Joachim Nettelbeck
Des Seefahrers Nettelbeck Lebensgeschichte
Joachim Nettelbeck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vier Tage vor Weihnachten gingen wir in See. Es begann hart zu frieren, und das ganze Fahrzeug sah zuletzt wie ein großer Eisklumpen aus. Da wir nur wenig auf dem Leibe hatten, wurden uns unsere Wachen herzlich sauer. Uns fror jämmerlich. Wir krochen daher, so oft die Wachzeit zu Ende war, tief zwischen die Tabakstengel. Wir kamen aber gewöhnlich ebenso erfroren wieder heraus, als wir hineingekrochen waren. Unsere Schiffsleute verfuhren auch sehr unbarmherzig mit uns. Sie nahmen uns nicht in die Schlafkojen auf, wiewohl das, während sie sich selbst auf Wache befanden, sehr gut hätte geschehen können. Ebensowenig ließen sie uns zu unserer Erwärmung das geringste von ihren Kleidungsstücken. Selbst das kärgliche Essen, das wir erhielten, wurde uns nur widerwillig und mit Brummen vorgesetzt.

So kamen wir vor die Mündung der Elbe. Da wir hier aber alles mit Eis bedeckt fanden, beschloß unser Kapitän, wieder umzukehren und an der holländischen Küste einen Nothafen zu suchen. Vor der Insel Schelling fand sich auch ein Lotse zu uns an Bord, der uns schon zu später Abendzeit zwischen die Bänke ins Vorwasser brachte. Da uns indes der Wind entgegenstand und wir nicht weiter hineinkommen konnten, warfen wir Anker. Der Lotse ging wieder an Land und versprach, zu uns zurückzukehren, sobald der Wind sich umsetzte.

Es war der 1. Januar des Jahres 1757. Abends um zehn Uhr setzte sich der Wind in Nordwesten. Er wuchs zu einem fliegenden Sturm an, und unser Schiff wurde vom Anker getrieben. Ehe wir uns dessen versahen, saß es auf einer Bank fest. Die Sturzwogen rollten unaufhörlich über das Fahrzeug hinweg und schäumten bis hoch an die Masten. Das Schiff war scharf im Kiel gebaut. So oft daher eine Welle sich verlief, fiel es so tief auf die Seite, daß die Masten beinahe das Wasser berührten. Gleichwohl wurden wir dank Gottes Barmherzigkeit nicht von Bord gespült. Diese gefährliche Lage dauerte wohl vier bis fünf Minuten, bis endlich eine besonders hohe und mächtige Welle uns hob und mit sich über die Bank schleuderte.

So gelangten wir zwar für einen Augenblick wieder in fahrbares Wasser, doch wenig später jagte der Sturm unser Fahrzeug vollends auf den Strand. Der Schiffer mit seinen beiden Leuten befand sich zufällig auf dem niedriger liegenden Hinterteile des Schiffes, während wir drei Passagiere uns vorne in der Höhe befanden und den Fockmast umklammert hielten, um nicht von den spülenden Wogen mit fortgerissen zu werden.

Die Nacht war ziemlich dunkel; auf dem Land lag Schnee, und rings um uns her schäumte die Brandung. Da aus diesem Grunde alles weiß war, ließ es sich nicht unterscheiden, wie nahe oder wie fern wir dem trockenen Ufer sein mochten. Ich nahm nun einen Augenblick wahr, wo das Verdeck nach vorne frei vom Wasser war, und kroch an dem langen Bugspriet hinan, das nach dem Strande hin gerichtet stand. Da sah ich nun deutlich, daß jedesmal, wenn die See zurücktrat, das Ufer kaum eine Schiffslänge von uns entfernt war.

Jetzt schien mir eine Rettung möglich. Ich kletterte behutsam zu meinen Gefährten zurück und teilte ihnen meine glückliche Entdeckung mit. Sobald die nächste Welle weit genug zurück sei, wollte ich mich schnell an einem Tau hinablassen. Wenn ich festen Boden unter mir fühlte, sollten sie meinem Beispiel getrost folgen. Auch dem Schiffer und seinen beiden Leuten schrie ich zu, sich auf diesem Wege zu retten. Allein das Sturm- und Wellengebrause war zu mächtig, als daß ich hätte verstanden werden können.

Unser Wagestück gelang. Wir kamen glücklich an Land. Durchnäßt bis auf die Haut und erstarrt vor Frost wanderten wir dann auf eine Feuerbake zu, deren Licht wir etwa zweitausend Schritte vor uns flimmern sahen.

Wir gelangten auch wohlbehalten an den Feuerturm. Droben im Wachstübchen fanden wir einen Mann auf der Pritsche ausgestreckt. Als er uns eintreten sah, fiel ihm vor Schreck die Pfeife aus dem Munde.

Auf den Bericht von unsrer unglücklichen Strandung erklärte er, daß er verpflichtet sei, dies Ereignis sofort im nächsten Dorf anzuzeigen. Es läge kaum einige tausend Schritte entfernt. Er lud uns ein, ihn dorthin zu begleiten. Wir armen, erstarrten Burschen kamen aber nicht so schnell vorwärts wie er. Als wir aber im Dorfe anlangten, hörten wir schon eine Glocke läuten. Damit wurde allem Mannsvolk das Zeichen gegeben, unser gestrandetes Schiff zu suchen und zu bergen.

Wir wurden indes in ein Haus geführt und über unser Unglück ausgefragt. Die guten Leute brachten aber zugleich auch trockene Kleider herbei, Speisen, Warmbier und sogar Glühwein, um uns zu erquicken. Sie weinten um die Wette mit uns – wir vor Freude, sie aus Mitleid. Und nicht eher verließen sie uns, als bis sie uns in einem warmen Bett zur Ruhe gebracht hatten.

Wie wir am nächsten Morgen erfuhren, hatte die Dorfmannschaft erst bei Tagesanbruch längs dem Ufer die treibenden Trümmer von unserem Schiffe gesichtet, aber weder einen lebendigen Menschen noch eine Leiche gefunden. Wir allein waren also leider nur gerettet.

Mitte März langten wir in der Heimat an und wurden von den Unsrigen mit einer Freude empfangen, als wären wir vom Tode auferstanden.


 << zurück weiter >>