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25. Mrs. Lordsons Triumph.

Die Saison stand auf ihrem Höhepunkte, London war niemals so besucht, wie gerade jetzt. Eine Gesellschaft drängte die andere in den Hintergrund, die Vorstellungen bei der Königin gingen mit allem Pomp vonstatten, Theater, Konzerte, die Reitallee im Hydepark waren stets überfüllt. Es ist wirklich rätselhaft, wie die vornehme Welt die Strapazen einer Londoner ›Saison‹ ohne Schädigung der Gesundheit zu ertragen vermag. Sie kann mit dem ›Schatzgräber‹ ausrufen: ›Keine Ruh' bei Tag und Nacht‹, und das durch volle drei Monate, vom ersten Mai bis zum ersten August.

Während dieser ganzen Zeit waren die Tore von Harrick-House für die Creme der Gesellschaft geöffnet. Man vermochte sich leichter Zutritt zu einem Empfangstage der Königin Viktoria im St. James-Palast zu verschaffen, als eine Einladung zu einem Diner, einem Balle oder einem Konzerte der neuen Vicomtesse. Man gab sich die denkbar größte Mühe, man intrigierte und schmeichelte, um einem Feste in Harrick-House beiwohnen zu können, denn bekanntlich sehnt man sich stets nach den höchsthängenden Trauben; aber Capri, Vicomtesse Harrick, machte es Spaß, die Anstrengungen zu beobachten, welche die Leute machten, um von ihr eingeladen zu werden. Ja, es machte ihr Spaß, aber nichts vermochte sie zu bewegen, den Wünschen auch zu entsprechen. Capri, das Modell der ›Bettelmaid‹, blickte gar stolz und vornehm auf ihre Mitmenschen herab – jeder Zoll eine Vicomtesse Harrick!

Die Gesellschaften in ihrem Hause waren ganz exklusiv, und je exklusiver sie waren, desto gieriger trachteten die Nichteingeladenen, zugezogen zu werden. Man buhlte förmlich um Capris Gunst. Mrs. Achilles Lordson wußte um diese Tatsache und hatte längst jede Hoffnung aufgegeben, ihren Fuß jemals wieder über die Schwelle von Harrick-House zu setzen. Sie zieh Capri der Undankbarkeit und grollte ihr. Eines Tages sollte sie jedoch eines Besseren belehrt werden, denn die sehnlichst erwartete und jetzt doch unerwartete Einladung erfolgte. Mrs. Lordson wurde ›höflichst ersucht‹, Mittwoch um elf Uhr abends zu einem Konzerte zu erscheinen, bei welchem ein Mitglied der königlichen Familie ein Violinsolo vortragen werde.

Die Aussicht auf diese Ehre beraubte die gute Frau beinahe ihres Atems. Sie ließ die Karte in ihrem umfangreichen Schoße ruhen, faltete die Hände und lehnte ihr Haupt mit einer glücklichen und stolzen Stirne zurück. Der sehnlichste Wunsch ihres Herzens ging seiner Erfüllung entgegen, die Pforten von Harrick-House sollten ihr geöffnet werden! Sie würde einen wahrhaftigen Prinzen geigen hören, Herzoginnen und Marquisen von Angesicht sehen und kennen lernen! O, diese Wonne! Würde sie nicht darunter zusammenbrechen? …Wie vieles war noch zu überlegen! Vor allem mußte sie sich klar werden, ob sie zu dieser Gelegenheit ihre Diamanten oder ihre Perlen anlegen sollte! Beide mochten sich neben denjenigen jeder Herzogin sehen lassen. Würde Monsieur Worth imstande sein, ihr bis dahin eine Toilette zu komponieren? Es mußte das ein Meisterwerk werden …Ah, es wäre wohl am besten, sofort telegraphisch bei dem Kleiderkünstler anzufragen, – aber wo blieb nur Newton Marrix? Er mußte das für sie besorgen.

Sie erhob sich, um ihm eine Zeile zu schreiben, das Kuvert fiel zu Boden, und als sie es aufhob, bemerkte sie noch ein Zettelchen darin, das ihr in der ersten Aufregung entgangen war. Sie sank wieder auf ihren Stuhl zurück und las folgenden Inhalt drei-, viermal:

»Meine liebe Mrs. Lordson! Es würde mich sehr freuen, wenn Sie und Mr. Marrix an dem Tage des Konzertes bei uns dinieren würden. Wir werden ganz unter uns sein, nur noch ein Freund meines Gatten – Mr. Guy Rutherford, den Sie übrigens auch schon kennen – wird an dem Diner teilnehmen. Nicht wahr, Sie kommen? Also auf Wiedersehen! Ihre alte Capri.«

Mrs. Lordson war von dem herzlichen Tone, der aus dem Briefchen sprach, begeistert, ihr Groll gegen ›die hochmütige Vicomtesse‹ wie weggewischt, und sie machte sich Vorwürfe, ihre süße, kleine Capri auch nur einen Augenblick des Undankes geziehen zu haben! Dann überflog sie das Briefchen noch einmal, und jetzt fiel es ihr erst auf, daß das Diner im engsten Kreise stattfinden sollte. Wie ärgerlich. Sie hatte im ersten Augenblicke gehofft, einer der Herzoge werde sie zu Tische führen, und nun mußte sie sich mit Lord Harrick begnügen; doch tröstete sie sich alsbald mit dem Konzerte, bei welchem wohl die höchste Aristokratie anwesend sein dürfte. Wie wollte sie in dem Anblicke all der Größen schwelgen! Die Aussicht darauf erfüllte sie Tage vorher mit namenlosem Glücke, das allerdings durch die Gleichgültigkeit, die Newton Marrix beim Empfange der Einladung an den Tag legte, etwas getrübt wurde.

Der denkwürdige Mittwoch blieb ihr unvergeßlich. In ihrem Kalender hatte sie ihn rot angestrichen. Capri hatte sie sehr liebenswürdig empfangen und in der alten herzlichen Weise mit ihr geplaudert. Auch das Diner verlief sehr gemütlich; die Hausfrau teilte ihre Aufmerksamkeit zwischen Mrs. Lordson und Newton Marrix. Guy Rutherford beschäftigte sich auch viel mit der Amerikanerin, der Lord verhielt sich schweigsam.

Der stolzeste Augenblick im Leben der ›freien‹ Republikanerin war derjenige, wo sie am Arme eines Marquis die weiße Marmortreppe hinunterstieg, um in den Konzertsaal zu gelangen. Noch niemals hatte sie ihr Haupt so stolz getragen. Ihre goldgestickte heliotropfarbige Samtrobe und die kostbaren Perlen erregten allgemeine Bewunderung; selbst die stolze Herzogin Devonshire sagte ihr im Vorübergehen einige lobende Worte darüber.

Das Programm war ein vorzügliches; in einer Pause flüsterte Mrs. Lordson ihrem Freunde Marrix zu: »Sehen Sie doch nur, wie Seine Hoheit der Prinz, der Marquis von Mounteblank und all die anderen hohen und höchsten Herrschaften ungezwungen mit unserer Capri plaudern, als wäre sie ihresgleichen!«

»Das ist sie auch,« entgegnete Newton kurz. »Und dabei die schönste Frau Londons. Nicht einmal die Hoffeste können sich an Pracht und Exklusivität mit denen der Vicomtesse Harrick vergleichen!«

»Und wenn ich bedenke, daß ich es war, die sie in die Gesellschaft eingeführt!« Es gewährte ihr noch immer Vergnügen, sich in dem Ruhme Capris zu sonnen.

»Sie erfüllten eben Ihre Mission!« meinte Newton trocken.

»Ich danke der Vorsehung, die gerade mich dazu ersehen, die Mission zu erfüllen,« entgegnete die Amerikanerin feierlich.

Ein Summen und Murmeln wie in einem Bienenkorb war in dem großen Saale vernehmbar. Nach der atemlosen Stille, die während der Vorträge geherrscht, empfand jedermann das Bedürfnis, seinem Nachbar eine Bemerkung zuzuflüstern; die feinparfümierten Programme raschelten in den Händen der Besitzer, und in dieser allgemeinen Bewegung nahm sich der in sanften Schlaf eingelullte Marquis von Mounteblank höchst komisch aus. Sein Mund war leicht geöffnet, die weiße Perücke etwas verschoben, und zwischen dem erhobenen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand schimmerte goldgelber Schnupftabak. Mrs. Lordson fand, daß er trotzdem jeder Zoll ein Marquis sei, der, ob wachend oder schlafend, Respekt einflöße. Plötzlich trat wieder Totenstille ein, als ob ein Engel durchs Zimmer flöge. Der Prinz bestieg das Podium, verneigte sich höflich, setzte den Bogen an und spielte etwa fünf Minuten; nicht enden wollender Beifall belohnte ihn.

Den Schlußeffekt bildete ein Lied, welches die Hausfrau singen sollte. Es war jene Komposition Padre Pallamaris, zu deren Drucklegung Lord Harrick seinerzeit Capri fünf Pfund eingehändigt. Diese hatte ihren väterlichen Freund schriftlich gebeten, die Begleitung zu übernehmen, doch hatte er hartnäckig abgelehnt.

Sie sang die kleine pathetische Ballade: »Wenn wir uns niemals gesehen hätten, Geliebte,« mit einer Leidenschaft und Wärme, deren sie sich gar nicht bewußt wurde.

Sie vergaß den vornehmen Zuhörerkreis, und als sie geendet, schimmerten in ihren leuchtenden Augen Tränen.

Das Fest war ein ›Erfolg‹ und machte noch lange von sich reden. Die hohen Herrschaften verabschiedeten sich voll Begeisterung, der Prinz machte den Anfang, die anderen Gäste folgten. Die Herzogin von Devonshire beglückwünschte Capri und küßte sie beim Abschiede gerührt auf beide Wangen. Indessen begleitete der Marquis von Mounteblank die verzückte Mrs. Lordson zu ihrem Brougham und stotterte irgendein närrisches Kompliment, an das sie noch lange mit Vergnügen dachte.

Nun war alles vorüber, Capri befand sich allein in ihrem hellerleuchteten Empfangszimmer und lauschte auf das Davonrollen des letzten Wagens, als Guy Rutherford geräuschlos eintrat.

»Ich wollte Ihnen noch ›Gute Nacht‹ sagen und Ihnen für das Lied danken,« sagte er, ihr die Hand reichend. Dann fügte er in ganz verändertem Tone hinzu: »Wenn wir uns niemals gesehen hätten, Geliebte!«

»Gute Nacht!« flüsterte sie; ihre Hand zitterte in der seinigen, und sie vermied es ängstlich, ihn anzusehen.


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