Joachim Nettelbeck
Des Seefahrers Nettelbeck Lebensgeschichte
Joachim Nettelbeck

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Anfang Oktober endlich verließen wir die afrikanische Küste, um unsrer Bestimmung zufolge den Markt von Surinam aufzusuchen. Zur Beschleunigung der Fahrt wandten wir uns erst südlich, um die gewöhnlichen südöstlichen Passatwinde zu gewinnen. Die Krankheit und die Sterblichkeit, welche unter den Sklaven bei zu langer Dauer der Überfahrt nur zu gewöhnlich einzureißen pflegen, machen eine Abkürzung der Reise wünschenswert. Unsre Ladung bestand aus zweihundertsechsunddreißig Männern und hundertneunundachtzig Frauen, Mädchen und Jungen.

Daß diese Unglücklichen den Tag über in zwei Behältnissen vorn im Schiffe zubringen, habe ich schon erzählt. Vor der Plankenwand, die diese Behältnisse trennt, stehen zwei Kanonen mit der Mündung gegen die Abteilung der Männer gerichtet. Gleich am Anfang werden sie im Beisein der Sklaven mit Kugeln und Kartätschen geladen. Man macht ihnen auch die mörderische Wirkung der Schüsse durch Abfeuern auf einige nahe und entfernte Gegenstände begreiflich. Heimlich aber werden nachher die Kugeln und Kartätschen wieder herausgezogen und die Stücke statt dessen mit Grütze geladen, damit es im schlimmsten Falle nicht gleich das Leben gelte. Denn – die Kerle haben ja Geld gekostet!

Die Weiber und die Unmündigen haben bei Tage ihren Aufenthalt hinter der Wand auf dem halben Deck. Allen ohne Ausnahme wird des Morgens, etwa um zehn Uhr, das Essen gereicht. Je zehn empfangen einen hölzernen Eimer voll Gerstengraupen. Die Stelle, wohin sich jede solche Tischgemeinschaft setzen muß, ist durch einen eingeschlagenen großköpfigen Nagel genau bezeichnet. Alles sitzt um das Gefäß mit Grütze, welche mit Salz, Pfeffer und etwas Palmöl durchgerührt ist. Doch keiner langt früher zu, als bis durch den lauten Schlag auf ein Brett das Zeichen gegeben worden ist. Bei jedem Schlage wird gerufen: »Schuckla! Schuckla! Schuckla!« Den dritten Ruf erwidern sie alle durch ein gellendes »Hurra!«. – Und nun holt sich der erste seine Handvoll aus dem Eimer, dem der zweite, dritte und so fort in gemessener Ordnung folgen.

Ist der Eimer leer, so wird er mit Seewasser gefüllt, damit sie sich Mund, Brust und Hände abwaschen. Zum Abtrocknen gibt man ihnen ein Ende aufgetriebenes Tau. Danach ziehen sie paarweise zu der Süßwassertonne, wo ein Matrose jedem ein Gemäß, etwa ein halb Quart enthaltend, reicht, um ihren Durst zu stillen.

Nach der Mahlzeit und nachdem das Verdeck mit Seewasser angefeuchtet worden ist, kauert sich das ganze Völkchen reihenweise und dicht nebeneinander nieder. Jeder bekommt einen holländischen Ziegelstein in die Hand, womit sie das Verdeck nach dem Takt und von vorn nach hinten scheuern. Unaufhörlich wird ihnen dabei Seewasser über die Köpfe und auf das Verdeck gegossen. Diese etwas anstrengende Übung währt gegen zwei Stunden und hat bloß den Zweck, sie zu beschäftigen, ihnen Bewegung zu verschaffen und sie desto gesünder zu erhalten.

Darauf müssen sie sich in dichte Haufen zusammenstellen, und noch dichtere Wassergüsse strömen auf sie herab, um sie zu erfrischen und abzukühlen. Dies ist ihnen eine wahre Lust. Sie jauchzen dabei vor Freude. In der brennendschwülen Sonnenhitze, der sie ohne alle Bedeckung den ganzen Tag ausgesetzt sind, muß es ihnen auch wirklich für eine wahre Erquickung gelten. Noch mehr aber freuen sie sich, wenn danach einige Eimer, halb mit frischem Wasser angefüllt und mit Zitronensaft, Branntwein und Palmöl durchgerührt, aufs Verdeck gesetzt werden. Mit diesem Gemisch waschen sie sich den ganzen Leib und reiben ihn ein, weil sonst das scharf gesalzene Seewasser die Haut zu hart angreifen würde.

Für die männlichen Sklaven sind ein paar besonders lustige und pfiffige Matrosen ausgewählt, welche für ihren Zeitvertreib zu sorgen und sie durch allerlei Spiele zu unterhalten haben. Dabei werden auch Tabakblätter an sie verteilt, welche in lauter kleine Fetzen zerrissen als Spielmarken dienen und ihre Gewinnsucht mächtig reizen. Aus gleichen Gründen erhalten die Weiber allerlei Korallen, Nadeln, Zwirnfäden, Bandenden und bunte Läppchen. Und auch hier wird alles aufgeboten, um sie zu zerstreuen und keine schwermütigen Gedanken in ihnen aufkommen zu lassen.

Spiel, Possen und Gelärm währen bis um drei Uhr nachmittags fort, wo eine zweite Mahlzeit eingenommen wird. Diesmal gibt es große Saubohnen, welche zu einem dicken Brei gedrückt und gleichfalls mit Salz, Pfeffer und Palmöl gewürzt sind. Die Art der Abspeisung, des Waschens, des Trinkens und Abräumens bleibt die nämliche. Nur wird mit allem noch mehr geeilt, weil unmittelbar darauf die Trommel zum lustigen Tanze gerührt wird. Alles ist dann wie elektrisiert. Das Entzücken spricht aus jedem Blicke; der ganze Körper gerät in Bewegung, und Verrenkungen, Sprünge und Posituren kommen zum Vorschein, daß man ein losgelassenes Tollhaus vor sich zu sehen glaubt. Die Weiber und Mädchen sind indes am versessensten auf dieses Vergnügen. Um die Lust noch zu mehren, springen mitunter selbst der Kapitän, die Steuerleute und die Matrosen mit den leidlichsten von ihnen herum – sei es auch nur, damit die schwarze Ware desto frischer und munterer an ihren Bestimmungsort gelangt.

Gegen fünf Uhr geht der Ball endlich aus. Wer sich dabei am meisten angestrengt hat, empfängt wohl noch einen Trunk Wasser zu seiner Labung. Wenn sich dann die Sonne zum Untergang neigt, heißt es: Macht euch fertig zum Schlafen unter Deck!« – Dann sondert sich alles nach Geschlecht und Alter in die ihnen unter dem Verdeck angewiesenen Räume. Voran gehen zwei Matrosen, und hintendrein ein Steuermann. Sie haben acht, daß die nötige Ordnung genau beobachtet werde. Der Raum ist nämlich dermaßen eng zugemessen, daß sie schier wie die Heringe zusammengeschichtet liegen. Damit die Hitze dort unten nicht bis zum Ersticken steigt, sind die Luken mit Gitterwerk versehen, um frische Luft zur Abkühlung zuzulassen.

Eine Leiter führt zu einer Öffnung in diesem Gitter, die gerade nur weit genug ist, daß zwei Menschen passieren können. Ein Matrose hält mit blankem Haumesser die ganze Nacht die Wache. Er läßt immer nur paarweise aus und ein, was durch irgendein Bedürfnis hervorgetrieben wird. Da jedoch die Rückkehrenden ihre Schlafstelle selten so geräumig wiederfinden, als sie sie verlassen haben, so nehmen Lärm und Gezänke die ganze Nacht kein Ende. Noch unruhiger geht es begreiflicherweise bei den Weibern und Kindern zu. Gewöhnlich muß zuletzt noch die Peitsche den Frieden wieder herstellen.

Aus Gründen, auf die hier nicht näher einzugehen ist, werden meistenteils sechs bis acht junge Negerinnen von hübscher Figur zur Aufwartung in der Kajüte ausgewählt. Sie erhalten ihre Schlafstelle in ihrer Nähe. Begünstigt vor ihren Schwestern sammeln sie allerlei Geschenke an Kattunschürzchen, Bändern, Korallen und Kleinkram, womit sie sich wie die Affen putzen. Der Matrosenwitz gibt ihnen den Ehrennamen »Hofdamen« und hat für die einzelnen noch diese oder jene spaßhafte Benennung. Bei Tage aber mischen sie sich gerne unter ihre Gefährtinnen auf dem Deck. Man kann dann beobachten, wie jede sofort einen bewundernden Kreis um sich versammelt, in dessen Mitte sie stolziert und sich den Hof machen läßt.

Bekanntlich kommen alle diese unglücklichen Geschöpfe beiderlei Geschlechts splitternackt an Bord. Wie sehr nun auch sonst der Anstand auf diesen Sklavenschiffen verletzt werden mag, so gebietet er doch ihre notdürftige Bedeckung. Die Weiber und Mädchen empfangen daher einen baumwollenen Schurz, der bis an die Knie reicht. Die Männer erhalten einen Leinwandgurt, der eine Elle lang und acht Zoll breit ist und den sie zwischen den Beinen durchziehen und hinten und vorne an einer Schnur um den Leib befestigen.


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