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Zwölftes Kapitel.

Im ganzen hatte der Rat sich diesmal brav gehalten, durchaus im Sinne der Lehren, die Herr Sebaldus von Halveren seinen Standesgenossen vordem so eifrig eingeschärft hatte. Aber der Mut des Standesgeistes reichte nicht über die Wände des Rathaussaales hinaus. Die Familien, die nur ein Tropfen des verleumderischen Giftes getroffen hatte, sahen sich gesellschaftlich mit einer Angst gemieden, als ob die schlimmste Seuche bei ihnen eingekehrt sei. Ihre Dienstboten verließen sie heimlich oder mit offenen Beschimpfungen. Ihre Häuser, vor wenigen Tagen noch der Schauplatz glänzender Feste, empfingen keinen feierlichen Besuch mehr als den der Kommission, die geschäftig und umständlich in allen Räumen umhersuchte, insbesondere alle Salben und Pulver in Beschlag nahm und Protokolle von ungeheurer Länge verfaßte, während draußen auf der Straße eine lärmende Menge ihrem Groll gegen die »vornehmen Hexenleute« freien Lauf ließ. Viel herausbekommen hatte die Kommission nirgends, trotz der Unmenge von Protokollen und Salbendosen, die sie in acht Tagen ansammelte. Es war wie bei allen Anklagen aus Hexerei: Beschuldigung und Ableugnung standen sich gegenüber, und was an sachlichen Beweismitteln vorlag, ließ sich so gut natürlich wie übernatürlich deuten. Die Salben und Pulver, die der unheimliche Wunderdoktor seinen allzu leichtgläubigen Kunden aufgeschwatzt hatte, enthielten nach Aussage der Sachverständigen einen geheimnisvollen Stoff, den die einen als Ziegelmehl, die anderen als gepulverte Krötenzungen ansprachen. Viel kam nicht darauf an, da ja der Böse jeden Stoff zum Träger seines Höllenzaubers machen konnte; und daß jener Doktor Sanatas wirklich der Satan in Person gewesen sei, ließ sich kaum mehr bezweifeln, nachdem der lange Pilger seine entscheidende Aussage zu Bonn, vor einer geistlichen Kommission des Kurerzbischofs, wiederholt hatte. Der Erzbischof hatte diese Aussage mit einem Hirtenschreiben übersandt, das auf den Kanzeln zur Grundlage aufregender Predigten gemacht wurde. Uebrigens ließ sich der erzbischöfliche Offizial, der in der Reichsstadt das geistliche Gericht leitete, durch diesen oberhirtlichen Erlaß nicht abhalten, den meisten der vornehmen Angeschuldigten gegen die vorschriftsmäßigen Gebühren und üblichen »Verehrungsgelder« Zeugnis über ihre bisherige bewährte kirchliche Gesinnung auszustellen. Solche Zeugnisse von hoher geistlicher Gerichtsstelle waren ein wirksames, aber noch lange kein unfehlbares Verteidigungsmittel gegen Anklagen auf Hexerei, übrigens waren sie nur hochgestellten und wohlbemittelten Leuten zugänglich, nach demselben Grundsatz, der bei Angeklagten geringen Standes drei triftige Verdachtsgründe, bei vornehmen aber sechs oder acht verlangte, ehe sie der Untersuchungsrichter an das peinliche Gericht überliefern dürfe. Wie die Dinge lagen, fiel es der Kommission nicht schwer, festzustellen, daß bis jetzt gegen keinen ihrer angeschuldigten Standesgenossen diese Mindestzahl von sechs Verdachtsgründen vorliege; aber es gelang ihr auch nicht, einen entscheidenden Unschuldsbeweis aufzutreiben, mit dem sich der gute Ruf der Angeklagten und vor allem das Vertrauen der Bürger zu der Regierungsfähigkeit der verdächtigten Ratsherren wiederherstellen ließ. Man hatte den lahmen Hieronymus, der sich jetzt in einer verrufenen Kneipe aufhielt, unter der Hand überwacht und auch einige Aeußerungen des Trunkenen aufgefangen, die auf ein gewisses Geschäftsverhältnis zwischen ihm und Herrn Sebaldus hinzudeuten schienen, aber was ließ sich damit machen, angesichts der Volkstümlichkeit, die Herr Sebaldus seit seinem Auftritt aus den Ratsverhandlungen genoß?

Herr Sebaldus selber hielt sich seit jener Stunde den öffentlichen Dingen möglichst augenscheinlich fern. Es schien, als ob er seine Zeit nur noch zwischen der Leitung seines Geschäfts und Werken kirchlicher Erbauung teilen wolle. Mit unsichtbarem Faden die Meinung der Menge zu zügeln, war von je das erste und letzte Geheimnis seiner Politik gewesen, und niemals hatte er diese Kunst meisterlicher geübt. Nur auf dringendes Bitten mehrerer Abordnungen ließ er sich herbei, seine zustimmende Ansicht über die Liste der neuen Ratskandidaten zu sagen, die er selber seinen Anhängern aus den Zunfthäusern von langer Hand her eingegeben hatte. Er selbst, so erklärte er schwermütig, trage sich mit dem Gedanken, überhaupt der Welt zu entsagen und in klösterlicher Zurückgezogenheit Buße zu thun für das, was er vielleicht als Mitglied eines vom Einfluß des Bösen beherrschten Rates unwissentlich mitverschuldet habe. Aber noch immer gebe er nicht ganz die Hoffnung auf, daß das Uebel sich doch am Ende geringer erweisen werde, als es leider den Anschein habe. Der Bruder Placidus und andere Eiferer nahmen mit Verwunderung wahr, daß ein so frommer und wahrhaft weiser Herr noch Hoffnungen hegte, wo sie doch schon den ganzen Umfang der Verderbnis dargethan. Sie verschärften demgemäß ihre geistlichen Ermahnungen und trieben Herrn Sebaldus immerzu Wasser auf die Mühle. Der gelehrte Pater Kleutermann widmete ihm eine eigene Abhandlung, die Frucht von zwölf emsigen Stunden am Schreibtisch, um ihn zu überzeugen. Herr Sebaldus konnte mit seinen geistlichen Freunden zufrieden sein; aber er fand bald, daß sie es zu weit trieben. Denn das Uebel fraß weiter wie Feuer im dürren Gras. Die Aufregung, genährt durch die Predigten klösterlicher Eiferer, begnügte sich nach wenigen Tagen nicht mehr mit dem Stoffe, den ihr die Aussagen der Feuerwächterin gegeben. Es war eine teure Zeit; die ungewöhnliche Witterung, die bis tief in den Dezember hinein mit Regen und Nebel und ungesunden Winden anhielt, hatte sich mit der Teuerung vereinigt, um Not, Elend und Seuchen unter die Leute zu bringen. Nun war die Formel gefunden, mit der jeder zu dem allgemeinen auch sein besonderes Ungemach erklären konnte: es war Hexerei! Der Haß, der Brotneid, die Klatschsucht kramten alle ihre Erinnerungen wieder aus. Die geistlichen und weltlichen Behörden, die Kommission, der Rat selber wurden überlaufen von Denunzianten, welche das albernste Zeug mit dem größten Ernste und zu dem schrecklichsten Zwecke: einen Mitmenschen der Folter und dem Tode auszuliefern, vorbrachten. Dem einen war im vorigen Herbste das Obst im Garten mißraten, nun fiel ihm ein, daß er seine Nachbarin im Sommer Thee aus Obstblüten kochen gesehen, und er war überzeugt, daß sie ihm die Bäume verhext habe. Einem anderen hatte die Frau seines Geschäftskonkurrenten Hühneraugen an die Füße gezaubert. Trauernde Mütter kamen und klagten, daß ihnen der Arzt ihre kranken Kinder mit einem Hexentrank »gesterbt« habe. Bereits ging der Wahn bei manchen bis zur Sinnestäuschung: kränkliche Mädchen hatten gesehen, wie ihnen aus einem behexten Finger Nadeln, Glasscherben, zolllange Eisennägel hervorgingen, gesetzte Männer von gutem geschäftlichen Rufe schilderten mit ruhiger Bestimmtheit die Hexenzüge, die sie durch die Luft fliegen gesehen, die Teufelsgestalten, die ihnen auf der Straße begegnet waren. Mit den Banden der Vernunft lockerten sich auch die der öffentlichen Ordnung; die Ratssitzungen mußten durch Militär gegen das Eindringen einer wüsten Menge gedeckt werden, die den Rücktritt des »verhexten Rates« forderte und unter die altgewohnten Hochrufe auf den Kaiser und die Liga den Namen des Herrn Sebaldus von Halveren mischte. Man sah Gestalten auftauchen, die sich nur in den Tagen des Aufruhrs aus ihren Schlupfwinkeln auf den offenen Markt wagen, und mancher nächtliche Spuk fand am Morgen seine natürliche Aufklärung in erbrochenen Fenstern und ausgeraubten Spinden.

Als aber die Sache mit großer Schnelligkeit so weit gekommen war, begann schon der Rückschlag. Die besseren Bürger, die noch etwas zu verlieren hatten, fingen an, dem Pöbel die Straße zu überlassen, und zogen sich auf ihre Zunfthäuser zurück, um von dort aus den Rat mit Bitten um Beschleunigung der großen Untersuchung zu bestürmen, damit wieder Ordnung in der Stadt werde. Der Rat versprach alles mögliche, er setzte den Thomastag für die entscheidende Beschlußfassung fest und errichtete zur Sicherung der öffentlichen Ordnung ein Freiwilligencorps von Bürgerssöhnen, in welches auch der Junker Lambertus von Halveren auf Betreiben seines klugen Vaters als Rottenführer eintrat. Durch diesen Schritt steigerte sich noch die Stimmung der Bürger für Herrn Sebaldus, so gering sie auch von den soldatischen Fähigkeiten des Sohnes dachten. »Er ist vom vornehmsten Geschlecht,« meinten sie, »aber darum ist er sich doch nicht zu gut, seinen einzigen mit unseren Kindern in Reih und Glied zu stellen. Solche Leute brauchte man, um in diesen Zeiten das gemeine Wesen zu regieren.«



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