Joachim Nettelbeck
Des Seefahrers Nettelbeck Lebensgeschichte
Joachim Nettelbeck

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In den beiden nächsten Jahren fuhr ich auf mehr als einem Kolbergschen Schiffe und unter verschiedenen Kapitänen auf der Ost- und Nordsee umher. War bald in Dänemark und Schweden, bald in England und Schottland oder in Holland und Frankreich zu finden. Auf all diesen Reisen ist nichts vorgefallen, was hier erwähnt zu werden verdiente. Sturm und gut Wetter und was sonst so dazu gehört, sind für einen Seemann etwas Alltägliches. Es ist nicht meine Art, davon viel Aufhebens zu machen.

Aber dieses einförmige Leben paßte mir nicht länger. Der alte Hang zum Abenteuern erwachte. Kein Wunder, daß ich, sobald sich die Gelegenheit bot, der Versuchung zu einer großen Reise nicht widerstehen konnte. In Amsterdam traf ich Kapitän Joachim Blank, einen alten, lieben Kolberger Landsmann und Verwandten, dessen Schiff »Christina« nach Surinam gehen sollte. Ohne weitere Erlaubnis von Hause verdang ich mich flugs und freudig bei ihm als Konstabler. Als auf der Hinfahrt jedoch unser Steuermann über Bord fiel und unglücklicherweise dabei ertrank, rückte ich zum Unter-Steuermann auf.

Daß ich mich hier auf eine ausführliche Beschreibung der Kolonie Surinam einlasse, wird wohl nicht von mir erwartet werden. Man weiß, daß sie ihren Namen von dem Flusse Surinam hat, an dem auch dritthalb Meilen aufwärts die Hauptstadt Paramaribo gelegen ist. An seiner Mündung ist der Fluß wohl zwei Meilen breit und bleibt bis gegen sechzig Meilen landeinwärts auch bei der niedrigsten Ebbe für kleinere Fahrzeuge schiffbar. Auch der mit dem Surinam verbundene Fluß Comandewyne kann bis gegen fünfzig Meilen aufwärts befahren werden. Mit beiden Gewässern steht noch eine Menge toter Arme in Verbindung, und an allen Ufern drängen sich die Zucker- und Kaffeeplantagen. Alles übrige Land aber wird von fast undurchdringlichen Wäldern bedeckt. Und dadurch ist diese Kolonie eine der ungesundesten der Welt. Wenn eine Schiffsmannschaft von vierzig Leuten in den vier Monaten, welche man hier gewöhnlich verweilt, nur acht bis zehn Tote zählt, so wird dies für ein außerordentliches Glück gehalten.

Diese große Sterblichkeit hat aber zum Teil auch wohl ihren Grund in den anstrengenden Arbeiten, wozu die Schiffsmannschaften nach hiesigem Brauch angehalten werden. Sie müssen sowohl den Transport der mitgebrachten Ladung an europäischen Gütern nach den einzelnen Plantagen besorgen, als auch die Rückfracht von diesen Plantagen an Kolonialwaren. Man bedient sich dazu einer Art von Fahrzeugen, die man Punten nennt. Sie sind wie Prahme gebaut und tragen ein zugespitztes, mit Schilf gedecktes Wetterdach. So sehen sie beinahe aus wie ein auf dem Wasser schwimmendes deutsches Bauernhaus. Zwei solcher Punten werden jedem Schiffe beigegeben. Mir als Unter-Steuermann kam es zu, mit Hilfe von vier Matrosen die Fahrten auf den Strömen damit zu machen. Diese Reisen dauern oft vierzehn Tage oder noch länger.

Surinam hätte man damals eher eine deutsche als eine holländische Kolonie nennen können. Auf den Plantagen wie in Paramaribo traf man unter hundert Weißen immer ungefähr neunundneunzig an, die aus allen Gegenden Deutschlands hierher gefunden hatten. Von diesen lernte ich auch zwei Brüder Kniffel kennen, die aus Belgard in Pommern gebürtig, also meine nächsten Landsleute waren. Sie hatten sich in früherer Zeit als einfache holländische Soldaten hierher verirrt, aber Glück, Fleiß und Rechtlichkeit hatten sie seither zu Millionären gemacht, und sie genossen hier ein wohlverdientes Ansehen. Am Comandewyne besaßen sie zwei Kaffeeplantagen. Die eine hieß Friedrichsburg, und eine andere dicht daneben, welche von ihnen selbst angelegt worden war, hatten sie ihrer Vaterstadt zu Ehren Belgard genannt. In Paramaribo war eine Reihe von Häusern ihr Eigentum. Sie bildeten eine vierhundert Schritt lange Straße, die nach ihnen den Namen Kniffels-Loge führte. Ebendaselbst hatten sie eine lutherische Kirche gebaut und zu ihrer Erhaltung für ewige Zeiten die Einkünfte der Plantage Belgard bestimmt.

Unsere Heimfahrt nach Amsterdam, die sechs Wochen währte, verlief glücklich. Wir waren vierzehn Monate abwesend gewesen. Unser Schiff bedurfte einer völlig neuen Verzimmerung, die sich bis in den November 1755 zu verzögern drohte. Da mir dies zu lange dauerte, ging ich in einen anderen Dienst unter Kapitän Wendrop über. Sein Schiff war nach Curaçao bestimmt. Auf der Rückreise ergänzten wir bei St. Eustaz unsere Ladung, und nach neun Monaten warfen wir wiederum vor Amsterdam wohlbehalten die Anker.

Hier warteten Briefe auf mich von meinen Eltern. Diese Briefe enthielten soviel Drohungen und gerechte Vorwürfe, daß ich mich wiederum wohl als der verlorene Sohn reuig auf den Weg nach Hause machen mußte. Einigen Trost fand ich darin, daß ich mit einem Schiff fahren sollte, das meines Vaters Bruder führte.


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