Joachim Nettelbeck
Des Seefahrers Nettelbeck Lebensgeschichte
Joachim Nettelbeck

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Jetzt mitten im Winter war dort eine vorteilhafte Fracht nicht wieder zu finden. Nach Süden, ins Mittelländische Meer, durfte ich mich nicht wagen, da ich keine Türkenpässe hatte; und in der Nord- und Ostsee hatte der Frost die Schiffahrt unmöglich gemacht. Ich mußte also bis in den Monat März die Hände in den Schoß legen. Da mir auch dann keine Fracht nach meinem Sinne angeboten wurde, entschloß ich mich, eine Ladung Salz für eigne Rechnung zu kaufen und nach der Ostsee zu bringen.

Ich war noch mit dem Einladen beschäftigt, als ein Weststurm mehrere Schiffe von den Ankern trieb. Unter diesen war auch ein unbeladenes portugiesisches Schiff, welches einige hundert Klafter weit vor uns lag. Es rückte meinem Fahrzeug gerade auf den Hals. Da sich dort nur zwei Jungen an Bord befanden, hatten wir Mühe, es nur soweit abzulenken, daß es endlich uns zur Seite zu liegen kam. Trotzdem war bei dem anhaltenden Unwetter nicht zu verhindern, daß es unaufhörlich gegen unsern Bug stieß und drängte. Ich war sehr besorgt, daß beide Schiffe dadurch beschädigt werden könnten. Wir mußten das fremde Fahrzeug von unserm abbringen.

Ich sagte das meiner Mannschaft, und wir machten uns auch sogleich ans Werk. Als wir dazu nun auf das portugiesische Schiff hinübersprangen, bekamen jene beiden Jungen einen Todesschrecken. Sie schrien aus voller Kehle und lockten damit im Nu ihre Landsleute von fünf, sechs der nächstgelegenen Fahrzeuge herbei. Dies Gesindel nahm sich nicht die Zeit, uns anzuhören oder sich mit uns zu verständigen. Augenblicklich gab es ein wildes Zuschlagen auf uns mit Knütteln, Handspaten und Bootshaken, so daß wir auf unser Schiff flüchten mußten.

Doch auch hiermit nicht zufrieden, verfolgten uns unsere Gegner, die die Übermacht hatten, auf unser eignes Verdeck und trieben uns immer mehr in die Enge. Mein Steuermann erhielt einen Schlag, daß er zu Boden stürzte. Ich selbst flüchtete in die Kajüte, während sich meine Leute in ihrem Raum einschlossen, um den Gewalttätigkeiten der Portugiesen nicht mehr ausgesetzt zu sein. Endlich ging die wilde Rotte wieder auf ihre Schiffe zurück. Das portugiesische Schiff aber blieb an meiner Seite liegen. Die ganze Nacht hindurch arbeitete es gegen mein Schiff an und rieb an der Bordwand.

Die Folgen zeigten sich bald. Ganze Planken trieben in Stücken von seiner Seite hinweg; der Fockmast war über Bord gefallen, und der Rumpf neigte sich wie ein zerschelltes Wrack seitwärts. Allein, auch bei mir hatte es Beschädigungen gegeben, die mir die Galle ins Blut trieben. Wie leicht wäre das alles zu vermeiden gewesen, wenn das Recht und die Vernunft nicht der verstandlosen Gewalt hätten weichen müssen.

Als wir zum Tajo herausgekommen waren, stellte sich heraus, daß unser Schiff ein Leck hatte. Das Wasser im Schiff nahm bald so überhand, daß wir unser Fahrzeug mit beiden Pumpen kaum über Wasser halten konnten. Zudem stand der Wind vom Lande, es war also unmöglich, wieder in den Hafen zurückzusteuern.

Wir mußten das Leck ausfindig machen, um ihm womöglich beizukommen und es zuzustopfen. Die Gewässer des atlantischen Ozeans sind in dieser Gegend so klar und durchsichtig, daß man auch in eine größere Tiefe ziemlich deutlich sehen kann. Wir entdeckten dann auch, daß ungefähr vier bis fünf Fuß unter der Wasseroberfläche Späne von der äußeren Haut abstanden. Unstreitig war das ein trauriges Andenken an den Zusammenstoß mit dem portugiesischen Schiffe.

Wir mußten das Leck schleunigst abdichten. Ich ließ sogleich eine von den Zitronenkisten zerschlagen, die wir in Lissabon eingenommen hatten. Ich nahm den biegsamen Boden davon und schnitt dann aus meiner mit Baumwolle gesteppten Bettdecke ein genau so großes Stück. Das Zeug und den Kistenboden teerte und talgte ich auf beiden Seiten und nagelte sie zusammen. Darauf wurden am Rande acht bis zehn Löcher gebohrt und in jedes Loch ein Nagel gesteckt. Diese Nägel umwickelte ich mit etwas Werg, damit sie nicht etwa wieder herausfielen.

Nun sollte sich einer von meinen Leuten rittlings auf den vierbeinigen Bootsanker setzen. Damit wollten wir ihn bis zu dem Leck hinunterlassen, damit er das präparierte Brett über der schadhaften Stelle festnagelte. Aber keiner wollte diese halsbrecherische Wasserfahrt wagen. Nicht einmal um eine Monatsgage, die ich dafür zahlen wollte. Ich machte ihnen klar, daß wir alle ohne Barmherzigkeit ersaufen müßten, wenn sie dies kleine Wagnis scheuten. Ich bat, ich flehte; ich schalt und drohte. Aber die feigen Seelen sahen mich verdutzt an und blieben bei ihrem Kopfschütteln.

»Nun denn!« sagte ich endlich ingrimmig. »So will ich selbst der Mann sein, der sein Leben für euch Feiglinge in die Schanze schlägt!« – Dabei war wenig Prahlerei. Ich hatte als junger Bursche mit meinen Spielkameraden das Schwimmen und Tauchen fleißig geübt und war oftmals bis dreißig Sekunden unter Wasser geblieben. Hoffentlich hatte ich diese kleine Kunst in den drei Dutzend Jahren nicht wieder verlernt. Und sollte ich dennoch ertrinken, so konnte es mir gleich sein, auf welche Weise das geschah.

Ich nahm also getrost meinen Platz auf dem Bootsanker ein, an dessen Tau mich meine Leute hinablassen mußten. Nach meiner Anweisung sollten sie, von dem Augenblick an, wo ich mit dem Munde unter Wasser käme, langsam zu zählen beginnen und mich bei fünfundzwanzig hurtig wieder emporziehen. Ich beeilte mich möglichst; zwei, drei tüchtige Schläge auf jeden Nagelkopf, und das Brett saß fest. Der Sog des Wassers nach innen tat das übrige und trieb die Fasern der Decke in die offenen Fugen. Ich war fertig mit meiner Arbeit, aber meine Leute droben dachten noch immer nicht daran, mich wieder hinaufzuziehen. Endlich, nach einigen Sekunden, brachten sie mich wieder an Gottes freie Luft. So war das Abenteuer glücklich überstanden. Aber hatten wir damit auch etwas gewonnen? Wir eilten an die Pumpen. Sie schafften das eingedrungene Wasser. Es verminderte sich sichtbar. Wir durften es wagen, nur mit einer Pumpe die See zu halten. Unsre Reise ging nun ohne Zwischenfall weiter.


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