Joachim Nettelbeck
Des Seefahrers Nettelbeck Lebensgeschichte
Joachim Nettelbeck

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Es traf sich sehr gelegen, daß an diesem lebendigen Handelsplatze bei eben wieder eröffneter Schiffahrt Mangel an unterrichteten Seemännern war, die als Steuerleute gebraucht werden konnten. Es währte daher kaum zwei, drei Tage, und wir waren auch schon samt und sonders untergebracht. Ich selbst fand einen Platz als Steuermann auf einer kleinen Jacht von fünfzig Lasten und fünf Mann Besatzung. Mein Schiffer hieß Berend Jantzen. Sein Schiff war mit einer Ladung Hanf nach Irwin in West-Schottland bestimmt, sollte aber, um die französische Kaper zu vermeiden, oben herum durch die Nordsee und die Orkneys steuern.

Wir gingen unter Segel. Doch schon im Sunde hatten wir Unglück. Das eiserne Band eines Wasserfasses schlug beim Zerspringen dem Schiffer von hinten gegen die Wade und schleuderte dadurch das Bein so heftig gegen eine scharfe Holzecke, daß wir ihn in die Kajüte tragen mußten. Er hatte durch diesen Schaden mehrere Monate lang das Bett zu hüten. Da auch einer unserer Matrosen, an welchem sich bald ein venerisches Übel offenbarte, nicht auf Deck zu brauchen war und unser Schiffsjunge bei dem geringsten Sturmwetter mit Seekrankheit zu tun hatte, mußten ich und der zweite Matrose das Schiff allein führen. Ich gestehe, daß mir bei der Sache nicht ganz wohl war.

Die Schiffahrt zwischen Schottland, der Insel Lewis und den übrigen zahlreichen Hebriden gehört in der Tat zu den gefährlichsten. Nicht nur das enge Fahrwasser zwischen den Inseln und den vielen Klippen macht sie so schwierig, sondern auch hauptsächlich die starken Strömungen, die das Wasser überall brandend aufschäumen lassen. Es sieht aus, als ob alles rings umher dicht mit Klippen besät wäre. Noch schlimmer aber ist es, daß die holländischen Seekarten, deren wir uns damals allein bedienen konnten, hier durchaus unzuverlässig sind und jeden Augenblick irre führen. Auch ich verlor den Kurs. So darf man sich denn nicht wundern, daß ich hier bald nicht mehr aus und ein wußte.

In dieser Bedrängnis kam uns ein englisches Schiff zu Gesicht, von welchem ich richtigen Bescheid zu erlangen hoffte. Ich richtete also die Segel nach jener Seite hin und steckte zugleich die preußische Flagge auf. Sie ist bekanntlich weiß und führt in der Mitte den schwarzen Adler. Aber auch die französische Flagge ist von weißer Farbe. Da sich nun bei dem mäßigen Winde unsere Flagge zu wenig entfaltete, um den Adler statt der Lilien erkennen zu lassen, so ward ich von dem Engländer für einen französischen Kaper angesehen. Er setzte soviel Segel auf, als sein Schiff nur tragen konnte, um mir zu entgehen. Ich tat dasselbe, um Jagd auf ihn zu machen. So verursachten wir uns beiderseits Not und Mühe, bis am Nachmittag der Wind völlig erstarb, als ich nur noch eine kleine Viertelmeile von dem Flüchtling entfernt war.

Ich setzte nunmehr die Jolle aus und ließ mich von dem Matrosen und dem Schiffsjungen zu dem anderen Schiff rudern. Als Vorwand meines Besuches sollte die kleine Notlüge dienen, daß unser Trinkwasser ausgegangen sei. Wir kamen dem Schiffe auch glücklich zur Seite. Zu unserer Verwunderung fanden wir alles zum Gefechte bereit.

Meine Bitte um frisches Wasser schien unverdächtig. In der Zeit, da das Wasser gezapft und in mein Faß gefüllt wurde, fragte ich ganz unbefangen nach dem Namen dieses und jenes Landes, das uns eben vor Gesicht lag. Ich erfuhr dann auch, daß dort hinaus Kap Cantrie, hierwärts aber die Insel Lamlach läge. Zu meiner großen Beruhigung war ich nun wieder orientiert, ohne mir die Blöße gegeben zu haben, meine Unwissenheit einzugestehen.

Irwin, unser Bestimmungsort, liegt im Grunde einer tiefen, runden Bucht. Als wir ihre Höhe erreichten, blies ein Sturm aus Nordwest gerade darauf zu. Da sie mir durchaus unbekannt war und, soviel ich wußte, schlechten Ankergrund hatte, wäre es verwegen gewesen, sich bei diesem Winde und Wetter hinein zu wagen. Ich steuerte also gegen die Insel Arron, um dort vielleicht einen Lotsen zu finden. Doch zwei Tage kreuzte ich vergebens umher. Infolge meiner weißen Flagge floh alles auf der See vor mir und vom Lande wagte sich niemand zu mir heran. Ich wurde eben für einen Franzosen gehalten. Zuletzt gelang es mir denn, einen Lotsen zu finden, der mich nach Irwin brachte.

Nachdem auch unser Schiffer wieder auf die Beine gekommen war, gingen wir von hier mit Ballast und unter neutraler Flagge nach der Insel Noirmoutier an der westlichen Küste Frankreichs. Dort nahmen wir eine Ladung Seesalz ein und machten uns dann nach Königsberg auf den Heimweg. Leider gerieten wir im Kanal in der Nähe von Dover nach und nach mit sieben englischen Kapern zusammen. Alle diese Schnapphähne – Kerle mit wahren Galgengesichtern – stiegen zu uns an Bord und nahmen alles, was sie brauchen konnten. Kessel und Pfannen, Tauwerk und Segel, Seekarten und Kompaß mußten mit ihnen wandern. Was der eine uns ließ, das nahm der andere. Ja, endlich zogen sie uns sogar die Kleider vom Leibe.

Wir hatten, gegenüber von Dover, beilegen müssen, als mir bei dem letzten unerwünschten Besuche dieser Art ein besonders zudringlicher Taugenichts die langen Schifferhosen von den Beinen streifte. Das hätte ich verschmerzen können, aber bei der Gelegenheit fiel ihm auch ein Notpfennig von etwa dreizehn Rubeln in die Augen. Ich hatte sie ins Hemd genäht, da ich sie dort für sicher hielt. Kaum aber hörte er das Klappern des Silbers, als er gierig zugriff und mir den Hemdzipfel mit seinem Schiffsmesser vom Leibe hieb. Darauf zählte er seine Beute und trieb die britische Großmut so weit, mir davon einen Rubel zurückzugeben.

Ich aber war über diese Behandlung dermaßen erbittert, daß ich augenblicklich das Ruder aufholte, die Segel abbraßte und, da der Wind südlich stand, nach dem Lande zuhielt. »Was soll das bedeuten? Wo hinaus?« fragten die Kerle, die dicht bei mir standen. – »Wo hinaus?« antwortete ich, von Wut überwältigt. »Geraden Wegs nach Dover, wo ihr Schelmengezüchte noch heut am lichten Galgen baumeln sollt!« – Flugs kam auf diese Drohung das ganze Pack aus den unteren Schiffsräumen, wohin sie sich zum Raube begeben hatten. Im dichten Kreise stellten sie sich um mich. Soviel Hände, soviel Pistolen wurden mir auch an den Kopf gehalten. Ihre Messer saßen an meiner Brust. Doch schoß oder stach niemand. Sie rissen mich an den Haaren aufs Deck nieder. Einige hielten mich an Kopf und Füßen fest, andere schlugen mit den flachen Klingen auf mich drein, daß mir Hören und Sehen verging. Endlich hatten sie sich ausgetobt, es gab nur noch ein paar Fußtritte. Und einer, der mir nun auch die Stiefel von den Füßen zog, schlug mir zum Abschluß damit noch um die Ohren. Dann zog er sie sich an und ging mit seinen feinen Gesellen an Bord ihres Kaperschiffes zurück.

Mein Zustand war so jämmerlich, daß man mich für halbtot in meine Koje trug. Nicht genug, daß ich das Schiff nicht mehr führen konnte, kam auch noch in der nächsten Nacht ein mächtiger Sturm auf. Die übrige Mannschaft fühlte sich zu schwach, die Segel einzunehmen. Demzufolge brach auch bald der große Mast und ging mit seiner ganzen Takelage über Bord. Nun trieb das Wrack auf der See und hätte wahrscheinlich auch seinen Untergang gefunden, wenn nicht tags darauf eine holländische Fischer-Schute in unsere Nähe gekommen und bereit gewesen wäre, unser Schiff nach dem Texel und von dort nach Medemblyk zu schleppen. Hier fand sich Gelegenheit, es wieder zu vermasten und in segelfertigen Stand zu setzen.

Als es zugerüstet war, fühlte ich mich noch zu krank und elend, um wieder mit an Bord zu gehen. Ich mußte also in Medemblyk zurückbleiben und begab mich dort zu einem Kompaßmacher, dem ich seine Kunst gründlich ablernte. Dies ist mir später von großem Nutzen gewesen. Zugleich schrieb ich in meine Heimat, und bald forderte mich mein Vater auch auf, ungesäumt nach Kolberg zurückzukommen. Die Gefahr, zum Soldaten ausgehoben zu werden, sei jetzt nicht zu fürchten. Er wisse sich als Bürger-Adjutant dem Festungskommandanten von Heyden besonders geneigt, und es gebe mehr als eine Weise, dem Vaterlande rechtschaffen zu dienen. Überdem stehe der Festung wahrscheinlich binnen kurzem die Belagerung durch die Russen bevor. Es sei also das beste, ich käme nach Hause, um mit meinen Eltern zu leben und zu sterben. Folge ich aber nicht, so möchte ich fernerhin nimmer wagen, mich seinen Sohn zu nennen.

Es blieb mir also nichts anderes übrig, als mich unverzüglich zu Schiff nach Hamburg zu begeben.

Drei oder vier Wochen danach begann die erste von dem russischen General Palmbach geleitete Belagerung meiner Vaterstadt. Obgleich diese Belagerung ernstlich genug gemeint und mit überlegener Kraft begonnen, blieb sie dennoch durch die Entschlossenheit unseres Anführers und seine geschickten Gegenmaßnahmen fruchtlos. Die Russen mußten, nachdem sie eine Menge Pulver unnütz verschossen hatten, nach einigen Wochen wieder abziehen. Sobald aber Kolberg wieder frei geworden, war dort meines Bleibens nicht länger. Ich machte eine Fahrt nach Amsterdam und traf hier meinen alten wertgehaltenen Kapitän Joachim Blank, den ich vor drei Jahren ungern verlassen hatte. Kapitän Blank hatte gerade eine neue Reise nach Surinam vor. Es bedurfte keines langen Zuredens, um auf seinem Schiffe meine alte Stelle als Steuermann anzunehmen. Bei anhaltend günstigem Wetter erreichten wir binnen kurzem die östlichen Passat-Winde und legten die gesamte Fahrt vom Texel bis in den Fluß von Surinam – eine Strecke von zweitausendzweihundert Meilen – in der ungewöhnlich kurzen Zeit von achtundzwanzig Tagen zurück.

Meine Tätigkeit an unserem Bestimmungsort war die gleiche wie die, von der ich schon früher erzählt habe. Ich befuhr beide Ströme in der Kolonie, versah die Plantagen mit den Waren unserer Ladung und brachte von dort Zucker und Kaffee zurück. Ich machte dadurch die Bekanntschaft einer Menge von Plantagen-Direktoren, die großenteils meine näheren oder entfernteren Landsleute waren und mir sämtlich viel Liebe und Güte erwiesen. Ihrer unbegrenzten Gastfreundlichkeit danke ich die vergnügtesten Tage meines Lebens.

Am 1. Dezember 1759 erreichten wir wieder Amsterdam. Unsere Fahrt hatte diesmal ein rundes Jahr gewährt. Von unserer Bemannung, die vierundvierzig Köpfe betrug, hatten wir neun Menschen durch den Tod verloren.


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