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Zehntes Kapitel.

Hans Maybrunner hatte noch niemals an vornehmer Leute Tisch gesessen; und wenn er versucht hätte, sich bei dieser ersten Gelegenheit wie ein »galanter und courtoiser Kavalier« zu benehmen, so wäre er auf dem schlüpfrigen Boden hoffnungslos ausgerutscht. Weil er aber derartiges eben gar nicht kannte, so lief die Sache ganz gut ab; denn er besaß den natürlichen Anstand, der besser vorhält als alle mühsame Ueberkleisterung innerer Roheit. Nur vielleicht ging die Offenheit etwas zu weit, mit der er seine schöne Nachbarin bewundernd musterte. Allerdings hätte ihre fremdartige Anmut auch dem blasiertesten Kavalier auffallen müssen. Jetzt, da sie ohne Mantel, im Reisekleid, doch immer noch prächtig angethan, vor ihm saß, empfand Hans erst recht, wie sehr sie sich von allen Schönen, die er bisher gesehen, unterschied. Sie war überaus zierlich gebaut, zumal ihre Hände waren sehr schmal und klein; was ihm aber am meisten auffiel, war die Farbe dieser Hände, des ovalen Gesichts und des schlanken Halses. Es war ein lichtes, fast wie Mattgold schimmerndes Braun, aus dem sich die vollen tiefroten Lippen und die großen, von langen dunklen Wimpern geschützten schwarzen Augen gar eigen abhoben. Auch das Haar, das sich in mehreren schweren, mit Perlen umwundenen Flechten um das Köpfchen schlang, war glänzend schwarz. In ihrem seltsamen Wesen, wechselnd zwischen träumerischem Schweigen und plötzlicher, fast leidenschaftlicher Beweglichkeit erschien sie wie ein bunter, fremder Vogel, den Wind oder Menschen aus seiner tropischen Heimat in die kühleren Lande des Nordens gelockt. »Wie ein Vögelchen« nährte sie sich auch, nur gleichsam von den Speisen naschend und dazu aus zierlichem Kelchglas einen dunkelroten, süßen Wein schlürfend. Ihr Vater zog den Bopparder Wein vor, er sprach den derben, nach rheinischer Sitte scharf gewürzten Speisen fleißig zu, ermahnte auch Hans zu gleichem Fleiß und sorgte dafür, daß der Römer des Gastes nicht leer blieb; an der Unterhaltung der beiden beteiligte er sich wenig, hörte nur behaglich zu und wechselte ab und zu einige Worte mit dem Wirte, der selbst aufwartete und ganz selig über die freundliche Stimmung Mynheers war. Das Fräulein sprach ein böses Deutsch, nicht immer verstand Hans sogleich, was sie mit leiser, etwas verschleierter Stimme sagte; offenbar aber fanden beide bei dem Gespräch ein Vergnügen, das durch kleine Mißverständnisse noch erhöht wurde. Der Rabe saß auf Renatas Stuhllehne, sie lachte wie ein Kind über seine Streiche; Hans konnte sich nicht satt an ihrer heiteren Anmut sehen. Sogleich aber wandelte sich ihr Wesen zur vollkommensten vornehmen Würde, als gegen Schluß des Mahles der Wirt einen blondlockigen jungen Mann hereingeleitete, der die Kleidung eines Pagen in den Farben des Junkers von der Leyen trug und ein zierliches, mit Mandelkonfekt und Blumen gefülltes Körbchen in der Hand hielt.

Dieser blonde Jüngling schien bei dem Herrn, dessen Farben ihn schmückten, ordentlich Anstandsstunden genommen zu haben, so umständlich und überhöflich begrüßte er Herrn Adriaan van Tessel und besonders Renata, um dieser dann schließlich mit einer halben Kniebeugung das Körbchen zu überreichen: »Mein gnädigster Herr läßt dem hochverehrten Fräulein mit nochmaliger sonderlicher Gratulation zur glücklich gehabten Bewahrung vor affreusen Gefahren dieses unwürdige Geschenk als ein Dessert überreichen, hoffend, sie werde solches seiner Bitte gemäß mit eben solchem Gemüt zu nehmen nicht verschmähen, als aus dem es gesandt wird.«

Während Renata das Körbchen mit einigen dankenden Worten annahm, empfand Hans das unerklärliche, aber sehr lebhafte Gefühl, als ob er den blondlockigen Boten, der ihn völlig zu übersehen schien, am liebsten von allen Menschen durchprügeln möchte. Aber dieser thörichte Wunsch legte sich sogleich wieder, als das Fräulein nach Verabschiedung des amtsmännischen Pagen anfing, dem Raben einiges von dem Konfekt zur Auswahl vorzulegen. Dieser schien ebensowenig Neigung für die Leckereien aus der Burg zu haben wie sie; er ließ die Stücke nach kurzer Prüfung aus dem Schnabel fallen und gab seiner absprechenden Meinung durch einige kraftvolle Krächzlaute Ausdruck, wobei er die Augen vorwurfsvoll verdrehte.

»Er mag dergleichen nicht,« erklärte Hans, den das Fräulein ratlos ansah, »es ist wider die Natur dieser Vögel, sie würden davon sterben, und das wissen sie.« Und da ihn ihre schwarzen Augen noch immer so aufmerksam anschauten, begann er einen eingehenden Vortrag über die Neigungen und Abneigungen der Raben. Das Fräulein hörte so andächtig zu wie ein braves Schulkind, die Lippen vor Neugier ein wenig aufgezogen, so daß dahinter die weißen Zähnchen durchschimmerten; als aber der Dozent dazu überging, die geistigen Vorzüge seines Gegenstandes durch Beispiele zu erläutern und den Raben seine besten Kunststücke eins nach dem anderen vormachen ließ, schlug sie die Hände vor Vergnügen zusammen und lachte, als ob sie noch nie etwas Herrlicheres gesehen hätte.

Ihr Vater hatte sich unterdes in das Nebenzimmer zurückgezogen, um einen Brief fertig zu schreiben, den er Hans mitgeben wollte. Als er, durch die Heiterkeit Renatas angezogen, belustigt durch die Thür schaute, lief sie zu ihm hin und flüsterte ihm, die zarten Arme um seinen Nacken schlingend, mit bittender Miene eifrig zu, in einer fremden, wohlklingenden Sprache.

Mynheer zog ein bedenkliches Gesicht. »Meine Tochter hat sich ganz in Euren schwarzen Tausendkünstler da vernarrt,« sagte er zu Hans, »sie meint, ob Ihr ihn ihr wohl verkaufen wolltet? Sie wolle ihn so gut halten wie ihre drei Papageien in Amsterdam.«

»O, viel, viel better!« beteuerte Renata und sah Hans mit gefaltenen Händen erwartungsvoll an, »wilt ghij, Mynheer?«

»Nein,« sagte Hans, »um Geld gebe ich ihn nicht, aber wenn das Fräulein ihn als eine Verehrung von mir annehmen will, so soll es mir eine große Freude sein,« – und damit sprach er ganz wahr; denn als ihm nun das Fräulein und ihr Vater jedes in seiner Weise dankten und Renata ihr nettes Besitztum liebkosend streichelte, empfand er eine Freude, als wäre er der Großmogul und hätte soeben einem guten Freunde zum Geburtstag die Insel Ceylon oder eine ähnliche Kleinigkeit verehrt.

Es war ihm fast wie das Erwachen aus einem schönen Traume, als Mynheer ihn jetzt an das Ziel erinnerte, dem er doch vor kurzem noch mit phantastischer Sehnsucht zugestrebt. »Dieser Brief ist an den Domine Govaert Friso, jedes Kind in Bacharach kann Euch zu ihm führen, und er wird Euch auch den Weg auf den heißen Stein weisen,« setzte er lächelnd hinzu. »Nun aber ist es Zeit, daß wir zur Burg gehen.«

Ziemlich beklommen folgte ihm Hans. Es verlief aber alles sehr glatt und schnell. Junker Damian von der Leyen, der sie in einem überaus ehrwürdig aussehenden Amtszimmer hinter einem riesigen Aktentisch empfing, hatte die Zeit wahrhaft ausgenutzt. »Es ist alles schon in Ordnung, Mynheer,« rief er dem Eintretenden zu. »Der Kerl – die zwei anderen fassen wir nächstens – hat alles gestanden, was wir von ihm wissen wollten; einer von unseren Karmeliterpatres hat ihn schon in der Arbeit, um ihn auf sein letztes Stündchen vorzubereiten. Es ist eigentlich eine unnötige Formalität, daß Ihr Eure Zeugenaussage unterschreibt, der Prozeß ist ja erledigt. Aber wenn Ihr wollt, – hier habe ich sie ausschreiben lassen, bitte, seht zu, ob es stimmt. Und da ist der Paß für Euren Boten, gültig in meinen beiden Aemtern Boppard und Oberwesel; durch die calvinischen Aemter Sankt Goar und Bacharach kann ich ihm nicht helfen, aber da werdet Ihr schon mit einer Empfehlung von Euch weiter reichen als mit jedem Paß. Wenn also das Protokoll stimmt, – ja? – nun dann wäre ja alles in Ordnung, – unterzeichnet nur, – kann der Bursch da auch schreiben? Wahrhaftig, ja. Ich sag's ja, diese Holländer, alles können sie, sogar ihren Knechten bringen sie das Schreiben bei. Und hier ist der Paß. – Also, Ihr wollet wirklich fort, hochgeehrter Herr? Nun denn, empfehlet mich ganz besonders dem liebwerten und holdseligen Fräulein, reiset mit Gott und kommt bald wieder, unsere katholischen Winzer können das holländische Geld allezeit so gut brauchen, wie Eure calvinischen Glaubensgenossen in Bacharach. Geld hat keinen Glauben. Au revoir, hochgeehrter Herr, au revoir!« –

»Da seht Ihr, Hans, wie die Fürsten und ihre Stellvertreter in Eurem Vaterlande mancherorten Gesetz halten,« sagte der Holländer ernst, als sie wieder aus der Burg waren. »Es sind gottlob nicht alle so. Aber merkt es Euch und lernet daraus, wenn Ihr einmal klagen hört, daß so viel Armut und Unlust im Lande sei. Das kommt von oben. Gerechtigkeit erhöht ein Volk. Nun aber kommt und nehmt den Abschiedstrunk mit uns, dort liegt das Schiff, das uns nach Koblenz hinunter tragen soll. Ihr bleibt am besten bis morgen früh hier im Schwanen, Eure Zeche ist schon gemacht. Vergeßt nur Euren neuen Namen nicht, ehe Ihr in Bacharach seid!«



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