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26. Die Liebe siegt.

An einem heißen Augusttage lag Capri auf der Ottomane ihres eleganten Boudoirs; die Markisen waren herabgelassen, eine wohlige Dämmerung herrschte in dem von Blumenduft erfüllten Gemache. Das schöne Weib stützte ihr Haupt auf die linke Hand, in der rechten hielt sie ein geöffnetes Buch, in welchem sie jedoch nicht las, denn ihre Augen starrten sehnsüchtig in die Ferne.

Eine große Niedergeschlagenheit hatte sich ihrer bemächtigt und erfüllte sie mit Bitterkeit. Der einst so fröhlichen, lebenslustigen Capri erschien das Leben als eine freud- und farblose Wüste. Die Aufregung und der Wunsch nach Erfolg, die sie während ihrer Feste aufrechterhielten, machten, so oft sie allein war, einer großen Abspannung Platz. Sie verabscheute sich und die Welt. Etwas, das sie in ihren Tagen des Elends besessen, war ihr abhanden gekommen, sie fühlte sich trotz Reichtum und hoher Stellung höchst unglücklich. Sie hatte das Spiel, in das sie sich gestürzt, fast ohne Kampf gewonnen, die Dinge, nach denen sie sich gesehnt, erreicht; aber etwas, das ihr teurer war als das Gewonnene, teurer als alles in der Welt, stand außer ihrem Bereiche.

Sie hatte sich selbst verloren, und oft schien es ihr, als ob nur ihr Körper lebe und handle, während ihre Seele gestorben sei. Gestorben? Nein, sie lebte, aber sie gehörte nicht mehr ihr, sondern einem andern, dem sie nicht angehören durfte! Wenn sie nur dem Gatten, der sie über alles liebte und dem sie so vieles verdankte, der sie aus Elend und Armut in die goldenen Regionen des Reichtums erhoben, ihre Zuneigung hätte schenken können, sie wäre glücklich und zufrieden geworden. Aber das Schicksal hatte es anders gewollt! Lord Harrick stand ihrem Herzen fremd gegenüber, trotzdem sie schon seit einem Jahre sein angetrautes Weib hieß. Eine ungeheure Kluft trennte sie, die keines von ihnen zu übersteigen vermochte. Sie fragte sich, ob sie an der Seite Lord Harricks glücklich oder wenigstens hätte zufrieden leben können, wenn Guy Rutherford ihren Lebensweg nicht gekreuzt hätte! ›Wenn wir uns niemals gesehen hätten, Geliebte!‹ lispelte sie vor sich hin. Ja, wenn sie sich niemals gesehen hätten, wäre wohl manches anders geworden.

Während sie bleich und wie leblos auf der Ottomane lag, kreuzten alle diese Gedanken ihr Hirn. Sie ahnte gar nicht, daß die Welt, der sie entrückt war, sich im goldenen Sonnenscheine badete, sie gedachte nur ihres eigenen verfehlten Lebens und der Schatten, die es verdüsterten.

Plötzlich erweckte sie ein leises Pochen an der Tür aus ihren Träumereien; sie wußte, daß dies keiner der Diener sein könne, und sprang, an allen Gliedern zitternd, auf die Füße.

Ihr Herz blieb einen Augenblick stillstehen; mit einer übermenschlichen Anstrengung suchte sie sich zu beruhigen und nahm wieder Platz. Jetzt klopfte es noch einmal. Sollte sie Einlaß gewähren? Was bedeutete dieses seltsame, wilde Bangen, das ihr Herz erzittern machte und ihr das Blut in die Wangen trieb?

»Herein!« rief sie mit heiserer Stimme, die ihr selbst fremd dünkte.

Die Tür ging auf, sie hörte einen leichten, ihr so lieb gewordenen Tritt auf dem Teppich, aber sie drehte ihren Kopf nicht um.

»Sie werden verzeihen, daß ich so früh bei Ihnen vorspreche,« begann Guy in dem gleichgültigsten Tone der Welt.

Seine Kälte gab ihr Kraft, seine Nähe beruhigte sie, und doch vermochte sie nicht gleich zu antworten, sondern deutete stumm auf den nächsten Sessel.

»Mein Besuch galt eigentlich Lord Harrick,« fuhr er in demselben Tone fort, »aber man sagte mir, daß er ausgegangen sei, und ich wollte nicht fortgehen, ohne wenigstens Ihnen einen guten Morgen gewünscht zu haben.«

»Mein Gatte ist des Morgens immer in seinem Klub,« sagte sie jetzt ganz gefaßt und reichte dem Besucher die Hand.

»Wirklich?« rief dieser, als ob er nicht wüßte, daß dies die Gewohnheit seines Freundes war.

»Habe ich Sie in Ihrer Lektüre gestört?« fragte er, indem er in ihrer Nähe Platz nahm.

»Nein, ich habe nicht gelesen.«

Sie erhob sich, zog die Markise in die Höhe, und das volle Sonnenlicht strömte ins Gemach. Dann setzte sie sich wieder; keines sprach ein Wort, keines wagte es, sich zu bewegen. Endlich brach er das Schweigen.

»Werden Sie heute keinen Spazierritt unternehmen?«

»Nein, es ist zu heiß.« Sie starrte dabei krampfhaft auf das bunte Blumenbeet unter dem Fenster, nur um seinem Blicke nicht zu begegnen. Er seufzte leicht auf, womit er wohl seine Ungeduld ausdrücken wollte, sprang auf und trat rasch ans Fenster. Capri blieb starr und bewegungslos, als ob sie plötzlich in Marmor verwandelt wäre; ihr Herz jedoch flammte heiß auf. Einen Augenblick verweilten beide in ihrer Stellung, dann durchmaß Guy einigemal erregt das Zimmer, blieb plötzlich vor einem Büchertische stehen und nahm das erste beste Bändchen in die Hand; es war Henry Careys Übersetzung von Dantes ›Vision der Hölle‹, mit Illustrationen von Gustave Doré.

Ein neuer Gedanke schien ihn zu beseelen. Er ließ sich wieder an Capris Seite nieder, öffnete das Buch und neigte sich darüber. Sein volles, weiches Haar streifte ihre Hand, ihren Körper überlief ein Zittern, das sie nicht zu verbergen vermochte.

»Gefallen Ihnen diese Illustrationen?« fragte er ruhig.

Schon oft begann ein Gespräch mit Gemeinplätzen und endete tragisch.

»Einige davon, ja,« entgegnete sie, sich voll bewußt, daß diese Frage mit seinen wahren Gedanken ebensowenig gemein hatte, wie ihre Antwort mit den ihrigen.

»Er ist ein vorzüglicher Zeichner.«

»Das behaupten viele.«

»Gefallen Ihnen seine großen Bilder?«

»Der Einzug in Jerusalem ist wunderbar.«

»Betrachten Sie nur dieses Bild: Francesca da Rimini und Paolo Malatesta. Meiner Ansicht nach ist dies die beste Leistung Dorés.«

Er hielt ihr das Buch hin, und sie blickte mit einem Ausdrucke des tiefsten Erbarmens in ihren träumerischen Augen auf das eng aneinandergeschmiegte ermordete Liebespaar.

»Es ist rührend und schön,« flüsterte sie. Der Ton, in dem sie das sagte, bewegte ihn unaussprechlich.

»Darf ich Ihnen diese schöne Stelle vorlesen?« fragte er. »Ich möchte mit Francescas Worten beginnen. Darf ich?«

Sie nickte bejahend.

Er las mit seiner tiefen, klangvollen Stimme die bekannte Liebesgeschichte, die in einem vergangenen Jahrhunderte spielt. Sie lauschte den von seiner eigenen Leidenschaft durchglühten Worten, die sich ihr ins Herz brannten, und wagte kaum zu atmen. Als er Francescas Rede beendet, legte er das Buch zur Seite. Eine peinliche Pause entstand; Capri war seltsam bewegt und vermochte ihrer Stimmung nicht Herr zu werden. Plötzlich änderte sich Guys Gesichtsausdruck, und mit einer von verhaltener Leidenschaft bebenden Stimme fragte er:

»Was ist vorgefallen, daß du heute so kalt gegen mich bist?«

Sie erbleichte, ein eigentümliches Feuer blitzte in ihren Augen, das Herz klopfte ihr zum Zerspringen, und doch schwieg sie.

Bittend legte er seine Hand auf die ihrige, welche eiskalt war, und sah ihr ängstlich forschend ins blasse Antlitz. Sie schlug die Augen nieder und wandte das Haupt zur Seite. Jede Fiber ihres Körpers zitterte. Ein heftiger Kampf tobte in ihrem Innern, während sie sich zwang, äußerlich ruhig zu erscheinen.

»Warum antwortest du mir nicht? Was habe ich dir getan, Capri?«

»Bin ich wirklich kalt?« Nur mühsam entrangen sich die Worte ihren Lippen, als ob sie ihr Qualen verursachten.

»Du fragst noch? O, wie du mich folterst!«

»Ich dich? – – Warum bist du heimgekehrt? Hast du mir nicht versprochen, mich zu meiden?« rief sie schmerzlich aus.

»Weil ich ohne deinen Anblick nicht länger zu leben vermochte!«

Ein leichter Seufzer hob Capris Brust, ein warmer Strahl leuchtete aus ihren Augen, doch verschwand er ebensoschnell, wie er aufgetaucht; sie kämpfte noch immer gegen die Leidenschaft, die sie zu überwältigen drohte und die sie selbst für strafbar hielt.

»Ich habe mich in der Welt herumgetrieben, um dich zu vergessen,« fuhr Guy dumpf fort. »Gott allein weiß, wie ich mich bemüht habe, die Liebe aus meinem Herzen zu bannen – aber vergebens, sie ist stärker als ich. Selbst wenn mir dein Anblick den Tod gebracht hätte, – glaube es mir, ich wäre doch gekommen.«

Sie schwieg noch immer. Nur ihr Busen hob und senkte sich stürmisch.

»Capri,« bat er sanft, »sei nicht grausam … Wenn du wüßtest, wie wertlos das Leben für mich ist, wenn ich nicht in deiner Nähe weilen darf, du würdest mich nicht fragen, weshalb ich heimgekehrt bin!«

Er blickte ihr ins Gesicht; dem leidenschaftlichen Feuer seiner Augen vermochte sie nicht standzuhalten, und sie bedeckte dasselbe mit beiden Händen, deren Finger konvulsivisch zuckten. Sanft nahm er ihre Rechte in die seinige, als er fortfuhr:

»Das Schicksal war ungerecht und grausam, dich in die Arme eines Gatten zu treiben, der dich nicht versteht, dich nicht so lieben kann wie ich. Willst du auch grausam sein und mich aus deiner Nähe bannen? Ich verlange ja nichts, als dich von Zeit zu Zeit zu sehen, deine Stimme hören und deine süße kleine Hand in der meinigen halten zu dürfen!«

Dabei hauchte er glühende Küsse auf ihre Fingerspitzen. Ihr Atem ging heiß und schwer, sie erbleichte und errötete abwechselnd, und wie in einem bangen Aufschrei entrangen sich ihr die Worte:

»Wenn du mich wirklich liebst, dann fliehe, fliehe weit weg von mir und suche mich nie, nie wieder auf!«

»Capri, um der Barmherzigkeit willen, sprich die Wahrheit, verursacht dir mein Anblick wirklich Pein –?«

»O nein, nein! Aber du darfst nicht in meiner Nähe bleiben …Verlasse England und suche zu vergessen, wie ich mich bemühen will, zu vergessen, daß wir uns jemals im Leben begegnet sind.«

»Ich dich vergessen – niemals!«

Er preßte die Zähne krampfhaft aufeinander, seine Augen glühten, das Blut raste wie flüssiges Feuer in seinen Adern, seine Kehle war wie zugeschnürt, die Hände eiskalt. Nach einer Weile stammelte er erregt:

»Warum sollten sich zwei Seelen voneinander trennen, die füreinander geschaffen worden? Warum die Qual der Trennung ertragen? …Warum sollen wir einem grausamen Schicksal gestatten, uns für ewig voneinanderzureißen – bedenke, für ewig! – wenn unsere Herzen eins sind?!«

Sie lauschte seinen Worten mit weitaufgerissenen, entsetzten Augen, ihre Hand zitterte heftig in der seinen, während er immer leidenschaftlicher fortfuhr:

»Du kannst es nicht wissen, Geliebte, welche Hölle das Leben ohne dich für mich wäre! Ich liebe dich, nein, ich bete dich als meine Gottheit an!«

Ein schwerer Seufzer entrang sich ihrem gepreßten Herzen.

»Um ein armseliges Jahr an deiner Seite leben zu dürfen, würde ich den Rest meines Lebens freudig opfern …Endlose Qualen der Hölle wollte ich erdulden, nur sage mir, daß du mich liebst –«

»O, Himmel, ich bin verloren!« schrie sie in wilder Verzweiflung auf. »Ja, ja, ich liebe dich mehr als mein Leben! Als ich dich das erstemal sah, erfüllte mich eine unbestimmte Angst vor dir, denn mein Herz schlug dir schon damals entgegen, ohne daß ich es wußte. Später, als wir uns in Rom trafen, ahnte ich schon, daß meiner Seele Gefahr drohe …Ich wollte treu und stark bleiben und kämpfte gegen die unselige Leidenschaft, die mich erfaßte, aber ich kämpfte vergebens!«

»Mein Leben, mein alles!« jubelte er.

»Mein ganzes Dasein ist ein Hohn, ein Unrecht gegen den Mann, der mir seinen Namen und sein Herz geschenkt …Ich unterliege der Versuchung, in die mich meine Liebe für dich geführt, – so nimm mich denn hin mit Leib und Seele! Ich kann und will nicht länger lügen!«

Wie die Klagerufe einer verdammten Seele kamen die Worte aus Capris Munde. Sie streckte die Arme verlangend nach ihm aus, und er zog sie zärtlich an sein Herz.

»Mein Liebling, jetzt gehörst du mir allein! Niemand und nichts kann uns mehr trennen, als der Tod!«

Ein Schauer überflog ihren Körper. Sie lehnte ihr Köpfchen müde an seine Schulter, heiße Tränen näßten ihre Wangen. Waren es Freudentränen?


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