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Siebzehntes Kapitel.

Durch das kleine Abenteuer war Hans der Held der ganzen Garnison geworden. Der Junker Amtmann vermied es zwar, viel Aufhebens von der Geschichte zu machen; aber er konnte nicht verhindern, daß die Besatzung auf den jungen Gefreiten fortan mit kameradschaftlichem Stolze blickte. Aus der Wachtstube pflanzte sich diese Verehrung für Hans auf die Bürgerschaft der kleinen Stadt fort, die jetzt täglich mehr durch die rauhe Gewalt des Winters von der Außenwelt abgeschnitten und zu ihrer Unterhaltung auf die heimischen Neuigkeiten angewiesen war. In dieser Enge war die Verteidigung der Feste Stahleck gegen den Einbruch des Geheimen Rates und seiner Kavaliere schon ein wichtiger Gesprächsstoff, und das Komische des Vorfalls erhöhte für die fröhlichen Bacharacher Gemüter noch den Reiz der Geschichte, somit auch die Beliebtheit ihres jugendlichen Helden.

Hans bekümmerte sich wenig um die freundlichen Legenden, mit denen das Wohlgefallen der Soldaten und Bürger allmählich seine Person und selbst seine Abkunft umspann. Er benutzte die größere Muße, die auch ihm die Jahreszeit verschaffte, um sich aus Büchern, mehr noch aus Gesprächen mit seinem Vater, den beiden geistlichen Herren und anderen erfahrenen Männern zu bilden. Auch der Junker Amtmann ließ den Rangunterschied, den er oben auf der Feste schon um der anderen willen festhalten mußte, im Hause des Domine beiseite und freute sich, wie sicher und bescheiden zugleich sein Zögling sich in Gesellschaft von älteren und vornehmeren Herren zu benehmen wußte. Manchmal aber lagerte eine Verstimmung über dem Freundeskreise, die auch Musik und Wein nicht zu heben vermochten. Der Junker war nicht zufrieden mit der Welt Lauf. Er hatte dem Geheimen Rat und den anderen Heidelberger Herren wieder allerlei über die Politik bei Hofe abgemerkt, was ihn mit großen Sorgen für seinen jungen Kurfürsten erfüllte, und er sprach diese Sorgen manchmal sehr freimütig aus. »Er ist zu jung zur Regierung gekommen, unser armer Herr; war ja fast noch ein Knabe, als sie ihn mit der stolzen englischen Königstochter vermählten. Schön ist sie und klug, aber schrecklich hochmütig, wie alle Stuarts, die schöne Pfalz ist ihr zu wenig, wenn es nach ihr und ihren Beihelfern ginge, so hätten sie unseren Friedrich womöglich schon lang als Gegenkaiser ausgerufen, wie in den alten Zeiten; und wer weiß, ob sie es nicht einmal thun? Alsdann haben wir den Krieg. Ich bin wahrhaftig nicht bang vorm Schlagen und wüßte mir keinen schöneren Tod als in einem ehrlichen Reiterkampf, aber 's wäre schrecklich für unser Land. Er weiß ja gar nicht, wie schlecht er gerüstet ist.« Am meisten schien ihn zu verdrießen, daß der Kurfürst in seinen ehrgeizigen Hoffnungen auch von Sterndeutern unterstützt wurde. »Pfuscher sind es. Die Sterne reden wahr, aber die Menschen lügen ihnen eins an.« – Auch der Domine hatte seinen Kummer, aber er sprach ihn nicht aus.

Hans trug geduldig die Verstimmung der alten Herren und bemühte sich um sie mit allerlei Dienstfertigkeiten, wie sie der Jugend so gut stehen. Seinen militärischen Pflichten kam er mit unveränderter Sorgfalt nach und genoß daneben mit wachen Sinnen die gewaltigen, durch keinerlei großstädtisches Treiben verwirrten Eindrücke der winterlichen Natur in dieser Berg- und Stromlandschaft. Er sah die Rebenhöhen mit Schnee bedeckt, aus dem die grauen Mauern und Zinnen der Schlösser und Festen wunderlich ernst und doch fast anheimelnd aufragten, sah, wie das Eis sich stellte und einen breiten, bequemen Pfad über die gurgelnde Wassertiefe hinüber ins Kurmainzische nach Lorchhausen baute, auf dem Fußgänger und Wagen wechselten. Er war mit dabei, als die Bacharacher Faßbinder uraltem Brauche treu mitten auf dem Strome, zwischen ungeheuren blaugrünen Eisblöcken, ein neues Faß bauten und verschiedene volle Fässer an die von hüben und drüben versammelten Gäste ausschenkten, als Tafelgetränk zu einem gleichfalls mitten auf dem Strome von den Lorchhauser Metzgern geschlachteten und kunstgerecht gebratenen Schwein. Dann kam, nach dem härtesten Frost im Januar und Februar, der Tauwind, es kamen die gefürchteten Eisgangsposten von weiter aufwärts, und Hans feuerte selbst die ersten Lärmschüsse ab, die den Bacharachern das fernere Betreten des Eises verboten und die Anwohner des Ufers mahnten, alle Vorsicht für den schlimmsten Fall zu treffen. Aber es ging noch leidlich ab, die Eismasse löste sich früh genug weiter abwärts, vor der Lurlei, und gestattete auch den weingetauften Bacharacher Schollen rechtzeitig friedlichen Abzug. Dann aber, als schon die ersten Lerchen sangen und die Veilchen blühten, kam das Schlimmste, was es in diesen Thalen zu fürchten gab – ein kurzer Nachwinter mit bösem nächtlichen Frost, der die Reben angriff; die Bürger gingen traurig umher und sagten: »Heuer wird's Karfreitagswein!«

Die letzten vierzehn Tage vor Ostern hatte Hans auf der kleinen Feste Stahlberg verbracht, die das pfälzische Gebiet gegen Kurtrier deckte. Der alte Lieutenant, der dies Bollwerk mit vier oder fünf Mann besetzt hielt, lag mit Gicht und Gliederfluß zu Bett. Hans hatte ihn zu vertreten – das erste Mal, daß er sich als Kommandanten einer »Festung« fühlen durfte! Es war ein süßes Gefühl, und es wurde noch versüßt durch einen Brief des Raben, der ihm nachgeschickt wurde. Der Brief war noch wärmer geschrieben, denn alle vorigen, er sprach von der »großen, großen Freude«, mit der Renata »dieses Jahr ganz sicher« Hans wiederzusehen und ihm zu danken hoffte. Es gehe ihr ja jetzt wieder ganz gut, nur eine Zeitlang sei sie krank gewesen – man merke es wohl noch ein wenig ihrer Schrift an.

Am Ostersamstag war Hans nach der Feste Stahleck zurückgeritten. Als er dem Amtmann Rapport erstattet hatte, sagte dieser: »Bleibt noch einen Augenblick. Es ist etwas vom Hofe für Euch angekommen, Kornett!« Und während ihn Hans fast erschrocken anstarrte, hatte er auch schon einen großen, achtungeinflößenden Bogen mit Faden und Siegel daran entfaltet. In diesem Schriftstück bestätigte »Friedrich von Gottes Gnaden etc., Unseres Namens der Fünfte« seinem getreuen etc. Junker Johann Erhard Knebel zu Katzenellenbogen »mit sonderlicher Freude« die von demselben vorgeschlagene Ernennung des Gefreiten Hans Friso zum Kornett, mit dem Bedeuten, selbigem Hans Friso das erste Fähnlein in dem Dragonerregiment zu verleihen, welches »Unser lieber, getreuer etc.« als Obrist »demnächst« werben solle.

Das war das Ostergeschenk vom Kurfürsten, zum Dank für den Weihnachtsspaß, den ihm sein Geheimer Rat mit der Erzählung von der verunglückten Wegnahme Stahlecks gemacht. Aber auch von dem Ritter Heinz-Dietrich von Schönburg war etwas für Hans da: eine schön gestickte blausilberne Schärpe mit einem prächtigen Degen, »zum Dank dafür, daß der junge Herr Kamerad ihm den seinigen dazumal doch noch in Gnaden gelassen«.

Der Junker legte Hans das Abzeichen seiner neuen Würde selber um und weidete sich herzlich an der gerührten Freude des Jünglings. »'s ist nur erst die unterste Stufe,« meinte er, »und einstweilen seid Ihr ein Kornett ohne Fähnlein, müßt Euch hier schon als mein Adjutant auf der Feste nützlich machen. Aber wenn Ihr Euch haltet wie bisher, werdet Ihr schon weiterkommen. Und nun geht und zeigt Euch Eurem Vater.«

Der alte Diener des Domine stand im Hausflur, als der junge Offizier eintrat; er sah verstört aus und brachte nur stotternd einige glückwünschende Worte vor.

»Was ist Euch denn widerfahren?« fragte Hans verwundert.

»O – nichts, Mynheer,« antwortete der Alte ausweichend. »Euer Herr Vater ist in seinem Zimmer. Es sind Briefe von daheim gekommen.«

»Also auch noch ein Gruß von Renata! Welch ein Glückstag!« dachte Hans. Hastig eilte er in das Altanzimmer.

Der Domine saß an seinem Tische, den Kopf in die rechte Hand gestützt, am Boden lag ein offenes Schreiben.

Langsam erhob er das Haupt und blickte Hans mit milden Augen an; die Abzeichen der neuen Würde schien er gar nicht zu bemerken.

Hans fuhr zurück. Eine plötzliche Ahnung durchzuckte ihn und brach in dem einen Worte aus: »Renata?!...«

Der Domine deutete auf den Brief und nickte traurig. »Sie ist wieder bei ihrer Mutter,« sagte er leise.



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