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Viertes Kapitel.

Meister Baltzer stand neben Mechthildis am Erkerfenster und betrachtete sie lächelnd von der Seite. »Es scheint Euch doch etwas angegriffen zu haben, daß Ihr nun der spanischen Excellenz auch einen Korb geben mußtet,« sagte er.

»Woher wollt Ihr das denn nun wieder wissen?« fragte sie ärgerlich. »Es scheint, Ihr laßt Euch von allen Leuten ihre Geheimnisse erzählen.«

»Behüte,« versetzte Meister Baltzer. »Solange ich es kann, gehe ich den Beichtbedürftigen immer aus dem Wege. Die Leute sind zu selten, die einem ihre Freundschaft noch bewahren, wenn sie einmal so schwach gewesen sind, einem ihr Herz auszuschütten. Aber man darf doch seine Schlüsse ziehen. Die Excellenz war gestern so merkwürdig gerührt, und das ist sie gemeiniglich nur, wenn sie gewisse ergreifende Liebesgeschichten in ihrem Don Quixote wieder einmal gelesen hat. Das kann sie aber diesmal nicht gethan haben, denn ich hatte mir das Buch vor drei Tagen, als ich zuletzt bei ihr war, von ihr geliehen, um mich daheim im Spanischen zu üben. Also, denk' ich mir, muß irgend ein anderes Erlebnis daran schuld sein, und das wird sich denn wohl abgespielt haben, als der würdige Mann Euch vorgestern morgen – wie ich von den Stiftsdamen höre – in einer Tracht besuchte, die er sonst nur in der äußersten Zwangslage gegen seinen Offiziersrock eintauscht.«

»Spottet nicht über Cordova,« verwies Mechthildis, »er ist ein Ehrenmann und wahrlich ein Kavalier dem Herzen nach. – Und übrigens,« setzte sie lächelnd hinzu, »habe ich ihn auch zu meinem Kavalier ausersehen; Ihr wißt, heut abend ist großes Fest bei den Kannemanns zu Ehren der holländischen Gäste, die vor Mittag kommen, und da ich meiner Freundin zugesagt habe, so will ich Seine Excellenz bitten, daß er auch annimmt und mich geleitet. Es ist ja auf neutralem Boden, und er wird als Spanier schon einmal die Galanterie über die Abneigung gegen seine Feinde stellen.«

»Ja,« erwiderte Meister Baltzer, »'s ist überhaupt ein ganz wackerer Herr, und die Züge, die er von seinem Lieblingshelden, dem edlen Don Quixote, an sich hat, sind noch lange nicht seine schlechtesten. Behüte Gott, daß ich über ihn spotte. Was aber Eure Absicht angeht, ihn zu dem Bankett zu verleiten, so ist das schon geordnet. Ich habe ihm gestern abend einfach so nebenbei klargemacht, daß er mit den holländischen Herren einen Trunk thun müsse, weil das das beste Mittel sei, den Bürgern zu beweisen, daß er wirklich nur zur Erholung hier sei und nicht, um diese wunderbare Stadt dem Kaiser, dem Tilly und Herrn Sebaldus in die Hände zu spielen. Das hat er sogleich eingesehen, und wenn er nun vollends Euch führen darf, so wird er mit beiden Händen zugreifen. Ich wollte aber, Ihr ließet Euch von ihm recht oft zum Bankett und meinethalben zum Tanze führen, es ist doch nichts mit dem ewigen Studieren, und mit dem übrigen, dem Armen- und Krankentrösten, auch nicht.«

»Das habt Ihr mir jetzt schon ziemlich oft gesagt,« antwortete Mechthildis. »Uebrigens, wenn ich jetzt mit lauter spanischen Granden und holländischen Gesandten zu verkehren habe, muß ich mich auf meinen Armengängen so wie so schon öfter vertreten lassen, als es recht ist, also scheltet nicht und seht Euch lieber einmal das große Krystallprisma dort an, das ich gestern aus Brüssel bekommen habe.«

»Köstlich,« murmelte Meister Baltzer, ganz vertieft in das vor seinen Augen vorüberschwebende Farbenspiel. »Ja, so schön wie der Herrgott können wir Maler die Uebergänge freilich nicht finden.«

»Seht Ihr, nun studiert Ihr selber,« lachte Mechthildis.

»Ich bin auch kein junges Fräulein mehr,« knurrte Meister Baltzer und äugelte weiter.

Unterdes ließ sich draußen auf der Straße immer deutlicher ein starkes Geräusch vernehmen, wie von herannahenden Rossen und Wagen, dazwischen laute vielstimmige Zurufe, während der gewohnte Lärm eines geschäftigen Straßenlebens stockte und die Menschen sich auf beiden Seiten längs den Häusern sammelten, in Erwartung irgend eines Schaustücks.

»Ei seht mal,« sagte Meister Baltzer, während er neben Mechthildis aus dem Erker lugte, »sind sie schon angekommen? Da hat mich doch einmal meine Weisheit getäuscht; ich dachte, vor Mittag könnten sie nicht anlangen, sie müssen guten Vorspann vor ihrem Schiff gehabt haben. Schade; ich hätte ihnen gern den ersten Gruß vom Stapel zugerufen. Nun sind sie also schon in ihrem Ehrenquartier abgestiegen und werden von da zur Audienz aufs Rathaus geleitet, um ihr Kreditiv zu überreichen. Der Weg führt ja hier vorbei.«

Während er noch die letzten Worte sprach, hatte der Aufzug schon das Haus erreicht. Voraus ritt ein Stadtherold mit dem Wappen der Stadt auf der Brust, dann ein Hauptmann von dem seit Anfang der Kriegswirren erheblich verstärkten Stadtmilitär mit einer Abteilung seiner wohlgerüsteten Reiter, welche Mühe hatten, eine Menge mitlaufender neugieriger Straßenjungen und Lehrbuben von der eskortierten Glaskutsche abzuhalten. In diesem Wagen saßen auf dem Vordersitz Herr Jobst Kannemann und ein zweiter Ratsherr in ihren Amtsgewändern, ihnen gegenüber ein hochgewachsener Herr mit greisem Kinnbart, gleichfalls im dunklen langfaltigen Talar mit Pelzbesatz und Spitzenkragen und goldener Ehrenkette, und zu seiner linken Seite ein jugendlicher, blondbärtiger Herr in militärischer Galatracht, über der Brust die breite Feldbinde von orangefarbener Seide. In einem zweiten Wagen folgte die Begleitung der Gesandten, und eine zweite kleine Abteilung städtischer Reiter nebst vielem müßigem Volk machte den Beschluß.

Der Zug bewegte sich, dem üblichen Ceremoniell und auch wohl dem gefährlichen Straßenpflaster entsprechend, nur in mäßigster Schnelle voran und ließ den spalierbildenden Zuschauern Muße zu zahlreichen Meinungsäußerungen. Meist zeugten sie von einer durchaus friedlichen Neugier, welche vornehmlich dem jungen Offizier galt. Dieser schien die forschenden Blicke und Zurufe sehr ruhig zu ertragen, unbefangen blickte er umher und plauderte zwischendurch mit seinen Nachbarn. Auch die weniger freundliche Neugier einer Minderheit von verkommen aussehenden Leuten, die sich trotz aller unsanften Abweisungen seitens der Berittenen unziemlich dicht heranzudrängen suchten und beständig Hochrufe auf den Kaiser ausstießen, ließ ihn ebenso ungerührt wie seinen greisen Genossen. Vor dem Hause Mechter strengten sich die Unruhestifter besonders an, sie drängten sich auf der Straße zusammen, schwenkten die Mützen und Hüte nach einem Fenster des Erdgeschosses hin und schrieen: »Vivat Cordova! Vivat Hispanien!« Der Wagen mußte einen Augenblick halten. Jobst Kannemann blickte verlegen an dem Hause hinauf; als er Mechthildis oben am Erker sah, winkte er ihr wie zur Beruhigung und Entschuldigung höflich zu. Sein jüngerer Nachbar, dadurch aufmerksam gemacht, folgte dem Blicke des Ratsherrn, Mechthildis sah voll in sein männlich offenes, gebräuntes Antlitz, und es war ihr, als ob sich ein fröhliches Erstaunen darin male, während er artig den Federhut berührte und sich verneigte. Aber bereits hatten die Reiter den Weg frei gemacht, die Wagen rollten weiter, und Mechthildis hätte nicht einmal sagen können, ob der Oberst Hans Friso ihr dankendes Zunicken noch gesehen hatte. Die Bande von Schreiern wollte ihr Wesen vor dem Hause noch weiter treiben, aber es schien, als ob die Zurufe aus den Fenstern Cordovas ein unerwartetes Echo fänden, denn plötzlich verstummten sie und trollten sich ziemlich kleinlaut dem Zuge nach.



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