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Sechzehntes Kapitel.

Junker Johann Erhard Knebel, der Oberamtmann zu Bacharach, stand im Rufe eines strengen Lehrmeisters, der stramm durchgriff und das Halbe so wenig bei anderen wie bei sich duldete. »Von einem gemeinen Köter kann man nicht mehr verlangen, als daß er bellt und zuschnappt, wenn die Spitzbuben kommen,« sagte er. »Aber was Rasse hat, das will ordentlich dressiert werden.« An seinem neuen Rekruten Hans Friso, wie er jetzt hieß, hatte er Rasse bemerkt, und demgemäß faßte er ihn an. Es war eine harte Lehrzeit für Hans. Die Ausbildung des jungen Kriegers hatte buchstäblich von der Pike an begonnen; denn noch bildeten die Träger dieser Waffe den wichtigsten Teil des Fußvolkes. Man nannte sie die Lastesel, und als Hans anfing die Waffe zu handhaben, merkte er auch, warum sie so hießen. Ueberhaupt sorgte der alte Feldwebel, dem der Junker seinen militärischen Elementarunterricht anvertraut hatte, ganz im Sinne des Meisters dafür, daß Hans für die ersten Monate nicht aus dem Turnfieber herauskam. Der Junker selbst hatte sich etliche Fächer: vorab Reiten, Degenfechten und die »Kriegsmoral«, wie er es nannte, vorbehalten, und schließlich trat auch der Domine in das militärische Lehrerkollegium ein – in der Lehre vom Wesen und Bedienung des Geschützes, worin die seefahrenden Völker, die Spanier, Türken, Engelländer und vor allem die Holländer damals den Landratten weit überlegen waren.

»Wie die Pein, so der Wein,« sagte der Domine eines Tages, als sie nach einer besonders anstrengenden Uebung auf die Weinberge hinabschauten, die in diesem Jahre dem Winzervolke für unendliche Mühen einen reichen Ertrag versprachen. Hans nickte verständnisvoll. Er empfand an sich die Wahrheit des Sprichworts. Mit jedem Tage in der scheinbaren Knechtschaft einer strengen Disciplin wuchs ihm jetzt das Gefühl eines männlichen, zukunftfrohen Selbstvertrauens. Freilich hätte er sich mit der Disciplin nicht so glücklich abgefunden, wenn sie ihm nur von außen gekommen wäre. Aber sie kam auch von innen, aus dem Willen, und darum ward sie ihm leicht. Darin lag auch das Geheimnis der Achtung, die ihm alsbald von seinen Kameraden und allem Dienstvolk auf der Burg zu teil geworden war. Der Junker Amtmann hatte ein wachsames Auge, aber auch viel zu überwachen, und wenn Hans gewollt hätte, so würde er leicht Mittel und Wege gefunden haben, um sich an mancher scharfen Ecke des Dienstes vorbeizudrücken oder doch dafür in leichtsinnigem Vergnügen schadlos zu halten. Die Leute wußten ja doch, daß er etwas Besonderes war, wenn er auch noch kein Abzeichen einer Charge auf dem braunen Soldatenwams trug, sie sahen um ihn den ganzen Abglanz des Ansehens und Reichtums seines Adoptivvaters leuchten und wären ihm dementsprechend entgegengekommen. Da er aber an eine gelegentlich in kameradschaftlichen Formen geübte Freigebigkeit nie die Bedingung unnobeler Gegendienste band, ja auch die Andeutung von solchen geflissentlich überhörte und auch in seiner Lebensweise die richtige Mitte zwischen seiner günstigeren Glücksstellung und seinem derzeitigen Stande hielt, so fanden die Leute, daß er wirklich verdiene, »etwas zu werden«.

Ein unerwartetes Wiedersehen hatte ihm der Besuch des Meisters Baltzer gebracht. Der alte Maler war durch die Briefe des Domine von der Ankunft des Flüchtlings in Bacharach, von seinem vorherigen Erlebnis mit Mynheer van Tessel und Renata unterrichtet worden, und nachdem er nun auch die neue Wendung seines Geschickes erfahren, ließ er es sich nicht nehmen, gegen Ende des Sommers nach den vier Thalen heraufzureisen. Die beiden hatten einander viel zu erzählen, Meister Baltzer aber verstand auch die Kunst, über gewisse Dinge, wo es ihm nützlich schien, weniger zu erzählen, als er wußte. Unbedenklich berichtete er Hans, wie er mit dem Meister Jobst Frauentrost die Flucht der alten Brigitte verabredet und bewerkstelligt habe. Als aber Hans unter Beistimmung des Junkers von der Fügung des Himmels redete, die ihn durch jene wunderbare Taubenpost auf den heißen Stein geführt habe, begnügte sich Meister Baltzer mit einem ungläubigen Lächeln. »Die vornehmen Herrschaften in der Stadt treiben ja allerhand Spielerei mit Tauben,« meinte er. »Es ist eben ein Zufall gewesen.« Nur seinem alten Freunde, dem Domine, von dessen Verschwiegenheit er genügend Proben besaß, vertraute er unter vier Augen an, wer die Absenderin jener Taube gewesen sei. Es war nicht das erste Mal, daß er mit dem Domine über Mechthildis sprach. »Es hat eben jeder sein Sorgenkind,« meinte er. »Ihr habt Euch jetzt auch eins verschafft, sorgt nur, daß er nicht wieder ins Träumen kommt, Euer Hans.« Uebrigens schien er sehr zufrieden von allem, was er hier sah, und ganz besonders freute er sich auf den Eindruck, den er bei Brigitte mit der Schilderung ihres kriegerischen Neffen machen werde. Einen Monat darauf kam dann leider die Meldung von ihm, daß die gute Alte nach einem kurzen Krankenlager aus diesem Leben geschieden sei.

Hans durfte die Nachricht mit einer Bewegung aufnehmen, die durch keine Selbstvorwürfe verbittert war. Er wußte, daß die Alte bei Meister Baltzer einen friedlichen und sorgenfreien Lebensabend gefunden hatte. Sein eigenes Verhältnis zu ihr war nie besonders innig gewesen; als er damals zu ihr zog, um ihr den Verbleib in ihrer gewohnten Umgebung zu erhalten, hatte ihn weit mehr das schwärmerische Bedürfnis nach einer guten That geleitet, als persönlicher Anteil an seiner Muhme, und während ihres Zusammenlebens war die Freundschaft nicht inniger geworden. Durch Meister Baltzer hatte er ihr von Bacharach aus noch etliche ihrem Geschmack angepaßte Geschenke gesandt. Und ihren Dank dafür in einem dem Meister Baltzer diktierten, sehr kurios abgefaßten Briefe erhalten; weitere Beisteuer hatte der alte Maler damals abgelehnt. »So lange die Brigitt für mich sorgt, kann ich auch für sie sorgen,« erklärte er. Nun war sie erlöst aus dieser Welt der Leiden und Hexenprozesse, und mit ihrem Tode war ein dunkles Band zerschnitten, das Hans noch an die Vergangenheit fesselte.

Wenige Tage nach der Todespost aus Diez begann in den vier Thalen ein überaus lebhaftes und lustiges Treiben. Die Weinlese war eröffnet, und was für eine Weinlese! Seit zwanzig Jahren hatten die edlen Reben nicht so zeitig gereift und nach Menge und Güte so vortrefflichen Ertrag verheißen. Selbst die müden, sanften Augen des greisen Doktors Crustarius, der langsam, auf den Arm seines Diakons gestützt, durch die Reihen der Winzer wandelte, ließ die Fülle des Segens noch einmal in einem weinfrohen Glanze aufleuchten, der vielleicht keinem Oberkirchenrat, aber dem lieben Gott gewiß sehr gefiel. Nur Hans fühlte sich inmitten der allgemeinen Fröhlichkeit einsam und enttäuscht. In der Menge der Gäste vermißte er eine zarte Gestalt, auf deren Anblick er sich seit Monaten heimlich gefreut hatte, und nun er sie vermißte, empfand er erst recht, wie sehnlich er auf sie geharrt hatte.

Im Laufe der Monate hatte sich in seiner Lade ein kleiner kostbarer Schatz angesammelt, eine Anzahl Briefchen von seinem Raben, in einer zierlichen mädchenhaften Handschrift. Der schwarze Briefsteller entschuldigte sich gleich im ersten, daß er dem Fräulein Renata diktieren müsse, da er selber noch immer nicht schreiben könne. Diktieren konnte er jedenfalls um so besser – es war erstaunlich, wie anmutig und herzlich zugleich er immer wieder, zwischen allerlei kindlichem Geplauder von seinem Zusammenleben mit den »bunten krummschnabligen Vettern aus dem Mohrenland«, von dem Fräulein zu erzählen wußte, das seinem früheren Herrn so dankbar sei, so froh, daß es ihm gut gehe, und so gespannt darauf, ihn zur Weinlese in Bacharach wiederzusehen. Die Briefe Mynheers van Tessel an den Domine, in welche diese Rabenpost beigelegt war, enthielten ja auch viel Schmeichelhaftes für Hans; Mynheer wünschte seinem alten Freunde immer wieder Glück zu einem solchen Adoptivsohne und versicherte jedesmal, wie sehr es ihn allzeit freuen werde, Hans aus allen Kräften dienen zu können; aber der Rabe wußte ihm doch noch ganz anders ans Herz zu greifen. Immer aufs neue las Hans diese Briefchen, obzwar er sie längst auswendig wußte und manche Stellen aus ihnen sich unzähligemal hersagte, wenn er des Nachts auf einsamer Wacht stand, das Glöckchen in der verlassenen Wernerskirche leise klingen hörte und drüben, auf dem heißen Stein, das weiße Sommerhäuschen seines Adoptivvaters im matten Sternenlichte schimmern sah. Und dann war es ihm wie ein seliges scheues Ahnen, als ob er die Sendung der Taube damals doch eigentlich recht gedeutet habe.

Nun aber waren die ersehnten Gäste doch nicht gekommen. Auch der Domine schien das vereitelte Wiedersehen schwer zu verwinden; er sah überaus ernst und kummervoll aus, nachdem er den Absagebrief seines Freundes gelesen. Als ihn Hans fragte, warum sie denn nicht kämen – der Rabe hatte in seinem dermaligen Brief vor lauter Bedauern vergessen, den Grund anzugeben – antwortete der Domine: »Geschäfte, – Herr Adriaan hat daheim zu viel zu thun. Und dann wäre die Reise auch wohl zu anstrengend für Renata.« – »Das Fräulein ist doch nicht krank?« fragte Hans erblassend. Der Domine sah ihm teilnehmend in das verstörte Gesicht. »Nicht doch,« versetzte er mit einem schwachen Lächeln. »Sie ist nur sehr zart, weißt du. Und die Aerzte sind ängstliche Leute.«

Einem Jüngling, der das Herz auf dem rechten Fleck hat, wird die Enttäuschung eines nichterfüllten Wunsches zum Sporn erhöhten Pflichteifers. Der Junker Amtmann hatte alle Ursache, mit seinem militärischen Novizen zufrieden zu sein, zumal in einer Zeit, wo die allgemeine Festfreude die Versuchungen so nahe legte. Wortreiches Lob verschwendete der Junker nicht; um so schwerer wogen die knappen Aeußerungen seines Beifalls bei seinen Untergebenen, da sie wußten, daß ihm seine Stellung in hohem Maße die Macht gab, auch anders als in Worten zu lohnen und zu strafen. Auch von dieser Macht hatte Hans jetzt eben einen Beweis empfangen, auf den er sehr stolz war. Er hatte die Stufen der Pike und Muskete jetzt hinter sich und trug als Gefreiter die Montur eines Dragonerregiments, das allerdings bis auf einen winzigen Stamm ganz auf dem Papier stand und erst im Kriegsfall von dem Junker als Obersten geworben werden sollte.

Kurz nach der Weinlese hatte der große Markt begonnen, auf dem der Bestand des vorigen Jahres an heimischen und rheingauischen Weinen zur Versteigerung gelangte. Das war eine Zeit, wo das alte Bacharach vor Antritt des Winterschlafes noch einmal sehr munter wurde und eine Menge vornehmer Gäste sah. Es entsprach dem vorsichtigen Wesen des Junkers, daß er eben in dieser Zeit ein besonders scharfes Auge auf seine Burg und Leute hatte und dafür sorgte, daß sie sich vor all dem Besuch in gutem Lichte zeigten. Heuer aber hatte er dazu noch seine besonderen Gründe. Unter den fremden Gästen war einer erschienen, der vordem selber auf Stahleck kommandiert hatte und jetzt in Heidelberg im Rate des Kurfürsten, mehr noch der Kurfürstin, die erste Geige spielte. Das war der Ritter Heinz-Dietrich von Schönburg, derzeit Geheimer Rat, Burggraf zu Starkenburg, Vogt und Gardeobrist zu Heidelberg, ein mächtiger Herr und nicht unwürdig des großen Namens seines Geschlechtes, das der Welt vor ihm und nach ihm so viele berühmte Kriegshelden und Fürstenräte schenkte. Er hatte die Weinlese bei seinem Bruder auf der Stammburg vor Oberwesel gefeiert und war nun auf der Heimreise von dorther mit etlichen Kavalieren in dem Schönburgschen Erbhause zu Bacharach eingekehrt, um in den vier Thalen die Martinsgans zu essen, wie er sagte; einen amtlichen Auftrag zur Inspektion der Feste habe er nicht. Die beiden gewaltigen Herren behandelten einander sehr höflich, aber der Junker war auf seiner Hut.

Auf den zweiten Abend war der Geheime Rat zu einem großen Bankett im Rittersaal der Feste geladen. Als er, eine halbe Stunde vor Beginn, droben schon die Lichter festlich schimmern sah, verließ er mit seinen Kavalieren ohne Auffallen die Stadt und führte sie unterhalb des Burgberges bis an einen schmalen Pfad. »Laßt uns hier heraufsteigen,« sagte er, »ich kenne den Weg.« Die Herren nahmen das Gebot verständnisvoll auf, und nach einer Viertelstunde mühsamen Steigens winkte ihnen in der Mauer der weitläufigen Feste ein hübsches kleines Pförtchen. Hier aber vertrat ihnen ein junger, schnurrbärtiger Dragoner den Weg, die kurze Radschloßflinte schußgerecht im Arm, und verlangte Losung und Parole.

»Weg da, Kerl!« sagte der Geheime Rat, »siehst du nicht, wer wir sind?«

Der Dragoner wiederholte seine Forderung und hob die Waffe.

»Was soll das heißen?« rief Der von Schönburg, »willst du gehorchen, Kerl?«

»Nur meinem Oberst,« erwiderte Hans, und da der Geheime Rat den Fuß vorsetzte, rief er: »Halt!« und richtete den Lauf gerade auf die Brust des hohen Herrn.

Dieser fuhr mit der Rechten nach dem Degengriff, die anderen Herren drängten scheltend auf Hans los, und es war die höchste Zeit einzugreifen für den stillen Beobachter, der den Vorfall unbemerkt gesehen und wahrscheinlich – ohne Hans freilich etwas davon zu sagen – vorhergesehen hatte.

»Was ist denn das hier?« rief eine barsche Stimme, und der Junker Johann Erhard erschien in seiner ganzen Breite, dienstmäßig gerüstet, unter dem Thor. Er warf einen kurzen Blick über die Gruppe und wandte sich dann an Hans: »Schildwach, was gibt es?«

Die Schildwache berichtete in vorschriftsmäßiger Stellung und Rede, ohne sich durch das Dazwischenrufen der anderen stören zu lassen: »Die Leute wollten hier herein, verweigerten Losung und Parole, respektierten die Wache nicht. Sonst nichts Neues.«

»Schön. Und wenn sie sich weiter widersetzt hätten?«

»Würde ich die Waffe gebraucht haben.«

»Und sonst?«

»Hätte ich sie aufgefordert, mir ihre Waffen auszuliefern, und sie nach Ablösung zur Wache eskortiert.«

»Wenn sie aber weggehen wollten?«

»Dreimal ›Halt!‹, dann, wenn nicht gefolgt wird, schießen.«

»Schön. Sag mal, weißt du auch, wer die Herren sind?«

»Nein.«

Hier mischte sich der Ritter Heinz-Dietrich, der bis dahin, zwischen Beschämung und militärischem Behagen schwankend, zugehört hatte, ein. »Das gesteh' ich, Herr Vetter,« rief er ärgerlich lachend, »Ihr haltet stramme Zucht. Aber was verführt Euch denn, dieses Hinterpförtchen so sorgsam bewachen zu lassen, das doch nur für verliebte Schloßknechte und Winzermädchen da ist?«

»Möglich, Euer Gnaden, daß es im Frieden meist dazu dient,« erwiderte der Junker trocken. »Habe aber aus Eurem eigenen Promemoria bei Antritt meines Postens ersehen, daß es eine hochwichtige Stelle im Kriegsfall ist. Und Ihr wißt, eine Feste muß allzeit auf den Kriegsfall gerüstet sein. Ein Glück, daß ich just selber die Runde machte. Ihr habt gehört, was die Schildwache vorhatte.«

»Na, was das betrifft,« brummte der Ritter und maß den Dragoner, der jetzt auf den Wink des Kommandanten hin vor dessen Gästen präsentierte, mit einem langen Blick. »Aber recht hatte der Bursche. Braver Kerl. Könnten bald viele davon brauchen.«

Eine Stunde darauf stand Hans, dem Befehl gemäß, den ihm die Ablösung gebracht, im Bankettsaal des Schlosses vor seinem Kommandanten und dem fremden Herrn, den er kurz zuvor so gefährlich bedroht. Dieser aber schien darum keinen Groll zu hegen, denn er hielt ihm eine sehr schmeichelhafte Lobrede, und zum Schluß ließ er ihm einen Humpen reichen und stieß mit ihm auf das Wohl Seiner Hochfürstlichen Durchlaucht des Pfalzgrafen an.



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