Joachim Nettelbeck
Des Seefahrers Nettelbeck Lebensgeschichte
Joachim Nettelbeck

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Nach Verlauf einiger Tage rüstete ich mein Boot zu einer neuen Fahrt zu. Diesmal durfte ich auch für meinen Privathandel im Einkauf von Goldstaub gewissen Vorteil erhoffen, da wir uns nunmehr vor der sogenannten Goldküste befanden.

So verschwenderisch hat die Natur hier ihr edelstes Metall verbreitet, daß selbst der Seesand davon in hinreichender Menge mit sich führt. Wenn daher vormittags die Sonne hoch genug gestiegen ist, um den nackten Negern die Lufttemperatur behaglich zu machen, finden sie sich zu Hunderten am Strande ein. Sie setzen sich dicht neben dem Ablauf der Wellen ins Wasser und jeder hält eine tiefe hölzerne Schüssel vor sich zwischen den Knien, die zuvor voll goldhaltigen Sandes geschöpft ist. Sie wissen diese Gefäße so geschickt zu drehen, daß jede anlaufende Welle darüber hinspült und etwas von dem leichten Sande über den Rand mit sich fortschwemmt, während das Metall vermöge seiner natürlichen Schwere tiefer zu Boden sinkt. Dies wird so lange wiederholt, bis der Sand beinahe gänzlich verschwunden ist und das reine Staubgold, kaum noch mit einigen fremden Körnern untermischt, sichtbar wird. Ich habe selbst öfters gesehen, daß manche auf diese Weise binnen acht bis zehn Stunden den Wert von sechs bis zwölf und mehr holländischen Stübern auswuschen.

Weiter landeinwärts wird mit dem dort befindlichen goldhaltigen Kiessande auf ähnliche Art verfahren. Diese Erdklumpen werden in die Nähe eines Gewässers getragen und Erde, Sand und Kies so lange durcheinander gerührt und ausgespült, bis die Schwarzen zu dem nämlichen Erfolg gelangen. Hier finden sich nicht selten auch bedeutendere Stückchen Goldes, selbst von der Größe unseres groben Seegrießes. Die Neger nennen es »heiliges Gold«. Sie durchbohren die Stücke, reihen sie auf Fäden und schmücken mit diesen kostbaren Schnüren Hals, Arme und Beine. In so stattlichem Putze zeigen sie sich gerne auf den Schiffen. Oft trägt ein einziger einen Wert von mehr als tausend Talern am Leibe.

Stellen sie ihr gewonnenes Gold auf den europäischen Fahrzeugen zum Kaufe, so werden ihnen zuvor die Waren vorgelegt und über den Wert eine Übereinkunft getroffen. Dieser Wert wird in »Bontjes« bestimmt; das sind etwa eine Erbse schwere Stückchen Gold, die zu sechs Stüber Geldwert berechnet werden. Die Neger bedienen sich ähnlicher Gewichte, welche aber gegen die holländischen jedesmal zu kurz kommen.

Bei diesem Handel gibt es nun ein Streiten und Zanken. Immer noch fehlt etwas – noch etwas, bis man sich zuletzt doch einig wird. Betrogen aber werden die Neger am Ende immer, wie schlau sie es auch anfangen mögen.

Es gab nun noch drei Wochen bis wir endlich vor St. George de la Mina anlangten, um dort unsern letzten Handel abzuschließen. Während wir noch an diesem Platze verweilten, kam eines Tages ein holländisches Schiff auf der Reede vor Anker, welches sofort auch die Notflagge wehen ließ und mehrere Notschüsse abfeuerte. Von allen anwesenden Schiffen konnte indes nichts zu dessen Beistande geschehen, da unsre sämtlichen Kapitäne mit den Schaluppen an Land gegangen waren und wir Steuerleute kein andres Boot zur Verfügung hatten. Doch bald sahen wir, daß vom Fort ein Kanu mit vier Negern eiligst nach dem notleidenden Schiffe ruderte und auch nach Verlauf einer Stunde von dort wieder zurückkehrte.

Zwei Stunden später kam dies nämliche Kanu geradewegs zu mir. Es brachte mir den schriftlichen Befehl des Gouverneurs, mit diesen Negern zu ihm an Land zu fahren. Ich befolgte diese Weisung.

»Da ist soeben der Kapitän Santleven von Vlissingen angelangt und befindet sich in äußerster Drangsal«, hob der Gouverneur an. »Er selbst liegt krank im Bett; seine Steuerleute sind tot; er hat dabei beinahe hundert Sklaven an Bord. Seine Not und Verlegenheit ist dermaßen groß, daß er hat eilen müssen, diese Station zu erreichen. Er will von den hier liegenden Schiffen einen Steuermann erlangen, der die Führung des Schiffes übernehmen möchte. Ich und die übrigen Herren Kapitäne haben Euch, mein lieber Nettelbeck, zu diesem Posten ausersehen.«

Bald waren wir an Bord des Kapitäns Santleven angelangt. Wir fanden ihn bettlägrig und in elender Verfassung. Mein Begleiter stellte mich als denjenigen vor, der ihm bei der Führung seines Schiffes und seiner Geschäfte behilflich sein solle und auf den er sich in allen Fällen verlassen könne. Der gute Mann hieß mich von ganzem Herzen willkommen. Alsbald übergab er mir das völlige Kommando an Bord und ließ mich in seine Papiere und Geschäfte Einsicht nehmen, damit hier alles wieder mit einem neuen Geist und Leben beseelt wurde.

Nach Beratschlagung mit meinem Kapitän wandten wir das Schiff wiederum gegen die westlicher gelegenen Punkte, um unsre Ladung durch fortgesetzten Handel zu vervollständigen. Das beschäftigte uns bis in den September hinein. In dieser Zeit erholte sich der gute Mann zu meiner nicht geringen Freude merklich und konnte endlich wieder auf dem Verdeck erscheinen. Ich wollte nun mit dem Boote nach dem sechs Meilen von uns entfernten holländischen Fort Boutrou gehen, wo ich mir gleichfalls einigen Handel versprach.

Einige Tage nachher traf ich in Boutrou ein. Ich konnte dort aber nichts Tüchtiges schaffen. Überall war für diesen Augenblick im Handel bereits aufgeräumt. Als ich nach unserm Hauptfort zurückkehrte, waren die meisten Schiffe von dort nach Amerika in See gegangen. Es blieb uns daher nur übrig, uns für die Reise mit Trinkwasser und Brennholz zu versehen und diesem Beispiel ungesäumt zu folgen.

Als ich mich bei dieser Gelegenheit mit meinen Leuten an Land befand, kam ich auch zu einem Kompanie-Neger, der Franz hieß und dessen Bekanntschaft ich unlängst gemacht hatte. Hinter seiner Hütte hatte dieser Mensch eine Art von Gärtchen eingehegt. Mir fiel auf, daß er sich zum öfteren dorthin begab, um mit sichtbarer Sorgfalt an einem Schirm von Bastmatten zu drehen und zu stellen. Meine Neugier erwachte. Ich ging ihm nach und fragte, was er für einen seltenen Schatz hinter dem Schirme hüte. – »Jawohl, einen Schatz!« war seine Antwort. »Ein rares vaterländisches (er meinte damit holländisches) Gewächs!« – Nun erwartete ich wenigstens ein Beet mit den teuersten Haarlemer Blumenzwiebeln vorzufinden. – »Ei, Franz! Das sind ja aber ganz gewöhnliche Grünkohlpflanzen! Und aus den fünf oder sechs Dingern da wirst du schwerlich einmal ein Gericht zusammenbringen!« – »Nun, wer sagt denn auch, daß ich sie essen will. Es ist ja nur der Rarität wegen!« Und dicht neben dieser vaterländischen Rarität lagen Zitronen und Limonen zu Dutzenden im Grase und verfaulten, ohne daß es jemand der Mühe wert gehalten hätte, sie aufzulesen! So verschieden sind die Begriffe von Wert oder Unwert, die wir auf dergleichen Sachen zu legen geneigt sind.


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