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Bevor ich in meinem Lebensberichte fortfahre und mich zu den kleinen Abenteuern wende, die mir an der afrikanischen Küste begegnet sind, will ich ein wenig über den Sklavenhandel erzählen. »Wie?« wird vielleicht mancher fragen; »Nettelbeck ein Sklavenhändler? Wie kommt ein so verrufenes Handwerk mit seinem ehrlichen pommerschen Herzen zusammen?« – Allein dies Handwerk stand zu damaliger Zeit bei weitem nicht in einem solchen Verrufe. Erst seitdem man, besonders in England, wider den Sklavenhandel als einen Schandfleck der Menschheit geschrieben und im Parlament gesprochen hat, ist das der Fall. Und wenn dieser Handel nun entweder ganz abgekommen ist oder doch mit heilsamer Einschränkung getrieben wird, so ist der alte Nettelbeck gewiß nicht der Letzte, der seine herzliche Freude darüber hat. Vor fünfzig Jahren aber war und galt dieser böse Menschenhandel als ein Gewerbe wie andere, ohne daß man viel über seine Recht- und Unrechtmäßigkeit grübelte. Wer sich dazu brauchen ließ, hatte die Aussicht auf einen harten und beschwerlichen Dienst, aber auch auf leidlichen Gewinn. Barbarische Grausamkeit war damit nicht unbedingt verbunden und fand auch wohl nur in einzelnen Fällen statt. Ich wenigstens habe nie dazu geraten oder geholfen. Freilich sah ich oft genug Roheit und Härte; aber die waren mir leider überall, wohin mich der Seemannsberuf führte, ein nur zu gewohnter Anblick.
Zum besseren Verständnisse des Folgenden wird es erforderlich sein, einige Worte über den Negerhandel zu sagen, wie er damals von den Holländern betrieben wurde.
Da hier Menschen als Ware angesehen wurden, mußten solche Artikel gewählt werden, welche den Schwarzen am unentbehrlichsten waren. Schießgewehre aller Art und Schießpulver in kleinen Fässern nahmen hierunter die erste Stelle ein. Fast ebenso begehrt war Tabak, sowohl geschnitten als in Blättern, samt irdenen Pfeifen; auch Branntwein. Dann kamen Kattune von allen Sorten und Farben in Frage sowie leinene und seidene Tücher, von denen sechs bis zwölf zusammengewirkt waren. Ebensowenig durfte ein guter Vorrat von linnenen Lappen fehlen, die dort als Leibschurz getragen werden. Den Rest der Ladung machten allerlei Kurzwaren aus; so kleine Spiegel, Messer aller Art, bunte Korallen, Nähnadeln und Zwirn, Fayencesachen, Feuersteine, Fischangeln und dergleichen.
Einmal gewöhnt, diese verschiedenen Artikel von den Europäern zu erhalten, können und wollen die Afrikaner sie nicht missen. Sie sind darum unablässig darauf bedacht, sich die Ware zu verschaffen, welche sie dagegen eintauschen können. Also ist auch das ganze Land immerfort in kleine Parteien geteilt, die sich in den Haaren liegen und alle Gefangenen, welche sie machen, entweder an die schwarzen Sklavenhändler verkaufen oder sie unmittelbar zu den europäischen Sklavenschiffen führen. Wenn es ihnen an solcher Kriegsbeute fehlt, greifen ihre Häuptlinge, die eine despotische Gewalt über ihre Untertanen haben, auch diejenigen auf, welche sie für die entbehrlichsten halten. Oder es geschieht, daß der Mann sein Weib, der Vater sein Kind und der Bruder den Bruder auf den Sklavenmarkt zum Verkauf schleppt.
Man wird leicht begreifen, daß es bei solchen Raubzügen an Grausamkeit nicht fehlt und daß sich alle diese Länder dabei in dem elendesten Zustand befinden. Ebensowenig aber kann auch geleugnet werden, daß die erste Veranlassung zu all diesem Elend von den Europäern herrührt, welche durch ihre eifrige Nachfrage den Menschenraub bisher begünstigt und unterhalten haben.
Die zu diesem Handel ausgerüsteten Schiffe pflegten längs der ganzen Küste von Guinea zu kreuzen. Sie hielten sich unter wenigen Segeln stets etwa eine halbe Meile vom Ufer. Wurden sie dann am Land von Negern erblickt, welche Sklaven oder Elefantenzähne zu verhandeln hatten, so machten diese am Land ein Feuer an, um dem Schiff durch den aufsteigenden Rauch ein Zeichen zu geben, daß es vor Anker ginge. Zu gleicher Zeit aber warfen sie sich auch in ihre Kanus und kamen an Bord, um die zur Schau ausgelegten Waren zu mustern. Gingen sie dann wieder, so versprachen sie, mit einem reichen Vorrat von Sklaven und Zähnen wiederzukommen.
Gewöhnlich erschienen sie mit ihrer Ware am nächsten Morgen. Das Fahrzeug, welches die verkäuflichen Sklaven enthielt, war in der Regel noch von einem halben Dutzend andrer begleitet. Die Menschen darin hatten alle einen Anteil an der unglücklichen Ware. Allein nur acht oder höchstens zehn wurden mit den Sklaven an Bord gelassen. Die übrigen umschwärmten in ihren Kanus das Schiff und vollführten ein tolles Geschrei.
Nun wurden die Gefangenen in näheren Augenschein genommen. Bei den männlichen waren die Ellenbogen auf dem Rücken dergestalt hart zusammengeschnürt, daß oft Blut und Eiter an den Armen und Lenden hinunterlief. Erst auf dem Schiff wurden sie losgebunden, damit sie der Schiffsarzt genauer untersuchen konnte, ob sie unverkrüppelt, von fester Konstitution und bei voller Gesundheit waren.
Hierauf wurde denn unterhandelt. Zuvor aber bekamen sowohl die Verkäufer, die sich auf dem Verdeck befanden, als ihre Kameraden in den Kanus Tabak und Pfeifen gereicht, damit sie lustig und guter Dinge würden und sich freilich auch um so leichter betrügen ließen.
Die europäischen Tauschwaren wurden den Schwarzen stets nach dem höchsten Einkaufspreis mit einem Aufschlag von fünfundzwanzig Prozent angerechnet. Nach diesem Tarif galt damals ein vollkommen tüchtiger männlicher Sklave etwa hundert holländische Gulden; ein Bursche von zwölf Jahren und darüber ward mit sechzig bis siebzig Gulden und ungefähr zu gleichem Preis auch eine weibliche Sklavin bezahlt. War sie jedoch noch nicht Mutter gewesen und ihr Busen noch von jugendlicher Fülle und Elastizität (und daran pflegt es die Natur bei den Negerinnen nicht fehlen zu lassen), so stieg sie auch bis auf hundertzwanzig und hundertvierzig Gulden im Werte. Die Verkäufer bezeichneten stückweise die Artikel, welche sie von den ausgelegten Waren haben wollten. Der holländische Einkäufer zog hingegen fleißig seinen Preiskurant zu Rate, um nach dem angenommenen Tarif nicht über neunzig Gulden hinauszugehen, wobei auch der gespendete Branntwein samt Tabak und Pfeife nicht unberücksichtigt blieben. Weigerte er sich weiter zuzulegen und ließ sich höchstens noch ein Stück Kattun abringen, so ward der Rückstand des geforderten Menschenpreises vollends mit geringeren Waren und Kleinigkeiten und zuletzt noch mit einem Geschenk von Messern, kleinen Spiegeln und Korallen ausgeglichen. Bis zum Abschluß des Handels gab es viel Streit, Fluchen und Lärm. Wenn die eigentlichen Wortführer bei den Negern auch nur zwei oder drei sein mochten, so mußten sie sich doch immer mit ihren Gefährten in den Kanus verständigen, die an dem Erfolg der Unterhaltung alle gleich stark interessiert waren. Hatten sie dann endlich die eingetauschten Waren in Empfang genommen, so packten sie sich wieder in ihre Fahrzeuge und eilten lustig, wohlbenebelt und unter lautem Hallo dem Strande zu.
Der arme Sklave, um welchen gehandelt worden war, saß nun auf dem Verdeck und sah sich mit steigender Angst in eine neue, unbekannte Hand übergehen, ohne zu wissen, welches Schicksal ihm bevorstand. Die meisten dieser Unglücklichen hatten nie zuvor das Weltmeer erblickt, auf dem sie nun schwammen; sie hatten auch nie solche weißen und bärtigen Männer gesehen, in deren Gewalt sie geraten waren. Nur zu gewiß glaubten sie, wir hätten sie gekauft, um uns an ihrem Fleisch zu sättigen.
Sobald die Verkäufer vom Schauplatz abgetreten waren, gab der Schiffsarzt den erhaltenen Sklaven ein Brechmittel ein, damit die seither ausgestandene Angst nicht nachteilig auf ihre Gesundheit wirkte. Aber begreiflicherweise konnten die gewaltsamen Wirkungen dieser Prozedur jenen vorgefaßten schrecklichen Wahn ebensowenig beseitigen wie die eisernen Fesseln an Hand und Fuß, die man den männlichen Sklaven anlegte. Gewöhnlich kuppelte man sie überdies noch paarweise zusammen, indem man durch einen in der Mitte jeder Kette befindlichen Ring noch einen fußlangen eisernen Bolzen steckte und fest vernietete.
Die Weiber und Kinder verschonte man mit ähnlichem Geschmeide. Sie wurden vorne in der Schiffsback in ein festes Behältnis eingesperrt, während die erwachsenen Männer ihren Aufenthalt dicht daneben zwischen dem Fock- und dem Großmast fanden. Beide Behälter waren durch ein zweizölliges eichenes Planwerk voneinander gesondert, so daß sich die Weiber und Männer nicht sehen konnten. In diesem engen Verwahrsam brachten sie jedoch nur die Nächte zu. Bei Tage war ihnen gestattet, in freier Luft auf dem Verdeck zu verweilen. Auf ihre Behandlung während der Überfahrt nach Amerika werde ich noch zurückkommen.
Der bedeutendste Handelsartikel an dieser Küste sind hiernach die Elefantenzähne, von welchen auch der ganze Landstrich zwischen Kap Palmas und Tres Puntas den Namen »Zahnküste« führt. Habe ich die Erzählungen der Eingeborenen recht verstanden, so gehen sie in Rudeln von etwa dreißig Personen in die landeinwärts gelegenen Wälder auf die Elefantenjagd. Ihre Waffen bestehen hauptsächlich in fußlangen zweischneidigen Säbelklingen, die sie auf den Schiffen einhandeln und zu diesen Jagden an langen Stangen befestigen. Haben sie ein solches Tier aufgespürt, so suchen sie es entweder zu beschleichen oder treiben es mit offener Gewalt auf Dann trachten sie einzig dahin, ihm den Rüssel der seine vorzüglichste Schutzwehr ausmacht, an der Wurzel abzubauen. Oder sie zerschneiden ihm die Sehnen an den Füßen, um es so zum Fallen zu bringen. Ist der Feind solchergestalt überwältigt, wird er vollends getötet. Man haut ihm die Zähne aus, und der Rumpf bleibt als willkommene Beute für die Raubtiere und das Gevögel liegen.
In einem anderen Landstrich dieser Negerländer wird auch einiger Handel mit Goldstaub oder vielmehr kleinen Körnern dieses Metalls getrieben. Diesen Landteil nennt man die Goldküste. Das Gold wird entweder aus dem Flußsand gewaschen oder von der reichen Natur dieses heißen Bodens oft dicht unter dem Rasen dargeboten. Dieses Geschäft war jedoch weder beträchtlich noch sonderlich gewinnreich. Es wird deshalb auch dem Obersteuermann bei seinen kleinen Nebenfahrten für eigene Rechnung anheimgestellt. Dafür aber war es ihm gestattet, Waren im Betrage von sechshundert holländischen Gulden mit an Bord zu nehmen. Ich selbst hatte mich zu diesem Privathandel mit allerlei Kurzwaren, etwa fünfhundert Gulden an Wert, versehen.
Denn zu gleichem Handel wie dem an Bord des Schiffes selbst, wurden auch noch mehrere Boote ausgerüstet und abgeschickt, welche sich bis auf fünfzig Meilen und mehr entfernten und oft mehrere Wochen an der Küste umherkreuzten. Sobald die Guineafahrer sich dem wärmeren Himmelsstrich näherten, begannen die Schiffszimmerleute die Schaluppen und Schiffsboote für ihre künftige Bestimmung instand zu setzen. Sie brachten ein Verdeck darauf an und richteten alles so ein, daß sie sich auf See zu halten vermochten. Holz und Planken hierzu wurden schon von Holland mitgenommen und zwischendecks bereit gehalten. Die Besatzung eines solchen Fahrzeugs bestand aus zehn bis zwölf Mann unter Führung des Obersteuermanns oder eines andern Schiffsoffiziers. Auch war so ein Boot mit einigen Drehbassen und kleinerem Handgewehr wohl versehen.
Die Aufgabe dieser Boote war, stets in einiger Entfernung vor ihrem Schiffe zu fahren und möglichst viel einzuhandeln, damit die gewünschte volle Ladung schneller zusammengebracht und der Aufenthalt an diesen ungesunden Küsten um so mehr abgekürzt würde. Sowie nun ein solches Fahrzeug seine mitgenommenen Waren und seine Lebensmittelvorräte erschöpft oder genügend eingetauscht hatte, kehrte es an Bord seines Schiffes zurück, um sofort für eine neue Reise ausgerüstet zu werden. Es war ein sehr anstrengender und beschwerlicher Dienst. Außerdem war er mit mancher Gefahr verbunden. Nicht selten ging ein solches Boot samt der ganzen Besatzung durch einen Überfall der Neger verloren. So war hier höchste Vorsicht erforderlich. Nie wurden mehr als vier Verkäufer zugleich ins Boot gelassen. Auch die übrigen in den Kanus durften nicht zu nahe herankommen. Während der Steuermann mit einem Gehilfen hinten im Fahrzeug den Handel trieb, stand der Rest der Mannschaft vorne mit dem geladenen Gewehr in der Hand.
Noch gefährlicher wäre es gewesen, die Nacht über an dem nämlichen Orte liegen zu bleiben, wo man sich am Abend befunden hatte. Vielmehr mußte man die Ankerstelle immer ändern, um die verräterischen Schwarzen zu täuschen, die unaufhörlich auf einen Überfall sannen. Ebensosehr gebot es die Klugheit, keiner ihrer noch so freundlichen Einladungen zu folgen oder sich etwa in die Mündungen ihrer Flüsse zu wagen.
Wenigstens eins dieser Fahrzeuge hatte zudem die Nebenbestimmung, den aus Europa mitgebrachten Briefsack nach dem holländischen Hauptfort St. George de la Mina zu befördern. Da die ankommenden Schiffe ihre Handelsgeschäfte gewöhnlich bei Sierra Leona anfingen und nur gemächlich längs der Küste weiterfuhren, so währte es oft sechs bis acht Monate, bevor sie selbst dieses Fort erreichten. Dieser Unbequemlichkeit zu begegnen, waren die Schiffer angewiesen, mit den Regierungsdepeschen auch die anderweitige Korrespondenz ohne Aufenthalt in St. George de la Mina abzuliefern.
Diesen Auftrag erhielt demnach auch ich, sobald wir in den ersten Tagen des Jahres 1772 an der Küste von Guinea angelangt waren. Die Barkasse war mit zehn Mann unter meinen Befehlen ausgerüstet und mit Frachten aller Art beladen, besonders aber mit solchen, welche in dem heißen Klima einem schnellen Verderb ausgesetzt waren. So steuerte ich, nachdem ich auch die Vorräte für meinen eignen kleinen Handel eingenommen hatte, bereits am vierten Tage nach unsrer Ankunft dem Schiffe vorausgehend gegen Osten.
Auf dieser Küstenfahrt führte mich mein Weg zunächst nach dem holländischen Fort Axim. Ich hatte dort einen Pack Briefe, europäische Zeitungen und andere Kleinigkeiten abzugeben. Der Befehlshaber des Forts, ein geborener Hannoveraner namens Feneckol, war auf Neuigkeiten aus dem gemeinschaftlichen Vaterlande sehr begierig. Als ich ihm erzählte, daß ich Preuße sei, machte er mich darauf aufmerksam, daß Fort Axim früher eine Besitzung unseres Großen Kurfürsten gewesen und erst im Jahre 1718 durch Kauf an Holland übergegangen sei.
Mein Geschäft an diesem Platze war beendigt. Ich hatte den nötigen Ballast eingenommen und machte mich auf den Rückweg nach Westen. Meinen Kapitän mit dem Schiffe fand ich noch bei Kap Mesurado.