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16. Die Krisis nähert sich.

Der Mittwoch kam und fand Mrs. W. Achilles Lordson in großer Aufregung, denn sie erwartete um zwölf Uhr Lord Harrick, der sie in seiner Kutsche nach Richmond fahren wollte.

Eine Pause trat ein, in der Mrs. Lordson eine vortreffliche Idee bekam. Sie wollte ihren Freunden jenseits des Ozeans briefliche Mitteilungen davon machen. Würden diese aber ihren Worten rechten Glauben schenken? Wie schade, daß die Presse in der Alten Welt noch nicht so fortgeschritten war, um in ihre Spalten so bedeutende Personalnachrichten aufzunehmen! Da kam ein englischer Lord, um sie in seinem eigenen Wagen nach Richmond zu fahren, und kein Mensch würde um das Ereignis wissen, vielleicht nicht einmal die Nachbarn, wenn sie nicht gerade zufällig am Fenster standen. Sie wollte versuchen, Newton Marrix, der bei einigen Blättern Einfluß hatte, zu veranlassen, eine Notiz über ihren Ausflug mit Lord Harrick unterzubringen. Sie würde, selbst wenn es nur drei Zeilen wären, die ganze Auflage aufkaufen, um sie an alle ihre Bekannten in Amerika versenden zu können, damit diese sich überzeugten, in welch vornehmer Gesellschaft sie sich bewege. Wie sie vor Neid bersten würden, wenn sie sähen, daß ein Lord und wirklicher Vicomte sich eine Ehre daraus machte, sie in seiner Kutsche spazieren zu fahren!

Der Gedanke überwältigte sie beinahe. Um den Lord nicht warten lassen zu müssen, saß sie vollständig ausgerüstet im Salon. Ihr stahlblaues, reich mit Spitzen besetztes Seidenkleid ließ ihre Gestalt noch viel voller erscheinen, als sie in Wirklichkeit war; dazu trug sie ein schwarzes, mit Perlen über und über besätes Mäntelchen, ein Meisterwerk aus dem großen Pariser Atelier Worth, ein dazu passendes Kapotthütchen, achtknöpfige helle schwedische Handschuhe und einen roten Seidenschirm. Ihren schwellenden Busen zierte ein Strauß frischer Teerosen und ihre Arme schwere goldene Spangen, die mit den Perlen auf Hut und Mäntelchen um die Wette funkelten und blitzten. Sie hatte heute besondere Sorgfalt auf ihre Toilette verwendet und war ganz stolz auf den großartigen Erfolg, den sie erzielt.

Die Amerikanerin würde stundenlang in ihren angenehmen Gedanken geschwelgt haben, wenn sie nicht das Rollen eines Wagens und der Hufschlag von Pferden an das wichtige Ereignis des heutigen Tages gemahnt hätten. Capri konnte sich kaum zurückhalten, zum Fenster hinauszusehen. Einige heftige Schläge des Türklopfers widerhallten am ganzen Hause und veranlaßten Mrs. Lordson zu dem Ausrufe:

»Ah, wie ganz anders ertönt der Klopfer, wenn er von aristokratischen Händen in Bewegung gesetzt wird! Ich wollte, meine beste Freundin drüben, Mrs. Mangeltor, könnte den musikalischen Ton hören! Ja, ja, so ein Lord ist doch etwas ganz anderes!«

Zum Glücke erfuhr Mrs. Lordson niemals, daß nur Harricks Lakai den musikalischen Ton erzeugt hatte, um dadurch die Ankunft seines Gebieters anzukündigen.

»Mr. Marrix ist noch nicht hier, und wir dürfen den Lord unmöglich warten lassen!« wandte sie sich an Capri.

Noch ehe diese zu antworten vermochte, pochte es an die Tür, und Newton trat atemlos ein.

»Der Wolf in der Fabel!« rief ihm Capri lachend zu.

»Verzeihung, meine Damen, aber ich mußte bis jetzt Korrekturen lesen.«

»Ihr literarischen Leute habt aber auch niemals Zeit.«

»Wir sind die Sklaven des Publikums.«

»Aber eure Ketten bleiben den Blicken desselben zum Glücke verborgen,« meinte Capri schelmisch.

»Sie drücken nichtsdestoweniger.«

»Heute doch nicht?«

»Nein, ich habe sie für den Rest des Tages abgestreift. Lord Harrick wartet unten im Wagen; sind die Damen bereit?«

»Vollständig.« Damit erhob sich Mrs. Lordson, glättete noch einmal ihre Röcke, zupfte ihre Stirnlöckchen vor dem Spiegel zurecht und schritt gravitätisch die Treppen hinunter. Capri und Marrix folgten ihr auf dem Fuße. Lord Harrick stieg eben vom Bocke; beim Anblicke der buntgekleideten Amerikanerin zog er die Stirne kraus; als er jedoch Capri sah, erhellte sich sein Antlitz sofort. Auch sie fühlte sich sehr glücklich, trotzdem es ihr sofort auffiel, daß das Haar des Lords im hellen Sonnenscheine noch röter, sein Gesicht noch ausdrucksloser, seine Augen noch runder seien als gewöhnlich. Ihr Blick streifte unwillkürlich vergleichend über die beiden Grooms, welche die Wagentür geöffnet hielten, und sie mußte sich gestehen, daß diese viel vornehmer und hübscher aussahen, als der Gebieter, der ihre Hand fest in der seinigen hielt, unter der breiten Krempe ihres Hutes in ihre Augen starrte und ihr zärtlich guten Morgen wünschte.

»Ein herrlicher Tag!« rief die Amerikanerin, begeistert zum Himmel aufblickend.

»In der Tat,« entgegnete der Lord und ließ nur zögernd Capris Hand fahren.

»Der Wettergott begünstigt uns,« sagte diese heiter, während der Vicomte Mrs. Lordson in den Wagen half. Dann wandte er sich errötend an Capri.

»Würden Sie es nicht vorziehen, bei mir auf dem Kutschbocke zu sitzen, von wo Sie eine viel freiere Aussicht über die Landschaft genießen?«

Sie antwortete nicht gleich, obzwar ihr das Herz vor Freude hüpfte, sondern blickte auf ihre Herrin. Der gutmütigen Amerikanerin gefiel diese Rücksichtnahme, sie beeilte sich daher, zu sagen:

»Lord Harrick hat recht, Sie werden von oben einen viel weiteren Überblick genießen, wenn Ihnen der Sitz nicht zu hoch dünkt. Ich würde mich um alles in der Welt nicht hinsetzen, da ich an Schwindel leide, denn ich würde sicherlich hinunterfallen. Aber Sie, mein Herz, können es getrost tun.«

Capri nickte ihr dankbar zu und ließ sich auf den Kutschbock heben. Lord Harrick bedeckte ihre Knie sorgfältig mit der eleganten Reisedecke und nahm dann an ihrer Seite Platz.

Mrs. Lordson und Newton Marrix machten sich's im Innern der Kutsche bequem, während sich die beiden Grooms mit übereinandergefalteten Armen bewegungslos wie steife Porzellanpuppen hinten aufstellten. Der Lord zog die Zügel an, ließ die Peitsche knallen, und die prachtvollen Pferde jagten dahin, daß die Funken sprühten. Bald hatte man die belebten Straßen und Squares hinter sich und rollte durch die halb städtischen, halb ländlichen Vorstädte hinaus auf die Landstraße. Der Tag war herrlich, die Sonne schien freundlich vom Firmament herab, dieses dehnte sich in seiner durchsichtigen Bläue ins Unermeßliche aus, ein angenehmes Lüftchen dämpfte die Hitze, die saftigen, duftenden Wiesen wechselten mit kleinen Wäldchen ab, deren liebliche Sänger aus voller Brust jubilierten, trillerten und zwitscherten.

Ein Gefühl des Friedens und der Heiterkeit kam über Capri, wie sie es seit ihrer Jugendzeit nicht gekannt. Es dünkte ihr so seltsam, daß sie an der Seite des reichen Lords all die Eindrücke des schönen Landschaftsbildes genießen sollte. Anstatt jetzt in dem dumpfen, engen Stübchen des Euston-Road zu weilen und den langweiligen Töchtern ihrer Hausfrau Singunterricht zu erteilen, saß sie neben Lord Harrick, hörte das angenehme Klirren des silberbeschlagenen Sattelzeuges, das Jubilieren der Vögel und fuhr über die Landstraße dahin, wie sie noch nie gefahren. Wenn sie die Augen schloß, kam es ihr vor, als ob sie von unsichtbaren Händen im Fluge durch die Luft getragen würde. Es war das ein unsagbar angenehmes Gefühl!

Lord Harrick sprach lebhafter und mehr als gewöhnlich, die Worte kamen ihm freier, ungezwungener; die Fahrt schien ihm Selbstvertrauen und Mut eingeflößt zu haben. Er machte Capri mit der Spitze seiner Peitsche auf alle bemerkenswerten Punkte aufmerksam, die sie vom Hörensagen kannte. Sie vermochte ihm kaum zu antworten, so verwirrt war sie. Sie glaubte zu träumen und fürchtete das Erwachen. Der vornehme Rosselenker an ihrer Seite nahm jede Gelegenheit wahr, ihr unter dem roten Schirme, den sie aufgespannt hielt, ins Gesicht zu blicken, eine Aufmerksamkeit, die ihr schmeichelte. Hie und da begegneten ihre leuchtenden, freudestrahlenden Blicke den seinigen und trieben ihm das Blut ins Gesicht; fast unwillkürlich suchte und drückte er zärtlich ihre Hand, was ihm ein eigentümlich wonniges Gefühl verursachte. Er hatte sich in seinem ganzen Leben noch nicht so glücklich gefühlt, wie heute. War es ihm doch auch nie vergönnt gewesen, das Mädchen seiner Wahl so eng an seine Seite geschmiegt zu wissen; er verspürte förmlich den Hauch ihrer Lippen, sein Ohr schwelgte bei der süßen Musik ihrer Worte, sein Auge berauschte sich an dem Anblicke ihres lieblichen Gesichtes, und sein Herz hatte nur Raum für sie.

Wenn sie nur schon sein angebetetes Weib wäre! Sein Atem ging schwer, seine Brust drohte zu zerspringen, das Blut raste in seinen Adern, und er mußte seine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um sie nicht in die Arme zu schließen. Zum Glück fuhr er gerade in den Park von Richmond ein, und Capri konnte ihr Entzücken nicht länger verbergen.

»Wie wunderbar ist doch die Natur! Sehen Sie diese alten, ehrwürdigen Eichen und dort, weit entfernt, die Themse, von den goldenen Sonnenstrahlen beleuchtet! …Ist es nicht seltsam, daß alle diese Pracht so viele Jahre einen Katzensprung von mir gelegen hat und ich nie Gelegenheit fand, sie zu bewundern …? In unserem Riesenbabel London mag es Hunderten, nein, Tausenden so ergehen wie mir. Das ist doch traurig, nicht?«

»Ich schätze mich glücklich,« entgegnete Harrick, sein Gesicht dem ihrigen nähernd, denn er mußte vor einem tief herabhängenden Zweige das Haupt beugen, »der erste sein zu können, der Sie in dieses Paradies eingeführt: Richmond ist ein solches.«

»Wie gut Sie sind!« sagte sie dankbar.

»Ich werde den heutigen Tag nie vergessen.«

Er lächelte ihr beglückt zu und dachte: »Wie entzückend, natürlich und frisch sie ist! Es muß ein kaum zu ertragendes Glück sein, stets an ihrer Seite zu leben und in ihre Augen zu blicken, die einen bis ins Innere rühren. Sie muß die Meinige werden.« Laut sagte er:

»Wenn es Ihnen recht ist, Fräulein, wollen wir unter dieser Baumgruppe unsern Lunch einnehmen; hier hat der Dichter Thomson, wie man sagt, den größten Teil seiner ›Jahreszeiten‹ geschrieben.«

Sie nickte ihm bejahend zu, er zog die Zügel an, und die Pferde blieben mit einem Rucke stehen. Sofort sprangen die Grooms von ihrem Sitze, rissen den Wagenschlag auf, und Mrs. Lordson und Newton Marrix stiegen aus.

Harrick ließ es sich natürlich nicht nehmen, Capri herunterzuheben. Die Gesellschaft machte eine Promenade, um dem Diener Zeit zu lassen, das mitgebrachte kalte Frühstück zu servieren, dann gruppierten sie sich auf dem teppichbelegten Rasen und ließen plaudernd Speise und Trank Gerechtigkeit widerfahren.

»Zu wissen, daß ich jetzt unter demselben Baume mein Frühstück einnehme, unter welchem einst ein berühmter Dichter ein Gedicht schrieb, wie mir Herr Marrix versichert – Capri, mein Herz, finden Sie das nicht romantisch?« sagte Mrs. Lordson unvermittelt.

»Gewiß,« entgegnete diese kurz. Eine Pause drohte zu entstehen. Newton, ein Meister der Konversation, zitierte mit viel Gefühl und noch mehr Pathos die ersten Strophen der ›Jahreszeiten‹.

»Wundervoll!« rief Mrs. Lordson aus, als er geendet. »Ich schwärme für Dichter, wenngleich manche von ihnen seltsame Leute sind. So habe ich einmal unseren Longfellow gesehen; ich versichere Ihnen, er trug einen Rock, der mindestens zwanzig Jahre zählte, und einen Südwester auf dem Kopfe.«

Lord Harrick lachte; was die Amerikanerin veranlaßte, fortzufahren:

»Horace Greely wieder schrieb all seine Artikel mit selbstgeschnitzten Hornfedern und mit der Nachtmütze auf dem Kopfe; ohne diese war er keines Gedankens fähig.«

»Jedes Genie hat seine Eigenart,« erklärte Newton. »Mr. Kuskin erzählt selbst, daß er eines Tages in seinem buntgeblümten Morgenrocke auf dem Marcusplatze in Venedig umherspazierte und erst durch die erstaunten Blicke der Passanten darauf aufmerksam wurde …Ich selbst bin mit einem bedeutenden Mathematiker befreundet, der im vorigen Sommer aufs Land ging. Als ich ihn an einem regnerischen Tage dort besuchte, fand ich ihn am Kamin mit geöffnetem Regenschirm sitzen, denn der Regen drang gerade dort durch den Plafond, während das ganze übrige Zimmer trocken war. Ich machte ihn darauf aufmerksam, er schüttelte das Haupt und gestand, daß er nie auf die Idee gekommen wäre, weiterzurücken.«

»Der arme Kerl!« rief Lord Harrick. Die Amerikanerin wurde nicht müde, von Schriftstellergewohnheiten zu plaudern, bis Capri endlich das Gespräch auf ein anderes Thema lenkte.

»Ich habe noch selten im Leben einen so angenehmen Tag genossen wie heute,« wandte sie sich an Harrick.

»Lieben Sie das Landleben?« fragte dieser und dachte dabei, wie ihr der große rote, im elisabethinischen Stile gebaute Landsitz in Yorkshire oder gar der wildromantisch gelegene Harrickhof in dem schottischen Hochgebirge gefallen würde. Capri erwiderte, daß sie des Stadtlebens schon müde sei und daß sie sich glücklich schätzen würde, wenigstens einige Monate im Jahre auf dem Lande verbringen zu dürfen.

Unter solchen Gesprächen beendeten sie das Mahl, und Lord Harrick machte den Vorschlag, noch nach Hampton-Court zu fahren, welches keine von den Damen kannte.

»Das wäre ja himmlisch!« rief Mrs. Lordson begeistert.

»Um sieben Uhr sind wir wieder in Richmond; ich habe mir erlaubt, im Hotel ›Zum silbernen Stern‹ ein kleines Diner zu bestellen,« bemerkte Harrick.

»Eine wunderbare Idee! Im Mondscheine heimzufahren, wird köstlich sein!« meinte Newton.

»Noch köstlicher als die Herfahrt?« fragte Capri.

»Bei weitem,« entgegnete der Lord rasch. »Ich hoffe, daß Sie auch diese Fahrt im Mondscheine niemals vergessen werden,« fügte er so leise hinzu, daß nur sie es hören konnte, und drückte ihr verstohlen die Hand.

Ein eigentümliches Gefühl durchrieselte bei seinen Worten ihren Körper. Die Erfüllung ihrer kühnsten Träume stand bevor: in wenigen Stunden schon würde er die Frage an sie richten, ob sie sein Weib werden wolle.

»Darf ich mir eine Zigarre anstecken?« fragte der Lord, während er sie auf den Kutschbock hob. Sie nickte nur stumm mit dem Kopfe, denn die freudige Erwartung schnürte ihr die Kehle zu. Als alle wieder ihren Platz im Wagen eingenommen hatten, ließ er die Pferde im Trab gehen, damit Capri den herrlichen Park bewundere. Diese kam aus dem Entzücken gar nicht mehr heraus, denn bald erblickte sie eine weidende Herde von Rehen, dann wieder samtgrüne Rasenplätze, die von schattigen Bäumen umrahmt waren, auf denen Eichhörnchen ihr munteres Spiel trieben. Nun sollte sie gar noch das historische Hampton-Court kennen lernen, von dem sie schon so viel gehört! Auf dem ganzen Wege sprach sie kein Wort; auch der Lord begnügte sich, ruhig seine Zigarre zu rauchen und ihr hie und da in das freudestrahlende Antlitz zu blicken. Es hätte ihr als eine Entweihung gedünkt, den wunderbaren Zauber, der sie gefangen hielt, durch ein Gespräch zu brechen. Sie ließ alle Naturschönheiten still und entzückend auf sich einwirken. Erst als sie den Park verließen und auf die Landstraße einbogen, sagte sie:

»Ich habe noch niemals so viele Stunden hintereinander ein so ungetrübtes Glück genossen, wie heute.«

»Sind Sie nicht immer glücklich?« fragte er und richtete die Decke auf ihren Knien zurecht.

»Nein; mein Leben ist sehr wechselvoll gewesen, und ich könnte die Stunden des Glückes zählen. Es wird wohl immer so bleiben!«

»Weshalb?«

»Weil ich nicht zum Glücke geboren bin.«

»Das können Sie nicht wissen.«

»Ich fühle es, und ein solches Gefühl täuscht selten.«

Lord Harrick hätte Capri gerne gesagt, daß er es versuchen wolle, ihre Zukunft glücklich zu gestalten, wenn sie ihm das Recht dazu gebe, aber die Worte blieben ihm in der Kehle stecken. Vielleicht weil er sich noch immer nicht ganz klar war, ob es für einen Vicomte Harrick auch passend sei, ein Kind aus dem Volke zur Frau zu nehmen. Selbst während sie den alten, schönen Garten in Hampton durchschritten, blieben beide schweigsam. Der Lord ärgerte sich über sich selbst, daß er zu keinem Entschlusse kommen konnte, und Capri fühlte sich in der köstlich-frischen Luft glücklich, wie ein sorgloses Kind. Alle wilden Wünsche schienen plötzlich aus ihrem Herzen gewichen zu sein, und sie dachte an nichts, als an die herrliche Umgebung, die sie entzückte. Dieser eine Tag ungetrübten Glückes wog all die Kämpfe ihres bisherigen Lebens auf und sie nahm sich vor, der Vorsehung nicht mehr zu zürnen. Während sie wie im Traume an der Seite des Lords einherschritt, bemühte sich Newton in seiner sarkastisch-ruhigen Weise, der begeisterten Amerikanerin alle historischen Punkte zu zeigen. Sie wollte durchaus die Lieblingsallee Heinrichs VIII., den Baum, unter welchem Maria Stuart gesessen, das Fenster, von welchem aus Elisabeth nach Lord Essex ausgeschaut, und den Rasenplatz, auf welchem Karl I. mit seinen Kindern gespielt, sehen. Der Anblick so vieler durch Könige geheiligter Punkte verwirrte die Republikanerin und veranlaßte sie zu begeisterten Ausrufen, während Newton ihr alle Details erzählte. Nachdem man die historischen und interessanten Stellen besichtigt, fuhr die Gesellschaft nach Richmond zurück.

Im ›Silbernen Stern‹ harrte ihrer bereits ein auserlesenes Diner, bei dem natürlich auch der Champagner nicht fehlte; trotzdem wäre die Stimmung ohne Newton Marrix eine sehr gedrückte gewesen. Mrs. Lordson fühlte sich durch den langen Aufenthalt im Freien etwas abgespannt, Harrick und Capri waren mit sich selbst beschäftigt. Die letztere kostete kaum von der Schildkrötensuppe, die Seezunge berührte sie ebensowenig wie die verschiedenen Entrees und den Rehbraten; sie nahm nur etwas Obst und Eisspeise.

Die ungewohnte Aufregung des Tages hatte sie überwältigt; sie lehnte sich matt in ihren Stuhl zurück und überließ Newton Marrix und der Amerikanerin die Kosten der Unterhaltung, die nach jeder Schüssel lebhafter wurde. Der gute Rheinwein und der Champagner lösten dem Schriftsteller die Zunge, so daß die geistvollen Worte und witzigen Bemerkungen nur so von seinen Lippen strömten. Lord Harrick war ihm sehr dankbar dafür, daß er das Gespräch, welches sonst unfehlbar gestockt hätte, im Gange erhielt, und nahm sich vor, den witzigen jungen Mann öfter zu seinen Diners zu laden.

Während Harrick und Newton nach Tisch draußen auf der Veranda ihre Zigarren rauchten, trat Capri an das geöffnete Fenster und blickte träumerisch in die stille Nacht hinaus. Der aufgehende Mond stieg aus einer dunklen Wolke und zog langsam seine Bahn an dem azurblauen Himmel. Fast unter dem Fenster rauschte der Fluß und spiegelte das silberfarbige, fahle Mondlicht wider. Es lag etwas Mystisches in dieser stillen Ruhe; die Zweige der gegenüberstehenden Bäume hoben sich scharf gegen den Himmel ab; ein Boot glitt geräuschlos auf der Wasserfläche dahin und nahm sich wie ein vorüberhuschender Schatten auf der glänzenden Wasserfläche aus, einige Sterne leuchteten am Firmamente auf; es war ein wunderbares nächtliches Bild, von dem sich Capri gar nicht zu trennen vermochte. Plötzlich fiel ihr ein, wie entzückt Marc davon wäre, wenn er es sehen könnte! Armer Marc! Sie hatte sich heute so glücklich gefühlt, ohne ihm auch nur einen Gedanken zu gönnen. Wie undankbar und egoistisch war sie doch! Sie sah seine vorwurfsvollen Blicke, den enttäuschten Ausdruck seines Gesichtes, als er das letztemal Abschied von ihr nahm, vor sich auftauchen, und ein leichtes Frösteln überlief sie. Sie seufzte schwer auf und schrak zusammen, als Mrs. Lordson die Hand auf ihre Schulter legte und lächelnd ausrief:

»Träumerin! Wissen Sie nicht, daß nur Verliebte den Mond anschwärmen?«

»Die Nacht ist so wunderbar!« entschuldigte sie sich.

»Alle jungen Leute finden die Mondscheinnächte wunderbar, weil sie noch nicht wissen, was Neuralgie ist.«

Capri lachte hellauf und ließ sich von ihrer Herrin in einen warmen Schal hüllen. Kurz darauf fuhr auch der Wagen vor, und sie traten die Rückreise an. Der Mond stieg immer höher, die Landstraße sah wie ein breites weißes Band aus, auf das hier und da die Bäume tiefe Schatten warfen. Alles in der Natur schien zu schlummern, nur die Hufschläge der Pferde und das Rollen des Wagens unterbrachen die Stille der Nacht. Ein leichtes Lüftchen wehte, das von den Wohlgerüchen, die das Heu und die bescheidenen Feldblümchen ausströmten, geschwängert war. Newton trug aus Shelley und Byron vor, Mrs. Lordson lauschte andächtig seinen Worten und nickte dabei. Capri verhielt sich schweigsam, und Harrick wagte nicht, sie zu stören. Sie bedauerte, daß dieser Sommertag, der genußreichste, seitdem sie ihre geliebte Heimatinsel verlassen, so schnell zu Ende ging; er hatte ihr Herz mit kindlicher Freude erfüllt, sie der Alltagssorgen enthoben; wer weiß, was ihr die Zukunft vorbehielt! Die Aufregung war vorüber, und sie durchlebte in ihren Gedanken nocheinmal alle Überraschungen des Tages. Lord Harrick war des Schweigens müde; er rückte näher zu Capri, so daß er bei jeder Bewegung, die er machte, ihren Körper streifen mußte, was ihm ein ungeheures Vergnügen bereitete, und fragte in so leisem Tone, daß es die anderen nicht hören konnten:

»Sind Sie schon müde?«

»Nein, ich fühle mich nur so glücklich! – haben Sie noch nie empfunden, daß Worte die Glücksempfindungen stören können?«

»Doch.«

»Der heutige Tag macht mir so viel Freude,« fuhr sie fort und nickte ihm dankbar zu. Im Mondlicht konnte er bemerken, wie fröhlich ihre Augen strahlten. Dann trat wieder eine längere Pause ein.

»Miß Capri – – Capri,« begann er und neigte sich zu ihr herab, »ich wollte, Sie würden mir öfter gestatten, Ihnen einen solchen Tag zu bereiten.«

»Sie sind zu liebenswürdig,« unterbrach sie ihn leise.

Er erfaßte mit seiner freien Hand die ihrige und drückte sie immer fester; am liebsten hätte er gleich seinen Arm um ihre Gestalt geschlungen und sie an sein wild pochendes Herz gedrückt. Sie blieb bewegungslos, starrte vor sich hin und bemerkte deutlich eine Herde Kühe, die ganz hinten auf dem Felde im Grase ruhte, und ein kleines Bächlein, das ihr zuzulispeln schien:

»Jetzt ist der Augenblick gekommen! Wie vermagst du ihm mit dieser steinernen Ruhe entgegenzusehen!« Sie wunderte sich über sich selbst. War es die Ruhe des Triumphes? Da sie ihr Ziel so gut wie erreicht hatte, brauchte sie ja nicht mehr aufgeregt zu sein.

»Ich wollte – ich wollte,« stammelte der Lord wieder, »Sie würden mir erlauben, Sie öfter spazieren zu fahren, – vielleicht wären Sie mir dann ein klein wenig gut.«

»O, ich bin Ihnen ja so dankbar!«

»Das ist nicht das, was ich wünsche. Sie sollen mir gut sein, ich meine, besser als allen anderen Männern, die Sie kennen,« sagte er rasch und mit einem Ernst, der sie überraschte.

Sein Gesicht war jetzt ganz nahe dem ihrigen, sie fühlte, daß der Arm, der sie umschlang, heftig zitterte, und seine liebeglühenden Augen die ihrigen suchten. Sie antwortete nicht gleich, sondern blickte verschämt zur Seite.

»Capri, können Sie mich nur ein wenig liebhaben?« fragte er bebend.

»Ja,« kam es leise von ihren Lippen, und sie erwiderte den Druck seiner Hand.

»Ja? – Sie sind mir wirklich besser, als allen anderen Männern auf der Welt? – Und lieben mich, wie ich –«

Weiter kam er nicht, denn in diesem Augenblicke scheuten die Pferde vor einem weißen Meilenstein und jagten in einem rasenden Galopp davon. Capri vermochte sich nur mit Mühe auf ihrem Sitze zu behaupten, der Wagen schwankte bald nach rechts, bald nach links. Der Vicomte stieß einen derben Fluch aus und faßte die Zügel straffer; bald gelang es ihm, die Pferde zum Stillstehen zu bringen. Doch waren die Tiere so aufgeregt, daß sie nicht mehr im Trabe laufen wollten; sie rasten über das schlechte Pflaster der Vorstädte, bis sie endlich schnaubend vor Mrs. Lordsons Wohnung vorfuhren. Da Harrick seine Aufmerksamkeit den Tieren hatte schenken müssen, war sein Liebesrausch verflogen; die beiden sprachen kein Wort mehr, bis er Capri wieder sorgsam vom Bocke half. Er drückte ihr warm die Hand und sagte bloß:

»Gute Nacht!«

»Gute Nacht!« entgegnete sie und ließ ihre Hand einen Augenblick länger als gewöhnlich in der seinen ruhen.

»Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!« flüsterte sie, als sie an jenem Abend zu Bette ging.


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