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22. Lady Harrick in London.

Am ersten Mai traf Lord Harrick mit seiner jungen Gattin in London ein, um die ›Saison‹ daselbst mitzumachen.

Harrick-House, das seit einem Vierteljahrhundert seine Tore der Londoner Gesellschaft nicht geöffnet hatte, zeigte sich jetzt in seiner vollen Pracht und Herrlichkeit. Der alte Palast, der so lange unbenutzt gewesen, erwachte zu neuem, glänzendem Leben und entfaltete eine blendende Pracht. Der Besitzer sparte mit dem Gelde nicht; er bot alles auf, um ihn der neuen Herrin würdig zu gestalten. Der Erfolg war aber auch ein großartiger!

Eine Woche nach ihrer Ankunft wurde die Vicomtesse Harrick durch die Herzogin von Devonshire, die Großmutter ihres Gatten, bei Hofe vorgestellt. Die Herzogin, eine freundliche alte Dame, hatte sich's in den Kopf gesetzt, die Mesalliance ihres Enkels gutzumachen, indem sie dessen Gattin in die Gesellschaft einführte. Sie meldete sich zum ersten Empfangstage der Königin und unternahm die beschwerliche Reise von dem schottischen Hochgebirge, wo sie stets den Sommer über weilte, nach London, um Ihrer Majestät die neue Vicomtesse vorzustellen. Sie war von der würdigen, selbstbewußten, kühlen Haltung, die Capri bei dieser Gelegenheit an den Tag legte, mehr als befriedigt.

Lady Harrick schritt mit einer Sicherheit durch den königlichen Empfangssaal, als ob sie sich zeit ihres Lebens auf dem glatten Parkett desselben bewegt hätte, und nahm den Kuß der Königin mit der Ruhe einer französischen Marquise des sechzehnten Jahrhunderts entgegen. Eine junge Gräfin, die unmittelbar vor ihr vorgestellt wurde, errötete wie ein Schulmädchen, als die Königin ihre Wange küßte, und stolperte über ihre eigene lange Schleppe, als sie, vorschriftsmäßig nach rückwärts schreitend, sich wieder entfernte.

Capri hatte die ganze Zeremonie mit einer an Gleichgültigkeit grenzenden Ruhe über sich ergehen lassen, welche die alte Herzogin ins höchste Erstaunen versetzte. Sie war ganz stolz auf ihre Enkelin, die in dem elfenbeinfarbigen, mit Perlen übersäten schweren Seidenkleide wunderbar aussah. Der vorgeschriebene tiefe Ausschnitt ließ ihre herrliche Büste frei, die ein Diamantkollier aus dem Familienschmucke der Harricks zierte.

Als der Vicomte seiner Großmutter die Mitteilung machte, daß er sich mit Capri verlobt, billigte sie die Wahl ihres Enkels durchaus nicht; doch da sie lebensklug war, tröstete sie sich damit, daß Richard, von dessen Geistesgaben sie durchaus keine großen Stücke hielt, eine noch schlimmere Mesalliance hätte eingehen können, war es doch nichts Seltenes, daß Lords Schauspielerinnen, Tänzerinnen oder Sängerinnen heirateten! Capri hatte zwar auch keinen Stammbaum aufzuweisen, aber sie war wenigstens die Tochter eines englischen Offiziers! Kurz vor der Hochzeit äußerte sie den Wunsch, Capri kennen zu lernen. Die natürliche Anmut und die große Schönheit der Braut bestrickten die alte Dame. Sie lobte den guten Geschmack Harricks und versprach ihm, die junge Frau während der Saison sowohl bei Hofe, als auch in die Gesellschaft einzuführen. Und sie hielt Wort.

Wenige Tage nach der Vorstellung bei der Königin fuhr die Herzogin von Devonshire mit Lady Harrick in einer von einem amerikanischen Wagenbauer für die letztere erbauten prachtvollen Karosse in Rotten-Row spazieren. Auch zum Diner war sie bei der Herzogin geladen, wo sie hervorragende Persönlichkeiten auf diplomatischen und literarischen Gebieten, ja selbst einige Mitglieder des königlichen Hauses kennen lernte. Capri war noch keine Woche in London, und ihr Visitenkartenkörbchen enthielt schon die vornehmsten Namen des Vereinigten Königreiches; ›die feine Welt‹ hatte sich vorgenommen, huldreichst ein Auge zuzudrücken und die neue Vicomtesse in ihre Reihen aufzunehmen, aber diese nie vergessen zu lassen, daß sie nur geduldet werde. Capri machte ihr aber einen Strich durch die Rechnung, denn sie trug den Titel, den sie ihrem Gatten verdankte, mit einer Würde und Hoheit, die alle Welt überraschte.

An ihrem ersten Empfangsabende hatte sie mit feinem Takte kaum ein halbes Dutzend Nichtadelige eingeladen. Ihr Benehmen als Hausfrau war tadellos. Sie stand in der Nähe der Eingangstür und sah in dem blaßgrünen Samtkleide, dessen lange Schleppe sie in der Freiheit der Bewegungen durchaus nicht hinderte, prächtig aus. Eine Palmengruppe bildete einen effektvollen Hintergrund für ihre malerische Erscheinung. Huldvoll und herablassend, wie eine Königin ihre Untertanen, begrüßte sie ihre Gäste; für jeden hatte sie ein freundliches Wort, ein liebenswürdiges Lächeln, und alle waren begeistert von ihr, selbst die Damen. Am meisten aber bewunderte sie ihr Gatte, der es nicht begreifen konnte, daß dieses vollendete Geschöpf wirklich Capri sei. Capri, die er in einem elenden Hinterzimmer einer ärmlichen Straße kennen und lieben gelernt, die noch vor einem Jahre in Entzücken geriet, als er ihr einen einfachen Silberreif geschenkt, und die als echtes Kind Bohémias mit jungen Schriftstellern, Malern und Schauspielern, die bei ihrem Vater Fechtunterricht nahmen, in treuer Kameradschaft gelebt!

War es wirklich dieselbe Capri, die heute, einer Prinzessin des Mittelalters gleichend, in kostbare, goldgestickte Stoffe gehüllt, juwelengeschmückt, mit einer Ruhe, die beinahe an Hochmut grenzte, die höchsten Würdenträger Europas in ihrem Hause willkommen hieß?

Harrick kam immer mehr zu dem Bewußtsein, daß er den vollen Wert dieses Weibes, das nun sein eigen, nie gekannt oder verstanden habe, und daß ein Etwas, das er nicht zu nennen, wohl aber zu ahnen vermochte, zwischen ihnen stand und sie voneinander trennte, wenn er sich am meisten darnach sehnte, ein Herz und eine Seele mit ihr zu sein. Die innere Harmonie, das Gefühl der Zusammengehörigkeit fehlte in seiner Ehe. Ein Schatten, den er nicht bannen konnte, verschloß ihm den Weg zu ihrem Herzen. Vergebens hatte er in den neun Monaten seiner Ehe versucht, ihre Liebe zu gewinnen. Sie war stets freundlich und gut gegen ihn, erfüllte alle ihre Pflichten als Gattin und Hausfrau, aber er empfand es klar, daß nur Dankbarkeit und nicht Zuneigung ihr Verhalten diktiere. In Rom hatte er eine Zeitlang gehofft, nach und nach ihr Herz gewinnen zu können.

Sie ward zutraulicher und liebevoller gegen ihn, aber eines Tages änderte sich dies wieder. Das innere Glück, das eine kurze Zeit aus ihren Augen gestrahlt, schwand ebenso, wie das Lächeln von ihren Lippen; eine Gleichgültigkeit für alles erfaßte sie. Mit banger Sorge beobachtete er, daß sie täglich schweigsamer und melancholischer wurde und daß die impulsive, lebhafte, launische Capri, die ihn so entzückt, sich allmählich in eine ernste, würdevolle Salondame verwandle, deren marmorkaltes, starres Antlitz den Stempel der geistigen Abspannung trug. Sie war auch jetzt berückend schön, aber er hätte mit Vergnügen sein halbes Vermögen geopfert, wenn er damit die alte, fröhliche, lebenslustige Capri sich hätte zurückerobern können. Vielleicht würde die Zeit die zwischen ihnen stehende Kluft überbrücken. Ein Ausbruch von Zärtlichkeit, ein liebevolles Wort würde ihn zum glücklichsten der Menschen machen; er wartete darauf Tag um Tag, Woche um Woche, Monat um Monat – vergebens. Seine Gattin bewahrte ihre kalte, ruhige Haltung, und seine Hoffnung, sie zu gewinnen, schwand immer mehr dahin.

Und doch wollte er nicht ganz verzweifeln. Wie oft kommt es vor, daß eine Liebesheirat mit Haß und Scheidung endet, während Leute, die eine Konvenienzheirat eingegangen, sich ineinander verlieben und Musterehen führen! Das Leben enthält ja so viele Widersprüche, und nichts so viele Mysterien, wie das menschliche Herz! Er sprach sich selbst Mut und Geduld zu, weil er es nicht vertragen konnte, jede Hoffnung schwinden zu sehen. Seine Liebe wuchs von Tag zu Tag. O, wenn er sein Weib nur lehren könnte, diese ein klein wenig zu erwidern!

Er hatte ihr einen glänzenden Titel, seinen Reichtum und eine tiefe Leidenschaft geschenkt und würde ihr willig die ganze Welt zu Füßen legen, wenn er sie besäße, und nichts von ihr verlangen als Liebe, nach der er sich so sehnte! Er fühlte, daß jeder Fremde ihr fast so nahe stand, wie er, ihr Herr und Gemahl. – Nach und nach kam ihm die Einsicht, daß sein Rang und Titel sie erkauft habe. Sie hatte sich ihm hingegeben, aber ihr Herz konnte sie ihm nicht schenken. War seine Wahl nicht doch ein Irrtum? Nein, nein, tausendmal nein! Wenn er wieder frei wäre und noch einmal zu wählen hätte, er würde trotz der grausamen Erkenntnis nicht anders handeln, als er gehandelt.

Er vermochte aus seiner versteckten Nische keinen Blid von Capri zu wenden, die, von einer Gruppe der vornehmsten Frauen und Männer Englands umringt, mit Würde die Huldigungen entgegennahm, die man ihr zollte. Hätte er eine Wünschelrute besessen, er würde damit die Vicomtesse Harrick sofort in die schlichte, fröhliche Capri verwandelt haben, der er sich näher gefühlt, als diesem bestrickend schönen, aber unnahbaren Geschöpfe. Die Stunden schwanden, Gäste kamen und gingen. Weltbekannte Namen wurden von Diener zu Diener gemeldet, die Marmortreppen auf und nieder stiegen Männer und Frauen, die an den ersten Höfen Europas verkehrten.

Lady Harrick war ihrer neuen Rolle vollständig gewachsen, man konnte sich keine vornehmere, liebenswürdigere und anmutigere Wirtin denken. Ein alter Pair, der Lord Harrick schon als Kind gekannt, beglückwünschte diesen zu der Wahl einer solchen Gattin, die alle erdenklichen Vorzüge aufweise.

Lange nach Mitternacht schieden die letzten Gäste. Capri stand am Kamin, ihre Stirn auf die kühle Marmorplatte des Simses gestützt, die schweren Falten ihrer Schleppe hoben sich von dem dunkelroten Teppich ab. Harrick trat an ihre Seite, schlang zärtlich den Arm um ihre Taille und fragte besorgt:

»Bist du müde, Capri?«

»Ein wenig,« entgegnete sie, ohne ihre Stellung zu ändern.

»Die vielen Menschen haben dich abgespannt.«

»Nein, nein! Die Nacht ist schwül, und ich fühlte es erst jetzt.«

»Weißt du, von wem ich heute einen Brief erhalten?« bemerkte er, nur um das Gespräch nicht ins Stocken geraten zu lassen.

»Von wem?« fragte sie, endlich ihr Haupt erhebend.

»Rate.«

»Doch nicht von meinem Vater? …Du hast ihm eine so hohe Rente ausgesetzt, daß er nicht den Mut haben wird, neue Anforderungen an deine Börse zu stellen …oder gar nach England zurückzukehren!«

»Der Brief ist nicht vom Hauptmann Dankers, der schreibt nur zum Quartalswechsel. Rate weiter.«

»Ich kann nicht,« entgegnete sie verdrießlich und ließ ihr Haupt wieder auf die Marmorplatte sinken.«

»Guy Rutherford hat mir geschrieben.«

Eine heiße Blutwelle stieg ihr ins Gesicht, ihr Herz tat einen heftigen Schlag, aber sie rührte sich nicht. Eine Weile schwiegen beide, dann sagte sie mit einem nervösen Zittern in der Stimme:

»Ich dachte, er sei in Ägypten?«

»Du wirst dich erinnern, als er damals Rom so plötzlich verließ –«

»Ja, ja.«

»– schrieb er mir, daß er mehrere Jahre in Ägypten zu bleiben gedenke, sich vielleicht dort niederlassen würde …Aber ich kenne ihn und weiß, daß er nirgends lange aushält …Er gedenkt auch richtig nach England zurückzukehren.«

Im geheimen und gegen ihr besseres Wollen hatte sie sich darnach gesehnt, ihn noch einmal zu sehen, wenn auch nur aus der Ferne. Jetzt, da die Befriedigung ihrer Sehnsucht in Aussicht stand, bebte sie vor dem Augenblicke, wo dies geschehen könnte, zurück. O, sie wußte, daß er früher oder später kommen müsse! Ihr Gatte hatte soeben gesagt, daß Guy heimkehren wollte, aber nicht, wann dies geschehen werde. Sie mußte Gewißheit haben. Doch ehe sie noch fragte, fuhr der Lord gähnend fort:

»Gegen Ende dieser Woche trifft der ruhelose Mensch hier ein.«

Das helle Kerzenlicht, der starke Blumenduft wirkten plötzlich bedrückend auf Capri; sie glaubte ersticken zu müssen und preßte erbleichend die Hand auf die Schläfe.

»Ich habe heftige Kopfschmerzen, du bist doch nicht böse, wenn ich mich auf mein Zimmer zurückziehe …Wann, sagtest du, trifft Mr. Rutherford in London ein?«

»Gegen Ende der Woche …Geh zur Ruhe, mein Lieb, die heutige Anstrengung hat deine Nerven überreizt.« Er erfaßte ihre glühende Hand, die heftig in der seinen zitterte. »Ein kräftiger Schlaf wird dir wohltun,« fügte er hinzu, ihren Arm in den seinigen schlingend und sie bis zur Tür geleitend. »Nicht wahr, du erlaubst, daß ich in meiner Zelle drunten noch eine Zigarre rauche?«

Sie nickte stumm mit dem Haupte und stieg die breite, hellerleuchtete Treppe hinan, die zu ihren Gemächern führte. Er sah ihr nach, bis sie hinter einer Portiere verschwand, und ging dann seufzend in sein Rauchzimmer hinunter.


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