Joachim Nettelbeck
Des Seefahrers Nettelbeck Lebensgeschichte
Joachim Nettelbeck

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So kam ich bei diesem schlimmen Handel noch glücklich genug davon. Ich behielt mein Schiff und konnte damit nach Lust und Belieben fahren, um meine Scharte wieder auszuwetzen. Ich beschloß, mit Ballast nach Noirmoutier zu gehen, dort eine Ladung Salz für eigene Rechnung einzunehmen und demnächst in Königsberg loszuschlagen. Die Gelder zum Ankauf jener Ware wollten mir meine Amsterdamer Korrespondenten, die schon genannten Herren Kock und van Goens, gegen Bodmerei auf Schiff und Ladung in Frankreich besorgen. Anfang Mai lief ich aus dem Texel. In der Mitte des Monats kam ich vor Noirmoutier glücklich vor Anker.

Hier traf ich drei Schiffe, deren Kapitäne sämtlich zu meinen guten Freunden gehörten, nämlich Neste, mit einem Dreimaster aus Danzig, und Fries und Jantzen, beides Königsberger. Alsbald kamen sie auch zu mir an Bord. Sie brachten mir die unerwünschte Nachricht, daß das Salz hier knapp sei. Nach längerer Beratschlagung hielten wir es für das richtigste, uns auf die nächstgelegenen Salzhäfen Croisic, Bernif und Olonne zu verteilen, um dort, wenn möglich, besseren Markt zu finden. Das Los sollte entscheiden, wer hier zu bleiben und wohin ein jeder zu gehen und vorläufig seinen Handel für alle abzuschließen hätte.

Das Los bestimmte, daß ich nach Croisic zu fahren hätte. Diese Fahrt war nicht nur die weiteste, sondern auch sehr gefährlich. Sie geht durch das offene Meer, ohne durch Vorgebirge oder eine Insel geschützt zu sein. Mein im Texel gekauftes Boot ward nun sofort über Bord gesetzt.

Mit einem herzhaften »Nun, mit Gott!« stieß ich ab. Ehe wir noch fünfzig Klafter gesegelt waren, ward's mir allerdings klar, daß ich meine Jolle überladen hatte.

Bis ich um die kleine Insel Piquonnier herumkam, ging auch alles gut. Hier aber rollte mir die See von der Seite her in langen und hohen Wogen mächtig entgegen. Der steife Wind stand von dort her gerade aufs Land, und es sah ganz danach aus, daß wir hier mit Gemächlichkeit ersaufen könnten.

Nach vier, fünf Stunden brach die Nacht herein. Mit der Dunkelheit schien auch der Wind stärker zu werden. Keiner von uns sprach ein Wort, aber meine Matrosen drängten sich immer näher an mich. Da wir an der Mündung der Loire schon vorüber waren, in die ich mich sonst geflüchtet hätte, steuerte ich auf die Küste zu. Die Jolle schoß wie ein Pfeil durch die Wogen. Nach einer halben Stunde hörten wir auch schon das schreckliche Gebrüll der Brandung. Angestrengt blickten wir nach dem weißen Schaum aus. Allein die Nacht war so finster und unser Fahrzeug flog so schnell dahin, daß wir uns plötzlich mitten in der Brandung befanden. Ehe wir uns auch nur besinnen konnten, erblickten wir kurz hinter uns den schäumenden Kamm einer Woge, die sich bis zur Höhe unseres Mastes aufbäumte, dann brausend über uns niederschoß und uns in ihren Abgrund mit sich riß.

Nun trat die See für paar Augenblicke zurück. Ich bekam den Kopf in die Höhe und meine Füße spürten Grund. Ehe die nächste Welle wiederkehrte, hatte ich mich besonnen. Ich hielt stand, und da sie mir diesmal nur bis unter die Arme reichte, so konnte ich dem Strande zueilen und war bald in Sicherheit. Meine beiden Gefährten hatten gleichfalls Glück. Nur unsere Jolle war in die See zurückgerissen worden, bis sie endlich kieloben an Land trieb. Doch alles, was darin gewesen war, ging verloren. Wir mußten uns begnügen, unser Fahrzeug am Strande so hoch hinauf zu ziehen, daß es von den Wellen nicht mehr erreicht werden konnte.

Hierauf gingen wir landeinwärts einem Lichte zu, das wir in der Ferne schimmern sahen. Bei einem Bauern fanden wir Unterschlupf. Am Morgen begaben wir uns mit unserem Wirte zum Strande zurück, um nach unserer Jolle zu sehen. Wir fanden sie noch auf der alten Stelle. Da die See noch nicht wieder fahrbar geworden war, wußten wir nicht, was wir mit unserem Boote beginnen sollten. Aber unser Bauer, dem ich mich durch einen meiner Matrosen verständlich machen konnte, half uns aus der Verlegenheit. Wir befanden uns hier anderthalb Meilen von Pollien. Dieser Ort ist ebenfalls ein Salzhafen und liegt etwa zwei Meilen von Croisic entfernt. Nach Pollien wollte der Bauer nun unser Puppenfahrzeug über Land transportieren, indem er es zwischen zwei von seinen Eseln hinge.

Wirklich hielten er und seine Esel redlich Wort. In dem lustigsten und nie gesehenen Aufzuge zogen wir in Pollien ein. Die ganze Stadt lief zusammen. Ich ließ mir den angesehensten Salzhändler des Ortes nennen und ging sogleich zu ihm. Der Kaufmann Charault nahm mich sehr freundlich auf. Und bald konnte ich auch eine volle Ladung für alle vier Schiffe, das Muid zu vierundfünfzig Livres, ausmachen; und zwar dortigen Maßes, welches noch um fünf Prozent größer ist als auf Noirmoutier. Ich durfte mir also schmeicheln, einen vorteilhaften Handel abgeschlossen zu haben.

Ich hatte am 12. Juni an meine Korrespondenten Kock und van Goens in Amsterdam geschrieben, daß sie mein Schiff mit zweitausend Gulden versichern sollten. Sechs Tage später wiederholte ich diese Order mit dem Bemerken, daß ich bereits segelfertig läge und nur auf einen günstigen Wind warte. Zum Überfluß ließ ich am 22. Juni noch ein drittes Aviso ab. Ich sei in diesem Augenblicke bereits auf See. Zur Sicherheit erinnerte ich noch einmal an mein Verlangen.

Am 24. Juni überfiel mich schon ein so harter Sturm, daß ich nur vor einem kleinen Sturmsegel unterm Winde liegen konnte. Eine besonders schwere Sturzwelle zertrümmerte das Steuerruder. An ein Ausbessern auf offener See war nicht zu denken. Um das Schiff gleichwohl nach Möglichkeit auf Kurs zu halten, suchte ich es mit den Vorder- und Hintersegeln zu zwingen. Da aber der Wind geradezu aufs Land stand, waren wir genötigt, Segel über Segel zu setzen, um nur das Schiff hart an den Wind zu halten und vom Leger-Strande fern zu bleiben. Trotzdem liefen wir bald in den Wind, bald wieder davor. Durch die Unmenge Segel bekamen auch Stangen und Masten schier über ihre Kräfte zu tragen.

Und gar bald geschah, was ich gefürchtet hatte: mit einer schweren Böe, die sich plötzlich erhob, brach der große Mast, acht oder zehn Fuß überm Deck, gleich einer Rübe entzwei und stürzte samt der ganzen Takelage über Bord. Das ganze Gewirr von Rundhölzern – Mast, Stangen und Rahen – stieß nun unaufhörlich und mit solcher Kraft gegen die Seiten des Schiffes, daß wir jeden Augenblick erwarteten, Planken und Spanten zertrümmert zu sehen. Wir mußten schnell alles Tauwerk kappen, das mit dem gestürzten Mast noch zusammenhing.

Unser schwer beladenes Schiff trieb jetzt gleich einem Klotz auf dem Wasser. Die Wellen überspülten es unaufhörlich. Selbst die Kajüte schwamm beständig voll Wasser. Unsre Lebensmittel wurden naß. Auch unsre Ladung mußte leiden, da wir das eindringende Wasser selbst mit beiden Pumpen kaum zu bewältigen vermochten.

Des anderen Tages, sobald das Wetter ruhiger geworden war, hoben wir unser Bugspriet aus und befestigten es, so gut es gehen mochte, an dem Stumpf des abgebrochenen Mastes. Daran zogen wir dann ein paar Segel auf, die wir noch vorrätig hatten. Um nun das fehlende Steuerruder irgendwie zu ersetzen, ließ ich einen großen Klotz an einem etwa zwanzig Klafter langen Ankertau vom Hinterteil aus treiben. Gleichfalls wurden Taue von jeder Bugseite mit diesem Klotz verbunden. So ließ sich das Schiff notdürftig steuern, obwohl wir freilich keinen ordentlichen Kurs halten konnten. Vielmehr trieben wir bei anhaltendem Ostwind immer weiter auf das atlantische Meer hinaus. Unser größtes Glück war es, daß wir das Schiff dicht behalten hatten.

Sechs Wochen lang waren wir auf diese Weise hilflos auf dem Weltmeer umher gekreuzt. Am 6. August ereilte uns ein gewaltiger Weststurm. Das Wetter ward so furchtbar, wie ich es nie wieder erlebt habe. Unsre größte Besorgnis aber war, daß wir bei Nacht gegen die Lewis-Inseln mit ihren zahlreichen Klippen geworfen werden könnten. Unsre Furcht schwand erst, als wir uns am 9. August zwischen den orkadischen Inseln gegenüber Fairhill befanden. Da auch zugleich der Wind nach Nordwesten ging, so hofften wir die norwegische Küste zu erreichen und dort Hilfe zu finden.

Am 13. sahen wir denn auch die Küste. Mitten zwischen steilen Klippenwänden trieb unser Schiff, wie von unsichtbaren Händen gelenkt, in eine Bucht, wo ich Ankergrund und stilles Wasser fand. Sieben ewiglange Wochen waren wir ohne Mast und Ruder, unter Hunger, Durst und stetem Todeskampf umhergetrieben.

Unser Nothafen hieß Bommel-Sund, wie wir noch in der nämlichen Nacht von einigen Leuten erfuhren, die vom Land zu uns an Bord kamen. Sie waren mir auch behilflich, das Schiff noch tiefer in die Schären hinein in Sicherheit zu bringen. Am Morgen fuhr ich selbst an Land, um mir Hilfe zu suchen. Es fehlte mir geradezu an allem, um von der Stelle zu kommen. Doch Mast, Ruder und Takelage, wie ich es brauchte, war in dieser Gegend nicht zu haben. So mußte ich mir Fahrzeuge und Leute annehmen, die mich langsam zwischen den Klippen weiterbugsierten. Endlich gelangte ich denn in den Hafen von Fahresund.

Hier wandte ich mich an das Handelshaus Lund & Co., welches mir auch half, mein Schiff wieder in gehörigen Stand zu setzen. Um nichts zu versäumen, ließ ich vor allen Dingen mein Schiffsvolk eine gerichtliche Erklärung über die erlittenen Unglücksfälle während dieser Reise ablegen. Zudem versah ich mich mit den übrigen erforderlichen Zeugnissen und übersandte dies alles meinen Korrespondenten in Amsterdam. Ich trug ihnen auf, mir auf Grund der Versicherung meines Schiffes einen Kreditbrief über die Summe zu schicken, wie ich sie zur Ausbesserung des Schiffes erforderlich glaubte.

Da empfing ich von den Herren Kock und van Goens ein Schreiben, worin sie mir empfahlen, mich in meinen Ausgaben, soweit es ging, zu menagieren; es wäre ihnen nicht möglich gewesen, für mein Schiff und meine Ladung eine Versicherung abzuschließen. – Als hätte der Blitz vor meinen Füßen eingeschlagen, so überraschte und erschütterte mich dieser trockene Bericht! Zugleich aber gingen mir auch die Augen auf über das Schelmenstück, das man mir gespielt hatte. In der sichersten Jahreszeit und auf einem Platz wie Amsterdam sollte für keine Prämie, hoch oder niedrig, eine mäßige Assekuranz zu beschaffen gewesen sein? Und wenn in Holland kein Mensch sein Geld an eine so geringe Gefahr hätte setzen wollen, stand meinen Beauftragten nicht Hamburg, Kopenhagen oder London, kurz, jeder andere Handelsort frei und offen? – Es war klar – und in diesem Urteil hatte ich alle Sachverständigen auf meiner Seite -, daß die feinen Herrschaften es für zuträglicher gehalten hatten, die Assekuranz gar nicht auszubieten. Sie hatten das im Vertrauen auf meine Tüchtigkeit und die anderweitigen günstigen Umstände gewagt. Wäre die Fahrt glücklich abgelaufen, wie zu hoffen gewesen war, so hätten sie nicht vergessen, mir die Versicherungsprämie gehörig anzurechnen. Nun aber, da ich Havarie hatte, benahmen sie sich wie Schurken.

Ich saß in der Klemme und mußte abermals auf Schiff und Ladung Geld aufnehmen. Ich hatte indes die Hoffnung, das saubere Paar ihrer Unlauterkeit zu überführen und so wieder zu meinem Gelde zu gelangen. Ich ging also in See und langte bald darauf glücklich in Königsberg an. Kaum aber hatte ich dort meine Ladung Salz gelöscht, als auch der Bodmerei-Geber sein auf das Schiff vorgestreckte Geld zurückforderte, welches sich mit allen Nebenausgaben auf die Summe von siebentausend Talern belief Da ich nun auch noch in einigen andern Schulden steckte, so kam ich von Tag zu Tag immer mehr ins Gedränge, zumal an ein schleuniges Ende des Prozesses nicht zu denken war, den ich zunächst gegen Kock und van Goens in Amsterdam angestrengt hatte.

Hier war vielmehr ein Federfechten begonnen, das Jahr und Tag dauerte und immer bunter und verwickelter wurde. Endlich wurde mir der Handel und die Rabulisterei für meinen armen schlichten Menschenverstand zu arg. Ich packte meine dicken Prozeßakten zusammen und legte sie in tiefster Devotion Sr. Majestät dem Könige vor. Ich bat ihn inständigst, sich seines allergetreuesten Untertanen anzunehmen und diesen Prozeß gegen Kock und van Goens durch den preußischen beglaubigten Minister im Haag erledigen zu lassen.

Während meine Sache diesen gemächlichen Gang ging, mußte ich, um meine Gläubiger zu befriedigen, zuvörderst meine Ladung, dann aber auch mein schönes liebes Schiff samt allem, was ich um und an mir hatte, zu Geld machen. Als unschuldiges Opfer eines schändlichen Betruges stand ich da und konnte kaum das Hemd auf dem Leibe mein eigen nennen.

Drei mühselige Jahre blieb mein Schicksal in dieser Schwebe. Gott weiß, wie sauer, ja bitter sie mir geworden sind. Endlich ging vom Preußischen Gesandten im Haag ein großes Schreiben an mich ein. Es verkündigte, mein Prozeß sei in letzter Instanz glücklich gewonnen. – Gottlob! hätte ich aus tiefster Brust erleichtert gerufen, wäre damit nicht eine Hiobsbotschaft verbunden gewesen. Es hieß weiter in dem Schreiben: Kock, der eine meiner Widersacher, sei gestorben und nun sei der Bankrott des Hauses ausgebrochen. Auf alle Effekten sei von den übrigen Gläubigern Beschlag gelegt worden, und zur Befriedigung meiner Forderungen wäre leider nichts übrig geblieben.

So war ich denn ein ruinierter Mann. Ich hatte mir die schönsten Jahre meines Lebens gleichsam stehlen lassen, hatte mir den Leib unaufhörlich voll geärgert und mochte nun in Gottes Namen wieder von vorn anfangen!

So machten ich mich denn im Jahre 1771 als Passagier nach Holland auf den Weg. Ich hatte die gewisse Zuversicht, daß ich in diesem Land auf alle Fälle ein besseres Fortkommen finden werde.

Wenn irgend möglich, wollte ich an die Küste von Guinea. Die Art des Handelsverkehrs war mir bei meiner ersten Ausfahrt bereits bekannt geworden. Ich war darauf aus, mich auf irgendeinem dorthin bestimmten Schiff als Obersteuermann zu verdingen. In Amsterdam zwar gab es hierfür in diesem Augenblick keine Gelegenheit.

Als ich mich aber durch Freunde und Bekannte an das Haus Rochus & Copstadt in Rotterdam empfehlen ließ, ward ich mit den Reedern einig, auf einem ganz neuen Schiff namens »Christina« unter Kapitän Jan Harmel als Obersteuermann die Fahrt nach der Küste von Guinea anzutreten.

Im November des nämlichen Jahres gingen wir von Goeree unter Segel. Unsre Ladung bestand aus solchen Artikeln, welche die Afrikaner gegen Sklaven, Goldstaub und Elefantenzähne am liebsten einzutauschen pflegen. Die Schiffsmannschaft betrug hundertsechs Köpfe. Das Schiff führte vierundzwanzig Sechspfünder mit, weil Holland damals mit dem Kaiser von Marokko in Mißhelligkeiten geraten war. Allen Schiffen, die des Weges fuhren, war deswegen auch aufgegeben worden, sich gegen etwaige Überfälle der Korsaren gehörig auszurüsten. Aus dem nämlichen Grunde versäumten wir auch nicht, sobald wir in den Ozean gekommen waren, unser Schiffsvolk täglich in der Bedienung des Geschützes und in anderen kriegerischen Handgriffen zu üben. Jeder an Bord wußte, wohin er gehörte und wie er anzugreifen hatte, wenn es mit den Marokkanern zum Schlagen käme.

Inzwischen fuhren wir an Madeira und Teneriffa vorbei, passierten die Kapverdischen Inseln und erblickten am 24. Dezember die Küste von Guinea. Wir liefen nach der Sierra Leona hinauf und warfen endlich am 4. Januar 1772 vor Kap Mesurado Anker.


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