Joachim Nettelbeck
Des Seefahrers Nettelbeck Lebensgeschichte
Joachim Nettelbeck

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Mein gutes Glück, das ich in diesem Jahre mit meinem kleinen Schiffe gehabt hatte, machte mich zuversichtlich. Ich war ein junger Mensch und wollte mich noch besser in der Welt versuchen, um es zu etwas zu bringen. Meinen Plänen nach mußte ich ein neues und größeres Schiff haben, womit ich mich in die Nordsee und über den Kanal hinauswagen konnte, anstatt bloß auf der Ostsee wie auf einer Entenpfütze herumzugondeln. Nebenbei verließ ich mich auch wohl auf mein Geschick, womit ich mir das Glück zu erzwingen gedachte, auch wenn es mir den Rücken kehren wollte. Leider hatte ich damals noch nicht die Erfahrung, daß zum Laufen kein Schnellsein hilft. Erst durch Schaden wird man klug.

Ich verkaufte also meinen kleinen »Postreiter« und setzte mir's in den Kopf, ein funkelnagelneues Schiff von etwa achtzig Lasten in Königsberg auf den Stapel zu setzen. Den größten Teil des Jahres 1763 war ich mit dem Bau beschäftigt.

Ostern 1764 war ich endlich nach vieler Mühe und Sorge mit meinem Schiffbau im reinen. Das Fahrzeug war nun wohl ganz nach meinem Sinn geraten, aber Lust und Freude konnte ich dennoch nur wenig daran haben. Mit den guten Zeiten für die Reederei hatte es ein plötzliches und betrübtes Ende genommen. Noch im Jahr zuvor standen die Frachten auf Amsterdam fünfundvierzig holländische Gulden. Jetzt aber, da durch den Frieden in allem Verkehr eine Totenstille eingetreten war, kostete es Mühe, eine Fracht dorthin um elf Gulden zu finden. Erst im Oktober gelang es mir, auf den genannten Platz für sechzehn Gulden abzuschließen.

Während das Schiff noch beladen wurde, hatte ich einen Unglücksfall. Ich stolperte über ein Ankertau und fiel mir den rechten Fuß aus dem Gelenk. Das Bein schwoll an; ich konnte bald kein Glied mehr rühren. Während daran gezogen, gesalbt und gepflastert wurde, hatte ich die grausamsten Schmerzen auszustehen. An ein Mitfahren war nun gar nicht zu denken. Aber wen sollte ich an meine Stelle setzen?

Zum Steuermann hatte ich einen gewissen Martin Steinkraus angenommen. Er hatte zwar bereits selbst ein Schiff geführt, dabei aber keine Ehre eingelegt. Ein Kolberger gleich mir, war er mir von meinen Landsleuten halb wider meinen Willen aufgedrängt worden. Jetzt, da ich im Bette lag, wurde ich abermals von allen Seiten dermaßen bestürmt, daß ich mich endlich betören ließ, diesem Menschen für die Reise nach Amsterdam mein Fahrzeug anzuvertrauen. An guten Ermahnungen und Instruktionen ließ ich es nicht fehlen. Auch gab ich ihm zweihundert Gulden, um sich damit in Pillau frei in See bringen zu lassen.

Desto verwunderlicher kam es mir vor, als das Kontor von Seif & Co. in Pillau mir eine Anweisung von zweihundert Gulden präsentieren ließ, welche mein Schiffer bar auf meine Rechnung bezogen hatte. Er war kaum von Königsberg abgegangen und hatte drei Tage vor Pillau gelegen. Später kamen noch verschiedene ähnliche Anweisungen, insgesamt etwa über dreihundert Gulden, die er zum Teil bar aufgenommen, zum Teil für allerlei Schiffsbedürfnisse verwandt hatte.

Ich hatte kaum noch Zweifel, daß dieser Mensch es auf Betrug abgesehen hatte. Im Januar 1765 bekam ich aus Gotenburg die Hiobspost: Schiffer Steinkraus sei dort eingelaufen, habe Havarie angemeldet und daraufhin gleich zweitausend Gulden aufgenommen. Im Februar schrieb man mir: Schiffer Steinkraus habe die zur Ausbesserung nötigen Gelder auf sechstausend Gulden erhöhen und sich ausbezahlen lassen.

Jetzt ward mir der unsaubere Handel denn doch zu arg und zu bunt! Wollte ich mein Eigentum nicht verlieren, so mußte ich persönlich dem unverschämten Räuber einen Zügel anlegen. In dieser Absicht fuhr ich nach Amsterdam, wo ich ihn schon zu treffen gedachte. Doch mehrere Wochen mußte ich auf ihn warten. Erst in den letzten Tagen des Aprils ließ mir Schiffer Johann Henke aus Königsberg, der auch im Hafen lag, sagen: Steinkraus sei soeben angekommen. Jetzt begab ich mich sofort nach dem Hafen. Meine Maßnahmen hatte ich bereits im Voraus sorgfältig überlegt.

In der Ferne sah ich mein Schiff liegen. Ich ließ mich zu ihm fahren, fand aber auf dem Verdeck keine lebendige Seele. Ich ging einige Minuten umher und sah mir Masten, Taue, Segel und Anker an. Es waren die alten wohlbekannten Gerätschaften. Immer weniger konnte ich begreifen, was denn mit den aufgenommenen ungeheuren Summen daran geändert oder verbessert worden wäre.

Endlich ließ sich der Schiffsjunge blicken. Er machte große Augen, als er seinen Herrn und Meister so unverhofft vor sich sah. Halb aus Treuherzigkeit, halb aus Furcht, erzählte er mir mehr, als mir lieb war und ich zu wissen verlangte. Sein Schiffer hätte sich mit den übrigen Leuten sogleich nach der Ankunft an Land begeben. Um meinen guten Freund Steinkraus zu überraschen, postierte ich mich am Bollwerk dem Schiffe gegenüber. Nach etwa zwei Stunden, die mir lang und sauer genug wurden, erschien auch ein Trupp betrunkener Matrosen. Es war meine Mannschaft. Hinter ihnen her taumelte der Schiffer Steinkraus. Mich beachtete niemand. Dies lustige Leben schien die gewöhnliche Tagesarbeit aller zu sein. Wie mußten sie mit meinem Gute gewirtschaftet haben!

Ich wartete, bis sie sämtlich in die Schaluppe steigen wollten, um nach dem Schiffe überzusetzen. Dann klopfte ich dem Schiffer unversehens auf die Schulter und rief. »Willkommen in Amsterdam!« – Er blickte sich um und ward starr und blaß wie ein Bildsäule, als er mich endlich erkannte. Ich blieb höflich und gelassen, wie bitter mir's auch ankam, meinen gerechten Zorn zu verbeißen. Ehe ich gegen ihn losfuhr, mußte ich mir erst seine Gotenburger Havarierechnung vorlegen lassen, um zu wissen, ob und wie diese bei meinen Assecuradeurs zu rechtfertigen war. Sie hatten auf mein Schiff achttausend holländische Gulden gezeichnet. Jene Havarie aber betrug, soviel ich bis jetzt wußte, sogar noch etwas mehr als diese Summe.

Ich begleitete ihn nun an Bord, ließ die Ladung löschen und das Schiff bis auf den untersten Grund leer machen. Hier vermißte ich denn zunächst achtzig eichene Planken, die ich in Königsberg zum Auslegen des Schiffsbodens mitgegeben hatte. Der Schiffer gab die Auskunft, daß sie in Gotenburg mit der übrigen gelöschten Ladung an Land gekommen seien. Dort habe sie die Mannschaft ohne sein Wissen von Zeit zu Zeit heimlich beiseite gebracht und heimlich verkauft. Die Mannschaft hinwiederum behauptete, der Schiffer selbst habe die Planken verkauft.

Nicht besser stand es um einen Schiffsanker von achthundert Pfund, der mir auf meiner früheren Reise am Bollwerk zu Pillau im Sturme zerbrochen war. In Königsberg hatten die beiden Stücke nicht wieder zusammengeschmiedet werden können. Ich hatte sie denn Steinkraus mitgegeben, um dies in Amsterdam bewerkstelligen zu lassen. Auch dieser Anker war abhanden gekommen. Bei näherer Untersuchung ergab sichs, daß mein getreuer Stellvertreter das größere Stück davon und die Matrosen das kleinere an den Mann zu bringen gewußt und das Geld unter sich geteilt hatten.

Nunmehr sah ich auch die Gotenburger Papiere über die Havarie durch, und da standen mir wahrlich die Haare zu Berge. Sie befanden sich in der greulichsten Unordnung, als ob sie mit Vorbedacht verwirrt worden seien, um jede klare Einsicht unmöglich zu machen. Konnte ich meinen Assecuradeurs diese Rechnungen vorlegen? Sie würden sie ja von Anfang bis zu Ende für nichtig erklären. Den Schuft Steinkraus einsperren zu lassen, wie er's verdiente, war nicht ratsam. Dann würden jene Versicherer Betrug wittern und mich selbst in das böse Spiel verwickeln.

Allein, ich mußte den Burschen bei Tag und Nacht wie meinen Augapfel hüten, durfte ihn aber mein Mißtrauen nicht merken lassen. Nichtsdestoweniger entschlüpfte er mir zwei Tage später auf der Börse, wo es bekanntlich immer ein dichtes Getümmel gibt. Die Börsenzeit ging zu Ende: aber kein Steinkraus war zu sehen! Auch an Bord hatte er sich nicht begeben. Er war und blieb verschwunden.

Durch sein Entlaufen schien die Lage, die vorher schon kritisch gewesen, rettungslos für mich zu werden. Ich hatte meinen Assecuradeurs die Havarierechnung des Schiffers vorlegen müssen. Selbst wenn alles in bester Ordnung gewesen wäre, hätten sie guten Grund gehabt, den Kopf zu schütteln und sich zu besinnen, ob sie zur Zahlung einer so enormen Summe verpflichtet wären. Nach Steinkraus' Verschwinden wiesen sie jede Anforderung auf das bestimmteste zurück. Sie verlangten, daß ich ihnen vor allen Dingen den Schiffer zur Stelle schaffe, der die Havarie gemacht hätte. Er selbst müsse Rede und Antwort geben. Mit ihm und nicht mit mir hätten sie es zunächst zu tun.

Zufällig las ich in diesen Tagen nun in einem holländischen Zeitungsblatt eine Anzeige, in welcher stand, daß zu Schlinger-Want jenseits des Yssel ein ertrunkener Mann gefunden worden sei. Dessen Kleidung und nähere Kennzeichen waren zugleich angegeben. Der Prediger des Ortes, von welchem der Mann dort begraben worden war, forderte hier die etwaigen Angehörigen dieses Verunglückten auf, der Kirche die wenigen Begräbniskosten zu entrichten.

»Himmel!«, dachte ich bei mir selbst. »Wenn dieser Ertrunkene vielleicht der Steinkraus sein sollte!« – Tag und Zeit und manches von den angegebenen Merkmalen ließen es beinahe annehmen. Hatte ihn sein Gewissen zu einer Verzweiflungstat getrieben oder hatte er sich, um sich den Blicken aller Bekannten zu entziehen, unvorsichtigerweise aufs Wasser gewagt und dort seinen Untergang gefunden?

Immerhin schien mir sein Tod unter diesen Umständen ein Glücksfall; und wie gern glaubt man, was man wünscht! Ich war also bald überzeugt, daß hier von niemand anders als von meinem Schiffer die Rede sei.

Ließ sich nun auf diese Art erweisen, daß der Mann nicht mehr unter den Lebenden war, mit welchen meine Assecuradeurs einzig und allein ihren streitigen Handel ausmachen wollten, so mußten sie auch seine Rechnungen annehmen oder beweisen, daß es sich hier um einen Betrug handelte. Dies aber durfte ihnen schwer fallen, wenn nicht unmöglich sein.

Ich als Reeder war hingegen befugt, mich buchstäblich an meine Police zu halten und auf volle Entschädigung zu dringen. In der Form war dann das Recht auf meiner Seite, doch ob auch dem Wesen nach – darüber hatte ich einige Bedenken, die ich nicht sofort loswerden konnte. Daß der Steinkraus bei der Havarie mit Lug und Trug zu Werke gegangen sein müsse, war nicht klar zu beweisen, schien jedoch nur zu glaublich. Mein eigenes Gewissen war gleichwohl rein und frei.

Wir fuhren also sofort nach Schlinger-Want hinüber und suchten den Ortsprediger auf. Ich machte ihm nun meine Anzeige, daß jener ertrunkene Mann, nach den angegebenen und von mir noch näher bestimmten Kennzeichen, mein Schiffer gewesen sei. Ich käme in der Absicht, ihm die aufgewandten Begräbniskosten dankbar zu vergüten. Sie betrugen einundzwanzig Gulden und wurden freundlich angenommen. Ich bekam dafür eine Quittung in Form eines Totenscheines und ging nunmehr getrost meines Weges.

Aufgrund dieses Dokumentes ließen sich meine Versicherer zu neuer Verhandlung herbei. Nach einigem Hin- und Widerreden kam es denn auch endlich zu einem Vergleich. Ich ließ die Hälfte meiner Forderung nach und zeichnete viertausend Gulden Bodmerei auf mein Schiff; wogegen meine Herren Assecuradeurs die andere Hälfte an die Bodmerei-Geber in Gotenburg zahlen wollten.


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