Joachim Nettelbeck
Des Seefahrers Nettelbeck Lebensgeschichte
Joachim Nettelbeck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Seit dem letzten mißlungenen Angriff auf die Maikuhle geschahen nur hier und da einige Vorstöße auf unsre Vorpostenkette, um unsre Aufmerksamkeit zu beschäftigen. Dagegen wagte sich der Feind in diesen Tagen an ein Unternehmen, das kühn und groß genug angelegt war, um uns, bei geglückter Ausführung, mit all unseren bisherigen Verteidigungswerken im eigentlichsten Wortverstande aufs Trockene zu setzen. Die Franzosen wollten nämlich der Persante ein anderes Bette graben und sie in den Campschen See ableiten. Das Werk wurde groß und kräftig angefangen; aber bald stieß man auf Schwierigkeiten, die man nicht erwartete hatte. Darum ward auch die Sache wieder aufgegeben. Wir sahen uns von einer Sorge befreit, ehe sie uns noch hatte beunruhigen können.

Empfindlichen Schaden verursachten uns die feindlichen Wurfbatterien auf der Altstadt. Sie zerstörten nicht nur einen Teil unsrer Häuser, sondern nahmen auch manches Menschen Leben und Gesundheit. Und dies schlug den Mut der Menge merklich nieder. Die Geringschätzung unseres unfähigen Kommandanten ging allmählich in wirklichen Haß und Feindseligkeit gegen ihn über.

Desto sehnsüchtiger waren meine Blicke und Hoffnungen auf Memel gerichtet. In meiner Seele lebte ein unüberwindliches Vertrauen, daß mein Klagegeschrei das Ohr unseres Monarchen erreicht haben werde.

Nun rückten auch unsere langgenährten Wünsche ihrer Erfüllung immer näher. Am 26. April führten zwei Schiffe das zweite Pommersche Reserve-Bataillon, siebenhundert Köpfe stark, aus Memel unserer seither auf allerlei Weise verringerten Besatzung als Verstärkung zu. Am nächsten Tage kam auch von Schwedisch-Pommern ein Schiff mit einer guten Anzahl ehemaliger Kriegsgefangener. Diese Ermunterungen brauchten wir auch mehr als jemals, da kurz zuvor das längst erwartete schwere Belagerungsgeschütz im feindlichen Lager eingetroffen war. Jetzt erst drohte der Kampf um Kolberg seinen vollen Ernst zu gewinnen.

Ich eilte, um den Vizekommandanten aufzusuchen und ihm meine Besorgnisse ans Herz zu legen. Bereits auf der Brücke des Münder-Tores begegnete ich ihm. Neben ihm ging ein Mann, den ich nicht kannte und der mit dem Schiff gekommen zu sein schien. Da mein Anliegen an den Vizekommandanten eilig war, zog ich ihn etwas abseits. Waldenfels aber lächelte und sagte: »Kommen Sie nur; in meinem Quartier wird ein bequemerer Ort dazu sein.«

Als wir dort angekommen waren, wandte sich der Hauptmann mit den Worten zu mir: »Freuen Sie sich, alter Freund! Dieser Herr – Major von Gneisenau – ist der neue Kommandant, den uns der König geschickt hat« ; und zu seinem Gast: »Dies ist der alte Nettelbeck!« – Ein freudiges Erschrecken fuhr mir durch die Glieder; die Tränen stürzten mir unaufhaltsam aus den alten Augen. Ich fiel vor unserem neuen Schutzgeist in Rührung nieder und rief: »Ich bitte Sie um Gottes willen: Verlassen Sie uns nicht! Wir wollen Sie auch nicht verlassen, sollten auch all unsere Häuser zu Schutthaufen werden. In uns allen lebt nur ein Sinn und Gedanke: Die Stadt darf dem Feinde nicht übergeben werden!«

Der Kommandant hob mich freundlich auf und tröstete mich: »Nein, ich werde euch nicht verlassen. Gott wird uns helfen!« – Und nun wurden sofort einige wesentliche Angelegenheiten besprochen, wobei sich der helle, umfassende Blick unseres neuen Befehlshabers zeigte. Dann wandte er sich zu mir und sagte: »Noch kennt mich hier niemand. Sie gehen mit mir auf die Wälle, daß ich mich etwas orientiere.«

Gleich am nächsten Tage stellte sich der neue Kommandant der Garnison als ihr jetziger Anführer vor. Diese Feierlichkeit begleitete er mit einer Ansprache, die so eindrucksvoll und rührend war, wie wenn ein guter Vater mit seinen Kindern spräche. Danach machte er sie mit den Grundsätzen bekannt, nach welchen er sie befehligen werde.

Loucadou blieb noch die ganze Zeit der Belagerung hindurch in Kolberg, doch ohne sich öffentlich zu zeigen. Spötter meinten, er habe diese Zeit benutzt, um ruhig auszuschlafen.


 << zurück weiter >>