Adam, Mann, du mußt ihm jetzt Vater und Mutter sein.« Dabei blickte sie ihn voll zärtlichen Vertrauens an.

»Das will ich! Ich schwöre es vor Gott, so wahr ich hier stehe, das will ich!« hatte er leidenschaftlich gerufen. Dann war sie in Frieden gestorben.

*

»Vater und Mutter!«

Der Kleine stand hastig auf und warf die Photographie von sich. Der Rote Will fiel über sie her, aber M'Adam stürzte sich auf ihn, als er sie in die Schnauze nahm.

»Fort mit dir, Teufel!« knirschte er, hob das Bild auf und streichelte es zärtlich mit zitternden Fingern.

»Vater und Mutter!«

»O Gott!« Er sank neben den Tisch auf die Knie und preßte die Photographie in einem Sturm von Tränen an sich.

Der Rote Will kauerte in der einen Ecke des Zimmers und kam jetzt winselnd zu seinem Herrn gekrochen. Jedoch M'Adam achtete seiner nicht, und der große Hund schlich wieder geduckt hinweg.

»Erbarme dich meiner, Gott! ›Vater und Mutter‹ sagtest du, Flora – und ich bin nicht das eine und nicht das andere gewesen. Aber noch ist's nicht zu spät; sag', daß es nicht zu spät ist, Mädel. Sag' mir, daß ich noch Zeit hab' und daß du mir vergeben hast. Oft und oft hab' ich versucht, Geduld mit ihm zu haben. Aber er hat mich geärgert und sich gegen mich gekehrt, und ich hab' meinen Rücken gesteift; weißt doch, wie rasch ich immer böse wurde. Aber ich will's wiedergutmachen – mehr als wiedergutmachen. Demütigen will ich mich vor ihm, schwer genug wird's mir fallen. Und Vater und Mutter will ich ihm sein. Doch es ist niemand da, mir zu helfen; sauer ist es gewesen ohne dich. Ach Mädel, Mädel, wie du mir fehlst.«

*

Eine traurige Prozession wand sich langsam durch den Regen von Kenmuir nach der kleinen Kirche im Tal. An der Spitze ging mit großen Schritten James Moore, dicht hinter ihm in seinem knappen Rock David und als letzter von allen, als gälte es die Nachzügler auf diesem schweren Weg zusammenzuhalten, Old Bob.

Diesmal war die Gemeinde vollzählig in der kleinen Kirche erschienen. In dem herrschaftlichen Stuhl saßen Cyril Galbraith, Muriel Sylvester und – eine auffallende Erscheinung – Lady Eleanor. Ihre schlanke Gestalt war in schlichtes Grau gekleidet mit grauem Pelz am Hals, am Mantelsaum und an den Manschetten; ihr Schleier war hochgeschlagen, man sah das weichglänzende Haar an ihren Schläfen, und ihre Augen weiteten sich vor Mitgefühl, wenn sie nach dem Kirchenstuhl zu ihrer Rechten blickte.

Dort saßen die Trauernden aus Kenmuir: der Großbauer, hochgewachsen, streng und hager, neben ihm Maggie, die vergeblich versuchte, ihre Fassung zu bewahren, und der kleine Andrew, ein winziges Ebenbild seines Vaters.

Einsam auf der Bank hinter ihnen saß David M'Adam in seines Vaters Rock.

Im Hintergrund der Kirche drängten sich die Pächter der Sylvesterschen Besitzungen; Freunde aus Silver-dale und dem Städtchen Grammoch sowie, mit geringen Ausnahmen, sämtliche Einwohner des Wastreltales; alle waren gekommen, um ihr Mitgefühl mit den Lebenden und ihre Pietät für die Tote zu bezeugen.

Tammas saß dort, dieses eine Mal in seinem Leben ernst; Sam'l Todd greinte und schnüffelte schwerfällig; dort saßen auch Job Maddox, Enry Farewether und die übrigen Tagelöhner von Kenmuir. Hinter ihnen, Seite an Seite, sah man Mutter Roß, Melia Roß und Liz Burton, und die kleine Mrs. Burton schluchzte hörbar in ihrer Trauer um die beste Freundin und Helferin, die sie je gekannt. Selbst des alten Roß verwittertes Gesicht zeigte einen weniger grimmig zufriedenen Ausdruck als sonst, während er humpelnd seinen Obliegenheiten nachging.

Im Chor hatten sich Londesley von Home Farm, Teddy Bolstock, Rob Saunderson, Jim Mason, Tupper von Swinsthwaite, der lange Kirby, John Swan vom »Grenzbock«, Big Bell und so viele andere eingefunden, als die kleine Kirche nur zu fassen vermochte: alle ernst, streng, tief gerührt und fest entschlossen, ihre Rührung zu verbergen.

Draußen aber harrte geduldig in den gelben Schneepfützen eine Schar von Hunden; Saundersons Shep, Tuppers großer, blaugrauer Rasper, Londesleys Lassie und abseits von den anderen die drei schönen Schwestern, The Vexer, Venus und Van Tromp mit ihren grotesk verzerrten, maoriähnlichen, runzligen Masken, während in der Kirchentür, einem Knappen gleich am Vorabend des Ritterschlags, Old Bob treue Wacht hielt.

*

Pastor Leggy las mit fester, feierlicher Stimme, und sein gebräuntes Gesicht stand in seltsamem Kontrast mit der Weiße seiner Halskrause. Das Harmonium, unter den liebevollen Händen der ältesten Baroneß, ächzte seine Klage in die Welt hinaus. Aber die Zahl der Stimmen, die einfielen, wurde immer geringer: nichts als das unterdrückte Schluchzen Mrs. Burtons und die schlurfenden Schritte des alten Roß; sonst eine fast lautlose Gemeinde.

Hochaufgerichtet, den Kopf zurückgeworfen und die Lippen fest zusammengepreßt stand James Moore; nur ein gelegentliches Würgen in der Kehle verriet seine Bewegung. Davids Lippen zuckten zwar, aber es drang kein Ton zwischen ihnen hervor. Maggie weinte leise.

Als es zum Singen kam, schwang sich Lady Eleanors schöne Stimme klar, ruhig und tröstend, ein Engel, der die Seele zum Paradiese hinaufträgt, zum Himmel empor.

Schließlich kam das Ende, draußen in der öden Nässe des kleinen Friedhofs. Langsam verloren sich die Trauernden, schließlich waren nur noch der Pastor, der Großbauer und Old Bob übrig.

Der Pastor sprach in rauhen, kurzen Worten und stocherte nervös mit seinem Stock in der regendurchtränkten Erde. Mit halb abgewandtem Gesicht lauschte der andere. Prüfend blickte Old Bob zu ihm empor, die traurigen grauen Augen dunkler noch und bewölkter von Schmerz und Mitleid, während ganz in der Nähe einer der Terrier des Pastors im Grase herumschnüffelte.

Plötzlich streckte James Moore, immer noch mit abgewandtem Gesicht, die Hand aus. Jählings unterbrach der Pastor seine Rede und ergriff sie. Dann gingen die beiden Männer auseinander; der Terrier humpelte auf drei Beinen hinterdrein und schüttelte den Regen von seinem struppigen Fell.

So wurde der langen Reihe der Moores, die bereits in dem stillen Gottesacker unterhalb der Moorspitze schliefen, ein neuer Name hinzugefügt.

Draußen erklangen Davids Schritte. M'Adam erhob sich von seinen Knien. Die Haustür öffnete sich, und der Junge stapfte durch den Korridor.

»David!« Der kleine Mann rief es mit bebender Stimme.

Er stand dort im Halbdunkel, die eine Hand auf den Tisch gestützt, in der anderen Hand das Bild. Seine Augen waren blutunterlaufen, die dünnen Haarsträhnen wirr, und er zitterte.

»David!« Er rief es noch einmal. »Ich möchte dir etwas sagen.«

Der Junge stürmte ins Zimmer. Tränen und Regen hatten sein Antlitz genäßt, der neue, schwarze Rock war vorne kotbedeckt, an den Ellbogen sah man grünbraune Flecken. Auf dem Heimwege hatte der Junge sich, so wie er war, ohne der nassen Erde und seines Vaters Rock zu achten, der Länge nach im Steinigen Grund auf den Boden geworfen und, das Gesicht gegen die Erde gepreßt, in Gedanken an die zweite Mutter, die er verloren, sein Herz ausgeweint.

Trotzig, die Hand an der Türklinke, stand er da.

»Was denn?«

Der kleine Mann blickte von ihm weg auf das Bild in seiner Hand.

»Hilf mir Flora,– er will ja nicht«, betete er. Dann sah er auf. »Ich wollte sagen – ich hab' mir überlegt – ich meine, ich muß dir jetzt sagen – es ist nichts, was einem Manne leicht fällt –.«

Er brach kurz ab. Die selbsterwählte Aufgabe ging fast über seine Kraft.

Er schaute David bittend an. Auch nicht der Schimmer eines Verständnisses leuchtete aus jenem bleichen, starren Gesicht.

»O Gott, ich glaube, ich kann's nicht!« murmelte der Vater; Schweiß stand ihm auf der Stirne. Wieder hub er an –: »David, als ich dich heut nachmittag den Berg hinuntergehen sah –.«

Erneute Pause. Unwillkürlich fiel sein Blick auf den Rock. David mißverstand ihn; er mißverstand den verschwommenen Ausdruck in seines Vaters Auge, mißverstand das Beben seiner Stimme.

»Hier ist er! Hier hast du deinen Rock!« rief er leidenschaftlich; er riß ihn sich vom Leibe und warf ihn seinem Vater vor die Füße. »Hier hast du ihn – und – und – Gottes Fluch über dich!«

Er schmiß die Tür ins Schloß und rannte nach oben; dort schloß er sich ein und warf sich schluchzend auf sein Bett.

Der Rote Will machte Miene, der fliehenden Gestalt nachzustürzen, dann wandte er sich an seinen Herrn, und sein Stummelschwanz zitterte. Jetzt würde alles wieder werden, wie es sein sollte. Jedoch M'Adam starrte immer noch den Rock an, der als unordentlicher Haufen zu seinen Füßen lag.

»Gottes Fluch!« wiederholte er leise. »Gottes Fluch – hast du ihn gehört, Willie?«

Ein bitteres Lächeln huschte über des Kleinen Gesicht. Noch einmal betrachtete er das Bild, das er jetzt in seiner Hand zerdrückt hatte.

»Du kannst nicht sagen, daß ich's nicht versucht hätte; du kannst es nicht noch einmal von mir verlangen«, murmelte er und ließ die Photographie in seine Tasche gleiten. »Niemals wieder, Willie – und wenn die Königin selbst mich darum bäte!« Dann ging er, immer noch mit demselben bitteren Lächeln, hinaus in das Dunkel und in den Regen.

*

In dieser Nacht, als die Polizeistunde schlug, fand Jem Burton im »Sylvester-Wappen« eine kleine, grauhaarige Gestalt auf dem Boden des Schankzimmers ausgestreckt. Ihr zu Häupten lag ein mächtiger Hund.

»Bestie, du!« rief der selbstgerechte Gastwirt und betrachtete in edler Empörung seinen besten Kunden. Da gewahrte er eine Photographie in des Kleinen Mannes Hand.

»Aha, auch einer von denen bist du, Schlaukopf?« grinste er. »Zeig' sie uns doch mal!« Er versuchte das Bild dem anderen zu entreißen. Sogleich erhob sich der mächtige Hund und rollte zähnefletschend die Augen mit so schreckenerregendem Ausdruck, daß der dicke Schankwirt sich schleunigst hinter seinen Tisch zurückzog.

»Ihr seid schon ein Paar!« schrie er boshaft aufstampfend. »Bestien alle beide!«


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