Joachim Nettelbeck
Des Seefahrers Nettelbeck Lebensgeschichte
Joachim Nettelbeck

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Im folgenden Jahre erhielt ich vom Kaufmann Höpner zu Rügenwalde eine schriftliche Aufforderung, eines seiner Schiffe unter meine Führung zu nehmen. Ich schlug ein und machte dann für seine Rechnung eine Reihe glücklicher Fahrten nach Danzig, Nantes und Croisic. Von dort war ich wiederum nach Memel bestimmt. Wegen der späten Jahreszeit konnte ich aber diesen Hafen nicht mehr erreichen. Ich sah mich genötigt, in Pillau einzulaufen und dort zu überwintern.

In dieser Zeit schrieb mir der Kommerzienrat B. zu Kolberg wiederholt, ich sollte in seinem Auftrage nach England gehen, für ihn ein Schiff kaufen und damit für seine Rechnung fahren. Diese Spekulation schien nicht übel ersonnen. In dem damaligen Krieg Englands mit seinen nordamerikanischen Kolonien hatte es nämlich auch bereits mit Frankreich und Spanien gebrochen und seine Kaper hatten sich nach und nach vieler feindlicher Schiffe bemächtigt. Alle britischen Häfen waren damit angefüllt, und sie wurden als gute Prisen erklärt. Es war demnach zu erwarten, daß sie spottbillig losgeschlagen werden würden. Ich trug also kein Bedenken, mich auf den Vorschlag einzulassen. Ich forderte nur, Herr B. solle mir für dies Geschäft eine genaue Instruktion erteilen und bei seinen Korrespondenten in London den nötigen Kredit bereitstellen lassen. Er verwies mich an das Londoner Handelshaus Schmidt und Weinholdt, bei welchen ich auch bei meiner Ankunft die verlangte Instruktion vorfinden würde.

Gleich darauf ging ich als Passagier nach London und meldete mich sofort bei den dortigen Korrespondenten meines neuen Prinzipals. Aus deren Händen empfing ich dann auch die Instruktion, wie ich bei meinem Einkauf verfahren sollte.

Nur die wunderlichste Laune konnte dem Manne alle die tausend Bedingungen eingegeben haben, von denen ich kein Haar breit abweichen sollte. Das Schiff, das ich erstände, sollte von hundertfünfzig Lasten sein, nicht größer und nicht kleiner; es durfte nicht älter als zwei, höchstens drei Jahre alt sein; es mußte eine Bauart haben, daß es mindestens mit der halben Last zum Kolberger Hafen hereinkommen könnte; ja sogar ein vollständiges Inventarium war vorgeschrieben, das man bei dem Schiffe zu finden erwartete. Vor allem aber durfte es nicht mehr als vierhundert Pfund Sterling kosten! Wahrlich, ich hätte Tausende zur Verfügung haben können, ohne einen solchen Phönix von Schiff zu finden. Selbst die Herren Schmidt und Weinholdt, an die ich gewiesen worden war, lachten über dies unsinnige Begehren.

Da ich es nun aber einmal angenommen hatte, wollte ich auch meine Schuldigkeit tun. So reiste ich denn in ganz England mit der Post umher, nach allen Häfen, wo nur Prisen aufgebracht worden waren. Ich ging nach Hull, nach Newcastle, nach Leeds, nach Liverpool, nach Bristol, Plymouth, nach Portsmouth, nach Dover – aber ebensogut hätte ich auch zu Hause bleiben können. Endlich stieß ich in London selbst auf ein Schiff, das mir in jeder Weise gefiel und das ich, wenn ihm auch manches mangelte, auf meine eigne Verantwortung kaufen wollte.

Als ich nun bei den Herren Schmidt und Weinholdt den ausgemachten Kredit in Anspruch nehmen wollte, erhielt ich die Antwort: »Lieber Nettelbeck, um Ihnen klaren Wein einzuschenken, müssen wir Ihnen gerade heraus sagen, daß wir auf B.s Order auch nicht ein Pfund zu zahlen gesonnen sind. Wollen Sie aber das Schiff für sich allein und auf Ihren Namen erstehen und uns die Korrespondenz und Assekuranz darauf überlassen, so zeichnen wir für Sie, soviel Sie verlangen. Nur mit B. wollen wir nichts zu tun haben.«

Meine Antwort ist leicht zu erraten. »Ich bin vor Zeiten Herr eines eignen Schiffes gewesen«, sagte ich, »habe aber so ausgesuchtes Unglück damit gehabt, daß ich mirs heilig gelobt, mich nie wieder mit dergleichen zu befassen. Es taugt auch für keinen Schiffer, sein eigner Reeder zu sein, wenn er gleichwohl die Korrespondenz und was dazu gehört, einem Fremden überlassen muß. – Nur, meine Herren, warum haben Sie mir von dem Mißkredit, in welchem mein Prinzipal bei Ihnen steht, nicht früher einen Wink gegeben? Wieviel Zeit, Mühe und Kosten wären da gespart worden!«

Sie gestanden mir nun, sie hätten nimmer geglaubt, daß ich ein Schiff, wie mir vorgeschrieben, auftreiben würde. Sie hätten es darum lieber darauf ankommen lassen. Ich mußte mich mit dieser Antwort zufrieden geben, eröffnete ihnen aber gleich des nächsten Tages, daß ich nach Stettin und von dort nach Kolberg fahren werde, um dem Kommerzienrat Bericht zu erstatten.

»Nach Stettin?« ward ich gefragt. »Das trifft sich wie gerufen. Wir haben ein Anliegen an Sie, lieber Nettelbeck, das Sie uns nicht abschlagen können. Da ist in Stettin der Kaufmann Groß, mit dem wir in Assekuranzangelegenheiten wegen Schiffer Lickfeld verwickelt sind. Schon seit Jahr und Tag scharmützeln wir in Briefen hin und her und können zu keiner Einigung kommen. Wir sind des Handelns nachgerade herzlich überdrüssig. Übernehmen Sie es doch, mit ihm zu reden und in unserm Namen den Zwist so gut als möglich auszugleichen. Machen Sie es mit ihm ab, so gut Sie wissen und können. Wir verlassen uns vollkommen auf Sie!«

»Gut und aller Ehren wert, was Sie mir anvertrauen und von mir erwarten!« erwiderte ich. »Aber kennen Sie den Mann auch? Dieser Groß, meine Herren, ist ein ganz absonderlicher Patron und fängt gar leicht Feuer unter der runden Perücke. Ich entsinne mich seiner gar wohl. Anno 1764 fuhr er noch selbst als Schiffer und lag einen Winter bei uns in Königsberg mit seinem Schiffe. Damals hatte er mit allen Leuten Krakeel und Prozesse. Hat er sich seitdem nicht geändert, so möchte ich lieber ein Kreuz vor ihm schlagen, als mir mit ihm zu schaffen machen.«

Man drang jedoch so anhaltend in mich, daß ich mir endlich die bisher geführten Verhandlungen vorlegen ließ. Da die Sache festen Grund hatte, einigte ich mich mit den Herren. Ich erhielt genügend Vollmacht und machte mich nach Stettin auf den Weg. Mein erstes war es, Herrn Groß aufzusuchen, um den Strauß mit ihm auszufechten.

Der Mann empfing mich mit Herzlichkeit, machte allerdings große Augen, als ich ihm meine Beglaubigung vorlegte. »Hört, Nettelbeck«, sagte er. »nun heiß ich Euch doppelt von Herzen willkommen! Trügt mich nicht alles, so seid Ihr mein guter Engel, der mir endlich die Sorge nehmen wird. Topp! Was ein ehrlicher Mann tun und leisten kann, dazu biet' ich freudig die Hand. Morgen machen wir die Sache ab. Heute aber kein Wort mehr davon, damit wir dies gute Glas Wein nicht verderben.«

So geschah es denn auch am nächsten Tag. Wie erstaunte ich, daß der Mann Vernunft annahm und Gründe gelten ließ. Eine Schwierigkeit nach der anderen verschwand, und in weniger als drei Stunden war eine Vereinbarung getroffen, wie sie das Londoner Haus nimmer erwartet hatte. Die Herren Schmidt und Weinholdt freuten sich denn auch und vergalten mir den ihnen erwiesenen Dienst sehr angemessen.

Noch vergnügter und zufriedener aber war Herr Groß, der mir von Stund an ein sichtbares Wohlwollen zuwandte. »Aber wo wollt Ihr nun hin?« fragte er mich, als ich kam, um ihm meinen Abschiedsbesuch zu machen. – »Nach Kolberg«, gab ich zur Antwort. »Was es dann weiter gibt, wird die Zeit lehren.« – »Hört, lieber Nettelbeck«, fiel er mir ein. »Einen Mann von Eurem Schlag, den hätte ich mir schon längst auf mein bestes Schiff gewünscht. Da! Die Hand eines ehrlichen Mannes, schlagt ein! Nehmt das Schiff, das ich hier auf Stapel stehen habe!«

Was soll ich leugnen, daß dieser Antrag meiner Eigenliebe schmeichelte. Ich nahm an, und wir setzten einen auch für mich sehr vorteilhaften Kontrakt auf.

Nunmehr ging ich auf einige Tage nach Kolberg, um mit B. abzurechnen. Mitte Juni war ich wieder in Stettin, wo ich beim Ausbau meines neuen Schiffes eifrig half. Dennoch konnte es erst im Oktober vom Stapel laufen. Ich hatte eine Fracht Balken und Stabholz abgeschlossen, die ich unverzüglich nach Bordeaux führen sollte. Den kleineren Teil der Fracht nahm ich sofort ein. Mitte November ging ich dann auf die Swinemünder Reede, um den Rest der Ladung zu empfangen.

Dies war in der schon weit vorgerückten Jahreszeit ein äußerst mühseliges und langwieriges Geschäft. Der Hafen war bereits mit Eis bedeckt, und jede Bootsladung Stabholz mußte sich erst vom Weststrand einen Weg durch das Eis nach dem Schiffe bahnen. Vier Wochen vergingen bei dieser Arbeit. Mit dem letzten Boot ging auch ich an Bord, um nun in See zu stechen. Um das Schiff war schon alles mit schwimmenden Eisschollen bedeckt; jeden Augenblick war ein völliges Einfrieren zu befürchten.

Neben mir auf der Reede lag ein Fregattschiff, welches gleichfalls erst in diesem Sommer in Stettin für schwedische Rechnung erbaut worden und nach Gothenburg bestimmt war. Es machte sich gerade fertig, seinen Anker aufzuwinden und die Reede zu verlassen. Wir selbst hatten noch die letzte Bootsladung Stabholz zu verstauen, bevor wir die Ankerwinde bedienen konnten. Gerne wäre ich wenigstens bis zum Sunde in Gesellschaft des Schweden geblieben, um nötigenfalls leichter Hilfe zu leisten und zu empfangen. Ich forderte deshalb den Kapitän des Schwedenschiffes auf, noch eine kleine Stunde auf mich zu waren. Das wollte er aber nicht. Er lichtete seine Anker vollends und fuhr ab.

Kaum hatte er sich eine Meile westwärts entfernt, als ich gleichfalls unter Segel ging. Es gab einen starken fliegenden Sturm, der uns zwar mächtig vorwärts brachte, aber auch die Luft mit dickem Schneegestöber erfüllte. Ich verlor den Schweden bald aus dem Gesichte. Dies Wetter hielt bis zum andern Morgen um neun Uhr an. Wir kamen dicht an das Land von Stevens. Zu unsrer nicht geringen Verwunderung sahen wir das Schwedenschiff auf dem Strande liegen. Die Sturzwellen rollten unaufhörlich drüber her, die Mannschaft hing kümmerlich in den Masten.

Ich selbst hatte alle Not und Mühe, einem gleichen Schicksal zu entgehen und über die Landspitze von Stevens hinauszukommen. Endlich gelang es. Ich erreichte die Kiögerbucht, sah mich aber genötigt, vor stehenden Segeln zu ankern. Am nächsten Morgen schlug der Wind nach Süden um. Ich steckte eine Notflagge auf, um Hilfe vom Land zu erhalten. Mit meinen Leuten allein konnte ich nicht fertig werden. Glücklicherweise eilten auf dies Zeichen zwei Boote mit fünfzehn Mann von Dragoe herbei. Mit ihrer Hilfe erreichte ich glücklich die Reede von Kopenhagen. Während ich mein Schiff wieder instand setzte, langte auch die Mannschaft des schwedischen Schiffes an. Das Schiff selbst war gänzlich verloren gegangen.

In Bordeaux glücklich angelangt, bekam ich eine Fracht von Wein und Zucker, die für Hamburg bestimmt war.


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