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Zwölftes Kapitel.

»Wenn Ihr zu dem Domine wollt,« sagte die kurpfälzische Schildwache am Bacharacher Rheinthor und deutete mit der Pike nach einem hochgelegenen weißen Häuschen zwischen den Weinbergen, »steigt nur dort hinauf. Er wird noch oben sein.«

Der Aufstieg über glatte Schieferhänge und unebene, steile Treppchen war nicht leicht. Dergleichen war Hans von seiner Turmtreppe her gewohnt. Niemals aber hatte er diese mit einer Last überstiegen, wie er sie jetzt auf dem Herzen trug. Ganz erschöpft ließ er sich auf der Bank nieder, die einige Schritte vor dem Häuschen auf einem kleinen Felsvorsprung angelegt war. Sie stellte dem Geschmack dessen, der sie sich als Ruhesitz gebaut, ein gutes Zeugnis aus. Der köstlichste Ausblick eröffnete sich von hier auf die Stadt, die inmitten ihrer sechzehntürmigen starken Mauer im engen Thale wie in einer Wiege von Reben lag, überragt von der gewaltigen Burgfeste Stahleck, deren Flanke als köstliches Kleinod die rotschimmernde Sankt Wernerskirche schmückte. Jenseits der Stadt schweifte der Blick über die wald- und weinreichen Höhen bis zum Niederwald hin, von deren Scheitel stolze Burgen auf langgestreckte Dörfer im Thal niedergrüßten, und zwischen den grünen Ufern schimmerte der Rhein im letzten Tagesscheine wie ein silbernes Band im farbigen Wappenschilde. Die laue Luft war erfüllt von köstlichem Duft der Reben und wilden Rosen, und von allenthalben her klangen fröhliche Lieder und Rufe feierabendfroher Menschen.

Aber für Hans war all dies Liebliche verloren. Seine Sinne waren verschlossen durch die ungeheure Sorge, die der verworrene Bericht des Bruders Placidus auf sein Gewissen geladen hatte. Nun wußte er, welch schreckliches Schicksal er durch seine Flucht auf sich und auf seine einzige Verwandte beschworen hatte. Ueberall folgte ihnen nun das blutdürstige Gespenst eines Irrwahns, der am ersten die bedrohte, die sich von ihm innerlich frei zu halten wußten. Hans gehörte zu diesen. Sein Vater, der das eigene Kapital an Aberglauben ganz in theologische Mystik umgewechselt hatte, war frei vom Hexenwahn gewesen und hatte auch seinen Sohn davon frei erhalten, – immer freilich mit der Mahnung, die aufgeklärte Ansicht für sich zu behalten und der Obrigkeit, die das Schwert in der Hand hat, nicht dreinzureden. Das war der Grundsatz vieler Tausende, Gelehrter und Ungelehrter; auch Hans war mit ihm bis dahin ausgekommen, zumal er in seinem weltfernen Dasein wenig Gelegenheit gehabt hatte, die schrecklichsten Aeußerungen des herrschenden Irrwahns kennen zu lernen. Jetzt aber hatte ihn das Gespenst am Kragen, – durch seine eigene Schuld, wie er sich verzweiflungsvoll wiederholte. Am meisten bedrückte ihn das ungewisse Schicksal seiner Muhme. So viel hatte er dem unklaren Gerede des Mönches entnommen, daß sie noch rechtzeitig ihren Peinigern entrückt worden sei: aber durch wen und wohin? Hätte er jetzt durch eine offene, rasche That nur das Schicksal der Alten aufklären können, er hätte zugegriffen, ohne sich zu bedenken. Aber dazu wußte er keinen Weg. War er doch eben selber erst in zwölfter Stunde dem Gebiet des Trierer Kurfürsten entwichen, dessen Amtleute vielleicht jetzt schon nach dem jungen Hexenmeister mit dem Teufelsvogel fahndeten! Dabei fiel ihm ein, daß er seine einstweilige Rettung nur dem Zufall verdankte, der ihn mit den Holländern zusammengeführt. Nur Mynheer van Tessels Freigebigkeit und Renatas Neigung zu dem Raben hatten ihn von den Kennzeichen befreit, unter denen die Häscher nach ihm suchten; und dieser Gedanke löste seine Beklommenheit in einem innigen Dankgebete auf.

Indes war aus der Thür des weißen Häuschens ein Mann hervorgetreten, der den Betenden aufmerksam betrachtete. Erst als Hans aufblickend mit Erröten gewahrte, daß seine Andacht nicht ohne Zeugen geblieben war, trat der Mann einige Schritte näher und sagte mit einer sehr tief und voll tönenden Stimme: »Ihr waret, glaub' ich, in einem Geschäft, bei dem man keine Seele stören soll. Nun aber sagt mir: Wer seid Ihr, wie kommt Ihr hierher und was sucht Ihr?«

»Ich komme von Boppard und habe einen Brief von Mynheer van Tessel an den Domine Govaert Friso zu bestellen.«

»Der bin ich,« erklärte der Mann und nahm den Brief, den er sogleich öffnete.

Während er las, hatte Hans Muße, den Mann zu betrachten. Er wußte, daß die holländischen Calvinisten ihre Geistlichen Domine nannten, und das Gewand des überaus hoch und stark gebauten Mannes konnte zur Not als Haustracht eines Geistlichen gelten: ein schwarzes Wams mit breitem weißen Umlegkragen, schwarze Kniehosen und weiße Strümpfe nebst derben Lederschuhen; auch der buschige, schon weißgefärbte Knebelbart war nichts Ungewöhnliches an einem Diener der Kirche. Das Gesicht aber war überaus verwittert, sonnverbrannt und an Stirn und Wangen von mehreren tiefen Narben durchquert, deren größte sich zwischen den Augen bis unter die langen, flachsfarbenen Haare hinaufzog.

Der Domine hatte während des Lesens mehrmals innegehalten, um den Boten mit einem scharfen Blick aus seinen großen, von langen buschigen Augenbrauen überhangenen Augen zu messen. Nun faltete er den Bogen sorgfältig zusammen, reichte Hans die Hand und sagte: »Ihr gefallt mir. Der liebe Gott lohn' Euch, was Ihr gethan habt, und wenn er den Domine Govaert Friso dazu brauchen kann, soll's an mir nicht fehlen. – Nun aber sagt einmal, Hans Maybrunner, was wollt Ihr eigentlich auf dem heißen Stein, warum seid Ihr der alten Brigitt in der Walpurgisnacht ausgerückt und wie war das mit den Tauben?«

Erschrocken fuhr Hans zurück und starrte den Vielwissenden an. »Herr,« sagte er, »davon habe ich Mynheer van Tessel nichts erzählt, ich sehe wohl, Ihr wißt von der Sache mehr, als in dem Briefe da stehen kann, so will ich es Euch alles berichten; denn ich bin ganz zerschlagen und uneins im Herzen, und mir ist, als ob Ihr mir helfen könnt.«

Aufmerksam, zuweilen lächelnd, hörte der Domine die Beichte an, dann, nachdem Hans geendet, stand er auf und trat seitab bis an den Rand der Klippe. Dort stand er eine Weile mit betenden Händen, das Antlitz halb aufwärts gerichtet, sein langes Haar leuchtete im Widerschein der rosigen Abendwölkchen. Endlich wandte er sich wieder zu Hans und begann lächelnd: »Ihr gebt einem viel aufzuladen, und man muß sich schon einmal mit dem Meister oben bereden, ehe man das alles ordentlich verstauen kann. Nun aber will ich Euch sagen, wie ich's meine. Seht, wenn Ihr die Geschichte einem anderen erzähltet, wie Ihr eine Taube mit einem Verschen am Schweif eingefangen habt und nun allen Ernstes meintet, die rufe Euch als Botin, damit Ihr ein schönes Fräulein befreien sollt, – der müßte Euch wohl für einen Narren halten. Und Euch selbst kommt der Einfall wohl schon ein bißchen verrückt vor. Ist er auch. Aber ein großes Wunder Gottes ist er doch wieder. Denn seht, indes Ihr meintet, der Taube nachzulaufen, die irgend ein anderes närrisches Menschenkind losgelassen hatte, kamt Ihr auf den rechten Weg und zur rechten Zeit, um wirklich ein schönes Fräulein, und den prächtigsten alten Herrn obendrein, vor dem greulichsten Ende zu bewahren. Da sieht man, wie wundersam der Herrgott uns die Karten mischt; aber wir Esel nennen das dann Zufall, oder ein Astrologus kommt und beweist uns hinterher, daß es alles nur kommen mußte, weil es in den Sternen stand. Mein alter Freund, der Amtmann auf Stahleck drüben, hat mir ja schon bewiesen, wie es nur an den Sternen lag, daß jener schielende Schuft, der Hieronymus, mein früherer Knecht, bei mir vorvorigen Sommer einbrechen wollte und ich ihm mit Gottes Hilfe eine Kugel ins Bein jagte, von der er noch hinkt, wie ich aus Eurem Bericht nicht ohne einiges Vergnügen vernehme. Nun wird er mir wohl auch nächstens aus den Sternen erklären, warum derselbe Hieronymus just Euch auf den heißen Stein schicken und mir dadurch die liebsten Menschen, die ich noch habe in der Welt, erretten mußte. Ich aber sage: Herr, wie sind deine Wunder so fein und mächtig! Dir sei Lob und Preis in Ewigkeit, Amen!«

»Aber wo ist denn nun der Weg zum heißen Stein?« fragte Hans ganz verwirrt.

Der Domine sah ihn groß an. »Ihr seid doch ein Wunderknabe,« sagte er. »Sitzt auf dem heißen Stein, und merkt es nicht. Hier, dieser Weinberg heißt so, und wenn Ihr heute mittag gekommen wäret, statt am kühlen Abend, würdet Ihr auch merken, warum. Drum hab' ich ihn ja so gern und habe mir das Häuschen hier gebaut, weil es ein schönes Plätzchen ist für einen, der in Indien gelernt hat, was Sonne heißt. Und die Reben wissen das auch. 's ist ein guter Tropfen, der hier auf dem heißen Stein wächst, und ich denke, Ihr sollt ihn mir noch loben heute abend. Ja, seht Euch nur um, Ihr seid auf dem heißen Stein. Habt ihn Euch wohl anders vorgestellt? Lieber Gott, am Ende geht es uns allen so, daß wir einmal am Ziel stehen und wissen es nicht. So heiß, wie der in dem Kinderreim, den irgendwer Eurer Wundertaube an den Schwanz gehängt, ist er freilich nicht. Denn da ist das Hochgericht gemeint, auf dem sie die Hexen verbrennen. Von dem aber werdet Ihr wohl keine holen sollen; auch nicht Eure Muhme Brigitte. Denn die ist in Sicherheit, der Teufel hat sie zwar nicht geholt, aber mein alter Freund, der Maler Balthasar Schnurrseckel, Ihr kennt ihn ja auch, hat sie als Haushälterin in sein Haus zu Diez gesetzt, und da gibt es keinen Hexenprozeß, weil der brave Graf zu Nassau statt der Hexen die Ankläger ersäufen läßt. – Also das ist auch in Ordnung. Hier steht Ihr auf dem heißen Stein, wollt Ihr hier durchaus eine schöne Jungfrau befreien, so müßt Ihr warten, bis eine da ist. Einstweilen haust nur ein alter Domine hier, der Euch indes zum Warten Herberge bietet und alles, was er Euch sonst geben kann.«

Nach diesen Worten holte der alte Herr einen breitkrempigen Schifferhut und einen großen Knotenstock aus dem Häuschen und verriegelte die Thür umständlich. »Gehen wir in mein Haus hinunter,« sagte er, »es dämmert schon tüchtig, und die Wege sind steil hier zu Lande.« Noch einmal betrachtete er Hans lange und strich ihm freundlich die Locken aus der Stirn. »Wahrhaftig,« sagte er, »Ihr gefallt mir, und noch besser in Person, als aus dem Blatt in Meister Baltzers Buch, das ich jüngst bei ihm sah, als er mir von Eurer wunderlichen Flucht erzählte. Ihr habt Euch viel Gutes von mir verdient, und ich denke, es wird mir Freude machen, daran abzuzahlen.«



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