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Zehntes Kapitel.

Als Meister Baltzer am folgenden Morgen in seine Werkstatt trat, saß Hendricus schon sehr brav und emsig an der Arbeit. Auf dem Tisch des Meisters aber prangte ein großer Schuh aus Pappe, zierlich mit Goldpapier überklebt und ganz mit Konfekt angefüllt.

Meister Baltzer musterte abwechselnd den goldenen Schuh und den fleißigen Schüler. »Das ist ja in jeder Hinsicht überraschend,« schmunzelte er und kostete.

»Ja,« meinte Hendricus unschuldsvoll, »der heilige Niklas muß es Euch gebracht haben. Ich fand es draußen auf Eurer Fensterbank.«

»So?« brummte Meister Baltzer. »Dann läßt der heilige Mann wohl neuerdings im Mechterhause backen. Gib dir weiter keine Mühe, Junge, die Backformen kenne ich, und den Geschmack auch. Lügen kannst du gottlob noch nicht ordentlich. Da, greif nur zu. Wann hat sie's denn geschickt?«

»Nicht geschickt, Meister!« berichtete Hendricus erinnerungsselig. »Sie hat es mir ja selber gegeben, als sie gestern abend hier vorbeifuhr, im Wagen mit dem spanischen Herrn, der immer so traurig aussieht. Und sie hat mir ganz genau gesagt, wie ich's hinstellen und was ich Euch weismachen sollte.«

»So?« machte Meister Baltzer. »Da hast du ihr wohl als Belohnung das Konterfei geschenkt, das du neulich von ihr gemacht hast?«

Hendricus wurde dunkelrot. »Ach, Meister,« bat er, »sagt ihr doch nie etwas davon! – Wenn ich Euch aber etwas fragen darf, – neulich war ich zu bang dazu – , wer ist denn der junge Mann in Eurem Buche, gerade auf dem Blatt neben ihr?«

»Das ist einer, der auch zu freundlich gegen dich gewesen ist,« erklärte Meister Baltzer. »Willst du dich etwa auch an ihm vergreifen? Der Oberst Friso ist es, der holländische Herr, der dir auf dem Fest bei den Kannemanns den Dukaten geschenkt hat.«

»Ich dachte es mir schon,« meinte Hendricus, »aber ich wußte es nicht sicher. Das war, als er noch auf dem Turm da drüben Haustaube war, gelt? Seitdem hat er sich aber sehr geändert. Ich meine, ich hätte noch nie einen so stattlichen Kavalier gesehen; so fröhlich und freundlich, und dann doch wieder auch so ernst und vornehm mit den großen nachdenklichen Augen und der Narbe auf der einen Wange. Wißt Ihr, jetzt würde er schon eher neben das Fräulein passen.«

»Hm,« meinte der Meister Baltzer, »mach dich jetzt wieder an deine Arbeit, Junge. Am Ende wird doch noch mal ein ordentlicher Maler aus dir.«

Auch noch an einer anderen, vornehmeren Stelle beschäftigte man sich an diesem Morgen mit dem Paare, das dem Knaben Hendricus jetzt so schön zusammenzupassen schien. Der General Cordova hatte sich zu einem Anstandsbesuch bei Frau Johanna Kannemann melden lassen. Er kam ihr gerade recht. Wie die meisten glücklich vermählten jungen Frauen fühlte sie sich zur Ehestifterin berufen, sie hatte den spanischen Herrn schon vom Tage seines Einzuges an in Gedanken mit ihrer Freundin Mechthildis verlobt und wartete ungeduldig darauf, daß man ihrem Scharfblick, sei es durch Anzeige der Verlobung oder – was ihr noch mehr zugesagt hätte – durch Bitte um ihre Vermittelung die gerechte Anerkennung darbringe. Um so weniger gefiel ihr das gedrückte, fast wehmütige Wesen, welches Cordova in der letzten Zeit zeigte und womit er eher einen Leidtragenden als einen glücklichen Freier vorstellte. Da war etwas nicht in der Ordnung, und es war ihr klar, daß sie eingreifen mußte. Somit benutzte sie die Gelegenheit, da ihr Gemahl zu einem fremden Besucher, der ihn durchaus sprechen wollte, abberufen wurde, und begann vertraulich scherzend: »Was ist das nur mit Eurer Excellenz? Ihr seht nicht aus wie ein fröhlicher Mann, so stattlich Ihr Euch auch tragt und so zierlich Ihr sprecht. Habt Ihr etwa meiner Freundin Mechthildis gar zu tief in die schönen braunen Augen geschaut?«

Cordova seufzte tief und erwiderte, ganz im Stile seines Lieblingsbuches: »Es ziemt einem Kavalier nicht mehr, zu viel in Augen zu schauen, die bereits einem anderen huldvoll entgegenleuchten.«

»Was meint Ihr damit?« fragte Frau Johanna verwundert.

»Was ich Euch schon damals sagte, als die holländischen Herren bei Euch angekommen waren,« erwiderte Cordova wehmütig. »Cupido hat mir ein zweites Fleurus bereitet.«

Die rundliche Dame sah ihn mit ungeheucheltem Schrecken an. »Es ist nicht möglich!« rief sie. »Wie kommt Ihr nur auf solche Gedanken? Ihr wollt doch nicht etwa sagen, daß Ihr Vertraulichkeiten zwischen –«

Cordova schnitt ihr mit einer stolzen Handbewegung die Rede ab. »Was denkt Ihr nur, edle Frau?« sagte er. »Ich meine, Ihr kennt das Fräulein besser, und Ihr wißt auch, daß der Oberst Friso ein Kavalier von Ehre ist; vorab aber laßt Euch sagen, daß es einem Cordova nicht anstehen würde, fremde Vertraulichkeiten zu belauschen oder gar zu verraten. Aber Ihr wißt, ich habe von Natur eine unglückselige Gabe; ich lese aus den Augen. Gar manchem werten Kameraden habe ich vor der Schlacht im Herzen Lebewohl gesagt, während er noch frisch und voll Lebenszuversicht neben mir ritt, weil ich schon in der Pupille seiner Augen den Tod lauern sah. Und so zwingt mich jetzt mein Geschick, seit der Ankunft des jungen holländischen Kameraden in den Augen Eurer Freundin eine Schrift zu lesen, die vorher nicht darin stand und die mir gewisse Kunde von ihrem Herzen gibt.«

Frau Johanna schüttelte unwillig den Kopf. »Alle Achtung vor dem Scharfblick Eurer Excellenz,« sagte sie, ganz rot vor Aerger und Aufregung, »aber diesmal müßt Ihr falsch gelesen haben. Bedenkt doch nur, Excellenz! Der Oberst Friso ist ja ein Kavalier comme il faut, er weiß sich zu benehmen und hat, wie Ihr so großmütig anerkennt, seine militärischen Verdienste, aber bei alledem bleibt er doch ein junger soldat de fortune, der unserer Stadt noch vor siebthalb Jahren als Knecht diente. Und wenn ihn auch ein alter wohlhabender Herr nachmals adoptiert hat, was ist denn dieser Herr selber? Doch auch nur ein früherer Schiffsprediger, der sich etwas zusammengespart hat und herausgekommen ist, wie es die Holländer eben verstehen. Ganz zu geschweigen, daß sie beide Ketzer sind. Und nun Mechthildis! – Sie ist ja manchmal gar zu gutmütig und herablassend gegen Leute geringerer Herkunft, aber glaubt nur nicht, Excellenz, daß sie darum ihre eigene vergißt. Ich kenne sie ja noch von der Klosterschule her. In der steckt der ganze Stolz ihres Hauses – man kann beinah sagen der Hochmut; denn hochfahrend sind die Aare von Mechter allezeit gewesen, und sie wußten auch warum. Wißt Ihr auch, was für Namen in ihrem Stammbaum stehen, und was die in den Chroniken unserer Stadt bedeuten? Dagegen müssen wir anderen alle zurückstehen, – sogar die zum Drachenloch, die Halveren, die Hardenrath – und auch wir Reynolds, obzwar wir immer schon ein paar hundert Jahre alt sind und nicht so jung wie die Kannemanns. Aber die Aare von Mechter! Sie kommen von den dreißig ältesten Geschlechtern her, die ihren Ursprung zugleich mit dem der Stadt von den alten römischen Kaisern ableiteten, und der selige Herr Winand, ihr Oheim, hat den Stammbaum ja bis auf Julius Cäsar hinauf mit Namen und Daten ausgerechnet. Und da meint Ihr, die letzte dieses Hauses sollte sich so weit vergessen, daß sie –?! Nein, Excellenz, nehmt mir's nicht übel, da kennt Ihr unseren Adelsstolz noch nicht.«

»Er kann nicht stärker sein, als der hispanische,« erwiderte Cordova etwas gereizt, »und auch, mit Eurer Erlaubnis, nicht begründeter. Ich habe gottlob unter meinen Ahnen bis zur Zeit des Königs Wallia aufwärts keinen, der nicht ein echter Hidalgo von altem Christentum war. Aber es ist in keinem Lande ohne Beispiel, daß Verdienst und Liebe immer neue Reiser in den Adelsgarten pflanzen, und was unter den Granden von Kastilien möglich ist, das wird auch wohl bei Euch nicht unmöglich sein. Ich weiß, was ich weiß, und Ihr werdet Euch darein fügen müssen, denn, wie der große Cervantes sagt, es wird schlimmer, wenn man daran rührt. Was mich angeht, so denke ich nächstens mein Stadtquartier zu verlassen und auf das Gut meiner edlen Wirtin, nach dem Mechterhof, überzusiedeln. Es ist besser so.«

Trotz der Versicherung des großen Cervantes war aber Frau Johanna keineswegs gewillt, nicht »daran zu rühren«. Einstweilen wurde das Gespräch freilich durch Herrn Jobst Kannemann unterbrochen, der sehr ärgerlich und noch rot von zornigem Sprechen aus seinem Arbeitszimmer zurückkam. »Daß diese Dickköpfe von Dienern sich auch gar so schlecht auf die Menschen verstehen,« polterte er. »Wißt Ihr, wer der wichtige Besucher war, den sie mir da in meine Stube gelassen hatten? Ein wandernder Wunderdoktor war's, ein langer Kerl, angethan wie ein Gelehrter und mit einem Mundwerk wie ein Jesuit. 's war derselbe, von dem schon gestern etliche Kollegen erzählten. Er sagte mir auch eine ganze Reihe her, die ihn in diesen Tagen angenommen und von seinem Theriak und seinen Gichtsalben gekauft hätten. Mit aller Mühe habe ich ihn vor die Thüre gebracht. Es wird Zeit, daß man gegen diese Tagediebe einmal einschreitet. Ich werde gleich in der nächsten Session darauf antragen. Und wie vornehm sie es schon treiben! Der Kerl ist in der ›Roten Kanne‹ abgestiegen, das ist unsere feinste Herberge in der Stadt.«

»Er ist auch bei mir gestern nachmittag gewesen,« bemerkte Cordova. »Die Hausnonne des Fräuleins war ihm unter dem Portal begegnet und gleich ins Gespräch mit ihm geraten; aber sobald ich merkte, was er wollte, habe ich ihn durch meine Ordonnanz hinauswerfen lassen. Solche Leute gehören vor die Inquisition.«

Frau Johanna hörte kaum zu. Ihre Gedanken waren ganz beschäftigt mit der vermeintlichen Entdeckung Cordovas. Sie glaubte zwar nicht daran und war geneigt, das Ganze als eine bloße eifersüchtige Grille des schwermütigen Spaniers zu betrachten. Indes nahm sie sich vor, jedenfalls ihre Freundin einmal gründlich auszuhorchen und nötigen Falls einer weiteren Abirrung Mechthildis' aus dem Schatten ihres Stammbaumes vorzuhalten. Eigentlich war es ja eine recht anziehende Aufgabe, die ihr für die nächsten Tage eine reizvolle Aufregung versprach.

Aber diese nächsten Tage sollten für Frau Johanna und für ihre gesamten Standesgenossen noch ganz andere Aufregungen bringen.



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