Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel

Wir Zwei

Old Bob sollte nicht an dem Turnier teilnehmen.

Die Nachricht traf die Grenzbewohner wie ein Donnerkeil und verbreitete allerseits Bestürzung. Trotzdem versuchte niemand zu widersprechen. Ja, man lobte einstimmig des Großbauern Beweggrund. Eine derartige Selbstverleugnung sprach mehr für des Mannes echte Trauer um die Dahingegangene als jeder prunkvolle Grabstein.

Trotzdem war die Enttäuschung für die Bewohner der Grenztäler, von der Moorspitze bis zum Marktkreuz von Grammoch, nicht weniger bitter. Ihre Herzen hingen an dem Erfolg des Grauen Hundes; sie hatten gehofft, jetzt nach fünfzig langen Jahren den Pokal endlich wieder unter sich zu sehen. Zwar war die Möglichkeit hierzu geboten, jedoch ihr ganzer Konservativismus empörte sich gegen den Gedanken, daß ein anderer als ein Grauer Hund von Kenmuir die Trophäe erringen könnte. Das war unter allen Umständen unschicklich, aber die Vorstellung, daß der Schwanzlose Köter – dieser infernalische, saturninische Parvenü – den Lorbeerkranz tragen sollte, der von Rechts wegen ihrem Liebling gebührte, trieb selbst den Kindern auf den Straßen Flüche in den Mund.

M'Adams Benehmen machte den Schlag dreifach schwer. Ihn versetzte die Nachricht, die für ihre Hoffnungen den Todesstoß bedeutete, in maßloses Entzücken. Ihr Unglück war seine Wonne, das sagte er ihnen ganz offen, und er schwelgte in seinen Worten. Den Schäferpreis zu erringen, war das A und O seines Ehrgeizes. David war dem einsamen Kleinen Mann weniger als nichts, der Rote Will sein ein und alles. Und diesen Namen verewigt, prunkend unter den Reihen der Namen der berühmtesten Schäferhunde der Welt zu sehen, war das Ziel seiner Wünsche.

Als der Tag des Turniers vor der Türe stand, erreichte sein reizbares Temperament den höchsten Grad nervöser Spannung; er schwankte auf einem Meer von Furcht und Zweifel. Hoffnung und Angst stiegen und verebbten je nach der Flut des Augenblicks. Seine Launen waren so wetterwendisch wie der Märzwind. Die eine Minute schritt er, das Antlitz vom Strahl des Sieges erhellt, Schlachtenlieder singend, in seiner kahlen Küche auf und ab, in der nächsten sank er, Kopf in den Händen, am Tische nieder. Und es schüttelte ihn am ganzen Leibe, während er mit erstickter Stimme rief: »Ach, Willie, Willie, sie sind ja alle gegen uns!«

*

Alle Dinge haben ein Ende, ausgenommen die Ewigkeit. Und als sich der kleine Mann endlich Angesicht in Angesicht mit der Wirklichkeit befand, war er ruhig, zuversichtlich, blaß und fest entschlossen, seines Willies Ruhm zu begründen. Der Tag des Turniers ist im ganzen Norden ein Feiertag. Die Läden werden geschlossen; jede einzelne Seele pilgert nach Silver-dale, und bald waren die Hürden unterhalb des Gasthauses zu »Des Grenzers Tochter« überfüllt von einem Heer von Sportsleuten und Zuschauern, die von nah und fern hinzugeströmt waren, um das Ringen um den Schäferpreis zu sehen.

Da stand der große Wagen aus Kenmuir. Zahlreiche Augen richteten sich nach dem jungen Paar darinnen: Maggie in ihrem einfachen Kattunkleid, anmutig und frisch wie eine Blume, neben ihr David, blond und mit niedergeschlagenem Gesicht. Davor stand eine Gruppe Grenzbewohner in eifriger Debatte über M'Adams Chancen. Den Mittelpunkt bildete Tammas, der laut deklamierte.

»Ein Mann, Mr. Saunderson? Einen Affen nenn' ich ihn! Ein Hund? – Ist 'ner Wildsau ähnlicher, sag' ich!«

Rings um den alten Volksredner drängten sich Rob Saunderson, Kirby, Burton, Jim Mason und andere mehr, während ganz im Hintergrund Sam'l Regen und M'Adams Sieg prophezeite.

Rings ein wogendes Meer von Köpfen: rechts und links reihten sich Equipagen und Bauernwagen, dahinter die Stände für die Buchmacher, allerlei Buden, Watschenmänner und der ganze bunte Krimskrams derartiger Zusammenkünfte, während am jenseitigen Ufer des Flusses im Schatten der Oedspitze eine Gruppe von Männern und Hunden das Ziel aller Augen bildete.

Das Turnier für Jugendliche war soeben beendet! Londesleys Lassie hatte im Kampf um den Heimatpokal Rob's Shep geschlagen; das Ringen um den Schäferpreis begann.

Als endlich der Rote Will an die Reihe kam, seine Leistungen zu zeigen, arbeitete er mit der wilden Energie, die für ihn bezeichnend war. Seine Methode war originell, aber das Resultat über jeden Tadel erhaben.

»Hockt seinen Schafen ständig auf dem Rücken«, bemerkte Pastor Leggy, ihn scharf beobachtend. »Sonderbar, daß sie nicht auseinanderlaufen.« Aber sie liefen nicht auseinander.

Hier gab es kein Warten, kein Überreden: hier war nichts als Schneid und Teufelei von Anfang bis zu Ende. Der Hund jagte seine Schafe in einem furchterregenden Tempo vor sich her, niemals verfehlte er eine Kurve zu nehmen, niemals zögerte er, niemals brach er aus. Und die Menge applaudierte, denn die Menge liebte ja das Neue, während der kleine M'Adam, behende hin und her hüpfend, mit vor Aufregung glühendem Gesicht Hund wie Schafe mit so meisterlichem Geschick behandelte, daß selbst seine Feinde ihm widerwillige Bewunderung zollten.

»M'Adam gewinnt«, brüllte ein Buchmacher. »Zwölf zu eins!«

»Er gewinnt wahrhaftig, der Teufel hol' ihn!« knurrte David.

»Willie gewinnt!« bemerkte der Pastor und biß sich auf die Lippen.

»Und mit Recht«, meinte James Moore.

»Willie gewinnt«, summte es in der Menge.

»Wir jedenfalls nicht«, höhnte Sam'l trübe.

Schließlich bekrittelten nur noch der bigotte Tammas sowie der lange Kirby, der ein gut Teil von seiner Frau Geld und ein wenig von seinem eigenen bei den Wetten drangesetzt hatte, die Rechtmäßigkeit des Juryspruchs. Sam'l war der einzige, gelinde Freude zu bezeugen.

»Natürlich weiß ich überhaupt nichts, Tammas Thornton. Die Würmer da unten in der Erde wissen besser Bescheid als Sam'l Todd.«

Der Empfang, der dem Sieger zuteil wurde, war eisig. Anfangs ertönte mattes Hurrageschrei, allein es glich dem Echo eines Echos und erstarb bald an seiner eigenen Ohnmacht. Eine Ovation zuwege zu bringen, erfordert Geld oder ein paar lärmende Fanatiker, die zum Tanz aufspielen. Hier fehlte das eine wie das andere: nichts als feindseliges Geklatsch, absprechende Bemerkungen.

Selbstverständlich fiel M'Adam dieser Mangel jeglicher Begeisterung auf, als er sich seinen Weg durch die Menge nach dem Zelt des Sportkomitees bahnte. Da war keine Stimme, die ihm Beifall zollte, keine freundliche Hand, sich zum Glückwunsch in die seine zu legen. Breite Rücken bezeugten ihm ihre Abneigung; verächtliche Blicke umringten, boshafte Zungen brannten ihn. Nur die von auswärts Gekommenen musterten neugierig die kleine, gebeugte Gestalt mit dem freudestrahlenden Gesicht und wichen erschrocken zurück vor der Größe und Wildheit des mächtigen Hundes, der ihr folgte.

Was fragte er schon danach? Sein Willie war ja zum König gekrönt – der beste Schäferhund dieses Jahres; der Kleine Mann war glücklich. Mochten sie ihm den Rücken kehren, an der Sache war jetzt nichts mehr zu ändern, und er lachte in sich hinein.

»Es gefällt ihnen gar nicht, Junge –haha! Aber sie werden's wohl hinnehmen müssen! Wir haben ihn gewonnen, Willie, ehrlich gewonnen!«

In dem offenen Kreis vor der Rennbahn pflanzte er sich neben dem Roten Will auf und lüftete mit fast höhnischer Zuvorkommenheit vor Lady Eleanor den Hut.

Kalte Stille hielt die Menge im Bann. Dieses eine Mal in ihrem Leben schien selbst Lady Eleanor ängstlich verlegen. Die Sache war einfach unheimlich, noch nie dagewesen, ominös. Sie blickte in den Kreis drohender Gesichter, der sie rings umgab. Ihre stumme Bitte begegnete keinem Widerhall: ihr tat das Herz weh um des armen, kleinen, verlassenen Mannes willen, der da vor ihr stand.

Da, aus dem Hintergrund, erscholl Davids höhnende Stimme, Tammas schoß eine spöttische Bemerkung ab, Tumult folgte, der Sturm brach los. Wahnsinn ergriff den Mob. Man heulte, pfiff, zischte, stürmte in gefährlichen Wogen gegen den freien Platz. Man brüllte und fluchte, keine Leidenschaft, die nicht ihre Fesseln brach; zuletzt forderte eine Stentorstimme auf, Old Bob dreimal hochleben zu lassen, und sie taten es, dreimal und abermals dreimal. Die von auswärts Gekommenen verstanden zwar nichts, wurden aber von dem Wahnsinn angesteckt und brüllten mit. Während dieser ganzen Zeit stand der Kleine Mann, sauer lächelnd, unbewegt im Strudel des Aufruhrs, während der Rote Will, zitternd vor Kampfeslust, der aufgeregten, dunklen, tiefen Menschenmauer trotzig die Stirn bot.

Es bedurfte des ganzen Einflusses Lady Eleanor's, die zornig mit geröteten Wangen und flammenden Augen inmitten des Kreises stand, um die Masse zur Scham und Ordnung zurückzuzwingen.

Zum Schluß, als sie den Pokal überreichte, herrschte mürrisches Schweigen. Das Feuer flammte noch in ihren Augen, aber sie lächelte den Kleinen Mann in einer Weise an und sprach zu ihm in so zwingenden Worten, daß er für die unerhörte Kränkung, die er erduldet, sich mehr als entschädigt fühlte.

Die Mütze in der Hand, verbeugte er sich lächelnd und errötend und nahm den Pokal mit liebevoller Sorgfalt entgegen.

»An mir und meinem Willie soll's nicht liegen, wenn er je wieder den Sylvesterschen Besitz und mein Haus verläßt, Mylady«, betonte er nachdrücklich.

Lady Eleanor zog sich zurück. Die Menge überflutete die trennenden Seile und umdrängte den Kleinen Mann. Der lange Kirby legte eine unehrerbietige Hand an den Pokal.

»Hände weg!«

»Nein!«

»Ja! Willie, halt ihn zurück.« Des Riesen panische Furcht erweckte lautes Gelächter und trug wesentlich dazu bei, der Menge Selbstachtung wieder herzustellen.

James Moore wurde als einer der letzten an dem Sieger vorbeigetrieben. Bei seinem Anblick nahm M'Adams Gesicht einen Ausdruck tiefer Besorgnis an.

»Mann, Moore!« rief er voller Fürsorge. »Mann, Moore, Ihr seid ja ganz grün – wahrhaftig grasegrün. Tut Euch was weh?« Dann wurde er Old Bobs gewahr und fuhr erschreckt zurück. »Wahrhaftig, Euer Hund ist's auch. Euer Hund, der früher grau war, ist jetzt grün.« Und in scherzhaftem Ton fügte er hinzu: »Ja, ja, James Moore, du frommer Mann! Du sollst nicht begehren deines –«

»Er wird ihn nicht lang zu begehren brauchen, wett ich!« warf Tammas schrill dazwischen.

»Weshalb nicht?«

»Weil er ihn nächstes Jahr gewinnen wird. Unser Bob wird ihn dir schon wieder wegnehmen, Kleiner. Das ist der Grund.«

Lärmender Beifall von Seiten der Grenzbewohner unter der Menge begrüßte diese Antwort.

Jedoch M'Adam stolzierte hocherhobenen Hauptes, den Pokal unter dem Arm, mit dem Roten Will als Nachhut in das Zelt hinein.

»Erst müßt Ihr Adam M'Adam und seinen Roten Will besiegen«, rief er prahlerisch.


 << zurück weiter >>