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Sechstes Kapitel.

Früh morgens um sieben Uhr sollte die Befragung der Hexe beginnen. Die Kommission freute sich sehr über die Vorsicht, mit der Meister Frauentrost das Hexenloch verwahrt hatte. Drei Schlösser, alle drei zu mehrerer Sicherheit vorher mit Weihwasser besprengt, lagen vor der schweren eisernen Thür. Aber als die Thür endlich ächzend aufsprang, da befand sich's, daß der Teufel doch noch mächtiger ist als alle menschliche Vorsicht. Er hatte doch Eingang gefunden, – ein empfindlicher Schwefeldampf zeugte noch von seinem Besuch. Von der Hexe aber war nichts zu sehen. Der Teufel hatte sie geholt – vermutlich durchs Rauchloch; denn die starken Eisengitter vor dem einzigen kleinen Fenster waren unversehrt. Nun konnte sich Meister Frauentrost auch den schrecklichen Lärm erklären, den er in der Nacht gehört zu haben versicherte.

Der Fall war merkwürdig genug, – insofern er sich vor der Untersuchung ereignet hatte und auch der Körper der Hexe verschwunden war. Denn das war leider nichts Ungewohntes, daß eine peinlich Befragte plötzlich unter der Folter starb, und in solchen Fällen war es anerkannt, daß der Teufel die Seele geholt hatte, weil er ihren weiteren Geständnissen vorbeugen wollte. Hier aber hatte der Böse die Vorsicht noch weiter getrieben. Es blieb nichts übrig, als den Fall als ein »schätzbares Präcedens« zu den Akten zu nehmen.

Der Prozeß gegen die alte Brigitt war nun aus der unterirdischen Verhörkammer, in der schon die Sessel für die Kommission und die Werkzeuge für Meister Frauentrost und seine Gesellen bereit gestanden hatten, ganz in das Gebiet der wissenschaftlichen Erörterung versetzt. Die Bürger verhandelten ihn in ihren Trinkstuben, die gelehrten Juristen und Theologen in dickleibigen Schriften und Gegenschriften. Die Ordensprediger und Pfarrer der Stadt wetteiferten in Dankespredigten, worin sie der gottesfürchtigen Bürgerschaft Glück wünschten, weil der Böse, ohnmächtiger Versuche müde, sie zugleich von seiner und seiner Dienerin Anwesenheit befreit habe. Meister Frauentrost konnte seine schaurigen Werkzeuge einstweilen wieder wegpacken, ohne daß die Furchen in seinem Antlitz sich um eine vermehrt hatten.

Man war schließlich ganz zufrieden mit diesem Ausgang. Für einen anziehenden Gesprächs- und Vermutungsstoff war ja auch so gesorgt, und es hatte sogar seine Vorzüge, von einer Hexe zu reden, die selber nichts mehr aussagen konnte. Uebrigens erstreckte sich die allgemeine Befriedigung auch auf vornehmere Kreise. Mechthildis verriet ein stilles Vergnügen über die diabolische Unterbrechung des Prozesses, das ihren Oheim zu der Bemerkung veranlaßte, seine Nichte sei doch noch zarteren Gemütes, als er gedacht. In der Regel pflegten die jungen Patrizierinnen nicht so viel Schauder vor der Thatsache zu empfinden, daß ein verdächtiges altes Weib ordnungsmäßig »torquiert« werden sollte. Aber ihm selbst, Herrn Winand, war die Sache auch ganz recht. Von dem natürlichen Widerwillen, der ihm bei seiner Nichte auffiel, war seine Seele auch nicht ganz frei; zudem gab es in dieser Seele eine Ecke, in welcher ein starker Zweifel gegen die völlige Zuverlässigkeit des peinlichen Prozesses lebte, wenn auch Herr Winand ebensowenig wie andere vorsichtige Politiker seiner Zeit daran dachte, sich durch Aeußerung dieses Zweifels unangenehme Tage zu machen.

»Alles in allem bleibt es ein merkwürdiger Fall,« meinte er, als er ungefähr vierzehn Tage nach dem Ereignis mit Meister Baltzer in seinem Saalgemach auf dem Mechterhof beim Frühtrunk saß. Der alte Maler war tags zuvor von seiner Reise zurückgekommen und auf dem Mechterhof bei Herrn Winand eingekehrt, – nur auf eine halbe Woche, dann wollte er für längere Zeit nach Diez übersiedeln. Mechthildis verweilte noch in der Stadt, heute aber wollte auch sie ihren Landaufenthalt beginnen.

Es war ein schöner sonniger Maimorgen, draußen in dem Ziergarten des Fräuleins blühten die ersten Rosen, vereint mit ihrem Dufte zogen durch das offene Fenster die Lieder der verliebten Vögel, die in den Kirschbäumen und Fliedersträuchern ihr Hochzeitsglück besangen, und von fern her, aus dem alten Buchenwalde, klang sogar der Ruf eines Kuckucks herüber. Der saß aber schon auf kurfürstlichem Gebiete und versorgte das städtische nur im Nebenamt mit seinem Rufe.

Meister Baltzer hatte während der Auseinandersetzungen seines Wirtes nachdenklich ein Bild betrachtet, das an der gegenüberliegenden Wand des Gemaches hing. Das Bild stellte ein junges Mädchen von überaus anmutigen und fast allzu zarten Formen dar, in bräutlichem Schmucke. Es war das Porträt von Mechthildis' Mutter, Meister Baltzer hatte es vor beinah zwanzig Jahren kurz vor seiner zweiten Reise nach Welschland gemalt, und ungeachtet alles dessen, was er angeblich auf dieser Reise gelernt, hielt er es für sein bestes Bild.

»Ja,« bemerkte er jetzt, »natürlich ist's ein eigener Fall. Der Pater Ignatius Kleutermann aus dem Jesuitenkolleg drüben in Eurer Stadt will ja ein besonderes Buch darüber schreiben, und wie ich den Mann kenne, wird es ein tiefes Werk werden.«

»Das wird es gewiß,« erwiderte Herr Winand mit einem fast verschmitzten Lächeln, »aber alles weiß der gute Pater Kleutermann doch auch noch nicht, wenn er auch eine Autorität in Hexensachen ist, seit er vor zwanzig Jahren bei dem ersten Massenbrand im Kurfürstlichen drüben die richtige Form und Stelle entdeckt hat, womit der Teufel seine schlimmsten Gefährtinnen am Leibe zeichnet. Denn seht Ihr, Meister Baltzer – ganz unter uns und weil ich weiß, daß Ihr schweigen könnt –: das weiß der Pater Kleutermann doch nicht, daß der Kerl, der Hans Maybrunner, wirklich und wahrhaftig an jenem Morgen mit seinem Raben aus unserer Stadt gegangen ist!«

Meister Baltzer nahm diese Mitteilung so gelassen auf, daß der Bürgermeister beinahe böse wurde. »Woher wißt Ihr denn das, gestrenger Herr?« fragte er.

»Man sollte es Euch eigentlich gar nicht sagen,« erwiderte Herr Winand. »Ihr thut ja doch, als ob Ihr alles von selbst wüßtet. Auch wärt Ihr der einzige, der es außer dem Rate erführe, – doch ja, meiner Nichte hab' ich es auch erzählt, und so will ich's Euch denn auch in Gottes Namen verraten. Es ist jetzt zehn Tage her, da faßten uns die Gewaltdiener ein paar fahrende Spielleute ab, die sie am Wall beim Kaninchenfang erwischt hatten. Und die Spitzbuben ließen mir aus dem Gefängnis bestellen, sie wüßten eine wichtige Sache, die sie mir aber nur gegen Freilassung gestehen wollten. Na, schließlich nahm ich sie mir mit Beistimmung meiner Kollegen vor, und da berichteten sie, daß sie einem jungen Kerl, so und so angethan, mit einem Raben auf der Schulter und einem Waldhörnchen am Bande, drüben im Kurfürstlichen am ersten Mai begegnet seien; und das sei ja wohl am Ende der verschwundene Feuerwächter gewesen, von dem die ganze Stadt spreche. Sie hätten damals just von ihrer Bande Abschied genommen, die weiter ins Reich, dem Oberland zu, zog, und der habe sich der Kerl dann angeschlossen, weil er denselben Weg habe. Gesprochen hätten sie selber nicht viel mit ihm, nur sich erkundigt, wie man am besten ungeschoren in die Stadt komme; er habe ihnen gesagt, er sei einfach durchs Severinsthor gegangen, aufgehalten habe ihn niemand, und so hätten sie auch diesen Weg genommen und seien auch ungefragt hereingekommen. Und das war auch ganz natürlich; denn seht Ihr, der Thorgraf ist schon seit vier Wochen auf einer Wallfahrt unterwegs, und die zwei Halunken von Stadtsoldaten, die damals den Posten in der Severinsthorburg hatten, die hatten just am Abend vorher den Namenstag ihrer Frauen gefeiert, die alle zwei auf den christlichen Namen Walpurgis getauft sind, und um ihren Rausch ungestört auszuschlafen, hatten sie einfach das Thor offen gelassen. Das haben wir aber erst später herausbekommen.«

»So, so,« machte Meister Baltzer und schlürfte bedächtig an seinem Weine. »Ihr habt doch eine köstliche Sorte in Eurem Keller, gestrenger Herr, – und was hat denn der hochweise Rat mit diesen Entdeckungen angefangen? Habt Ihr dem Durchbrenner nachspüren lassen?«

»Wo denkt Ihr hin, Meister Baltzer?« versetzte der Bürgermeister. »Das wäre eine hübsche Geschichte geworden, wenn die Zünfte davon Wind gekriegt hätten, wie der aus der Stadt gekommen ist. Und dann – wozu sollten wir ihm nachspüren? Uns liegt doch nichts an dem Kerl. Nein, wir haben die zwei fahrenden Burschen einfach schwören lassen, daß sie die Sache verschweigen würden, und dann sind sie mit einem Gulden Zehrgeld über die Grenze gebracht worden. Die zwei Turmsoldaten werden schon reinen Mund halten, übrigens hat sie der Rat natürlich von dem Posten weggenommen und wieder unter die Truppe gesteckt, unter Erhöhung zu Gefreiten, weil sie doch Frau und Kinder haben und der Sold nicht so hoch ist wie die Trinkgelder am Thor. Aber weshalb ich Euch die Geschichte erzählt habe: seht, geholt hat der Teufel die Alte ja nun einmal, und er wird auch wissen, weshalb; aber wenn der Hans Maybrunner jetzt wirklich da draußen im Reich herumstrolcht, so war das doch am Ende wahr, was sie uns damals erzählt hat. Und das weiß der Pater Kleutermann nicht. Im übrigen, wie ich Euch schon sagte: mir ist es recht, daß der Teufel kurzen Prozeß gemacht hat, denn es ist ein widerwärtiges Ding mit den Malefizsachen, wenn sie auch fast in aller Herren Ländern, rechtgläubigen und ketzerischen, im Schwange sind, und ich wollte, mein Vetter Sebaldus hätte sie nie bei uns aufgebracht.«

»Amen,« fügte Meister Baltzer hinzu. »Ich wollte, es wäre ein Ratsbeschluß, was Ihr da sagt, gestrenger Herr. Auch um des Rates willen. Denn es ist leichter, ein Ding aufbringen als aufhalten, und wer steht euch Herren dafür, daß der Verdacht nicht auch einmal von den alten Bettelweibern und Turmwächterwitwen auf eure eigenen Hausfrauen und Töchter überspringt?«

Herr Winand ließ seinen Becher sinken und sah den Maler maßlos erstaunt an. »Ihr seid ein Narr, Meister Baltzer. Seht Euch einmal gefälligst das Wappen auf Eurem Sessel da an, meint Ihr, daß irgend ein albernes Geschwätz den Namen einer trüben werde, die ein solches Wappen führt? Ihr seht Gespenster.«

Meister Baltzer lächelte bitter. »Mit dem Gespenstersehen ist es eine eigene Sache, gestrenger Herr. Ihr seid ja belesen. Die Geschichte von der heidnischen Prophetin Kassandra kennt Ihr doch? Die sah auch Gespenster, die Leute wollten es ihr nur nicht glauben. Und was diesen ehrwürdigen Wappenschild auf Euren Stühlen angeht, er ist zwar sehr schön geschnitzt und man merkt ihm seine vierhundert Jahre schon am Stil an, aber meint Ihr, daß die Volksmeinung, wenn sie einmal im Fieber ist, sich viel an ein Ritterwappen kehrt? Der Bischof zu Bamberg hat es auch gemeint, als er so fleißig wider die Hexen und Zauberer im Volke arbeiten und ihrer dreihundert und etliche verbrennen ließ, dreizehn Brände nacheinander; aber zum dreizehnten Brand holten sie sich die Hexen schon aus seiner Hofburg, und zuletzt hat er es miterleben müssen, wie sein siebzehnjähriger Neffe und letzter Blutsverwandter als Zauberer aus sonderlicher Gnade mit dem Schwerte gerichtet ward, weil er zu viel in den Büchern las und das Teufelszeichen an seinem Leibe trug, das kleine braune Mal unter der linken Achsel, ganz nach Kleutermannscher Vorschrift, zunächst dem Herzen. Und nun, gestrenger Herr, merkt wohl auf: was würdet Ihr sagen, wenn es Euch genau so erginge wie dem Bischof?«

In jähem Schrecken fuhr Herr Winand von dem Sessel auf. »Was wollt Ihr damit sagen, Meister Baltzer?« rief er keuchend.

»Was Ihr daraus verstanden habt,« erwiderte der andere leise. »Sie hat das Zeichen.«

»Woher wißt Ihr das?«

Meister Baltzer schwieg und blickte nach dem Bilde hin.

»Ah,« seufzte Herr Winand, und indem er das Bild betrachtete, fügte er beklommen hinzu: »Ihr waret immer ihr Vertrauter, Meister Baltzer.«

»Ich verstehe Euch,« antwortete der alte Maler. »Ihr meint, was ich von jener dort über ihr Kind weiß, brauchen nicht viele sonst zu wissen, und ich glaub's auch. Ja, ich war ihr Vertrauter. Und, gestrenger Herr, wenn Ihr auch eben noch so stolz auf das Wappen da wieset, so laßt Euch doch sagen, es ist nicht oft ein Vertrauen so teuer erworben worden wie dieses. Ihr wißt wenig, wie einem armen verwachsenen Kerl zu Mute ist, der unversehens merkt, daß er sich so recht von Herzensgrund just in die verliebt hat, die ihm die Unerreichbarste ist. Als ich das Fräulein von Hernoth, Eures Bruders Braut, für ihren braven Bräutigam malen mußte, da habe ich das Bild da mit meinem Herzblut gemalt, und drum ist es mein bestes geworden. Ein anderes Bild aber, noch ein viel besseres, hatte ich mir von ihr behalten in meiner armen Seele; was ich diesem Bilde in tausend Schmerzen gelobt, das hab' ich rein und redlich gehalten, und darum war ich ihr Vertrauter vor anderen und durfte es sein. – Genug davon. Ihr wißt, wie sorgsam sie darauf hielt, daß sie des Kindes immer selbst wartete und es keiner dienenden Magd überließ, und Ihr wißt nun auch weshalb. Und selbst, wenn die eine oder andere darum wüßte, – 's ist ja nicht schlimm und denkt kein Mensch daran, solange der Hexenruf schweigt. Aber alsdann, – wenn's erst so weit ist, daß jedes alte Weib denkt: weißt du keine mehr, die mit dabei gewesen sein kann –«

»Meister Baltzer, quält mich nicht mit Eurer schrecklichen Phantasie,« stöhnte Herr Winand. »Es ist zu greulich. Wie um Gottes willen kommt Ihr nur darauf, es mir jetzt zu sagen, wo Ihr so lange geschwiegen habt?«

Meister Baltzer überlegte einen Augenblick, dann stand er auf und versicherte sich, ob die Thüren fest im Schloß seien. »Ich will Euch auch etwas im Vertrauen erzählen, was der Pater Kleutermann nicht weiß,« begann er leise, nachdem er wieder Platz genommen. »Ihr waret ja bei dem einzigen Verhör der Brigitt zugegen, und Ihr habt ganz recht, sie hat damals die Wahrheit gesagt. Aber nicht die ganze Wahrheit. Das Wichtigste hat sie mir vorher gesagt – oben auf dem Turme – und wenn Ihr wollt, könnt Ihr mich jetzt verhaften, denn ich hab' sie geheißen, es vor euch Herren zu verschweigen: nämlich daß die Taube, die den Unglücksmenschen fortlockte, eine von Eurer Nichte Mechthildis war. – Ja, sagt noch nichts, es kommt noch mehr. Seht einmal hier.«

Mit zitternden Fingern faßte Herr Winand das winzige Ding, das ihm Meister Baltzer hinreichte. Es war ein ganz schmales, seidenes Blättchen, in eine Federspule gedreht, darauf stand zierlich wie mit der Nadel geschrieben ein Verschen:

»Ich steh' allein, wer holt mich ein,
Wer holt mich heim vom heißen Stein?«

Verständnislos blickte Herr Winand auf die kaum lesbar kleine Schrift. »'s ist ein Kinderreim, die kleinen Mädchen singen ihn seit etlichen Jahren beim Spielen,« murmelte er.

»Stimmt, gestrenger Herr,« antwortete Meister Baltzer. »Sie singen ihn, wenn sie Hexe und Freier spielen. Das heißt, eines, die Hexe, steht auf dem Scheiterhaufen und singt den Reim, und dann kommt ein anderes und singt:

›Ich will, ich will dein Ritter sein,
Ich hol' dich heim vom heißen Stein.‹

Das ist dann der Ritter, der holt sie aus den Flammen, befreit und freit sie. Die jungen Edelfräulein in den Klosterschulen schreiben das Verschen auf einen Ball und werfen ihn, die ihn fängt, darf Ritter sein und bekommt ein Pfand von der Hexe oder einen Kuß. Alles Kinderspiel. Kinderspiel auch, wenn so ein junges verträumtes Fräulein einmal in seiner Einsamkeit hier auf dem Mechterhof das Verschen vor lauter Langeweile und Verdrehtheit in eine Federspule dreht und seinen Tauben an die Schwanzfeder klebt, wie es die Holländer mit ihren Brieftauben thun – «

»Meister Baltzer!«

»Und Zufall, wenn die Tauben nach ihrem früheren Schlag hinfliegen und dort eine just einem verträumten, halbverrückten jungen Gesellen in die Hände fällt, der in dem Verschen eine himmlische Offenbarung sieht –«

»Aber nun hört auf, Meister Baltzer!« rief der Bürgermeister und faßte ihn mit beiden Händen am Arm, »was soll das alles?«

»Das soll weiter nichts, gestrenger Herr, als daß die alte Brigitt am Morgen, nachdem ihr würdiger Neffe durchgebrannt, auch eine Taube abgefangen und in ihr die eine von dem Pärchen erkannt hat, das ihr Mann weiland dem Fräulein geschenkt. Und daß sie, nachdem sie das Tier vermutlich abgedreht, um es zu braten, beim Rupfen das Ding da an der Schwanzfeder fand. Glücklicherweise kann sie nicht lesen. Und daß, wenn der Teufel – ich wollte sagen, wenn ich ihr nicht erst Schweigen geboten und nachher der Teufel sie schleunigst der Neugierde Eurer Kommission entrückt hätte, der Meister Frauentrost ihr vermutlich notgedrungen und, wie ich zu seiner Ehre annehmen darf, wider Willen die Geschichte entlockt hätte. Was aber aus einer solchen Kinderei alles in einem Hexenprozeß werden kann, das brauche ich Euch nicht zu sagen, gestrenger Herr. Spätere Zeiten werden darüber ungläubig lachen, aber ich meine, unsereinem vergeht das Lachen bei dem Gedanken.«

Herr Winand Aare von Mechter saß eine Weile schweigend, die rundlichen Hände fest zusammengeballt. Als der Maler das Blättchen wieder an sich nahm, griff er danach. »Es ist besser, wenn es bei mir bleibt,« sagte Meister Baltzer kurz, wickelte das Blättchen wieder in die Spule und barg beides in seiner Brusttasche.

»Habt Ihr – ich meine, weiß sie – ?« begann Herr Winand endlich.

Der Maler schüttelte den Kopf. »Durch mich nicht, – und auch Ihr dürft sie nichts davon merken lassen,« sagte er. »Von allem nichts, versteht Ihr, gestrenger Herr? Sie hat genug Gewissensbisse ausgestanden, da sie aus dem Bericht der Alten erfuhr, was der Zufall aus ihrem kindlichen Spiel gemacht. Also Ihr schweigt, und das bitte ich Euch mir bei dem Bilde dort zu geloben.«

»Ich gelobe es,« sprach Herr Winand. »Meister Baltzer, was habt Ihr mir heute aufs Herz gelegt! – Aber – « er blickte den Maler ängstlich an – »die Brigitt?«

»Ei, Herr,« sagte Meister Baltzer verwundert, »die hat ja der Teufel geholt!«

Herr Winand lächelte trübe. »Ich glaube, den Teufel kenne ich jetzt, und Meister Frauentrost kennt ihn auch,« sagte er und ergriff die Hand des Malers. Es war, als ob er noch etwas hinzufügen wollte, aber der Alte bewegte abwehrend den Kopf, und so sahen sie sich nur lange schweigend in die Augen.

»Geht, geht, gestrenger Herr,« sagte Meister Baltzer, »mich dünkt, ich höre Eurer Nichte Wagen auf den Hof fahren, vielleicht wäre es Euch lieber, wenn Ihr Euch zuerst etwas von unserem gelehrten Gespräch erholt, ehe Ihr sie begrüßt.«

Herr Winand neigte seufzend das Haupt und verließ schweren Schrittes das Gemach. Der Maler blickte ein Weilchen zu dem Bilde auf, welches jetzt im breiten Sonnenstrahl aufleuchtete. Endlich stand er auf und zog bedächtig den Vorhang des Fensters halb zu. »Das Licht ist zu heiß,« murmelte er, »es beißt einem ordentlich in die Augen.«

Dann ging er, Mechthildis zu begrüßen, die ihm auf dem Flur entgegenkam, strahlend von Jugend, Anmut und wahrhaft herzlicher Freude, als ob sie den liebsten Verwandten in dem kleinen, grauhaarigen Manne begrüßte.



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