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11. Der zärtliche Vater.

Capri traf ihren Vater daheim in guter Stimmung. Er saß in Hemdärmeln in dem großen Lehnstuhle am Fenster, blies die Rauchwölkchen einer feinen Zigarre, die ihm Lord Harrick beim Abschiede angeboten hatte, in die Luft und schlürfte behaglich gewässerten Whisky.

Capri wußte, daß vor acht Uhr kein Schüler zu erwarten sei, und wollte sowohl die günstige Zeit, als auch die gute Laune des Alten benützen, um diesem Mitteilung von Mrs. Lordsons Antrag zu machen und seine Zustimmung zu gewinnen.

»Papachen, du hast doch schon gespeist?« begann sie freundlich.

»Ja, ich habe auswärts etwas genossen,« entgegnete er, nahm die Zigarre aus dem Munde und ließ den Rauch langsam zwischen den Zähnen durch; man sah ihm an, daß sie ihm gut schmeckte. Seine Tochter wußte aus Erfahrung, daß sie unter ›etwas‹ ein vorzügliches Diner zu verstehen habe, denn in dieser Beziehung vernachlässigte er sich niemals. Sie setzte sich in einiger Entfernung von ihm nieder, beobachtete ihn eine Zeitlang aufmerksam und wunderte sich, wie es gekommen, daß sie sich so leicht die Herzen anderer gewann, aber trotz jahrelangen Beisammenseins dasjenige des Vaters nicht zu erobern vermocht hatte. Weder das Band der Liebe, noch das der Sympathie knüpfte sie aneinander. Sie, sein einziges Kind, hatte nichts mit ihm gemein; sie konnte ihn nicht einmal achten, und er hatte nie besonderes Interesse für sie an den Tag gelegt, sich nie darum bekümmert, wie das liebebedürftige Kind aufwuchs …Hatte er denn ihre arme Mutter wirklich geliebt? fragte sie sich. Oder war seine Liebe für sie nur eine aufflammende Leidenschaft gewesen, die alsbald erlosch? …Sehr wahrscheinlich, und dies ist wohl auch die Ursache, weshalb er mir so wenig Zuneigung zeigt. Doch was nützt es, daß ich über die traurigen Verhältnisse grüble? Lassen wir Vergangenes vergangen sein, die Zukunft soll mich dafür entschädigen.

»Ich war, wie du weißt, in Mayfair, Papa,« versuchte sie wieder das Gespräch in Gang zu bringen, »ich habe die Amerikanerin gesprochen; sie bewohnt ein schönes Haus.«

»Und besitzt wohl, wie alle Amerikanerinnen, viel Geld?« bemerkte der Hauptmann und gedachte all der üppigen Diners und Soupers, die er zu seiner neapolitanischen Zeit der Gastfreundschaft seiner reichen Yankeebekannten verdankte.

»Ich glaube, sie ist sehr reich, sie hat mir den Antrag gestellt …«

»Dir ein Darlehen zu geben?« unterbrach er sie hastig.

»Nein!« antwortete sie ärgerlich und von der Frage beschämt.

»Nun denn?«

»Sie hat mich gebeten, ihre Gesellschafterin zu werden.«

Der Hauptmann setzte sich aufrecht in seinen Stuhl, zum Zeichen, daß er sich in seiner Würde verletzt fühlte.

»Ihre Gesellschafterin zu werden!« rief er entrüstet.

»Ja!«

»Du hast doch hoffentlich abgelehnt?«

»Ganz im Gegenteile, ich habe mit tausend Freuden eingewilligt.«

»Ohne deinen Vater auch nur um Rat zu fragen, ohne zu bedenken, daß du ihn einsam zurücklässest?«

»Das Gehalt ist gut,« fuhr sie fort, als ob sie seine moralische Entrüstung nicht bemerkte, wohl wissend, daß dieses Argument sofort seinen Sinn ändern würde.

»Wieviel hat sie dir angeboten?« fragte er in ganz anderem Tone.

»Hundert Pfund pro Jahr.«

Er ließ sich in den Stuhl zurückfallen und tat einen langgezogenen Pfiff. Als Capri sah, welch günstige Wirkung die Nennung der Summe auf die Gesinnung ihres Vaters hervorgebracht, verlor sie weiter kein Wort, sondern wartete, bis er das Gespräch aufnahm.

»Hundert Pfund! In der Tat ein glänzendes Anerbieten!«

»Wie es mir vielleicht im Leben nicht wieder gemacht wird.«

»Du hast recht …«

»Deshalb habe ich es auch ohne Zögern angenommen.«

»Du bist für deine Jahre ein außerordentlich praktisches Mädchen,« bemerkte er, bemüht, ihr in allem recht zu geben. »Ja, noch mehr, du bist ein gutes und kluges Geschöpf!«

»Die Erfahrung macht klug.«

»Verzögerungen sind in diesen Fällen zuweilen gefährlich, deshalb hast du wohl der Dame zugesagt, ohne erst meinen Rat einzuholen?«

»Nein,« gestand sie ehrlich, »ich hatte zur Verzögerung gar keine Veranlassung, denn ich sah voraus, daß du mir deine Einwilligung nicht verweigern würdest.«

»Wie konntest du das voraussehen?«

»Weil mein Gehalt hoch ist.«

Der Hauptmann verstummte, machte ein ernstes Gesicht, richtete seine Augen zu Boden, paffte große Rauchwolken in die Luft und nahm von Zeit zu Zeit einen Schluck Whisky. Er wußte sich nicht zu raten, wie er sich in dieser Angelegenheit benehmen sollte. Wenn Capri erst von ihm fortging, würde er gar keinen Einfluß mehr auf sie ausüben; er mußte sich freilich eingestehen, daß dies auch bisher nicht der Fall war, aber wenn sie erst die Stelle angetreten, würde sie monatlich über acht Pfund sechs Schilling acht Pence verfügen, eine Summe, die sie unmöglich für sich allein verbrauchen konnte.

Um sie nun zu bewegen, möglichst viel davon ihm zu überlassen, mußte er ihr jetzt allerlei Schwierigkeiten in den Weg legen. Als er in seinem Gedankengange zu diesem väterlichen Resultate gelangt war, tat er noch einen langen Zug an seiner Zigarre und begann feierlich:

»So begehrenswert und verlockend dir auch das Gehalt, das dir die Amerikanerin angeboten, erschienen sein mochte, du hättest als pflichtgetreue Tochter mich, deinen Vater und einzigen lebenden Verwandten, befragen müssen, ehe du deine Zustimmung gabst. Das werde ich nie vergessen können!«

»Aber, Papa,« antwortete sie, nicht ohne eine leichte Bitterkeit im Tone. »Du hast mir bis zum heutigen Tage so viel Freiheit gelassen, daß du es mir nicht übelnehmen kannst, wenn ich in dem für mich so wichtigen Augenblick vergaß, daß du Anteil an mir nimmst.«

Die leise Ironie, die in dieser Bemerkung lag, traf ihn wohl, aber er parierte sie alsbald geschickt:

»Bis jetzt warst du nicht in die Lage gekommen, eines väterlichen Rates zu bedürfen. Wenn ich dir deinen freien Willen ließ,« er betonte die letzten Worte stark, »so war es ein Fehler, der meiner Liebe und nicht einem Mangel an väterlicher Sorgfalt entsprang.«

Capri war seinen Schlichen gewachsen.

»Nun gut,« entgegnete sie ruhig; innerlich widerte sie die Konversation jedoch an und sie wollte dieselbe möglichst rasch zu Ende führen, »dann werde ich bei dir bleiben; Mrs. Lordson mag sich eine andere Gesellschafterin suchen.«

Sie hatte durchaus nicht die Absicht, dies zu tun, aber sie glaubte ihren Vater dadurch veranlassen zu können, seine wahre Meinung auszusprechen, denn sie fühlte nur zu gut, daß seine Worte nicht ausdrückten, was er wirklich dachte.

»Nein, nein, als Vater kann ich das durchaus nicht zugeben, es wäre eine Ungerechtigkeit gegen dich und ein Egoismus von mir, den ich mir nie verzeihen könnte. Ich will lieber versuchen, meine eigenen Gefühle zu unterdrücken – –«

»Ich werde tun, was du für gut findest,« heuchelte sie. Wenn er Komödie spielte, weshalb sollte sie es nicht auch tun?

»Wie du vorhin ganz richtig bemerktest, wird dir ein solches Anerbieten vielleicht nie wieder gestellt werden; überdies paßt ein Heim, wie unser jetziges, nicht für die erwachsene Tochter eines englischen Offiziers. Solange du noch ein halbes Kind warst, machte dies nichts, aber jetzt ist es etwas anderes. Nein, nein, mein Kind, meine Liebe soll dich nicht einer glänzenden Zukunft berauben.«

»Und dann, Papa,« bemerkte sie mit einem schelmischen Ausdruck in ihren Augen, »könnten wir ja ohnehin nicht immer beisammen bleiben, denn früher oder später würde eins von uns heiraten, und wir müßten uns trennen.«

Der Hauptmann hielt es für geraten, diese unschickliche Bemerkung zu überhören. Er tat, als ob er ernstlich nachdenke, und sagte dann gemessen:

»Du würdest wohl die ganzen hundert Pfund für deine Bedürfnisse nicht – –«

»Du sollst die Hälfte haben, Papa,« unterbrach sie ihn rasch, bemüht, ihm das bißchen Selbstachtung, das er noch besaß, zu erhalten.

»Gott segne dich, mein Kind!« rief er gerührt. »Du warst mir immer eine aufmerksame, liebevolle Tochter!«

Capri entgegnete trocken:

»Also die Geschichte ist ein für allemal erledigt! Mrs. Lordson wünscht, daß ich Samstag mein Amt antrete.«

»Das kannst du,« sagte er seufzend, schlürfte den letzten Rest Whisky und schnalzte vergnügt mit der Zunge.

»Papa,« plauderte Capri weiter, froh, so leichten Kaufes davongekommen zu sein, »wenn du wirklich glaubst, daß du dich ohne mich einsam fühlen wirst, warum verheiratest du dich nicht?«

Er sah sie vorwurfsvoll an.

»O, ich habe wirklich nichts dagegen, meine Einwilligung hast du.« Das Teufelchen in ihrer Brust war wieder erwacht. »Ich werde zur Trauung kommen, Tränen vergießen und ausrufen: Gott segne euch, meine Kinder!« Dabei erhob sie sich, nickte dem Vater lachend zu und schlüpfte zur Tür hinaus. Draußen verschwand ihre gute Laune sofort, sie blickte ernst drein, und Tränen füllten ihre Augen, als sie vor sich hinflüsterte: »Armer Marc! Was wird er von mir denken?«


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