Joachim Nettelbeck
Des Seefahrers Nettelbeck Lebensgeschichte
Joachim Nettelbeck

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Einige Tage später sprach mich auf der Börse ein portugiesischer Kaufmann an und bat mich höflich, zu Mittag sein Gast zu sein. Nach der Börsenzeit könne ich dann mit ihm gehen. Ich sagte zu und hatte den Mann kaum aus den Augen verloren, als mehrere Schiffskapitäne mich mit Fragen bestürmten, ob dieser Mann mir etwa bekannter sei als ihnen. Auch sie habe er zu Tische geladen. Ich mußte das verneinen und war gleich ihnen über seinen Einfall sehr verwundert.

Als wir nach der Börsenstunde zusammengerufen wurden, waren wir neun Schiffskapitäne – Dänen, Hamburger, Lübecker, Schwedisch-Pommern und Danziger. Im Hause des Gastgebers fanden wir bereits mehrere Kaufleute versammelt und ein schmackhaftes Mahl bereitet. Es wurde wacker zugelangt und zugleich tapfer getrunken. Unser Wirt verstand die Kunst des Nötigens. Nach aufgehobener Tafel artete es bald in ein Bacchanal aus, wo weder Maß noch Anstand beobachtet wurde. Ich kannte jedoch das Maß, welches ich nicht überschreiten durfte, um bei Verstand und Ehren zu bleiben. Weniger gut kamen die übrigen Herren Kollegen weg. Sie übernahmen sich dergestalt, daß sie zuletzt samt und sonders unter den Tisch sanken.

Etwas verdutzt rieb ich mir am andern Morgen die Augen, als ich unsern Wirt in Begleitung jener Kaufleute bei mir eintreten sah, welche an dem gestrigen Gelage teilgenommen hatten. Sie schüttelten mir die Hand und eröffneten mir lachend: Das gestrige Trinkfest sei von ihnen veranstaltet worden, um unter uns Neunen den rechten Mann zu finden, dem sie als dem solidesten und besonnensten eine Ladung von Wert anvertrauen könnten. Einstimmig wäre die Wahl auf mich gefallen. Und so fragten sie denn, ob ich eine volle Ladung Tee nach Amsterdam übernehmen wolle.

Man kann sich denken, daß ich nicht nein sagte. Es war damals vielleicht eine der reichsten Frachten. Sie konnte nur einer neutralen Flagge anvertraut werden, da nämlich nach und nach auch Holland in den amerikanischen Freiheitskrieg verwickelt worden war und die Engländer alles kaperten, was für einen holländischen Hafen bestimmt und keinen solchen Freipaß hatte. Wir wurden um ein Frachtgeld von sage und schreibe: Fünfunddreißigtausend preußischen Talern einig. Dazu kamen noch fünf Prozent Havarie und zehn Prozent Kapplakengelder. Diese Kapplakengelder sind eine Art Gratifikation, welche der Schiffer von dem Empfänger der Ladung erhält und die gewöhnlich fünf Prozent der Frachtkosten beträgt.

Sowie nun mein Schiff leer war, fing ich an, den Tee einzuladen. Während dieser Zeit suchte mich ein holländischer Kapitän namens Klock auf. Er ersuchte mich, ihn samt seiner Mannschaft als Passagiere mit nach Holland zu nehmen. Da ich sein gutes und rechtliches Wesen erkannte, so stimmte ich von Herzen gerne zu. Ich erbot mich auch, ihm und seinen Leuten bis zu unsrer Ankunft in Amsterdam freie Kost zu geben. Da er mir unterwegs von mannigfachem Nutzen sein konnte, war das Menschen- und Christenpflicht. Dann aber wollte ich auch nicht schlechter an den armen Leuten handeln als der Kaiser von Marokko. Das war nämlich folgendermaßen gewesen:

Kapitän Klock, der in Amsterdam zu Hause war und dessen Schiff Order nach den kanarischen Inseln hatte, fand es der damaligen politischen Lage wegen ratsam, lieber unter der preußischen als unter seiner vaterländischen Flagge zu fahren. Er ging also zuvor nach Emden, gewann dort um eine Kleinigkeit das Bürgerrecht und genoß von dem Augenblick an die Rechte und den Schutz eines preußischen Untertans. So gesichert stach er in See, hatte aber das Unglück, sein Schiff an der marokkanischen Küste durch einen Sturm zu verlieren. Nur kümmerlich rettete er sich mit seinen Gefährten ans Land. Sie wurden zunächst nach Mogador geschleppt und in Ketten gelegt. Ihr Gefängnis war ein schreckliches Loch, wo sie bei Mais und Wasser in schrecklicher Angst über ihr weiteres Schicksal schmachteten. Man hatte sie verständigt: Man wisse nicht, was man mit ihnen und ihrer ans Land getriebenen Flagge beginnen solle. Die Flagge sei daher an das Hoflager des Kaisers gesandt worden; von dort erwarte man ihretwegen eine höhere Verfügung.

Nach neun Tagen endlich erschien vor ihrem Kerkerloch ein gewaltiger Trupp bewaffneter Mauren. Die Fesseln wurden gelöst. Sie wurden jeder auf einen Esel gesetzt, um eine Reise anzutreten, deren Ziel sie nicht zu erraten vermochten. Sie kamen in die Hauptstadt Markokko. Dort gesellte sich ein deutscher Diener zu ihnen, der sie laut Befehl zu dem Kaiser Muley Ismael führte. Hier wurden sie nach einigen gleichgültigen Fragen aufgefordert, sich als Untertanen des Königs von Preußen auszuweisen. Sie beriefen sich auf ihre Flagge.

»Wohl!« lautete die durch den Dolmetscher erteilte Antwort des Fürsten. »Von eurem Monarchen, seiner Weisheit und seinen Kriegen sind so viele Wunderdinge zu meinen Ohren gekommen, daß es mich mit Liebe und Bewunderung gegen ihn erfüllt hat. Die Welt hat keinen größeren Mann aufzuweisen als ihn. Als Freund und Bruder habe ich ihn in mein Herz geschlossen.

Ich will darum auch nicht, daß ihr, die ihr ihm angehört, in meinen Staaten als Gefangene angesehen werdet. Vielmehr habe ich beschlossen, euch frank und frei in euer Vaterland heimzuschicken. Ich habe auch meinen Kreuzern anbefohlen, wo immer sie preußische Schiffe antreffen, ihre Flagge zu respektieren und sie selbst nach Möglichkeit zu beschützen.«

Des andern Tages wurden sie auf kaiserlichen Befehl nach maurischer Weise neu gekleidet. Auch wurde ihnen eine anständige Wohnung angewiesen. Den Kapitän aber ließ Muley Ismael fast täglich zu sich kommen, um eine Unzahl von Fragen an ihn zu richten, die sich ausschließlich auf den großen Preußenkönig bezogen. Z.B.: Von welcher Statur er sei? Wie lange er schlafe? Was er esse und trinke? Wieviel Soldaten, auch wieviel Frauen er halte? Und dergleichen mehr. Der gute Klock gestand, er habe lügen müssen, so gut er gekonnt, um der kaiserlichen Neugierde nur einigermaßen zu genügen. Von allen diesen Dingen wußte er natürlich herzlich wenig.

Nach drei Wochen war der Kapitän durch jene Fragen so in die Enge getrieben, daß er um seine Entlassung bat. Er gebrauchte die Ausrede, er müsse eilen, um seinem König Rede und Antwort zu geben, wie gnädig der Kaiser seine schiffbrüchigen Untertanen behandelt habe und was für freundschaftliche Gesinnungen er gegen ihn hege. Muley Ismael entließ sie einige Tage darauf. Unter sicherer Begleitung sandte er sie nach dem Hafen St. Croix. Dort war dem maurischen Befehlshaber bereits aufgegeben, sie auf das erste abgehende europäische Fahrzeug zu verdingen und die Überfahrt für sie zu bezahlen. So gelangten sie nach Lissabon.

Einige Tage vor meiner Abfahrt nahm mich der holländische Konsul von der Börse mit sich nach seiner Wohnung, da er mir etwas Hochwichtiges zu eröffnen habe. Nach beendeter Mahlzeit zeigte er mir ein kleines Päckchen, etwa in der Größe eines Spiels Karten. Er sagte, es sei mit Rohdiamanten gefüllt, die in Amsterdam geschliffen werden sollten. Seine Absicht sei, mir diesen Schatz anzuvertrauen. Es seien dabei, wie üblich, hundertfünfzehn holländische Gulden Fracht für mich zu verdienen. Ich müsse aber das Päckchen unablässig bei mir tragen und niemand von meiner Mannschaft davon sagen.

Die Sache schien mir leicht, und der angebotene Verdienst war wohl mitzunehmen. Ich versprach also, mich vor meiner Abreise bei ihm einzufinden, um jenes kostbare Päckchen in Empfang zu nehmen. Es wurde dann auch in Gegenwart des Konsuls in meine Uhrtasche eingenäht. Leichten Herzens unterzeichnete ich die Quittung über den richtigen Empfang. Allein, sobald ich das Haus verlassen hatte, fing auch meine heimliche Angst und Sorge an, die die ganze Reise über nicht von mir wichen. Ich wähnte, jeder, der mich ansah, wisse um mein Geheimnis und gehe mit dem Gedanken um, mich zu berauben oder gar zu ermorden. Ich kann wohl sagen, daß ich kein Geld mit größerer Unruhe verdient habe.


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