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Dreizehntes Kapitel.

»Ihr könnt mit Eurer Wundertaube immerhin zufrieden sein,« hatte der Domine gesagt, als sie zusammen in die Stadt einzogen; »sie hat Euch in ein schönes und merkwürdiges Stück Land geführt.« Hans brauchte nicht viele Tage, um die Wahrheit dieser Worte zu erkennen. Ein gesegnetes, an Merkwürdigem aller Art fast überreiches Gebiet war es, das der Amtmann von der Feste Stahleck aus im Namen des fernewohnenden Pfälzer Kurfürsten beherrschte. Vieles freilich von den bunten Farben des Lebens vergangener Zeiten hatte der calvinistische Glaubenseifer weggewischt. Es zogen keine Prozessionen mehr mit Musik und flatternden Fahnen zu Schiff den Rhein hinab, seltener erklang das volle Geläut der Kirchenglocken, die leuchtenden Malereien im Inneren der Kirchen waren weiß übertüncht, und einzelne, wie die einst alljährlich von vielen Tausenden fremder Pilger besuchte Wallfahrtskirche Sankt Werners, standen geschlossen; nur ein einsames Glöckchen im halbzerfallenen Dachstuhl des rosenfarbenen Wunderbaus ließ noch ab und zu seinen wehklagenden Ruf durch die Nacht ertönen, wenn der Wind, sein einziger Küster, es heftiger bewegte. Aber mächtiger als aller Glaubenseifer hatte der eigentliche Beherrscher des Landes, der Wein, seinen fröhlichen Einfluß auf Menschen und Sitten gewahrt; ja er regierte recht eigentlich statt des Kurfürsten. Denn noch war Bacharach der fast alleinige Stapelplatz des ganzen mittelrheinischen Weinhandels, und in den Händen des Bürgerausschusses, der als »Rat der vier Thale« diesen Handel überwachte und leitete, lag zugleich auch die eigentliche Regierung der »vier Thale«, Bacharachs und seiner Nachbardörfer Diebach, Manubach und Steeg.

Auch der Domine Govaert Friso spielte in dieser merkwürdigen Weinrepublik eine wichtige Rolle, und nicht bloß als Freund des reichen Amsterdamer Kaufherrn, der auf den Weinmärkten zu Martini »den Markt machte«. Um seiner eigenen Tüchtigkeit und Weinkenntnis willen war er, obgleich ein »Zugezogener«, zum Mitglied der »Zechherrenschaft« gewählt worden, der es oblag, den Weinbau im Lande zu überwachen und alljährlich den Mindestpreis für alle Sorten festzusetzen. Ueberhaupt zählte er zu den angesehensten Männern in den vier Theilen. Er bewohnte mit einem ihm an Jahren und Leibesgröße fast gleichkommenden holländischen Diener und einer einheimischen Köchin ein hübsches Haus in Bacharach, unfern des Zollturmes, der die Stadtmauer am Rheine nach Süden abschloß. Nach der Rheinseite war an den oberen Stock ein bedeckter Altan ausgebaut, der sich beinah auf die Stadtmauer lehnte und einen bequemen Blick auf Stapel und Strom gewährte. Noch schöner und freier aber war der Ausblick von der darüber gelegenen Giebelstube, in der nun Hans als Gast wohnte. Es war dasselbe Zimmer, in welchem, wie ihm der alte Diener sogleich beim Einzug erzählte, ein halbes Jahr lang, – bis vor wenigen Tagen die »jonge Juffrouw Renata van Tessel« gewohnt hatte. Wie hätte er es mit dem köstlichsten Fürstensaale vertauschen mögen!

Viele und vielerlei Leute verkehrten alltäglich im Hause des Domine; es war erstaunlich, für was alles er um Rat gefragt wurde und Rat wußte. Der fromme Doktor Crustarius, der als Inspektor oder wie man jetzt etwas schwieriger ausspricht: Superintendent die Geistlichkeit des Landes führte, holte sich bei ihm Trost in pfarramtlichen Bedrängnissen, und die weltliche Obrigkeit, der Amtmann mit dem langen Namen Johann Erhard Knebel von Katzenellenbogen, schätzte die Meinung des Domine in Sachen der Artillerie und »Fortifikation«; übrigens standen sie auf du und du und pflegten neben kriegerischen Dingen eifrig die Musik, wobei der Domine die Schnabelflöte blies, während der Ritter die Kniegeige künstlerisch zu streichen wußte. Wenn einem Bürger der Wein im Fasse trübe geblieben war oder wenn eine Bürgersfrau fand, daß ihre Hühner zu wenig Eier legten, so mußte auch wieder der Domine helfen. Mitunter aber erschienen auch auswärtige Leute mit geheimnisvollen Gesichtern und scheuem Wesen, und nach solchen Besuchen verreiste der Domine auf einige Tage, wie er behauptete, um irgend eine Weinsorte an Ort und Stelle zu probieren. Seine Mitbürger aber wußten es besser und schrieben ihm diese Reisen höher an, als alle sonstigen Verdienste. Denn sie erkannten in ihm einen der Schifferpastoren, – einen von jenen unerschrockenen Geistlichen, die freiwillig das gefährliche Amt ausübten, ihren zerstreuten und unterdrückten Glaubensgenossen in den katholischen Ufergebieten heimlich, zumeist bei Nacht an Bord eines Schiffes, das Wort Gottes auszulegen und die Sakramente zu spenden. Um dieses frommen Dienstes willen vergaben ihm die Eiferer unter seinen Mitbürgern sogar die Vorliebe für die Musik, die den calvinistischen Geistlichen hier zu Lande sonst sehr verargt wurde, und die noch sündhaftere Neigung zum Tabakrauchen.

Holländische Gastfreundschaft war berühmt, und jedenfalls erwies sich der Domine als Meister in dieser vornehmen Kunst. Er beanspruchte nichts von der Zeit seines jungen Gastes. »Seht Euch um, wo und wie Ihr wollt,« sagte er. »Lernt die Menschen und die Dinge kennen, bis Euch Gelegenheit und Neigung zeigen, wohin Ihr nun Euer Streben richten sollt. Solange Ihr wollt, seid Ihr in meinem Hause daheim.«

Hans benutzte diese Freiheit wohl. Es entging ihm nicht, wie günstig der Domine ihm unter der Hand bei den Leuten durch Erzählung dessen, was er für Renata und ihren Vater gethan, vorgearbeitet hatte. Der greisenhaft milde Doktor Crustarius und der bärbeißige Amtmann kamen dem jungen Helden mit gleicher Huld entgegen, und durch sein bescheidenes, ruhig heiteres Wesen sicherte er sich ihre Gunst vollends. So oft er aber an die Pforte des Altanzimmers pochte, fand er auch seinen Gönner bereit zu vertrauter Aussprache. Der Domine ließ sich seine Erlebnisse und Eindrücke schildern, ohne ihn auszuhorchen, er berichtigte sie, wo es not that, mit Bemerkungen, aus denen die Erfahrung eines überaus reichen Lebens und die Weisheit einer tiefen Seele sprach. So wurden sie viel schneller und gründlicher vertraut, als durch die ermüdende Ausschließlichkeit eines beständigen Verkehres, bei dem man einander zuletzt vor lauter Rücksichtsnehmerei lästig wird, und es bildete sich zwischen ihnen ein schönes Verhältnis, wie zwischen einem klugen Vater und einem den Knabenschuhen entwachsenen, lernbegierigen Sohne.

Uebrigens hatte das Altanzimmer noch eine ganz eigene Anziehungskraft für Hans. Dort, über dem Tische des Domine, hing ein großes Bildnis Renatas, von einem holländischen Meister kunstvoll gemalt. Auch auf diesem Bilde trat das Eigenartige ihrer Schönheit scharf hervor, und es bestärkte Hans in einer Vermutung, die er endlich, nach langem Zögern, dem Domine vorsichtig andeutete.

Der Domine schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein,« sagte er, »Mevrouw van Tessel war keine Jüdin. Obzwar das auch nicht so schrecklich und unerhört wäre, wie Ihr in Eurer deutschen Reichsstadt es zu betrachten gelernt habt. Wir stehen mit unseren portugiesischen Juden zu Amsterdam anders als Ihr mit den Eurigen, es sind angesehene Kaufherren und große Gelehrte unter ihnen, und es wäre nicht der erste Fall, daß sich eine schöne Tochter Juda in eine gut christliche Mevrouw verwandelt hätte. Aber hier liegt die Sache noch mehr im Wunderbaren, und weil Ihr mir nach Gottes Willen die beiden da gerettet habt, die mir die Nächsten auf der Welt sind, so will ich Euch die Geschichte auch rein erzählen.« Er blickte eine Weile zärtlich sinnend nach dem Bilde. »Nein,« wiederholte er sinnend, »Renatas Ahnherren haben niemals an den Wassern zu Babylon gesessen.... Sie beherrschten ein anderes Land, ein sonniges, üppiges Wunderland, wo die Blumen schneller aufblühen, heißer duften – und schneller welken als irgendwo. Es ist ein Land voll Reichtum, aber kein Land für unsere Art, die im Winter ihren Schnee und ihr Eis haben will und im Frühling ihre Nachtigallen; und wenn unsereins es dort auf zehn Jahre übersteht, so zählen die Jahre doppelt, wie Kriegsjahre. Ich kann davon reden und Adriaan van Tessel auch. Obzwar nicht bloß die Sonnenglut uns vor der Zeit die Haare weiß gefärbt hat. Das Leben hat auch dazu geholfen, – und die Menschen. Seht, Hans, ich bin jetzt sechzig Jahre alt. Als der Herzog von Alba in Brüssel anfing, das Blut unserer Edlen zu vergießen, aus dem die niederländische Freiheit nach Gottes Willen aufsprießen sollte, lief ich als ein zehnjähriger Fischerbursch in den Dünen herum. Manches von dem, was mir nochmals in meinem geistlichen Amte am meisten frommte, hab' ich nicht auf Schulbänken, vielmehr an den Wachtfeuern der Wassergeusen gelernt. Es war eine große Zeit, aber auch eine schwere Zeit, und ich hab' mein Teil an ihren Stürmen durchgemacht, bis ich im Hafen einer Dorfpfarre landete. Dann hab' ich ein liebes Weib heimgeführt, und als ich erst mit ihr im Lallen unseres Sohnes die lieblichste Stimme vernommen, mit der unser Herrgott in irdischer Weise spricht, was fehlte mir da noch zum Glück? Aber als es in Krieg und Handel meinen werten Landsleuten so trefflich von statten ging, fingen sie an, einander das Leben sauer zu machen, sonderlich die Herren Theologen, die zankten und zanken noch um Dinge, die für menschliche Weisheit doch nicht zu ergründen sind, sie spalteten Haare, und wer's nicht mitmachen wollte, dem rissen sie alle Haare aus. Na, Ihr habt ja gesehen, wie es die Katholischen und Protestanten widereinander halten – bei uns trieben es die Protestanten untereinander noch ärger. Ich wollt's nicht verstehen, aber da kam ich übel an. Weil ich erklärte, daß es mir besser anstehe, andere und mich an unseres Herrgotts Gnadenwerk zu erbauen als über anderer Meinung von selbigem Gnadenwerk mich auf der Kanzel zu erbosen und sie zu verdammen, verdammten sie mich selber, stifteten Unfrieden und Haß in der Gemeinde wider mich und trieben mich zuletzt aus Amt und Brot hinaus. Und das geschah just zur selben Zeit, als im Lande eine Seuche wütete, die der Krieg mitgebracht und zurückgelassen, und mein Weib und Kind starben auch daran.« Er hielt eine Weile inne und blickte starr auf seine gefalteten Hände; dann fuhr er leiser fort: »Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen! – Das ist ein tiefes Wort des Trostes nach bitterem Leiden. Aber Leid will Zeit haben, und damals bin ich nicht so friedlichen Sinnes aus meinem Hause gezogen, als ich es als ein verwaister Bettelmann verließ. Einer aber half mir durch, das war ein Schulfreund von mir, Adriaan van Tessel. Der hatte mittlerweile den Studien Valet gesagt und war geworden, was sein Vater gewesen war, ein Kaufmann. Aber einer von denen, die den Reichtum nicht in der Rechenstube abwarten. Er jagte ihm nach auf den Meerwogen, die unserem Volke am Ende doch immer freundlich gewesen sind, sonderlich wenn es ihnen beherzt den Kampf anbot. Auf seinem Schiff fand ich eine Heimstätte – und einen Beruf. Denn das Schiffsvolk fragt nicht nach theologischen Haarspaltereien, das braucht einen Mann, der mit herzlichem Vertrauen Gottes Wort und Trost mit ihnen teilt. Wißt Ihr, wie man auf unseren Schiffen den Geistlichen nennt? Siechentröster. Damit ist alles gesagt, was man von ihm will. Und ein solcher Siechentröster bin ich dann gewesen, viele Jahre; auf dem Führerschiff meines Freundes und in den indischen Kolonien, die wir dazumal den Spaniolen und ihren unglückseligen portugiesischen Unterthanen abjagten. Ei, ich sag' Euch, es war eine wilde Jagd, und wie es dabei herging, wenn es hieß: Alle Mann an Bord, und wer leben will, der kämpfe drum! – das könnt Ihr an meinem Gesicht ablesen. Die größte Schmarre hier, da zwischen den Augen, die danke ich einem malayischen Fürsten auf der Insel Java. Es war ein hochgebietender Herr, er hatte es auch machen wollen wie ich daheim auf meiner Pfarre, sagte zu den Portugiesen: ›Bleibt ihr mir rechts vom Leibe,‹ und zu uns: ›Bleibt mir links vom Leibe.‹ Aber es erging ihm nicht besser als mir, und als wir erst die Portugiesen untergekriegt hatten, die selber nicht frei waren und sich für ihre neuen spanischen Zwingherren nur mit halbem Mute wehrten, da mußte er auch daran glauben. Zuletzt aber, als unsere Leute seine Edelgarde zusammengehauen und er selber auf der Schwelle seines Bambusschlosses gefallen war, da machten noch nach des Landes Sitte seine Weiber und Töchter mit ihren Mägden einen Ausfall, und ich danke Gott, daß ich derweil im schönsten Wundfieber lag und nicht mit ansehen mußte, wie sie mit ihren Bambusspießchen in den zarten Händen vor unseren Kugeln fielen. – Aber der Wahrheit die Ehre, unsere holländischen und friesischen Burschen schonten, was zu schonen war, und unter denen, die mit dem Leben davon kamen – sehr wider Willen; viele von den armen Weibern brachten sich selber um – war auch eine Tochter des Fürsten. Sie hatte sich bis zuletzt gewehrt, Mynheer van Tessel hatte selbst einen Pfeil von ihrer Hand im Arme stecken, und wenn wir Spanier oder Portugiesen gewesen wären, so wäre es ihr bös ergangen. Aber Adriaan van Tessel war ein braver Holländer, der das Ebenbild Gottes ehrt, – und dazu war er ein junger, schmucker Herr. – Ich weiß nicht, wer von den beiden zuerst an den Brauch dachte, der dort zu Lande unter dem braunen Volk das Eroberungswerk zumeist mit der Hochzeit endigen läßt, – die alten Griechen beim Homer haben's auch so gehalten, mag sein, daß unsere Frauen und Mägdlein anders denken, dem spanischen Philipp wäre wohl kein holländisches Edelfräulein gefolgt, wenn er sie für sein Brautlager begehrt hätte. Aber dort zu Lande denkt man anders, und als ich wieder auf zwei festen Beinen herumwandelte, wurde mir an einem Tage die Freude zu teil, die schönste javanische Prinzessin erst durch das Taufsakrament zu einer christlichen Jungfrau Renata und alsdann durch meinen Segen zu einer Mevrouw Renata van Tessel zu machen. Weiß nicht, ob meine seelsorgerliche Belehrung oder ihre Liebe zu dem jungen Admiral sie so schnell für die Wahrheit unseres Glaubens gewann; die Wege des Herrn sind wunderbar über alle Maßen, so mag ihm wohl auch einmal der heidnische Gott Cupido die Wege ebnen müssen. – Aber eine fromme Christin ist sie wirklich geworden, und eine überaus glückliche Ehe war's, – nur währte sie kurz, wie das meiste reine Glück auf Erden. Denn es sind Kinder der Sonne, die schönen Menschenblumen aus jenem heißen Lande; wenn sie unter einen blasseren, kühleren Himmel kommen, wo es unser einem erst wieder frei und wohl wird, so welken sie hin, und ehe Adriaan van Tessel das Landhaus an dem Meerbusen, den wir het Y nennen, fertig hatte, worin er seiner Hausfrau ein ganz klein Stückchen von ihrer Sonnenheimat nachbilden wollte, da war die Blume schon hingewelkt, und er blieb allein mit seinen Schätzen – und mit seinem dreijährigen Töchterlein, das den Namen der Mutter führt und jetzt zu ihrem Ebenbilde erwachsen ist, – ganz ihr ähnlich. – Fast schreckhaft ähnlich,« fuhr er leiser, wie im Selbstgespräch nach einem langen, kummervoll zärtlichen Blick auf das Bild fort. »Auch ein Kind der Sonne, das sich unwissend nach der heißen Heimat sehnt.« – Er strich sich über die Stirn und fuhr lauter fort: »Das ist die Geschichte von Renata van Tessel. Ihr wißt nun, woher sie die Farben hat, die Wunderaugen und das Wunderwesen. Wenn Ihr sie mit ihrem Vater in einer fremden Sprache kosen hörtet, das war nicht Hebräisch, wie Ihr meintet, vielmehr die Sprache ihrer Mutter. Eine weiche, süße Sprache. Sie liebt sie, und sie paßt zu ihr. – Ja, und was soll ich Euch noch weiter von mir erzählen? Es ist rasch abgethan. Als ich damals vor vierzehn Jahren zuletzt in Amsterdam landete, war ich wieder der Pfarrer ohne Amt. Sie waren mittlerweil nicht milder in ihren Lehrstreitigkeiten geworden; und einen Landpfarrer mit den Schriftzügen da im Gesicht hätten sie am wenigsten genommen. Nicht einmal bei unserer Armee war ich mit meinem geistlichen Beistand auf die Dauer zu gebrauchen; und dann fingen unsere Hochmögenden ja auch schon ein paar Jahre darauf an, mit den Spaniern über den Waffenstillstand zu verhandeln, den sie jetzt glücklich genießen. Für mein Auskommen hatte ich an dem, was mir Mynheer van Tessel als meinen Anteil überwies, übergenug, aber ein Amt hatte ich nicht. War auch nicht mehr recht dafür geschaffen, nach den acht Jahren in Indien und auf dem Meere. Die Theologie, die man da lernt, paßt nicht immer in eine holländische strenggläubige Landkirche. Da habe ich so herumgekreuzt und zuletzt hier Anker geworfen. Es ist eine stille Bucht, wo man in Frieden alt werden kann; und eine gewisse Amtsthätigkeit habe ich ja auch gefunden, – ich vermute, Ihr habt schon gehört, was die Leute davon erzählen, mir ziemt es nicht, davon zu reden. Adriaan van Tessel, – ja der ist flott geblieben. Wie das so mit den Kaufleuten geht: je mehr sie verdienen, je eifriger wollen sie es vermehren. Aber nach Indien ist er nicht mehr gefahren; das überläßt er den Kapitänen und Kommissaren unserer ostindischen Kompanie, die er damals nach unserer Rückkehr mitgestiftet hat. Dafür kommt er seit dem Waffenstillstand alle Jahr einmal hier herauf, – unser ganzer Weinhandel geht beinah allein durch seine Hände –, und es ist erstaunlich, wie ihm alles glückt. Erschrecklich fast. Möchte er nie den Neid des Glückes, wie die alten Heiden es nannten, erfahren!«

»Begleitet Fräulein Renata ihren Vater allemal auf seinen Reisen?« fragte Hans.

»Meist. Die beiden hangen ja unbeschreiblich aneinander. Nur vorigen Herbst, da hat er sie hier lassen müssen. Die Aerzte in Amsterdam meinten, es sei besser für sie, wenn sie einmal einen Winter nicht an der See bliebe.« –

Mächtig hatte die Geschichte der schönen indischen Prinzessin auf Hans gewirkt. Sie umgab Renatas Bild in seiner Seele mit einem zauberisch bunten Rahmen, aus dem ihr zartes Antlitz ihm doppelt rührend entgegenlächelte. Aber noch in einem anderen Punkte wurden die Erinnerungen des Domine, in denen die kühne Mannesthat, Kampf und Sieg einen weit größeren Raum einnahmen als die Gottesgelehrtheit, für ihn bestimmend, – in der Wahl seines zukünftigen Berufes.



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