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Zweites Kapitel.

In diesem Augenblick wurde die Thür so ungestüm aufgestoßen, daß dem erschreckten Maler die Flasche fast entglitt. »Gott helf dir, Junge,« rief er ärgerlich dem Hereinpolternden zu, »tritt man so in ein ordentliches Zimmer?«

Der Gescholtene mußte ein paarmal Luft schnappen, ehe er antworten konnte. Es war ein hübscher, kaum zehnjähriger Bursch in Hemdärmeln, der Neffe der alten Frau, die in dem weitläufigen Hause eine Art städtischer Pfründe als Pförtnerin hatte und dem Meister Baltzer nebenbei als Stundenfrau diente. Endlich, da der Meister dem Knaben wieder mit gewohnter Freundlichkeit zunickte, brachte er stotternd hervor: »Weil der – der gestrenge Herr Bürgermeister und seine Fräulein Nichte kommen! ... Ach, Herr, ist die aber schön!«

»So?« fragte der Maler fröhlich. »Hat sie dich heraufgeschickt, um mir zu sagen, daß sie schön ist?« und da der Knabe mit einem ernsthaften »Nein« antwortete, schob er ihm lachend einige Pfeffernüsse in die Hand. Dergleichen hatte Meister Baltzer für kleine Freunde und Freundinnen immer im Vorrat. »So,« sagte er, »deinen Botenlohn sollst du doch haben, Hendrice, aber nun stell dich hübsch an die Thür da, und wenn du sie den Herrschaften öffnest, machst du einen Diener, siehst du, so!« Aber die Anleitung, die er dem Knaben dabei gab, indem er dessen Kopf und Rücken ein paarmal mit den Händen vor- und zurückbeugte, half doch nichts, denn als Hendricus die Thür geöffnet hatte und das vornehme Paar hereinschreiten sah, blieb ihm vor Verehrung der Bückling im Kreuz stecken.

Es war aber auch zu begreifen. Das schöne Fräulein hatte sich zwar diesmal nicht ganz so vornehm feierlich ausgeputzt, wie es auf dem Staatsbilde aussah, aber in seinem dunklen Gewand mit dem reichen Spitzenschmuck an Aermeln und Hals, mit dem hohen, federbesetzten Hute und den schimmernden Spangen an Hals und Armen mußte es für Hendricus immer noch wie ein Gebild aus höheren Welten erscheinen, ganz abgesehen von der frischen Anmut seiner neunzehn Jahre und dem geheimnisvollen Schimmer, der die junge Erbin in den Augen reiferer und minder hemdärmliger Bewunderer umfloß. Was aber den dicken Bürgermeister betraf, der einstweilen sprachlos und heftig schnaufend in einem Armstuhl vor seinem eignen Bildnis saß, so mußte sich Meister Baltzer selbst gestehen, daß bei so vornehmen Herren der Maler unmöglich alle Würde wiedergeben kann, die sie vom Schneider empfangen haben.

Hendricus stand noch immer auf seinem Pagenposten an der Thür, mit den Augen verschlang er die himmlische Schönheit und mit den Zähnen schickte er sich eben an, die irdische Pfeffernuß zu verspeisen, ohne auf die Winke Meister Baltzers zu achten. Als nun aber das schöne Fräulein sein Gespräch mit dem Meister unterbrach und sich jählings zu ihm wandte, blieb ihm vor Schreck die Pfeffernuß zwischen den blanken Schneidezähnen stecken, also daß er mit seinen roten Wangen und seinen runden entzückten Augen aussah wie ein doppelsinniger Genius der Bewunderung und des Appetits. Das schöne Mädchen aber streichelte ihm mit der weißen Hand über die braunen Locken und geleitete ihn lächelnd mit einem freundlichen Gruße an die Mutter hinaus, und nun mußte sich Meister Baltzer abermals seufzend gestehen, daß der Maler bei solch einem Wesen unmöglich all die Anmut wiedergeben kann, die der liebe Gott hineingelegt hat – am wenigsten auf einem Staatsbilde für die Familiengalerie des Herrn Oheims.

Der Oheim hatte sich inzwischen mit Hilfe eines Glases Xeres wieder von den Mühen der Treppenbesteigung erholt und wußte nun viel Lobendes und Schmeichelhaftes für Meister Baltzer zu sagen. Er würzte seine Rede mit unterschiedlichen Stellen aus lateinischen und welschen Schriftstellern; denn Herr Winand Aare von Mechter, derzeit erster regierender Bürgermeister, war ein sehr belesener Herr, und böse Zungen behaupteten, daß er in der Regierung verschiedener Städte vor Christi Geburt besser zu Hause sei, als in der Regierung seiner eigenen Stadt. Als ihm gleichwohl einmal mitten in einem Ovidischen Verse das Gedächtnis ausging, fiel seine Nichte ein und brachte mit wohltönender Stimme das gelehrte Citat glücklich zu Ende. Das war eine von ihren Künsten; daß es nicht ihre einzige war, erwies sie alsbald, indem sie kurzerhand nach Tafel und Kreidestift griff, um dem Meister Baltzer mit einigen sicher geführten Umrissen klar zu machen, warum ihr an ihrem Porträt eine Stelle in der Zeichnung mißfalle. Der Meister folgte ihr freundlich, widersprach und widerlegte sie auch zuletzt. »Die Schülerin hat wieder einmal zu klug sein wollen,« gestand sie mit einem Lächeln, das völlig frei von verletzter Eitelkeit war. »Sie macht aber dem Lehrer Freude,« erwiderte der alte Maler vergnügt.

Herr Winand unterbrach ihr Gespräch. »Das hättet Ihr aber doch nicht thun sollen, Meister Baltzer,« erklärte er stirnrunzelnd und deutete auf das dritte Bild. »Das schickt sich nicht.«

»Was?« fragte Meister Baltzer ruhig. »Daß ich den Mann male?«

»Ach, davon haben wir ja schon geredet,« erwiderte Herr Winand ungeduldig. »Es ist Eure Sache, und wenn Ihr durchaus den unehrlichen Meister abmalen wollt, meinethalben. Ihr seid ein Künstler, und denen muß man ein paar Sparren im Kopfe mehr zugestehen als anderen Christenmenschen. Aber Ihr hättet das Bild nicht neben das meiner Nichte stellen sollen. Das Fräulein Mechthildis Aare von Mechter neben Meister Jobst Frauentrost, unserem Nachrichter – brr!«

Meister Baltzer lächelte ein wenig spöttisch. »Verzeiht, gestrenger Herr,« antwortete er, »es ist nicht mit Fleiß geschehen. Ihr wißt, ein Maler stellt seine Bilder gern ins beste Licht und fragt wenig, wie sie zusammenkommen. So Ihr aber meint, daß die Unehrlichkeit im Bilde und durch die Luft noch ansteckt, so können wir ja gleich hier dies zweizöllige Brett zwischen die zwei Staffeleien stellen.«

»Wie und wo hat Euch denn Meister Frauentrost eigentlich gesessen?« fragte Mechthildis dazwischen.

»Ganz, wie es sich schickt, natürlich,« erwiderte der Maler mit vielem Ernst. »Es ist da eine Scheune gegenüber der Nachrichterei, sie gehört einem Küster, also gewiß einem sehr ehrlichen Manne. In selbiger Scheune saß ich, Meister Frauentrost mußte sich in seinem roten Mantel gegenüber an die Grenze seines unehrlichen Gartens setzen, und quer zwischen uns durch ließ ich von dem Küster eine Reihe halber Zitronen legen, wie man sie in der Pestzeit in der Hand trägt, gegen die Ansteckung, wißt Ihr. Fertig gemacht habe ich das Bild allerdings hier nach meiner Gewohnheit. Glaubt Ihr, daß das noch zu unvorsichtig war?«

Mechthildis lachte, ohne etwas zu erwidern, der Oheim aber hob den Zeigefinger und sagte halb im Ernst: »Ihr seid ein schlimmer Gesell, Meister Baltzer, und ich will lieber nicht weiter untersuchen, wo Ihr den Kerl da wirklich gemalt habt und ob Ihr seine Behausung nur von der Küstersscheune aus kennt. Macht's mit Eurem Beichtvater ab, wenn Ihr wollt. Und das mit dem Fertigmalen der Bilder zu Hause, das ist auch so eine verwünschte Grille von Euch. Hättet Ihr die schönen zwei Bilder bei mir im Mechterhause gelassen, so brauchte ich Eure vierzig Stufen nicht heraufzuklettern. – Wozu will er denn überhaupt ein Bild von sich haben?«

»Vermutlich für seine Kinder,« erwiderte Meister Baltzer gleichmütig. »Er wird wohl auch so eine Art Ahnengalerie haben. Die Frauentrost haben ja diesen angenehmen Posten schon seit achtundneunzig Jahren in Erbbesitz, wie er mir sagte.«

»Hat der Mann Kinder?« fragte Mechthildis, die unterdes an einem Tisch Platz genommen hatte und in dem Skizzenbuch des Meisters blätterte.

»Zwei Töchter,« berichtete Meister Baltzer. »Hübsche Mädchen – wenn man das vor Seiner Gestrengen Ohren von so unehrlichen Leuten sagen darf.«

»Was wird aus ihnen?«

»Scharfrichtersfrauen – wenn sich ledige Scharfrichterssöhne um sie bewerben. Man hält bei diesen Leuten beinah so streng auf standesgemäße Partien wie bei den Ritterbürtigen. – Uebrigens,« fuhr Meister Baltzer fort, ohne das Erröten des Fräuleins bei seiner Auskunft zu beachten, »die Freier werden sich schon finden. Es ist ein fetter Erbposten, seit die Hexenprozesse in Schwung gekommen sind. Darum hat auch wohl Meister Jobst die vielen Runzeln im Gesicht; ich denke mir, er hat allemal eine mehr bekommen, wenn er wieder ein Weibsbild foltern mußte.«

»Redet nicht so vermessen, Meister Baltzer,« versetzte der Bürgermeister verlegen; »die Hexenprozesse sind von den gelehrtesten und vorsichtigsten Juristen und Theologen angelegt, und Papst Innocentius, der sie zuerst in ordentliche Form brachte, wird wohl besser gewußt haben als Ihr und ich, was für die Christenheit not ist. Uebrigens sind sie in den ketzerischen Landen des Reiches beinahe überall auch. Es ist schrecklich, wie mächtig der Teufel ist.«

»Jawohl,« warf Meister Baltzer ein. »Es gibt welche, die haben alle Grade der Folter ausgehalten, ohne etwas zu gestehen. Und ganz junge Dinger darunter; beinah noch Kinder. Es hat ihnen aber doch nichts geholfen.«

»Weil sie eben das Zeichen am Leibe hatten,« erwiderte Herr Winand.

»Freilich,« bestätigte Meister Baltzer und zog mit der trockenen Pinselspitze leise über das Porträt, als ob er dem Mann im roten Mantel noch einige Runzeln mehr ins Gesicht setzen wollte. »Weil sie eben das Zeichen hatten.«

»Ei, Meister, was habt Ihr denn da?« rief Mechthildis plötzlich und reichte ihm das geöffnete Buch hin.

Meister Baltzer blickte ein wenig verlegen auf das Blatt. »Mich dünkt, Ihr kennt dies junge Fräulein besser als ich selber.«

»Ich sollt' es meinen,« erwiderte sie. »Habt Ihr auch ein Recht, mich so hinterlistig zu konterfeien?«

Der Oheim war neugierig näher getreten. »Recht hübsch,« meinte er, »aber nicht vornehm genug.«

»Ich glaube, es ist sehr ähnlich,« bemerkte Mechthildis nachdenklich. »Da sieht man doch einmal, wie man ohne all den Putz aussieht, im einfachen Hauskragen. Wie ist's, Meister, das Blatt trenne ich mir heraus?«

»Laßt mir's,« bat Meister Baltzer, »später, wenn Ihr's einem Liebsten schenken wollt, soll er's haben.«

Das Fräulein verzog die Lippen und blätterte weiter. »Und wer ist der junge Mann hier mit dem Milchbärtchen und den Krauslocken?«

»Das ist die Haustaube oben vom Martinsfeuerturm, Hans Maybrunner heißt er.«

»Mir scheint, Ihr liebt es, Eure Bilder wunderlich zu ordnen,« schmollte das Fräulein. »Wie habt Ihr denn den erwischt? Es steht doch keine Küstersscheune in der Luft vor dem Feuerturm?«

»So werde ich wohl hinaufgestiegen sein,« erwiderte Meister Baltzer und schenkte dem Bürgermeister das dritte Glas Xeres ein. »Der junge Mann ist ja auch nicht ganz so unehrlich zu achten wie der Meister Frauentrost, wenn er auch eines Leinewebers Sohn ist.«

»Das wird ja immer schöner. Wie kommt der unehrliche Leineweberssohn auf den Turm?«

»Das kann ich dir sagen, Nichte,« begann Herr Winand. »Als unsere alte Haustaube auf dem Feuerturm gestorben war – der Matheis Fischer, weißt du, es war ein ganz braver, stiller, wachsamer Mann, du hast durch mich noch die zwei Bagdader Tauben von ihm bekommen – na, also da mußte die Witwe natürlich vom Turm herunter, vorausgesetzt, daß der Nachfolger sie nicht freien wollte. Es hätte sich aber wohl keiner gefunden, der die mit in den Kauf nahm, die alte Brigitt; denn sie ist wohl so alt wie unser Meister Baltzer hier –«

»Genau so alt,« bestätigte der Maler. »'s ist eine Landsmännin von mir, aus dem Nassauischen. Ein braves Weib – bäckt die besten Apfelkuchen.«

»Möglich,« fuhr der Bürgermeister fort, »aber schön war sie nie. Na, eine gute Unterkunft war ihr ja kontraktlich sicher, im Altfrauenhaus; aber sie hielt an und jammerte, so tief unten halte sie es nicht mehr aus, sie wäre die Turmluft gewohnt. Da stellt sich auf einmal der Leineweberssohn ein, sagt, sein Vater wäre just gestorben – 's war ein Eingewanderter, draußen in einem von unseren Dörfern wohnte er – und er sei doch der Brigitte Schwesterkind, und wenn wir's mit ihm versuchen wollten, so bitte er um den Posten, so brauche die Muhme nicht herunterzuziehen. Denn das sei er ihr doch schuldig. Und da – «

»Nun?« fragte Mechthildis, die während des Berichtes die Zeichnung immer aufmerksamer gemustert hatte.

»– da haben wir's eben gethan. Es ist jetzt zwei Jahre her, du warst damals noch bei deiner Muhme-Aebtissin in Marienforst. Hat ganz gut gegangen seitdem. Ein braver junger Bursch – auch ein recht hübscher Bursch. Nur ein bißchen verträumt, aber das kommt vom Weben, und bei dem Nachtwachen wird's nicht besser. Er hat einen zahmen Raben, mit dem soll er völlig reden wie mit einem Menschen. Der Meister Baltzer ist wohl öfter oben gewesen, der treibt sich ja überall herum.«

»Was er als Maler auch muß,« versetzte Meister Baltzer. »Sonderlich wenn eine so gute Apfelkuchen und dergleichen bäckt, wie die alte Brigitte.«

»Ihr sollt mir nächstens einmal das Rezept dazu bringen,« bemerkte Mechthildis freundlich lächelnd. Dann schloß sie das Buch nach einem letzten langen Blick auf die Zeichnung und erhob sich zum Aufbruch.

Draußen kreiste über dem Gartenrevier noch ein einzelner Taubenschwarm, anscheinend wenig bekümmert um die Pfiffe, die ihm von einem auffallend plump gebauten, verwitterten Rittertürmchen nachgellten.

»Das ist Euer Vetter, Junker Lambertus von Halveren,« sagte Meister Baltzer mit spöttischem Behagen. »Merkwürdig, was die Tauben eine Geduld mit ihm haben. Wie ist es, Fräulein, – Ihr habt ja auch zwei schöne Tauben, wißt Ihr, die silbergrauen, von dem alten Feuerwächter? Es sollen ja richtige holländische Botentauben sein. Wollt Ihr sie dem Herrn Vetter nicht schenken? Wo sind sie?«

»Auf dem Mechterhof draußen,« erwiderte das schöne Fräulein wunderlich verwirrt, »als ich zu Ostern dort war, lebten sie noch, möglich, daß sie sich unser Hofmeier inzwischen gebraten hat. Ich mache mir nichts aus den Tieren; aber für einen Narren wären sie mir doch zu gut.« Sie deutete mit der Achsel verächtlich nach dem Fenster.

»Rede nicht so gröblich von deinem Vetter,« verwies sie der Oheim, »es sind schon Schlimmere mit der Zeit klug geworden. Lebt wohl, Meister Baltzer, – also morgen schickt Ihr die Bilder, es ist mir leid, daß sie so lange noch in der Gesellschaft von dem Rotmantel hier stehen. – Ach Gott, was ist das für ein schönes Wetter! Wenn es doch wenigstens heut abend regnen wollte, dann blieben die Leute zu Hause, und unsereins brauchte sich nicht mit der Angst zu quälen, daß die Junker und die Zünfte wieder aneinander geraten! – Wenn's doch hageln wollte!«

Als die beiden das Gemach verlassen hatten, blickte Meister Baltzer noch eine Weile nachdenklich auf die Bilder, dann ergriff er plötzlich mit einer raschen Bewegung die kleinere Tafel und stellte sie in eine Ecke, mit der Bildseite nach der Wand. »Es ist ein Unsinn,« brummte er, »der alte Narr hat mich selber angesteckt mit seiner lächerlichen Ansteckungsangst. Und doch – wenn's mal auch hier so recht losgeht mit dem Verfolgungswahn, – ach Gott, es wäre zu schrecklich. Es sind so viele umgekommen, – weil sie das Zeichen hatten.«



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