Joachim Nettelbeck
Des Seefahrers Nettelbeck Lebensgeschichte
Joachim Nettelbeck

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Nachdem wir die Küsten von Dover und Calais aus den Augen verloren hatten, waren wir elf Tage lang von meist stürmischen Winden in der Nordsee umhergeworfen worden. Während der ganzen Zeit hatten wir weder Jütland, noch Norwegen oder sonst ein Land erblickt. Dennoch wagten wir uns um die gefährliche Spitze von Skagerrak ins Kattegat hinein. Es glückte, aber gerade hier überfiel uns nunmehr auch ein schrecklicher Sturm aus Norden, der so hart in unser dicht gerefftes Fock- und Vormarssegel blies, daß bald die Fetzen davonflogen.

Danach wollte sich unser Schiff nicht mehr vor dem Winde steuern lassen. Es sollte eine andre Focke untergeschlagen werden, allein das Schiff arbeitete und schlingerte in der brausenden, kochenden See so gewaltig, daß wir kaum die Augen aufmachen konnten. Das neue Focksegel ward zwar aus der Segelkammer hervorgezogen und an die Rahe geschlagen. Doch sobald die Stange in die Höhe ging, peitschte auch dieses Segel dergestalt um sich, daß es in den nächsten Augenblicken ebenfalls in Lappen davongeführt wurde. Ich schrie meinen Leuten, die oben in den Masten saßen, zu, die Fäuste wie brave Kerle zu rühren und das Segel unter die Rahe zu bringen. »Brandung leewärts!« ward in diesem Augenblick geschrien. Jetzt mußte sich unser Schicksal entscheiden! Da das Schiff dem Ruder nicht mehr folgte, war hier alle Steuerkunst vergebens. Wir wurden in unsern Untergang getrieben, und saßen nach wenigen Augenblicken auf einem Felsen fest. Sogleich auch stürzte die stürmende See über unser Schiff hinweg, daß der Schaum bis hoch an die Mastkörbe spritzte. Es wurde durch die gewaltigen Stöße am Boden durchlöchert und lief voll Wasser. So war denn an ein Abkommen von dieser Klippe und an Rettung des Schiffes gar nicht mehr zu denken.

Auf dem Verdeck konnten wir uns der überflutenden Brandung wegen nicht mehr halten. Wir waren alsogleich sämtlich auf die Masten geflüchtet. Ich machte meinen Unglücksgefährten klar, daß unser aller Heil darauf beruhte, die Schaluppe in unsre Gewalt zu bekommen. Die Rüstigsten sollten hinuntersteigen und die Taue zerschneiden, woran die Schaluppe auf dem Verdeck festgemacht sei. Dann müßten mehrere lange Taue an das Fahrzeug geknüpft werden, deren Enden wir oben im Mast sicher halten würden. So könnte uns die Schaluppe nicht von den Wellen entführt werden, wenn sie über Bord gespült würde.

Sofort kletterten auch drei wackre Kerle hinab und machten die Schaluppe los. Jeder von ihnen knüpfte ein Tau fest und brachte das Ende davon glücklich wieder zu uns in die Höhe.

Schließlich brach, wie wir längst befürchtet hatten, unser Schiff in der Mitte auseinander. Der Fockmast und der Großmast stürzten über Bord. Die acht Menschen, die auf dem Großmast gesessen hatten, konnten sich noch rechtzeitig in Sicherheit bringen. Sie kletterten zu uns. Und so war denn die volle Mannschaft hinten bei mir auf dem Besanmast beisammen.

Jetzt durften wir nicht länger mehr zaudern. Wir zogen die Schaluppe an den Tauen näher zu uns heran und holten die Spitze soweit in die Höhe, daß ein Teil Wasser nach hinten abfließen konnte. Dann stiegen wir der Reihe nach ein, schöpften sie mit unsern Hüten vollends aus und schnitten endlich die Taue durch, die uns noch am Wrack festhielten. Glücklich kamen wir aus dem Labyrinth voll brandender Klippen ins offene Wasser hinaus.

Oft zwar füllten ungestüme Schlagwellen unser Fahrzeug fast zum Sinken mit Wasser an, doch waren wir unermüdlich, es augenblicklich mit unsern Hüten wieder auszuschöpfen. So trieben wir wohin Wind und Wellen wollten. Bis wir endlich die Insel Anholt vor uns zu Gesichte bekamen und hier an der Ostspitze, unweit des Feuerturms, gegen ein Uhr nachmittags auf den Strand setzten.

Mein erstes war, mich in den trocknen Ufersand auf die Knie zu werfen und dem Barmherzigen droben für die wunderbare Erhaltung meines Lebens und meiner Gefährten zu danken. Dann aber stiegen allmählich freilich auch allerlei trübe Gedanken in mir auf. Mein schönes, gutes Schiff war verloren! Wäre mir ein Freund gestorben, sein Verlust hätte mir nicht näher gehen können.

Und wie vieles ging in dieser unglücklichen Nacht mit meinem Schiffe verloren! Zwar mein Reeder in Stettin war zu allen Zeiten ein zu umsichtiger Mann gewesen, um sich nicht auch gegen ein Ereignis dieser Art möglichst zu decken. Ich hatte das Schiff in seinem Auftrage, so oft ich aus einem Hafen abging, assekurieren lassen; so brachte ihm der Verlust keinen wesentlichen Schaden.

Anders lag die Sache bei mir. Dieser Schiffbruch hatte mein eigenes, eben wieder aufkeimendes Glück völlig zertrümmert. Mein Gehalt als Schiffer hatte ich allerdings stets bei meinem Patron stehen lassen; dies ging mir nicht verloren. Allein ein Schiffskapitän hat auf vollkommen rechtmäßige Weise noch so mancherlei Gelegenheit zu Nebenverdiensten. Alle diese kleinen Nebeneinnahmen hatte ich immer wieder in Waren angelegt. Nach und nach kam eine ganze Menge zusammen. So hatte ich diesmal beinah für elftausend holländische Gulden eigene Waren an Bord gehabt. Alles dies war nun mit dem Schiffe verloren gegangen.

Als wir uns nach einer Weile etwas genauer umsahen, erblickten wir auf der Landspitze neben dem Feuerturm ein einzelnes Haus. Wir schritten darauf zu und fanden darin den Feuerinspektor, seine Frau und zwei zur Unterhaltung des Feuers erforderliche Knechte. Erschöpft von den Anstrengungen und niedergedrückt von Kummer und Sorge, sank ich gleich nach der ersten Begrüßung auf das Bett und verfiel in ein halbwaches Brüten.

Nachdem wir uns hier bei unsern freundlichen Gastgebern von unsern schweren Mühseligkeiten erholt hatten, war es hohe Zeit, weiterzumarschieren. Auf dem östlichen Teil der Insel, wo sie am breitesten ist, lag das einzige hier vorhandene Fischerdörfchen, dem ein Schulze vorstand. Er stellte uns dann auch ein Fahrzeug mit ausreichendem Proviant zur Verfügung, mit dem wir am 18. Mai Helsingör erreichten.

Um die Zahlung der Assekuranz zu sichern, schrieb ich hier vor Gericht sofort eine eidliche Erklärung über den Hergang unseres Unglücks nieder. Meine Leute empfingen ihre Löhnung, die ihnen nach den Seerechten gebührt. Da wir aus verschiedenen Nationen stammten, gingen wir nach allen Himmelsrichtungen auseinander.

Nun fuhr ich baldmöglichst nach Stettin, um meinem Patron die unangenehme Nachricht von dem Verluste seines Schiffes zu überbringen und ihm über alles Rede und Antwort zu stehen. Wir rechneten darauf miteinander ab. Ich empfing von ihm meine rückständigen Gelder und begab mich nach Kolberg. Es wurden mir dort verschiedene Schiffe angeboten. Allein die ersten Jahre nach dem amerikanischen Kriege waren für Handel und Schiffahrt so ungünstig, daß unsereiner bei seinem Handwerk weder Ehre einlegen, noch seinen Vorteil finden konnte. So gab ich denn lieber den Seemannsberuf auf und war darauf bedacht, in meiner lieben Vaterstadt einen ruhigen und bürgerlichen Erwerb mit Bierbrauen und Branntweinbrennen zu finden, wie es mein Vater seither getrieben hatte. So mag denn hier auch die Geschichte meiner Seereisen und Abenteuer schließen.


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