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Sechzehntes Kapitel.

Der Schneefall hatte aufgehört. Es war ein kalter, windiger Abend. Die Wachposten vor dem Rathaus zogen ihre Mäntel fester und blickten ungeduldig nach den hellerleuchteten gotischen Bogenfenstern hinauf.... Der Rat tagte noch immer.

Herr Sebaldus von Halveren saß in seinem Zimmer, allein, vor seinem Tisch. Er hatte sich starkes Getränk bringen lassen und den Diener bedeutet, daß er für niemand mehr zu sprechen sei. Auch für ihn war es ein aufregungsreicher Tag gewesen. Aber ein Siegestag. »Sankt Thomas hält Wort,« murmelte Herr Sebaldus mit einem seltsamen Lächeln. Durch seine Zuträger unter den Ratsbedienten und Schreibern wußte er ja, was die Kommission vorschlug, ehe es die Ratsherren wußten. Keinem von den Verdächtigen ging es an den Kragen; aber auch keiner erschien offenkundig unschuldig. Ihre Ratswürde sollten sie niederlegen und versprechen, sich nicht wieder zur Wahl zu stellen. Es war ja auch sicher, daß bei der Wahl nur die Freunde des Herrn von Halveren durchkamen.

Der Rat konnte nicht anders als im Sinne des Kommissionsvorschlags beschließen. Jetzt am wenigsten, nachdem der Hexenruf gegen die Anverwandte des Hauses Halveren den Verdacht von Herrn Sebaldus abgelenkt hatte.

Insoweit war der Angriff der tollen Gertrudis auf ihre Herrin ein Glücksfall für ihn gewesen. Mechthildis war ja gerettet. Herr Sebaldus brauchte sich nicht einmal für sie zu verwenden, nachdem der Rat auf den gemeinsamen Protest des Domherrn, des Staatsrats Friso und Cordovas eilends beschlossen hatte, die tolle Gertrudis abzuweisen und als eine Besessene ins Kloster zu stecken. Und wenn sie doch einmal für seinen Sohn verloren war – was lag daran, ob sie der Spanier oder der Holländer heimführte? Für den einzigen Sohn des allmächtigen Bürgermeisters gab es bald noch andere glänzende Partien.

Und doch wurde er ein fröstelndes Unbehagen nicht los. Er hatte den Sieg in der Hand. Aber auch Mechthildis hatte heute ihren großen Tag gehabt. Und indem er das Glück seiner Nichte mit dem, welches ihm winkte, – indem er verglich, auf welchen Wegen und mit wessen Beistand sie es erreicht, überkam ihn ein seltsam peinliches Gefühl. Fast etwas wie Scham.

Gegen die kleinen, bleigefaßten Rundscheiben der Fenster drängte sich die Finsternis des Winterabends, hier zwischen den hohen Häusern der engen Gasse von keinem Widerschein der Schneedecke gemäßigt; es sah aus wie unzählige schwarze, fragende Augen. Selten klang, durch den Schnee gedämpft, der Schritt eines Vorübereilenden herauf. Die Leute hüteten ihre Häuser – es war ein Gerücht in der Stadt: der Teufel gehe wieder des Nachts leibhaft durch die Gassen. Nun hatten auch die Geschäftsdiener drunten mit weithin tönendem Gerassel die Fensterläden und Thüren ihrer Arbeitsräume verriegelt und sich zum Abendimbiß in ihren Saal, im anderen Flügel des Hauses, verzogen. Wieder war ein Tag vorüber im Hause Halveren.

Ungefähr eine halbe Stunde darauf ließ sich auf dem Gange hinter der Wandthür ein leiser, schlurfender Schritt vernehmen. Herr Sebaldus stand auf und öffnete die Thür. Der lahme Hieronymus trat ein, in einen unförmlichen Mantel vermummt, in der Hand eine Laterne.

»So, da wären wir,« sagte er und nahm ohne Umstände in dem Sessel des Ratsherrn Platz. »Lecker warm habt Ihr es hier. Nun, ist mein Geld bereit? Lang kann ich nicht warten. Um die zehnte Stunde muß ich mit einer Strickleiter hinten im Garten des Sankt-Clarenklosters sein, um meiner Eheliebsten und etlichen guten Sachen aus der Frau Priorin Schmuckkästchen zur Freiheit zu verhelfen, derweil die Nönnchen in der Kapelle beten und singen, daß sie der Teufel verschone. Mein Schatz hat ihnen ja gesagt, daß der Herr Doktor Sanatius, oder wie heißt er? heute nacht wieder umgehen werde. Für eine Verkleidung habe ich schon gesorgt, die Leute werden sich wundern, was für ein nettes Harfenmädchen ich alter Sünder morgen aus meinem Quartier vor die Stadt spazieren führe. Draußen wird uns der lange Pilger in seiner neuen Tracht als Fuhrmann schon mit dem Karren erwarten, und dann geht es heidi in die Welt hinaus, derweil die Nönnchen und die Herren Ratskommissare und Patres im Sankt-Clarenkloster den Schwefelgestank und die toten Mäuse anstaunen, die der Teufel ihnen statt der Feuerwächterin dagelassen hat. Es ist alles in Ordnung, gestrenger Herr. Na, und Ihr könnt auch mit dem Geschäft zufrieden sein. Sankt Thomas ist brav gewesen. Also her mit dem Geld, wenn's beliebt!«

»Halt!« sagte Herr Sebaldus und deckte seine Hand über den Geldbeutel, nach dem der andere schon die schmutzigen Finger ausreckte. »Also das Gerede von dem Teufel, der heute nacht umgehe, habt Ihr ausgestreut. Ich dachte, die tolle Gertrudis hätte es gethan. Seid Ihr und Euer Weib etwa auch schuld an dem Geschrei wider meine Nichte, das Fräulein von Mechter?«

Hieronymus starrte ihn verwundert an. »Mit keinem Wort, gestrenger Herr,« versicherte er. »Wir haben uns streng an Eure Liste gehalten, – ich habe sie ja noch hier bei mir! – Wie es sich eben zwischen ehrlichen Leuten schickt. Den Spaß mit der vermummten Hexenkönigin hattet Ihr ja selber vorgeschrieben, damit sich keines von Euren Ratsweibern sicher fühlt. Es ist wahrhaftig nicht unsere Schuld, daß das verrückte Weibsbild, die Gertrudis, es just auf Eure Nichte deutete. Aber das sag' ich Euch, gestrenger Herr,« fuhr er fort, während ein wilder Haß seine Züge verzerrte, »wenn ich gewußt hätte, daß sie es mit diesem Laffen, dem Hans Maybrunner oder wie er heißen mag, und dem alten Pfaffen, seinem Vater, hielt – dann hätte ich sie auf die Liste gesetzt, ohne Euch zu fragen, nur um den beiden einen Tort anzuthun! – Im übrigen, gestrenger Herr, was macht es Euch?! Es heißt ja wohl, Euer Herr Sohn hätte sie gern gehabt; aber wenn sie nun mal einen anderen lieber wollte, kann es Euch doch gleich sein, ob sie ins Hexengeschrei kommt! Gebt mir mein Geld, ich habe Eile!«

Herr Sebaldus schob ihm den Beutel hin. »Ein schönes Gewicht!« schmunzelte der Strolch und stieß den Beutel etlichemal mit dem Boden auf den Tisch, daß die Goldmünzen klirrend aneinander klangen. »Nachzuzählen brauch' ich nicht. Ich weiß, daß Ihr ehrlich zahlt.«

»Sagt mir doch nur das eine,« fragte Herr Sebaldus, »woher kommt Euereinem das Zutrauen? Wenn das Geld nun falsch wäre? Wenn ich selber mit Euch falsch spielte und draußen ein paar handfeste Kerle bereit hielte, um Euch abzufassen?«

Der lahme Hieronymus, der schon an der Wandthür stand, blickte den Frager überlegen an. »Das ist eine wunderliche Frage von einem so hochgelehrten Herrn!« meinte er. »Als ob Ihr nicht zehnmal mehr dabei zu verlieren hättet als ich! Es wäre ja der dümmste Streich von Euch, wenn Ihr merken ließet, wie weit Ihr mit unsereinem seid. Ich will gar nichts davon sagen, daß unsereins auch sein Messer im Hosensack hat und es zu gebrauchen weiß. Ihr wäret ja auch ohnedies geliefert, wenn Ihr mir etwas anthun wolltet. Das ist das sicherste Geschäft für einen armen Kerl, wenn sich so ein vornehmer Herr mit ihm zu einer Schurkerei zusammen thut; denn dabei hat doch der vornehme Herr am meisten zu verlieren. Ihr seid ganz in unserer Hand! Geht, Herr, legt Euch schlafen und dankt Eurem Heiligen, daß unsereins noch ehrlich bleibt und reinen Mund hält!«

Herr Sebaldus winkte schweigend mit der Hand und drückte auf die Klinke. Als die Tapetenthür sich hinter seinem unheimlichen Gast geschlossen hatte, blieb er eine Weile in stummen Gedanken stehen, dann wankte er zu dem Betpult, das in einer Ecke des Zimmers stand. Es war seit vielen Jahren das erste Mal, daß er ohne Zeugen zum Beten niederkniete; aber er fand kein Gebet. –

Junker Lambertus hatte den Abend geselliger verbracht als sein Vater. Er saß mit einigen anderen vom Bürgerwachcorps in einer Kneipe unfern seinem väterlichen Hause, welche diese tapfere Miliz zum Standquartier erwählt hatte, und ließ weidlich auffahren, zu Ehren seines heutigen Abenteuers, bei dem er sich hier ungestraft die Rolle des Haupthelden zuschreiben durfte; denn von den anderen Zeugen war keiner zugegen, Meister Baltzer und Hendricus hielten im Mechterhause Wacht, um den Schlaf Mechthildis' zu behüten, und die Offiziere, die Junker Lambertus bei der Errettung seiner Base zuvorgekommen waren, machten in dieser Zeit irgendwo draußen auf den Wällen die Runde. »Stoßt an, ihr Herren,« rief er weinselig und ruhmestrunken, »trinkt auf das Wohl meiner schönen Base, wenn sie uns auch den Holländer vorgezogen hat! Mich reut's doch nicht, daß ich sie dem Pöbel aus den Klauen gerissen habe. Alles für die Damen, wißt ihr! und wenn es gilt, scheut sich unser Bürgercorps vor keinem Hexen- und Teufelsspuk!«

»Da sagt Ihr etwas, Junker,« bemerkte einer seiner Traktiergäste, ein mächtiger sechs Fuß langer Kerl von entsprechendem Umfang. Es war derselbe Brauer, der vor siebthalb Jahren bei jenem unterbrochenen Maifest vor dem Brautlaufhause den Junker so gründlich mit Bier getauft hatte; aber sie waren beide nicht nachhaltig und hatten den Vorfall längst vergessen. »Sechs Zoll Wein im Magen und zwei Fuß blankes Eisen in der Faust, so kriegen wir selbst den Teufel unter, der heut nacht in der Stadt umgehen soll!«

»Prahlt sacht, ihr Herren,« mahnte die Wirtin bedenklich. »Der Teufel ist klüger, als ihr denkt.«

»Dumm ist er, erzdumm!« rief der tapfere Brauer und hob den Krug; aber er ließ ihn sinken, als in demselben Augenblick ein jugendlicher Rekrut von seinem Corps leichenblaß hereinstürzte mit dem Ruf: »Der Teufel! der Teufel! Er geht um, wir haben seine Spur im Schnee gesehn!«

Und die Thatsache war unleugbar. Als die Herren, mit einer mehr als militärischen Vorsicht, dem zitternden Posten bis an die nächste Ecke gefolgt waren, erkannten sie beim Scheine der mitgenommenen Fackel deutlich die diabolische Spur: die eine Sohle ganz menschlich ausgeprägt, statt der anderen eine unregelmäßige, langgezogene Vertiefung. »Das ist von der Eselsklaue!« murmelte einer entsetzt. »Herrschaften, wenn wir einen Pater riefen?«

Aber bei den anderen siegten die Geister des Weines und des Jugendmutes.

»Immer drauf zu!« rief der tapfere Brauer, »wir wollen doch sehen, wo er uns hinführt!« Und der Junker Lambertus folgte seinem Beispiel: »Drauf zu!« rief er, den Degen ziehend, »vergeßt nicht, daß ich euer Führer bin, und zeigt euch eurer Stadt würdig!«

Mit diesen Worten schritt er, die Fackel in der Linken, in der Rechten den Degen, den anderen vorauf, der Spur nach.

Es war nicht schwer, ihr zu folgen. Kein anderer Wanderer schien nach dem Unheimlichen diese stille, abgelegene Seitengasse gegangen zu sein. Deutlich und unvermischt zeichneten sich die Spuren in dem frischen Schnee ab. An der nächsten Ecke bogen sie wieder ab in jenes Gäßchen, das zwischen dem Hause Halveren und dem Spitalgarten herführte. Und auf einmal hörten sie auf – vor dem kleinen, seit Menschengedenken nicht mehr benützten Nebenpförtchen des alten Patrizierhauses.

Die Verfolger wichen zurück und sahen sich betreten an. Junker Lambertus ließ die Fackel fallen, daß sie knisternd im Schnee erlosch.

»Was ist das?« stammelte er.

»Ja, da hilft nun nichts,« meinte der Brauer mit gedämpfter Stimme, »hier hört's auf, und in Eurem Hause geht's weiter.«

»Was wollt Ihr damit sagen,« rief der Junker aufbrausend, »meint Ihr, die Herren von Halveren hätten Verkehr mit –«

»St!« machte der Brauer und zog ihn am Arme gegen die Wand. An dem Pförtchen raschelte etwas von innen, es öffnete sich, der Schein einer kleinen Laterne schimmerte im Schnee wieder und eine dunkle Gestalt tappte vorsichtig, mit hinkendem Schritt auf die Gasse, das Pförtchen hinter sich zuziehend.

Nun aber, angesichts des Unheimlichen, kam es über den Junker mit wilder Wut. »Im Namen aller Heiligen, steh, Lucifer!« rief er und sprang mit gezücktem Degen wider den Unhold.

»Verdammt!« rief der Vermummte, von der Spitze des Degens am Arm gestreift, und ließ die Laterne fallen; mit ihr fiel ein dunkler Gegenstand klingelnd zu Boden, wie von verstreuten Goldstücken blinkte es im Schnee. Zugleich aber blitzte ein breites Messer in der Hand des Ertappten auf, und mit einem dumpfen Stöhnen brach der Junker zusammen, während seine Begleiter, zu spät, ihn zu retten, auf den vermeintlichen Teufel eindrangen.

Mit zwei Griffen hatte der starke Brauer ihm das blutige Messer entwunden und ihn niedergeworfen. »Das soll der Teufel sein?« rief er. »Der lahme Hieronymus ist's, der Gauner vom Martinsturm. Seht nach dem Junker, Herrschaften, mit dem Mordkerl hier werd' ich schon allein fertig.«

»Da ist nichts mehr zu machen,« sagte der Rekrut, der die Laterne aufgehoben, und deutete auf die furchtbare Wunde auf der Brust des Regungslosen, aus der das Blut in breitem, dampfendem Geriesel auf den Schnee, zwischen den Goldstücken hin rann. »Ruft seinen Vater!« Und indem er mit der Pike gegen das Pförtchen trommelte, begann er selber zu schreien: »Auf, auf, Herr von Halveren! Euer Sohn liegt hier –«

Ein greulicher, halberstickter Jubelruf des Mörders unterbrach ihn. »Sein Sohn?« keuchte Hieronymus. »So ist's recht! Nun soll er auch sein Teil haben. Laßt mich auf die Beine, ihr Dickköpfe! Schleppt mich vor die Schöffen, aufs Rathaus! Ich will mein Zeugnis ablegen, ihr sollt wissen, wer euch verhext hat!« Mit einem wütenden Ruck riß er sich aus den Fäusten der Verblüfften los und streckte, im Schnee kauernd, die freigewordene Hand wider den Mann aus, der jetzt in der Oeffnung des Pförtchens erschien und ihn angstvoll anstarrte: »Hört es, ihr Leute! Ich und mein Weib, wir haben den ganzen Hexenlärm gemacht, aber der da hat uns dazu gedungen!«

Herr Sebaldus von Halveren hörte die Anklage, in hilfloser Verzweiflung starrte er dem Ankläger in das wutverzerrte Gesicht. Da hob der Rekrut die Laterne und deutete schweigend zur Seite auf den Toten. Herr Sebaldus wandte den Blick dorthin, im Lichtschimmer sah er den roten Blutstrom, er erkannte das Gesicht des Erschlagenen, und mit einem jähen Aufschrei sank er neben der Leiche seines Sohnes in die Kniee.



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