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Zweites Kapitel

Ein Sohn Hagars

Es ist ein einsames Land, das Land des Wastrel-Tales. Pastor Leggy Hornbut wird euch erzählen, daß er die kleinste Kirche und die größte Gemeinde nördlich des Trent sein eigen nennt, und daß sein Bezirk mehr Quadratmeilen als Gemeindemitglieder zählt. Es ist ein Land karger Berge und enger Schluchten, ein Land der Schutthalden und Felsklippen, zwischen denen hie und da zerstreut ein Weiler oder eine Schaffarm liegen. Es ist ein Land, in dem die Schafe herrschen. Jeder zweite Talbewohner steckt in einem Berufe, der so alt wie Abel ist, und die Gespräche der Männer des Landes handeln nur von Widdern und Mutterschafen, von Ungeschorenen, von Zweijährigen-in-der-Wolle, von vierfacher Schur und von Zweizähnern sowie – als erstes und letztes – von den Taten und Missetaten, von der Intelligenz und Dummheit ihrer ersten Offiziere, der Schäferhunde.

In diesem wilden schottisch-englischen Grenzland ist keine Gegend so wild wie die zwischen dem Schwarzen See und der Grammoch-Spitze. Oberhalb des Wastreltales nickt die Moorspitze. Westwärts erstrecken sich die Seemarken, von denen die ausgedehnten Besitzungen derer von Sylvester ihren Namen beziehen – Meile über Meile schafbevölkerten, brachvogelbesiedelten Heidelandes. Jenseits dieser öden Moorgrenze läuft das Zwillingstal der Silbernen Lea. Und hier in den Hürden hinter »Des Grenzers Tochter« finden in den späten Sommermonaten die berühmten Schäferhundturniere des Nordens statt: hier wird der Kampf um den Grenzpokal, den weltbekannten Schäferpreis, ausgefochten.

Jenseits des Gasthofes und des Schlagbaumes führt die Straße zu dem Marktflecken des gesamten Distrikts, dem Städtchen Grammoch. Hinter der kleinen Schenke am Fuße der Koppeln kreuzt eine Plankenbrücke die Lea, und am jenseitigen Ufer kriecht der Schwarzmoorpaß den schroffen Hang des Ödberges hinauf über die Marken.

An seinem Ausgang, kurz vordem er auf der windgefegten Heide mündet, steigt der Paß noch einmal steil an und senkt sich dann in jenes wie von einer Schlangenhaube überschattete Tal finsterer Möglichkeiten: die »Teufelsmulde«. Mitten im Herzen der Mulde, unmittelbar unter dem Schatten der Rothalde, liegt der Einödsee.

Es war neben diesem schwarzen Gewässer, über dessen gefrorenen Spiegel der Sturm weiße Schneegespenster trieb, daß der alte Andrew Moore vor vielen, vielen Jahren (nicht in diesem und nicht im vergangenen Jahrhundert) eine zu Tode erschöpfte, schwerträchtige Schäferhündin fand.

Er trug sie über die Marken nach Hause und pflegte sie liebevoll. Vergebens! Sie starb, doch nicht bevor sie ihm ihre Dankesschuld bezahlt und sich als Stammutter der Grauen Hunde von Kenmuir Unsterblichkeit errungen hatte.

Im Norden weiß jeder, der von der Moorspitze gehört hat – und wer hätte das nicht? – von den Grauen Hunden von Kenmuir; jeder, der den Schäferpreis kennt, weiß auch von der Grauen Ruhm. In jenem Lande guter Hunde und eifersüchtiger Herren sind die höchsten Ehren seit langem unbestritten. Welche Zucht auch immer Anspruch auf den zweiten Platz erheben mag, führend sind die Grauen Hunde. Und in der Gegend ist eine Redensart gang und gäbe: »Treu wie die Moores und ihre Hunde.«

Auf der Anrichte zur Rechten des Kamins in der Küche von Kenmuir liegt die Familienbibel. Hinten wird man ein loses Blatt finden: den Stammbaum der Grauen Hunde; vorne auf der Innenseite ist ein ähnliches Blatt eingeklebt – die Familienstammtafel der Moores von Kenmuir.

Diese beiden vergilbten Blätter müssen Seite an Seite entziffert werden. Seit den Tagen des Grauen Greifs, des ersten seines Stammes, wäre die Geschichte der Moores ohne die Geschichte ihrer Hunde unvollkommen, so sehr sind beider Geschlechter verzweigt und verästelt.

Gelingt es einem, James Moore zu bewegen, jenen abgegriffenen Band herunterzuholen und die Eintragungen zu erklären, so wird man manche Geschichte hören, die das Herz höher schlagen läßt und im Innersten zündet. Nur an zwei Stellen wird man auf einen Namen stoßen, so gründlich ausgemerzt, daß nur noch ein schwarzer Fleck übriggeblieben ist, um von eines Hundes Todsünde zu erzählen. Von ihm wird James Moore schweigen, und es ist nicht ratsam, ihn zu fragen. Diese Dinge werden am besten stumm übergangen: die Moores haben von jeher nächst ihrem eigenen guten Namen auf die Ehre ihrer Hunde gehalten, und in dem Ehrenkodex der Schäferhunde steht ein Wort mit harten, schwarzen Buchstaben geschrieben; ihm gegenüber ein zweites Wort in blutroter Schrift. Das erste lautet »Schafmord«, das zweite »Tod«. Jeder Schäferhund und jeder Schäfer weiß das.

Wenn man den Blick an jenen schwarzen Flecken vorüber die Reihe entlang gleiten läßt, wird er ein, zwei und ein drittes Mal an einem kleinen roten Kreuz unter dem Namen haften bleiben; unter dem Kreuz steht das einzige Wort »Pokal«. Schließlich trifft er gegenüber dem Namen Rex, Sohn des Rally, auf zwei dieser vielsagenden Ehrenzeichen. Der Pokal ist der berühmte Grenzpokal; der Champion-Turnier-Grenzpokal, den zu gewinnen der ganzen Welt offen steht und den man treffend als »das blaue Band der Heide« bezeichnet hat. Hätte Rex ihn noch ein drittes Mal gewonnen, der Schäferpreis, den zu erringen manchen Mannes Lebensarbeit und manches Sterbenden unerreichtes Ziel ist, wäre für immer in dem alten Gehöft am Fuße der Moorspitze geblieben.

Allein es sollte nicht sein. Beim Vergleich der beiden Stammtafeln entdeckt man unter dem Namen des Hundes ein Datum mit einer traurigen Inschrift; auf dem anderen Blatt, unter dem Namen Andrew Moore, das gleiche Datum und die gleiche Inschrift. Von jenem Tage an war James Moore Herr auf Kenmuir.

So geht es weiter, von Greif und Rip, von Rex und Rally, über Beck und Brock und Tup und Tally und hundert andere, bis zum Fuße der Seite und zum Schlußnamen Bob, Sohn von »Kampf«, letzter der Grauen Hunde von Kenmuir.

Jeder Schäfer wird einem erzählen, daß der Nachkomme eines Schäferhundes von Geburt an ein gelernter Schäferhund ist. Die Dressur ist so überflüssig, wie einer Ente Schwimmen lehren zu wollen. Diese Dressur liegt ihnen im Blute. So war es auch bei Old Bob, dem Sproß von hundert Ahnen.

Vom ersten Tage an handhabte er seine Aufgabe in einer Weise, die selbst James Moore in Staunen versetzte. Selten war man auf den Hängen der Moorspitze einem so feurigen Elan begegnet; Hand in Hand damit zeigte der noch junge Hund eine merkwürdige Gesetztheit, eine bewunderungswürdige Geduld, die sein Epitheton »alt« rechtfertigten. Er arbeitete schweigend mit jener Energie, welche die Grauen Hunde auszeichnet, rasch und wagemutig, wie das bei allen, deren Arbeit unter den schwarzköpfigen Schafen der schottischen Berghalden vor sich geht, unerläßlich ist; und von Anfang an entwickelte er eine besondere Kunst, jenen berühmten Takt, durch den er die Schafe gleichsam unmerklich überredet, ihm zu Willen zu sein – eine Eigenschaft, die seinen Namen in späteren Jahren in beiden Königreichen zu einem geflügelten Wort gestalten sollte. Kurz, er vereinigte in sich, um mit dem Wortpräger Tammas zu reden, »den Kopf eines Mannes und das Wesen einer Frau«.

Pastor Leggy, der als einer der besten Kenner von Schafen zwischen Trent und Tweed galt, faßte Bobs Persönlichkeit in die zwei Worte zusammen: ein Genie. Und James Moore, nüchterner Mann, der er war, fühlte sich ein wenig geschmeichelt. Selbst David M'Adam erklärte sich für befriedigt, obwohl er in dem Alter stand, da Kritik an allem, bei der Predigt angefangen bis zur Sau, möglich, ja geboten erschien.

»Ja, ja«, antwortete er auf Maggies ängstliche Frage, »ich halt' ihn für besser als die meisten, die ich kenne. Du kannst deinem Vater erzählen, ich hätte das gesagt.«

Im Dorfe fingen die Talbewohner, die alle stolz auf die Grauen Hunde von Kenmuir waren, an, weise mit dem Kopf zu nicken, wenn von »unserem« Bob die Rede war. Jim Mason, der Postbote, dessen Wort bei den Dörflern so viel galt wie das Wort Pastor Leggys bei dem Adel, meinte: nie hätte er einen jungen Hund gesehen, der ihm so gefallen hätte; und andere – jeder Bewohner der Grenzlande ist in solcher Frage sachverständig – bestätigten das Urteil.

In jenem Winter, wenn sie sich im »Sylvester-Wappen« um das Feuer versammelten, während im Kamin der Wind und in der Nacht draußen das Unwetter tobte, verfehlte Rob Saunderson selten, sich zu erkundigen:

»Nun, Mr. Thornton, wie steht es mit unserem Bob?«

Worauf Tammas mit mädchenhafter Schüchternheit kopfschüttelnd zu erwidern pflegte:

»Fragt lieber Sam'l, der kann besser als ich erzählen«, aber im nächsten Augenblick, ehe noch der Große zu stöhnen vermochte, hatte er sich Hals über Kopf in den Bericht irgendeiner Heldentat gestürzt.

Die Art, in der im Verlauf der Geschichte Tupper von Swinswaith Ned Hoppin aus Fellsgarth zublinzelte, während der lange Schmied, Jem Burton, den Gastwirt in die Rippen stieß und Küster Roß »wahrhaftig, Junge« murmelte, war beredter als viele Worte.

Einer nur mischte sich niemals in den bewundernden Chor. Einzig und allein der kleine M'Adam lauschte aus dem kalten Hintergrund, ein ungläubiges Grinsen um den Mund. Mitunter begnügte er sich mit einem halblauten Kommentar: »Der Hund hat den Teufel im Leibe!« Öfter aber noch äußerte er unverhohlenen Spott.

»So, so, hat sämtliche Schafe auf dem Marktplatz verloren, Mr. Thornton, und sie dann wiedergefunden – alle – bis auf die meisten! Liebe Zeit, liebe Zeit! Der Hund hat den Teufel im Leibe! Es geht wahrhaftig nicht mit rechten Dingen zu!« Worauf Tammas sich zu erheben und zum Schlage auszuholen pflegte; und eine Weile herrschte Chaos.

In den Grenztälern sieht man nur selten ein fremdes Gesicht. Durchwanderte man zur Zeit dieser Geschichte das hartherzige Land zwischen den Zwillingstälern, den scheuen Brachvogel als Weggenossen und den glucksenden Ruf des Birkhahns als einzige Begleitung, unter Fuß die Heide und zu Häupten, nadelkopfgroß gegen den Himmel, die Kornweihe, so begegnete man wohl Pastor Leggy, breitbeinig daherschreitend mit einem Paar rassiger Terrier an den Fersen und Cyril Galbraith ihm zur Seite, den er zugleich in der Furcht Gottes und in der besten Art, Fliegenköder auszulegen, unterwies. Oder man traf Jim Mason, von Beruf Postbote, von Wahl und Neigung Wilderer, vom Himmel zum braven Kerl und Sportsmann bestimmt, eilig einhertrabend, den Postsack über der Schulter und ein Kaninchen in der Tasche, genau ein Meter hinter ihm die Hündin Betsy, seine ständige Begleiterin. Außer diesen lief man gelegentlich nur einem friedlichen Schäfer und seinem weise blickenden Hund in den Weg oder Baron Sylvester auf einem seiner Rundgänge – und – wenn man Glück hatte, der liebreizenden Lady Eleanor auf dem Weg zu irgendeinem Werk der Menschenliebe.

Während einer Fahrt der Gutsherrin durchs Dorf, um Tammas' acht Tage alten greinenden Enkel zu besuchen, geschah es auch, das M'Adam, der gerade tabakkauend vor der Tür des »Sylvester-Wappens« stand, seine ewig denkwürdige Bemerkung machte, während langsam das boshafte Grinsen auf seinem Gesicht verblaßte:

»Hui!« meinte er leise verzückt: »Ein sauberes Weib!«

»Was? Was sagt Ihr, Mann?« rief Jem Burton, aus bierseliger Träumerei erwachend.

M'Adam wandte sich heftig gegen den Schankwirt.

»Ich sagte, das Weib hat einen sauberen Hut!« versetzte er bissig.

Trotz dieser Verwässerung haftete die Bemerkung als Tribut aufrichtiger Bewunderung im Gedächtnis der Leute. Ohne Zweifel hat auch der Engel, der die guten und bösen Taten verzeichnet, sie nicht überhört. Diese eine Erklärung gegenüber den Reizen Lady Eleanors war und blieb die einzige nicht aus Bosheit und Menschenhaß geborene persönliche Bemerkung des kleinen M'Adams. Und deshalb ist sie des Erinnerns wert.

Der kleine Schotte mit dem verbissenen, vertrockneten Gesicht war seit vielen Jahren schon Pächter des Kornhofs, trotzdem hatte er im Lande der Southron nicht heimisch werden können. Mit seinem verkümmerten Oberkörper und seinen schwächlichen Beinen glich er hier unter den kräftigen, gradgliedrigen Söhnen der Berge einem dürren Blatt zwischen kraftstrotzendem grünen Laub. Und wie er sich körperlich von ihnen unterschied, unterschied er sich auch moralisch. Er verstand sie weder, noch suchte er sie zu verstehen. Der Charakter dieser Nordländer war ihm jetzt nach zehnjährigem Studium noch immer ein unlösbares Rätsel. »Die Hälfte, was man erzählt, bezweifeln sie und lassen es einen fühlen; die andere Hälfte glauben sie überhaupt nicht und sagen's einem ins Gesicht«, erklärte er einmal. Darin lag die Erklärung ihrer gegenseitigen Beziehungen.

Vom ersten Tage an hatte er abseits gestanden, denn sein war eine Natur, die sich selbst isoliert und dann glaubt, von anderen isoliert zu werden. Und doch war während seiner Frau Lebzeiten sein Menschenhaß nicht so schrankenlos gewesen. Erst nach ihrem Tode war er unmerklich in solche Abgeschiedenheit von seinen Mitmenschen hineingeraten, daß er mit Recht und nicht ohne einen Schatten trotzigen Stolzes erklären konnte: »Sie sind alle gegen mich.«

So stand er da, ein echter Sohn Hagars, mit beißendem Spott gewappnet. Seine Lästerzunge war selten still und immer bitter. Im ganzen Lande, von Langholm bis zum Marktkreuz von Grammoch, lebte kein Mann, der nicht zu irgendeiner Zeit ihren Biß verspürt und schweigend ertragen hätte, denn sie sind schwerfällig im Reden, diese Männer des Berg- und Tallandes, und nähren ihren Zorn, bis der Tag erscheint, der ihnen die unfehlbare Gelegenheit zur Rache bringt. Und gegebenenfalls begegnete Tammas' epigrammatische Charakteristik »Gewalttätig, wenn betrunken; bösartig, wenn nüchtern« einem Applaus, der selbst den Hochmut Tammas Thorntons tief befriedigte.

Aber bis zu seiner Frau Tod hatte der Kleine Mann seine Bosheit im Zaum gehalten. Kaum jedoch fehlte diese feste und doch weiche Hand, da trieb sein ganzer Spleen die üppigsten Blüten. Und da ihm in Gott und der Welt niemand geblieben war als David, ergoß sich das Gift seines Temperaments ausschließlich über den Jungen. Es war, als verkörpere sein flachsköpfiger Sohn für ihn unbewußt den immer lebendigen Kummer seines Daseins. Das war um so seltsamer, als das Kind zu ihren Lebzeiten der armen Flora M'Adam Augapfel gewesen. Der Junge wuchs auf: in jeder Hinsicht das glatte Gegenteil seines Vaters, groß und kräftig, ohne in seinem robusten jungen Körper je einen Augenblick Schmerz gespürt zu haben, mit offenem freien Blick und einer Sprache, die in ihrem schleppenden, singenden Tonfall so echt war wie nur die irgendeines reinrassigen Talbewohners seines Alters. Das alles und die Tatsache, daß der Bursche unverkennbar mehr von einem Engländer als von einem Schotten an sich hatte – und obendrein noch seinen Stolz darein setzte –, reizten den Kleinen Mann, der in erster Linie Patriot war, bis zu Gewalttätigkeiten, während David, um allem die Krone aufzusetzen, eine so erstaunliche Unverschämtheit entfaltete, daß selbst ein besserer Mann als Adam M'Adam die Geduld verloren hätte.

Nach dem Tode seiner Frau hatte die weichherzige Elisabeth Moore mehr als einmal dem einsamen kleinen Witwer ihre Hilfe angeboten, wie nur eine Frau sie in einem Hause, der die Herrin fehlt, leisten kann. Bei der letzten Gelegenheit war sie nach einem beschwerlichen Weg über den Steinigen Grund und den Berg hinauf M'Adam auf der Türschwelle des Kornhofs begegnet.

»Ihr müßt mir erlauben, daß ich ein wenig nach dem Rechten sehe, Bauer«, sagte sie schüchtern; sie fürchtete sich vor dem Kleinen.

»Ich danke Euch, Mrs. Moore«, antwortete er mit jenem sauren Lächeln, das alle Talleute nur zu gut kannten; »Ihr müßt mich für einen gottserbärmlichen Krüppel halten.« Und damit versperrte er ihr mit seinem elenden kleinen Körper ironisch grinsend die Tür.

Mrs. Moore wandte sich ab und lief den Berg hinunter, erschrocken und verletzt über den Empfang, der ihrem Angebot zuteil geworden, und ihr Gatte, stolz bis zur Sünde, hatte ihr verboten, den Versuch zu wiederholen. Trotzdem schloß sie mit umfassender Liebe den verwaisten David in ihr Herz. Sie kannte die Trostlosigkeit seines Lebens, seines Vaters Haß gegen ihn und dessen unvermeidliche Folgen. So wurde es eine feststehende Einrichtung, daß der Junge allmorgendlich in Kenmuir vorsprach und zusammen mit Maggie Moore zur Dorfschule trabte. Und bald betrachtete der Junge Kenmuir als sein eigentliches Heim und James und Elisabeth Moore als seine wahren Eltern. Am glücklichsten war er, wenn er vom Kornhof fortkonnte. Und der Kleine Mann mit den Frettchenaugen merkte das, verdachte es ihm schwer und ließ dementsprechend seine üble Laune an ihm aus.

Dieser, wie es ihn dünkte, vorsätzliche Eingriff in seine Vaterrechte war die Wurzel seiner Feindschaft gegen James Moore. Der Herr auf Kenmuir war die Zielscheibe seiner höhnischen Bemerkung: »Ich ziehe einen guten Menschen, der aus der Kirche fortbleibt, einem schlechten Menschen, der zur Kirche geht, vor. Aber, wie Ihr selbst bemerktet, Mr. Burton, ich hatte immer meinen eigenen Kopf.«

Des Kleinen Behandlung seines Jungen, verzerrt obendrein noch durch allzu hitzige Leichtgläubigkeit, wurde schließlich zu einem solchen Skandal in der Gemeinde, daß Pastor Leggy sich verpflichtet fühlte, einzugreifen.

Nun war aber der Pastor M'Adams liebster Feind. Der derbe, alte Geistliche mit dem rauhen Wesen und dem großen Herzen wollte nichts mit einem Manne zu tun haben, der stets berauscht und nie in der Kirche war, der niemals gut von seinen Nachbarn sprach und stets schlecht an seinem Sohn handelte; während der kleine Schotte mit dem spöttischen Gesicht und den satirischen Bemerkungen es vortrefflich verstand, den alten Herrn, dessen Geduld leichter als seine Zunge war, fast bis zur Gewalttätigkeit zu reizen. In der Tat hatte die Unterredung in diesem Falle noch keine zwei Minuten gedauert, als es den Pastor bereits in allen Fingern juckte.

»Ihr, Mr. Hornbut, mit James Moore als Helfershelfer, sorgt für des Jungen Seele; ich mach' mir mit seinem Leibe zu schaffen.«

Der Kleine stand wieder auf der Türschwelle des Hofes, seinen ewigen Kautabak im Munde, während Cutty Sarks Augen jenseits des krummen Bogens von ihres Herrn Beine wie zwei Kohlen glühten.

Des Pastors Zorn wallte auf.

»Und was haltet Ihr für wichtiger – Leib oder Seele? Solltet Ihr als Vater nicht der erste sein, beide zu pflegen? Antwortet mir darauf, Sir!«

Der Kleine Mann kicherte.

»Ihr habt recht, Mr. Hornbut, wie immer. Aber ich behaupte eben: am besten komme ich an des Bürschchens Seele heran, wenn ich mich an seinen kleinen Kadaver halte.«

Der Pastor ließ seinen Stock im Zorn schwer auf den Boden sausen.

»M'Adam, Ihr seid eine Bestie, Sir – eine Bestie!« donnerte er.

»Zuerst ein zärtlicher Vater, daneben vielleicht eine Bestie. Ah, Mr. Hornbut, ich muß wahrhaftig über Euch lachen, wahr und wahrhaftig – mein lieber, mein hochgeehrter, mein sehr geschätzter Freund.«

»Wenn Ihr Eures Jungen Wohlergehen so viel Zeit schenktet wie den Gedichten jenes ausschweifenden Ackerbauern Robert Burns – –«

Der Kleine unterbrach ihn.

»Wißt Ihr, was Blasphemie ist, Mr. Hornbut?« erkundigte er sich sanft.

Zum erstenmal während dieser Auseinandersetzung hoffte der Pastor ins Schwarze zu treffen, folglich blieb er ruhig.

»Ich glaube, ja; ich glaube, ich sehe einen ihrer Vertreter jetzt vor mir. Und wißt Ihr, was Impertinenz ist, Mr. M'Adam?«

»Ich glaube, ja; ich glaube, ich sehe – ich wollte sagen, Gentlemen sind das häufig, wenn ihre Mamas ihnen als Kinder nicht die Rute gegeben haben.«

Der Pastor trat einen Schritt vor.

»M'Adam,« brüllte er, »glaubt Ihr, ich stünde hier, um mir Eure Unverschämtheiten gefallen zu lassen?«

Der Kleine wandte sich und stürzte ins Haus, um im nächsten Augenblick mit einem Stuhl zurückzukehren.

»Gestattet mir«, sagte er, sich verbeugend, wie ein Friseur einem Kunden gegenüber.

Der andere kehrte ihm den Rücken. Am Eingang zur Hecke blieb er noch einmal stehen.

»Noch ein Wort, Mr. M'Adam. Als Eure Frau, die wir alle liebten, in jenem Zimmer im Sterben lag, sagte sie in meiner Gegenwart zu Euch – –«

Jetzt war der andere an der Reihe, empört zu werden. Er trat einen Schritt näher; sein Gesicht brannte.

»Ein für allemal, Mr. Hornbut,« rief er leidenschaftlich, »merkt Euch, ich dulde es nicht, daß Ihr und Euresgleichen mit Euren Zungen meiner Frau Namen berührt! Wenn es Euch beliebt, sagt von mir, was Ihr wollt – lügt, spottet, tratscht – und ich werde schweigen. Aber ich meine, die dort unten auf dem Friedhof könnt Ihr in Frieden lassen. Sie hat Euch ihr Lebtag nichts getan, armes Ding! Und wenn sie auch gestorben ist, sie gehört mir doch.«

In seiner Empörung, mit brennenden Wangen und blitzenden Augen, sah der Kleine fast edel aus. Und der Pastor war sich bewußt, als er den Hügel hinunterschritt: diesmal lag der Sieg nicht auf seiner Seite.


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