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18. Der Abschied.

Capri vermochte die ganze Nacht kein Auge zu schließen; sie hatte die Empfindung, als ob die Erlebnisse bei Mrs. Stonex nur Ausgeburten ihrer lebhaften Phantasie seien. Sie setzte sich in ihrem Bette auf und sagte laut:

»Nein, ich schlafe nicht! Lord Harrick hat mir wirklich Herz und Hand angeboten, und ich habe beides angenommen.« Plötzlich vergrub sie ihr Gesicht in die Kissen und brach in ein nicht endenwollendes Schluchzen aus. Sie wußte selbst nicht, ob sie vor Freude oder Kummer weinte.

Sie, das einfache Kind des Volkes, das einst am Meeresstrande barfuß umhergelaufen, mit den Fischerkindern um die Wette Muscheln gesucht, sie, die Tochter einer Sängerin, welche die schönsten Jahre ihres Lebens in zwei Hinterzimmern einer ärmlichen Straße verbracht und Musikunterricht erteilt hatte, sie, die froh war, hie und da von ihren Schülerinnen ein Bändchen, ein paar Handschuhe oder dergleichen Tand geschenkt zu bekommen, sollte nun in kürzester Zeit Vicomtesse Harrick werden! Hatte sie nicht erst vor wenigen Wochen Marc versichert, daß gerade die unwahrscheinlichsten Dinge oft in Erfüllung gehen? Wenn ihr damals jemand prophezeit hätte, sie würde ihm ins Gesicht gelacht haben, trotzdem sie sich schon damals mit ehrgeizigen Plänen trug. Daß ihr Leben diese Wendung nehmen könnte, hätte sie nicht einmal in den kühnsten Träumen zu hoffen gewagt.

Müde und abgespannt erhob sie sich am nächsten Morgen von ihrem Lager, um wie gewöhnlich Mrs. Lordson beim Frühstück Gesellschaft zu leisten.

»Der Atem stockt mir förmlich vor Erstaunen,« rief diese, nachdem Capri ihr von dem Heiratsantrage des Lords berichtet. Auf ein Haar, und die kostbare Teetasse wäre ihr aus den Händen gefallen. »Ich wußte, daß es so kommen müsse …Aber jetzt, da er sich bereits erklärt hat, scheint es mir kaum glaublich. Sie haben mir aber auch die Neuigkeit so ohne Vorbereitung mitgeteilt …Ich bin sprachlos vor Überraschung! …Capri, mein Herz, ist es nicht seltsam, daß Sie nun bald meine Gönnerin und mir an Rang und Reichtum überlegen sein werden?«

»Ja, sehr seltsam!«

»Es wundert mich nur, daß der Lord sich damals nicht in der Mondscheinnacht, als wir von Richmond heimfuhren, erklärt hat! … Die Gelegenheit war so günstig, und es wäre auch viel romantischer gewesen als gestern abend! Am Ende hat es ihm das griechische Kostüm angetan …Sie sahen darin auch bezaubernd aus!«

Capri lachte, oder sie machte vielmehr den Versuch, zu lachen, aber derselbe mißlang. Die glänzende Aussicht auf die Zukunft blendete sie, aber sie war weit davon entfernt, sich glücklich zu fühlen. Ein Seufzer nach dem anderen entrang sich ihrem gepreßten Busen, und sie hätte am liebsten weinen und wieder weinen mögen.

»Eigentlich sollte ich Ihnen ernstlich böse sein, daß Sie mir diese Freudenbotschaft so lange vorenthalten haben …Wie konnten Sie es nur übers Herz bringen, zu schweigen?« sagte die gutmütige Amerikanerin scheinbar ungehalten.

»Liebe, einzige Mrs. Lordson,« bat Capri in ihrem einschmeichelndsten Tone und sah zärtlich zu ihr auf, »Sie sind ja die erste, mit der ich darüber spreche …Ich war gestern so verwirrt und konnte es mir selbst nicht glauben …Es kam so …so plötzlich …« Sie erhob sich, ging zur Amerikanerin hinüber und umschlang deren Nacken. »Nicht wahr, Sie sind mir nicht mehr böse?«

»Nein, nein, mein Kind! Ich freue mich ja mit Ihnen, als ob Sie meine Tochter wären. – Ich wußte, daß er vor Ende der Saison um Ihre Hand anhalten würde – selbst ein Blinder hätte das sehen müssen. – Welche Seligkeit, sich ein so schönes Weib erobert zu haben! – Ja, ich sage es Ihnen ins Gesicht, Sie sind das schönste Wesen, das ich bislang kennen gelernt, und Sie werden eine vornehme Dame abgeben! Capri, ich werde Ihnen einen Trousseau und ein Brautkleid machen lassen, so kostbar, wie Worth es nur herstellen kann!« schloß sie erregt.

»So viel Güte verdiene ich gar nicht!« stammelte Capri gerührt.

»Still, still, mein Kind!« Damit zog sie das Mädchen an ihre Brust und küßte ihm beide Augen.

Um die Mittagsstunde erschien Lord Harrick. Er übergab seiner Braut feierlich einen seltsamen, altmodischen, mit Perlen besetzten Ring, den Maria Stuart am Tage ihrer Hinrichtung seiner Ahne geschenkt hatte. Er vererbte sich von Vater auf Sohn und besiegelte seither alle Verlobungen der Träger des Namens Harrick.

Capri sah dankend zu ihrem Verlobten auf und bewunderte die herrliche Fassung des Juwels, was Harrick große Freude bereitete. Durch die Erregung und die schlaflos verbrachte Nacht war ihr Gesichtchen ganz bleich; die Augen schienen größer und leuchtender als gewöhnlich, das einfache weiße Kaschmirkleid stand ihr vorzüglich, und der verliebte Lord verschlang sie fast mit seinen Blicken.

Die lebenskluge Mrs. Lordson brachte dem Brautpaare ihre Glückwünsche dar und lud den Bräutigam zum Gabelfrühstück ein; dann entfernte sie sich unter einem passenden Vorwande und ließ die beiden allein. Capri blieb ernst und still, während er sie in seine Arme schloß und leidenschaftliche Worte in ihr Ohr flüsterte. Sie hörte die Pläne, die er für ihre gemeinsame Zukunft schmiedete, mit einer Ruhe an, als ob sie gar nicht daran beteiligt wäre und es sich um eine dritte, ihr fremde Person handelte. Sie äußerte keine Wünsche und machte keine Vorschläge, sondern wunderte sich nur im stillen darüber, daß die Vorsehung gerade diesem Manne so rotes Haar und so ausdruckslose Augen verliehen.

Er bedeckte ihre Hand mit der seinigen, wie an jenem Morgen in dem Hinterzimmer der Euston-Road, als sie ihm mitteilte, daß sie nach Mayfair übersiedele. Ein kalter Schauer durchrieselte ihren Körper, sie starrte wie geistesabwesend vor sich hin und ließ all seine Liebkosungen mit innerlichem Widerwillen über sich ergehen. Der Gedanke, was Marcus Phillips zu ihrer Verlobung sagen werde, verließ sie keinen Augenblick und machte ihr das Herz schwer. Das Alleinsein mit ihrem zukünftigen Gatten bedrückte sie. Ein andermal würde sie seine Nähe besser ertragen können, aber heute machte diese sie namenlos unglücklich.

»Dieses Gefühl wird natürlich vorübergehen,« beruhigte sie sich selbst, »ich werde mich nach und nach an ihn gewöhnen. Die Zeit und das eheliche Leben wird uns aneinanderfesseln, aber jetzt ist es mir unerträglich.«

Sie beantwortete seine Fragen so gut sie konnte, duldete seine Küsse, die ihr wie empfindliche Nadelstiche vorkamen, und saß wie ein Opferlamm da. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hinausgelaufen. Er empfand ihre Kälte gar nicht, denn seine Gemütsbewegung und Leidenschaft waren so heftig, daß sie ihn blind machten und in den Glauben versetzten, sie erwidere seine Liebe. Was Wunder, wenn er sich in seinem eingebildeten Paradiese glücklich fühlte? Während ihres Alleinseins erhellte sich Capris Antlitz nur einmal, und das war, als Mrs. Lordson in den Salon trat, um die Verlobten zu Tische zu bitten.

Lord Harrick verließ seine Braut höchst zufrieden; ihre mädchenhafte Schüchternheit – so deutete er ihre Kälte – entzückte ihn. Nach Tisch mußte Capri, wie gewöhnlich, ihre Herrin zum Korso begleiten. Als sie sich für die Ausfahrt umkleidete und einen Blick in den Spiegel warf, erschrak sie selbst über die Blässe ihres Gesichts und den traurigen Ausdruck ihrer Augen.

»Niemand, der mich sähe, würde glauben, daß mein sehnlichster Wunsch in Erfüllung gegangen und daß ich heute ein großes Glück gemacht!« Sie versuchte zu lächeln, aber zwei Tränen straften diese erzwungene Heiterkeit Lügen.

Erst in der Dämmerstunde gelang es ihr, sich unter dem Vorwande, ihrem Vater die Ereignisse des Tages mitteilen zu müssen, von Mrs. Lordson freizumachen. Sie lenkte trüben Sinnes ihre Schritte in die Fitzroystraße und blieb zögernd einen Augenblick vor dem Hause stehen, in welchem Marcus Phillips wohnte, ehe sie den Klopfer in Bewegung setzte. Das Dienstmädchen öffnete und sagte, Capri erkennend:

»Mr. Phillips ist zu Hause. Darf ich Sie anmelden?«

»Ich danke, ich werde mich schon selbst anmelden.« Sie rannte nicht, wie sie früher zu tun pflegte, die Treppe hinan, sondern blieb bei jedem Absatze aufseufzend stehen. Nur schüchtern pochte sie an und wartete, bis Marc »Herein!« rief. Am liebsten wäre sie wieder umgekehrt. Der Maler stand vor seiner Staffelei, die Pfeife in der einen, die Palette in der anderen Hand, und drehte sich gar nicht um. Erst als er Capris Stimme vernahm, warf er beides auf den Tisch und eilte ihr entgegen.

»Aber, Mädchen, ich habe deinen Schritt gar nicht mehr erkannt!« rief er in seiner alten vertraulichen Weise. »Ich freue mich wie ein Kind, daß du doch Wort gehalten. Mir scheint, du warst noch gar nicht bei mir, seitdem du nach Mayfair entflohen bist?«

»Nein!«

»Und ich fürchtete, du würdest dein Versprechen von gestern abend vergessen haben.«

»Du siehst, daß dies nicht der Fall ist,« entgegnete sie und ließ ihre Blicke im Stübchen umherschweifen.

Er hatte sie augenscheinlich erwartet, denn ein großer frischer Blumenstrauß stand auf dem Tische, die Staffeleien waren an die Wand, die Farben- und Öltöpfe in die Ecke gerückt, kein einziger Pinsel lag auf der Erde, und Marcus selbst hatte mehr Sorgfalt als gewöhnlich auf seine Arbeitstoilette verwendet. Er trug ein hellblaues Flanellhemd, dessen offenen Kragen eine dunkelrote Krawatte a la Byron zusammenhielt, und sah darin malerischer und hübscher aus denn je. Seine glückstrahlenden Blicke drangen Capri bis ins Innerste der Seele und verursachten ihr ein schmerzliches Gefühl.

»Ich wäre früher gekommen, aber ich konnte mich nicht freimachen.«

»Setze dich auf dieses Ungetüm,« sagte er heiter und rückte ihr einen hochlehnigen, seltsam geschnitzten Stuhl zurecht, der einst mit rotem Samt überzogen war, aber infolge seines hohen Alters die Farbe verloren hatte.

»Wie schön der Stuhl ist!« rief sie bewundernd, nur um ihre Beichte möglichst lange hinauszuschieben. »Wann hast du ihn gekauft?«

»Heute in aller Frühe. Er stammt aus der Zeit Ludwigs XI.«

»Ein Prachtstück!« sagte sie und ließ sich darauf nieder.

»Ich dachte, als ich ihn kaufte, wie gut du dich darin ausnehmen würdest, und ich sehe, daß ich mich nicht getäuscht … Jetzt erzähle mir aber, weshalb du so spät gekommen. Weißt du, daß ich bereits anfing, die Hoffnung aufzugeben, dich heute noch begrüßen zu können?« sagte er, sich auf einen niedrigen Feldstuhl vor sie hinsetzend und ihr erwartungsvoll ins Gesicht blickend. Sie antwortete nicht gleich, sondern nahm ihren Hut ab, legte ihn neben sich auf die Erde, lehnte ihr Haupt gegen die Lehne, kreuzte die Hände im Schoß und schloß die Augen, um nachzudenken, wie sie beginnen sollte, ihm alles zu erklären. So oft sie die Lippen öffnen wollte, fing ihr Herz an so heftig zu schlagen, daß sie kein Wort hervorbrachte. Endlich nahm sie ihren Mut zusammen.

»Lieber Marc, du warst stets so lieb und freundlich – – –«

»Was fällt dir ein?« unterbrach er sie verwundert und erschwerte ihr dadurch das Geständnis.

»Daß ich fürchten muß, dir wehe zu tun, wenn ich dir alles erzähle,« fuhr sie leise fort.

»Nichts, was du mir zu sagen hast, wird mir wehe tun … Vertraue mir deine Sorgen an, und wenn ich irgend kann, will ich sie dir tragen helfen,« rief er mit einer Welt von Zärtlichkeit in seinen Worten.

»Nein, nein!« entgegnete sie abwehrend und wagte es gar nicht, den Blick zu erheben. Seine Liebe beschämte sie, und sie machte sich Gewissensbisse. Er mußte jetzt Böses ahnen, denn er fragte plötzlich ganz barsch:

»Heraus mit der Sprache, was hast du mir zu sagen?« Jede Spur von Farbe war aus seinem Gesichte gewichen.

Sie holte tief Atem und begann leise, wobei jedes Wort ihr einen eigenartigen Schmerz bereitete:

»Ich habe versprochen, Lord Harricks Weib zu werden!«

»O Capri!« schrie er auf wie jemand, der eine tödliche Wunde empfangen. Er bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen, und in dem Gemache herrschte eine Stille, die dem Mädchen entsetzlicher dünkte, als die bittersten Vorwürfe.

»Marc, Marc, beruhige dich,« flehte sie, als sie die Tränen bemerkte, die zwischen seinen Fingern rieselten.

Der starke Sturm in seinem Innern erschütterte ihn so heftig, daß er wie ein kleines Kind weinte.

»O Marc, sprich ein Wort, nur ein einziges Wort!« bat sie, am ganzen Körper zitternd. »Ich weiß, daß ich schlecht und undankbar bin; aber sprich nur ein einziges Wort! …Sag', daß du mir vergeben kannst!«

Er blieb stumm. Seine Brust hob und senkte sich konvulsivisch, sie sah, wie seine Stirnadern anschwollen, und hörte die Seufzer, die sich seinem gepreßten Herzen entrangen, als er den Versuch machte, sich zu beherrschen. Daß ihn die Nachricht so niederschmettern würde, hatte sie nicht erwartet. Sie konnte das Stillschweigen nicht länger ertragen, erhob sich von ihrem Sitze und trat an seine Seite.

»Ich bitte dich, Marc, sage mir, daß ich ein eitles Ding bin, daß du mich hassest, nein …daß du mich verachtest …aber brich dieses Schweigen.«

Sie schlang in ihrer Verzweiflung den Arm um seinen Nacken. Er erbebte bei ihrer Berührung und sprang auf. In dieser kurzen Spanne Zeit war eine große Veränderung mit ihm vorgegangen; sein Gesicht erschien leichenblaß, die Augen tief eingefallen, und die Lippen bebten, als er sie fragte:

»Gestehe mir …gestehe mir aufrichtig, ob du – ihn liebst? Um alles in der Welt, jetzt keine Lüge!«

Jetzt war's an ihr, ihr Gesicht zu verhüllen, denn sie getraute sich nicht, Marc anzusehen.

»Ihn lieben?« sagte sie nachdrücklich, als ob dieser Gedanke ihr zum erstenmal aufgetaucht wäre. »Ihn lieben? … Nein, das kann ich nicht.«

»Und du hast doch versprochen, diesem Manne an den Altar zu folgen? Wie kannst du schwören, ihn zu lieben, zu ehren und ihm zu gehorchen, wenn du es nicht tust, und so den heiligen Akt entweihen?«

Sie antwortete nicht und stand gesenkten Hauptes vor ihm.

»Wirst du bis an dein Ende an seiner Seite leben, ihn als deinen Herrn und Gebieter anerkennen, ihm in allen Dingen treu und ergeben sein können? Wirst du ihn achten und lieben, seine und deine Kinder erziehen können, wie es die Gebote der Pflicht und der Religion erheischen? Capri, Capri, wegen eines hohlklingenden Titels und eines großen Einkommens wirfst du dein Lebensglück von dir?«

Diese herben Worte verletzten Capri viel grausamer, als Peitschenhiebe es vermocht hätten, denn sie empfand die Wahrheit dieser Worte.

»Ein vortrefflicher Handel!« fuhr er bitter fort; seine Augen blitzten zornig auf, und seine Stimme zitterte vor Erregung. »Wer von euch beiden kommt dabei besser weg? …Schon in wenigen Monaten wirst du des eingegangenen Kontraktes müde werden, deinen Gatten hassen und dich selbst verabscheuen; der glänzende Titel und das gleißende Gold, für das du dein Leben, deine Glückseligkeit, ja selbst deine Seele verkaufst, wird für dich jeden Wert verloren haben, die ganze Welt wird dich anekeln, dein Dasein wird eine entsetzliche Lüge und Komödie werden …Die Reue kann und wird nicht ausbleiben, und es wird die Zeit kommen, wo du für eine Stunde reiner, treuer Liebe dein eingebildetes Glück wie einen lästigen Ballast von dir werfen wirst …«

»O Marc, Marc, halte ein!« bat sie flehend, kauerte zu seinen Füßen nieder und schluchzte leidenschaftlich. Da die meisten Männer sich von Frauentränen rühren lassen, so schwand auch des Künstlers Zorn allmählich dahin, und seine Liebe und das Mitleid für die Weinende siegten. Er nahm sie wie ein Kind in seine Arme und ließ sie auf den Lehnstuhl nieder, dann sank er auf die Knie, erfaßte ihre kalten Hände und flehte:

»Capri, vergib mir! …Ich habe dich schwer beleidigt, Geliebte …Glaube es mir, ich würde freudig tausend Tode sterben, um dich vor Gefahr und Kummer zu schützen …Ich wollte dich nur vor dir selbst retten, von der krankhaften Sucht nach Ruhm und Reichtum, die dein Herz erfüllt und blendet …Ich wollte dir die Augen öffnen, damit du den tiefen Abgrund siehst, in den dich deine Eitelkeit zu stürzen droht …O Mädchen, beraube dich nicht selber deines besseren Ichs …Der Schöpfer hat dich so schön, so gut, so herrlich erschaffen, warum willst du dies vollkommene Bild schänden? …Verschließe dein Herz nicht einer Liebe, die deinem Leben Freudigkeit und Glück verleihen würde!«

Sie umschlang ihn zärtlich mit beiden Armen, fuhr dann mit ihren Fingern durch seine weichen Locken, seufzte von Zeit zu Zeit, als ob ihr Herz brechen müßte, und heiße Tränen näßten ihre bleichen Wangen.

»Capri, mein Herz, weine nicht. – Es war grausam von mir, dir so harte Worte zu sagen – vergib mir, mein Liebling, mein alles!«

»Ich habe dir nichts zu vergeben, mein Freund,« stammelte sie, als sie wieder zu sprechen vermochte. »Deine Worte sind nur zu wahr, und deshalb erschüttern sie mich.«

Er erbleichte, und sein Atem ging schwer.

»Wenn du die Wahrheit empfindest, steht es ja bei dir, ihn nicht zu heiraten,« sagte er mit erzwungener Ruhe. In seiner Stimme lag eine solche Verzweiflung und Trauer, wie man sie bei einem Manne nur in den Stunden des größten Seelenschmerzes hören kann.

»Ich muß; denn ich habe mein Wort verpfändet,« entgegnete sie resigniert. Er hatte in atemloser Spannung auf ihre Antwort gewartet; als das letzte Wort ihren Lippen entflohen, stöhnte er auf, wie ein verwundetes Wild.

»Du mußt,« wiederholte er, einen letzten Versuch machend, sie von einem Leben voll Lüge zu retten. »Du mußt, trotzdem du dich und ihn grenzenlos elend machst. Von mir will ich ja gar nicht sprechen.«

»Ja!« rief sie heiser.

Er erhob sich, ohne ein Wort weiter zu verlieren. Sie reichte ihm mit einer flehenden Gebärde die Hand, er zögerte einen Augenblick, dann drückte er sie sanft. Sie bemühte sich tapfer, ihre Tränen zurückzudrängen, und bat ihn, an ihrer Seite Platz zu nehmen; er gehorchte ihr willig, wie ein Kind.

»Darf ich als Freundin zu dir sprechen?« fragte sie mit zuckenden Lippen.

Als Antwort nickte er stumm mit dem Haupte.

»Ich hätte dir schriftlich meine Verlobung anzeigen können, aber ich dachte, es würde dir weniger schmerzlich sein, die Kunde von meinen Lippen zu vernehmen, denn ich ahnte, daß – daß du mich liebst.« Die letzten Worte lispelte sie fast.

»Ich liebte dich und liebe dich noch, tausendmal mehr als mein Leben,« rief er leidenschaftlich.

»Du siehst, ich spreche offen mit dir und beschönige nichts. Ich wußte, daß du mich liebst, aber ich wußte auch, daß ich deiner nicht würdig bin, daß ich nicht geduldig warten könnte, wie ein gutes Weib es sollte, bis du dir Ruhm und Reichtum erwirbst und imstande bist, meine Wünsche zu befriedigen. – Glaube es mir, ich kann meinen Ehrgeiz nicht unterdrücken, und wir wären unglücklich geworden. Warum gerade ich nach weltlichen Genüssen strebe, mag der Himmel wissen, aber das Verlangen danach habe ich wohl schon mit der Muttermilch eingesogen, und es wuchs mit mir! Es ist seltsam, daß gerade ich, die ich bis vor kurzem nur Not und Elend gekannt, so törichte Wünsche hege. – Ich kann nicht mehr zurück.« – Sie hielt einen Augenblick inne, und er fühlte, wie ihre schlanken Finger nervös zuckten.

»Gestern abend bot mit Lord Harrick Herz und Hand an, und damit Reichtum und Rang,« fuhr sie fort. »Es kostete mich nur ein Wort, und all die wilden Wünsche, die mein Herz beseelten, waren erfüllt!«

»Und du hast es gesprochen?« warf er bitter ein.

»Nicht ohne inneren Kampf. – Bedenke doch, was dieser Antrag für ein heimatloses, armes, nach den höchsten Genüssen strebendes Wesen bedeutet! – Ja, ich habe es gesprochen und werde es halten.«

Wieder trat eine peinliche Pause ein, die er mit den Worten unterbrach:

»Überwiegt die treue Hingabe eines menschlichen Herzens nicht all die Dinge, die du gewinnst?« fragte er leise.

»Man darf nicht alles verlangen,« antwortete sie ausweichend. »Liebe ist ein süßer und gar kostbarer Schatz, aber sie bedeutet nicht viel in unserer harten, kalten Welt.«

»Du kennst sie eben nicht. Treue Liebe überwindet alle Hindernisse,« sagte er.

»Liebe und Armut haben einen harten Kampf in dem Leben, und die Stärkere siegt früher oder später.«

»Die Stärkere ist die – – –«

»Armut. Ich weiß es aus Erfahrung.«

»Wie vermagst du dein Herz so zu verleugnen?«

Wenn er nur geahnt hätte, wie weich gestimmt es gerade jetzt war und wie sie sich darnach sehnte, ihre weltlichen Gelüste unterdrücken und sich in seine Arme werfen zu können und bei ihm Schutz und Liebe zu finden! Sie kämpfte einen harten Kampf; die guten und die bösen Geister in ihrem Herzen rangen miteinander um die Oberherrschaft. Wie eine liebliche Fata Morgana stieg vor ihren Augen ihre glänzende Zukunft als Vicomtesse Harrick auf, dagegen erhob sich als Schattenbild ihre ganze traurige Vergangenheit. – Ihr Entschluß stand fest, sie wollte dem Lord zum Altar folgen.

»Marc,« begann sie, »du warst stets gut gegen mich und hast mir deine Liebe geschenkt, deren Besitz das edelste Weib auf Erden beglücken sollte, aber ich habe wie eine Schlange gehandelt. – Ich konnte nicht anders. – Und doch war mir unser altes Leben, unsere Freundschaft lieb und wert.«

»Was dies für mich bedeutet, weiß Gott allein. Wie unbeständig ist doch das Glück!«

»Kannst du mir um der Vergangenheit willen verzeihen?« bat sie innig.

Statt der Antwort küßte er zärtlich ihre Hand. Während seine Lippen heiß darauf ruhten, schoß das Blut in ihre Wangen, und ein glückliches Lächeln umspielte ihre Lippen, doch erstarb es sofort wieder, und sie fragte ernst:

»Willst du mir versprechen, mein Freund zu bleiben, was auch kommen mag?«

»Ich verspreche es dir!«

»Ich kenne ein edles, treues Weib,« fuhr sie zögernd fort, »sie hat sich als deine Gönnerin bewährt und – dies sagt dir die Freundin – dir auch ihr Herz geschenkt.«

»Capri!« schrie er schmerzlich auf.

»Nur ruhig, Marc. – Ich will dir nicht wehe tun und habe nur dein Wohl im Sinne. Wir Evastöchter haben ein scharfes Auge für Liebessachen und ergründen in einem Augenblicke das Herz unserer Mitschwestern tiefer, als Männer es in Jahren zu ergründen vermögen. – Sie liebt dich, Marc, ich habe die Frau, die ich meine, beobachtet, während du dich bei Frau Stonex befandest.«

»Kein Wort weiter, Capri! Du beleidigst mich und sie,« rief er erregt und sprang auf, öffnete das Fenster und schöpfte tief Atem.

Während dieser Zeit ließ das Mädchen noch einmal wehmütig ihre Blicke in dem vertrauten Gemach umherschweifen; sie blieben auf dem frischen Blumenstrauß haften. Leise schlich sie sich an den Tisch heran und brach ein »Vergißmeinnicht« heraus. Marc drehte sich plötzlich um und bemerkte es.

»Lebe wohl, mein Freund,« stammelte sie unter Tränen. »Wir wollen uns den Abschied nicht noch mehr erschweren.«

Mit einem Sprunge war er an ihrer Seite, schlang den Arm um sie und drückte sie leidenschaftlich an seine Brust. Er fühlte, wie sie am ganzen Körper zitterte, wie wild ihr Herz gegen das seinige schlug, und horte, wie schwer ihr der Atem ging.

»Weshalb müssen wir uns für ewig trennen? Weshalb, mein Liebling?« rief er erschüttert und preßte sie immer heftiger an sich. Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrem gequälten Herzen, er neigte sein Gesicht zu dem ihrigen hinab, ihre liebestrunkenen Augen begegneten sich, und im nächsten Augenblicke fanden sich ihre Lippen zu einem langen, heißen Kusse.

»Capri, Capri, habe Erbarmen! Wenn du mich nur halb so liebtest, wie ich dich, du würdest Himmel und Erde opfern, um mein zu sein! – Es ist noch nicht zu spät. – Entsage deinem Ehrgeize, und ich will dich lieben und anbeten, wie noch kein irdisches Weib angebetet und geliebt worden ist!«

Wieder durchlief ein Zittern ihren Körper, sie vermochte sich kaum auf den Füßen zu halten; ihre Arme schlangen sich zärtlich um seinen Hals, ihr Haupt fiel auf seine Schulter, und ein krampfhaftes Schluchzen entrang sich ihrer Brust. Er ließ sie ruhig gewähren und strich ihr nur zärtlich übers Haar. Plötzlich lösten sich ihre Arme; sie trocknete ihre Tränen und sagte:

»Lebe wohl, Marc. Es ist besser so, für dich und für mich.«

Er blieb bewegungslos wie eine Statue stehen; alles Leben schien von ihm gewichen, die Lippen waren fest aufeinandergepreßt und blutleer, nur in den Augen sprühte ein unheimliches Feuer. Ein fürchterliches Würgen in der Kehle drohte ihn zu ersticken. Capri schritt auf die Tür zu; dort blieb sie zögernd stehen, drehte sich noch einmal um und stürzte, einem plötzlichen Impulse folgend, auf den zu Tode getroffenen Marc zu, stellte sich auf die Fußspitzen und hauchte noch einen Kuß auf seine Lippen. Im nächsten Augenblicke schloß sich die Tür hinter ihr.


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