Joachim Nettelbeck
Des Seefahrers Nettelbeck Lebensgeschichte
Joachim Nettelbeck

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Bald darauf erstand ich ein zwar nicht großes, aber tüchtiges Schiff von fünfundvierzig bis fünfzig Lasten. Es hieß »Der Postreiter«. Sogleich fand ich auch eine erwünschte Ladung von Malz. Es war nach Wolgast bestimmt. Ich säumte also nicht, unter russischen Pässen, meine erste Reise dahin anzutreten.

In Wolgast vertraute mir Herr Cantzler, der Empfänger der Ladung an, daß das Malz für die Preußen in Stettin bestimmt sei. Er bat mich, solange zu verweilen, bis er ein Fahrzeug bekommen hätte, das die Ladung bei Nacht und Nebel dorthin schaffen sollte.

Ich war einverstanden. Als sich aber die Ankunft des Schmugglers von einem Tag zum anderen hinzog, erwachte in mir der Patriotismus. Weshalb sollte ich meinen pommerschen Landsleuten nicht etwas zuliebe tun? So meinte ich denn zu Herrn Cantzler: Mein Fahrzeug ginge nicht tief und wäre wohl geeignet, das Haff und dessen Untiefen zu passieren. Wär es ihm recht, so unternähme ich es selbst, die Ladung nach Stettin zu bringen, da ich diese Gegend hinreichend kenne.

»Mir schon recht!« erwiderte der Handelsherr freudig. »Will er sein Schiff dran wagen, Herr; die Ladung muß gewagt werden! – Wie hoch die Fracht?« – Wir wurden um fünfhundert Taler einig. – »Aber sehe sich der Herr wohl vor!« setzte er warnend hinzu. »Auf dem Haff liegt eine ganze Flotte von schwedischen armierten Schiffen. Das wird Künste kosten!« Der Handel aber war nun einmal abgeschlossen. Und wäre er mir jetzt auch leid, so erlaubte mein Ehrgefühl doch nicht, zurückzutreten.

Zuerst ging ich mit meinem Schiffe die Peene hinauf, bis ungefähr an den sogenannten Bock am Eingange des Haffs. Hier sah ich die schwedische Armierung in einem weiten Halbkreis vor mir liegen, in ihrer Mitte eine Fregatte. Das Ding sah nicht wenig bedenklich aus, und ich mußte meinem Mute wacker zusprechen. Indes peilte ich noch bei Tage mit meinem Kompaß die größte Lücke zwischen den Fahrzeugen aus. Die Nacht fiel rabendunkel ein. Der Wind war frisch; es regnete, und ein Gewitter war heraufgezogen. Alles schien mein Unternehmen begünstigen zu wollen.

Um elf Uhr hob ich den Anker und segelte glücklich und ohne Hindernis durch die Flotte. Aber kaum war ich eine Viertelmeile hinter den Schiffen und glaubte mich geborgen, als unerwartet ein Schuß fiel. Er kam von einem auf Vorposten ausgestellten Segler, den ich erst jetzt bemerkte. Himmel, wie sputete ich mich, jedes Segel aufzusetzen, das mein Schiffchen nur tragen konnte. Zu meinem Troste und seinen Namen rechtfertigend war es ein trefflicher Segler. Nicht lange aber, so blitzte ein zweiter Schuß auf der Seite auf. Dieser kam von einem anderen Vorposten-Schiffe.

Nunmehr machten beide Fahrzeuge die ganze Nacht hindurch Jagd auf mich. Sie kamen mir so nahe, daß von den unzähligen Kugeln, womit sie mich begrüßten, vier durch meine Segel gingen. Mit Tagesanbruch befand ich mich Neu-Warp gegenüber. Hier aber kamen mir bereits drei von unseren preußischen armierten Fahrzeugen entgegen. Sie lagen gewöhnlich bei Ziegelort und waren durch das nächtliche Schießen alarmiert worden. Unter ihrem Schutze erreichte ich denn auch meinen Bestimmungsort und konnte meine Fracht abliefern.

Während ich hier lag, kam der Friede mit Rußland zustande. Die Konjunktur benutzend, machte ich schnell hintereinander eine Reihe glücklicher Fahrten. So von Stettin nach Kolberg mit Salz, das dort nach der dritten Belagerung sehr fehlte; von Kolberg mit einer Ladung Wein nach Königsberg und wiederum dahin zurück mit Roggen. Meine Rückfracht nach Königsberg bestand außer der erforderlichen Portion Ballast in etwa sechzig Passagieren. Es waren die Frauen und Kinder eines preußischen Bataillons, das nach der Einnahme von Kolberg nach Preußen abgeführt worden war. Diese Menschen begaben sich nun auch dorthin, um mit ihren Männern und Vätern vereint zu sein. Eine bunte, aber nicht eben angenehme Ladung.

Als ich segelfertig war, gab es einen Sturm aus Westsüdwesten, der mir auf hoher See sehr nützlich sein konnte. Es war nur die Kunst, bei solchem Wind zum Hafen hinaus zu kommen. Der Lotse erklärte es für unmöglich. Mein Schiff würde stark beschädigt oder gar rechts am Hafendamme sitzen bleiben und in Trümmer gehen. Der Mann hatte recht. Ich aber verließ mich auf mein gutes und festes Schiff. Da ich das Abenteuer allenfalls auch ohne den Lotsen auf eigne Gefahr wagen wollte, war er endlich bereit, sich meinem Verlangen zu fügen.

Ich hatte ihn vom westlichen Hafendamme an Bord genommen. Er ergriff das Steuer, während ich die Segel aufzog. In der nächsten Minute aber schon warf uns trotz unserer vereinten Bemühungen die erste hohe Woge mit wildem Ungestüm auf die entgegengesetzte Seite, an das östliche Bollwerk. Die nächste Welle hob das Schiff von neuem. Als wir wieder sanken, faßten die hervorragenden Pfahlköpfe des Bollwerks unter die am Steuerbord stehenden Barkhölzer. Die Trümmer davon flogen hoch in die Luft. Zugleich jagte uns der Sturm. Mein Fahrzeug schoß längs dem Damme hin und schnitt an der äußersten Spitze des Dammes die Brandung. Dabei schoß es in fliegender Fahrt durch zwei oder drei hochgetürmte Sturzwellen. Die Verdecke schwammen, und mir selbst standen die Haare zu Berge.

Nun war ich freilich auf See, indes die Verwüstung war jämmerlich genug. Länger als fünfzehn Fuß fand ich die Barkhölzer am Steuerborde glatt abgestoßen; die Rippen des Schiffes lagen frei. Kopfschüttelnd sagte ich zu mir: Ei, ei, Nettelbeck! Das war wohl eben so ein dummer Streich als letzthin, wo du dich durch die schwedische Flottille schlichst! – Ich will nicht leugnen, ich habe dergleichen unüberlegte Stückchen vor und nach dieser Zeit wohl mehrere auf dem Kerbholz gehabt. Gelingen sie, so heißt man ein gescheiter Kerl, obgleich man einen ganz anderen Titel verdient hätte.

Dem Schaden mußte nun sogleich auf irgendeine Weise abgeholfen werden. Nach kurzem Besinnen riß ich eine Persenning in lange, schmale Streifen und nagelte diese doppelt gelegten Lappen über die beschädigten Stellen.

Nachdem ich ein wenig zur Besinnung gekommen war, hörte ich Heulen und Schreien aus dem Schiffsraume. Ich ließ die Luken aufreißen, um zu sehen, was es da gäbe. Nun, die Weiber und Kinder, die da unten zusammengedrängt lagen, hatten genugsamen Grund zum Lamentieren. Bevor ich meinen Schaden hatte ausbessern können, war nämlich eine Menge Wasser in den Raum gelaufen. Da das Schiff bei der hohen See unaufhörlich auf und nieder stieg, spülte der mit dem Wasser vermischte Ballastsand den Raum längs und von einer Seite zur anderen. Die Menschen versanken knietief, ja bis über den halben Leib darin. Ein Mitleid erregendes Bild. Wir mußten ihnen schnell helfen. Ausgepumpt konnte das Wasser nicht werden, da die Wassergänge nach den Pumpen durch den Ballast verstopft worden waren. Wir mußten es mit Fässern ausschöpfen.

Unsre Fahrt ging indes so pfeilschnell vorwärts, daß ich schon am andern Tage, nachmittags um zwei Uhr, Pillau erreichte und am nämlichen Abend, um neun oder zehn Uhr, in Königsberg anlegen konnte.

Sobald ich mein Schiff repariert hatte, sah ich mich nach neuer Fracht um. Zu der Zeit trafen die Russen, welche das Land seit mehreren Jahren besetzt gehalten, gerade ernstliche Anstalten, Preußen wieder zu räumen. Eine ungeheure Menge von Kriegseffekten sollte nach Rußland heimgeschafft werden. Es herrschte aber ein großer Mangel an Schiffen, da die Fahrzeuge fremder Nationen dazu nicht gezwungen werden konnten und die preußischen Schiffer dem wiederhergestellten Frieden noch nicht trauten.

Weniger bedenklich als andre war ich der erste der sich entschloß, eine Fracht nach Riga anzunehmen. Mir wurden nämlich, was noch nicht dagewesen, zweiundvierzig Silberrubel für die Last geboten, dazu völlige Befreiung von Abgaben und allen Unkosten in Königsberg, Pillau und auch in Riga. Selbst freier Ballast sollte mir im Bestimmungshafen geliefert werden.


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