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14. Kupidos Pfeile.

Ungefähr eine Woche, nachdem Guy Rutherford bei Lord Harrick gespeist hatte, saß Marcus Philipps schon am frühen Morgen bei seiner Arbeit. Die Sonne schien freundlich durch das Oberlicht des Ateliers und beleuchtete mit grausamer Helle die Dürftigkeit desselben. Wie ganz anders sah es heute aus, als an jenem Nachmittage, wo er Mrs. Stonex und ihre Freunde empfing! Den türkischen Teppich ließ die Hausfrau damals noch an demselben Abende abholen. Marc hatte die verschiedenen Landschaften an verschiedene Gemäldehändler zur Ansicht geschickt und die Kreidezeichnung seiner Mappe einverleibt. Die gelben Primeln waren längst verwelkt, und deren Spenderin lebte im Aristokratenviertel. »Wie vieles hat sich in der kurzen Zeit verändert!« sagte sich der Künstler, aus einem zerbrochenen Tabakstopfe seine kurze Pfeife mit schlechtem Knaster füllend. Ohne daß er sich dessen recht bewußt wurde, verfiel er am hellichten Tage in Träumereien, die sich um ›Die Bettelmaid‹ und Capri drehten. Wie, wenn er das Bild gut verkaufen könnte?! Auf Newton Marrix' Rat hatte er in eine Ecke desselben seinen Namen in großen roten Buchstaben gepinselt. Die Wirkung dieses Kniffes blieb nicht aus, denn abgesehen davon, daß sein Name fast täglich lobend in den Zeitungen erwähnt wurde und daß man denselben in allen Salons bewundernd aussprechen hörte, boten ihm auch die Händler bessere Preise für seine Skizzen und Zeichnungen, und selbst diejenigen, die ihm früher seine Einsendungen uneröffnet zurückgeschickt hatten – mit der Bemerkung, daß sie von Malern, deren Name in der Kunstwelt noch unbekannt sei, nichts brauchen könnten, – wandten sich jetzt an ihn. Marc hatte sich zwar vorgenommen, nichts mehr um des bloßen Erwerbes willen zu malen, da dies eines wahren und echten Künstlers unwürdig sei; er wollte künftig bei jedem Bilde sein bestes Können und Wollen daran setzen. Aus seinem Pinsel sollten nur Werke hervorgehen, die sich der ›Bettelmaid‹ würdig zur Seite stellen könnten! Vorläufig war er aber noch auf den Erlös der gewerbsmäßigen Arbeit angewiesen, durch die er seit mehr denn zwei Jahren sein Leben fristete.

Während er die blauen Rauchwolken in die Luft blies und eifrig an einem angefangenen Seebilde weitermalte, beschäftigten sich seine Gedanken mit dem Erbauen von Luftschlössern. Die Zukunft erschien ihm im rosigsten Lichte; nur noch ein klein wenig Geduld, und die unterste Sprosse der Ruhmesleiter war erklommen, dann wollte er mit Ausdauer und Fleiß langsam, aber sicher bis an die oberste gelangen; er würde schon dafür sorgen, daß das Publikum immer mehr mit seinem Namen vertraut würde und daß die Ausgeburten seiner Phantasie alljährlich in massiven Goldrahmen an den Wänden der Galerien zur Ausstellung kämen.

»Ah, Capri, wenn du wüßtest, wie unaussprechlich ich dich liebe und wie ich mich nach deinem Anblicke sehne!« gab er plötzlich seinen Gedanken laut Ausdruck.

Ja, er liebte sie mehr als sein Leben, aber ahnte sie es auch? Gestanden hatte er es ihr nie, und doch fühlte er, daß sie kraft ihres weiblichen Instinktes längst erraten haben müsse, wie es mit ihm bestellt sei. Er hatte ihr nie gesagt, daß ihre Liebe das höchste Glück auf Erden für ihn bedeute, aber seine Augen und sein Benehmen sprachen beredter, als Worte es vermochten. Jeder verliebte Mann verrät unbewußt gar leicht seine heißen Gefühle und Wünsche, und das Weib, dem sie gelten, errät sie noch viel leichter. Das ist ein Vermächtnis von Frau Eva, das sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbt.

Als echter Mann wollte Marc seine Liebe nicht früher gestehen, als bis es ihm gelungen, so viel verdienen zu können, um seinem Weibe ein sorgenfreies, behagliches Dasein zu sichern. An seiner Seite sollte sie nur des Lebens Annehmlichkeiten und Freuden kennen lernen. Der Kuß, den sie neulich in ihrer kindlich-unschuldigen Art auf seine Lippen gedrückt, als sie Abschied von ihm nahm, ehe sie ihre Stellung bei der Amerikanerin angetreten, bereitete ihm jetzt noch ein eigenartiges Wonnegefühl. Solcher Küsse harrten seiner in Zukunft noch viele!

Sie sah an jenem Tage bestrickend aus, denn die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft leuchtete aus ihren Augen und versetzte sie in eine weiche, freudig-träumerische Stimmung; er fühlte, daß sie trotz ihrer erzwungenen Heiterkeit tief ergriffen war und nur mühsam die Tränen zurückdrängte.

Er mußte ihr versprechen, sie oft in ihrem neuen Heime zu besuchen, und sie versicherte ihm, daß sie nie, was auch kommen möge, die fröhlichen und glücklichen Stunden, die sie in seinem Atelier verbracht, während er die ›Bettelmaid‹ gemalt, vergessen würde. Die Armut beider habe nun ein Ende erreicht, sie würden bald reich, vielleicht gar berühmt werden, versicherte sie ihm in halb neckender, halb ernster Weise, aber die Erinnerung an die gemeinsam verbrachten Stunden würde ihr stets wie eine Oase in der öden Wüste der Vergangenheit erscheinen.

Ein Klopfen an der Tür weckte ihn zu seinem lebhaften Bedauern aus seiner angenehmen Träumerei. Das Dienstmädchen übergab ihm ein Briefchen, auf dessen Umschlag er das Wappenzeichen der Frau Stonex Stanning erkannte und das ein Diener gebracht hatte:

 

Werter Herr Phillips!

Wenn es Ihnen ohne besondere Ungelegenheit möglich wäre, heute um zwölf Uhr mittags herum mich zu besuchen, wäre ich Ihnen verbunden, denn ich habe mit Ihnen etwas Geschäftliches zu besprechen, das sich am besten mündlich erledigen ließe.

Ihre ergebenste
Fel. Stonex Stanning.«

 

»Etwas Geschäftliches!« dachte er bei sich. »Ich möchte wetten, daß es sich um meinen ersten Auftrag handelt! Offenbar will Frau Stonex für einen Freund vermitteln.«

Nun war er über die Unterbrechung seiner Luftschloßbauten nicht mehr ungehalten. Er konnte sie jetzt mit einem stärkeren Fundament wieder aufnehmen. Bald jedoch raffte er sich auf und ging einigemal im Atelier hin und her, einen Gassenhauer pfeifend. Er dachte an eine endlose Reihe lohnender Bestellungen, und das Leben erschien ihm wunderschön.

Selbstverständlich war er pünktlich zur Stelle. Er hatte nicht lange Zeit, den feinen Kunstgeschmack zu bewundern, der sich in der Ausschmückung des sehr eleganten Empfangszimmers kundgab, an welches sich ein prächtiger Wintergarten anschloß, durch dessen offene Türe zarte Blumendüfte strömten. Der junge Künstler brauchte nicht lange zu warten. Die schöne Frau des Hauses begrüßte ihn mit diskreter Herzlichkeit. Er empfand sofort, daß er an ihr eine wahre Freundin habe, und es schien ihm, als hätte er sie schon seit Jahren gekannt, nicht erst seit Wochen. Dabei fiel seinem Künstlerauge ihr herrlicher Kopf mit dem wundervollen Haar, sowie die entzückende Frische ihres ganzen Wesens auf. Sie übte einen ungemein beruhigenden Einfluß auf ihn aus.

Als sie ihm von dem großen kritischen Erfolg seiner ›Bettelmaid‹ beim Publikum und in der Presse sprach, staunte er über den sonnigen Blick in ihren grauen Augen, die ihm jetzt ganz besonders schön vorkamen. Er sagte sich, daß wohl die meisten Männer sich in dieses Weib verlieben müßten; er selbst liebte allerdings eine andere …Da er jedoch das bestimmte Gefühl hatte, daß er durch diese Dame rasch an sein Ziel gelangen werde, erfüllte tiefe Dankbarkeit sein Herz. Sehr bald entdeckte er, daß er sich nicht getäuscht hatte, denn sie sagte:

»Ich habe sechs oder sieben Freunden versprochen, sie mit Ihnen bekannt zu machen. Ich gebe am zweiten Donnerstag im Juli einen Empfang, bei dem Sie meine Freunde kennen lernen können, falls Sie mir das Vergnügen machen, meine hiermit erfolgende mündliche Einladung auch Ihrerseits anzunehmen.«

»Ich danke Ihnen tausendmal für diese Ehre und werde mich glücklich schätzen, erscheinen zu dürfen.«

Sein nächster Gedanke galt jedoch wieder Capri. Ob Frau Stonex die reiche Amerikanerin kannte, bei der die Geliebte seines Herzens weilte? Nach einer kleinen Pause, in der beide ihrem Gedankengange folgten, sagte Mrs. Stonex:

»Ist die ›Bettelmaid‹ eine Ausgeburt Ihrer Phantasie, oder haben Sie sie nach einem Modelle gemalt?«

»Es ist das Porträt einer Freundin, die so liebenswürdig war, mir einigemal zu sitzen.«

»Dann muß sie sehr schön sein!«

»Das ist Miß Dankers in der Tat!«

Mrs. Stonex blickte zu ihm auf und bemerkte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg, was ihr sofort sein Herzensgeheimnis verriet; sie wandte ihren Kopf wieder ab und seufzte leise, so leise, daß Marcus es nicht hören konnte. Ein Schatten flog über ihr Gesicht, das Gespräch stockte wieder, aber der Künstler beachtete es kaum, denn er war zu sehr mit sich beschäftigt und ahnte nicht, daß er die Eisrinde zum Schmelzen gebracht, die das Herz dieser Frau so lange gefangen gehalten, welches ihm jetzt warm entgegenschlug.

Trotz aller unserer Erfindungen und Entdeckungen ist es noch nicht gelungen, das menschliche Herz zu enträtseln, wir können weder seine Tiefe ergründen, noch auch seine Wärme messen. Es ist von Mysterien erfüllt, die uns nur zu unverständlich sind, jedes geht seine eigenen Wege, die uns zuweilen verblüffen. Wir haben nicht die Macht, darüber zu verfügen; noch ehe wir es ahnen, gehört es nicht mehr uns. Es ist ein eigenwilliges, herrschsüchtiges Ding, das blindlings seinen Neigungen folgt, oft wissend, daß Kummer und Elend die Folgen sein werden. Heute ist es noch frei wie Luft, erkennt keine Fessel und keine Herrschaft an, und morgen ist es gebunden und ein willenloser Sklave fürs Leben!

Marcus Phillips, der gern gewußt hätte, ob Capri an der von Frau Stonex geplanten Gesellschaft teilnehmen würde, unterbrach das Schweigen zuerst:

»Miß Dankers ist augenblicklich Gesellschafterin einer reichen Amerikanerin; Sie kennen diese vielleicht?«

»Wie heißt sie?«

»Mrs. Lordson.«

»Ah, ich erinnere mich. Aber als diese Dame mich an meinem Donnerstag besuchte, war Miß …Miß …«

»Dankers.«

»Miß Dankers nicht mit ihr.«

»Sie ist erst seit einer Woche dort.«

»Wo lebte sie bis dahin?«

»Bei ihrem Vater.«

»Und wer ist er?«

»Ein pensionierter englischer Offizier.«

Mrs. Stonex erbleichte und neigte ihr Gesicht über den Blumenstrauß, während Marc darüber nachdachte, ob sie ihn heute etwa zu sich bestellt, um Näheres über Capri zu erfahren. Doch sie begann alsbald in entschuldigendem Tone:

»Ich war etwas neugierig, Mr. Phillips, weil gestern etwas passierte, worüber ich am liebsten persönlich mit Ihnen sprechen wollte.« Sie hielt einen Augenblick inne, als ob sie auf Antwort warte; da diese nicht erfolgte, fuhr sie fort:

»Einer meiner Bekannten, der mit der Künstlerwelt keine Fühlung hat und Ihr Bild sah, wünscht es zu kaufen – –«

»Die Bettelmaid?«

»Ja, um sie seiner Gemäldesammlung einzuverleiben, und da er weiß, daß ich Sie kenne, bat er mich, Sie nach dem Preise zu fragen.«

»Wie edel von Ihnen, sich so viel Mühe zu geben!«

Seine Worte zauberten einen freudigen Ausdruck in ihre Augen, der jedoch sogleich wieder einem ernsten Platz machte.

»Ich weiß nicht, wie hoch die Summe ist, die Sie für das Bild erwarten – –«

»Ich habe noch gar keine festgestellt.«

»Der Herr hat mich ermächtigt, Ihnen 250 Guineen anzubieten – –«

»Zweihundertfünfzig Guineen! Das übersteigt ja meine kühnsten Erwartungen!« Er traute seinen Sinnen nicht, das war ja ein glänzender Anfang! Wenn schon die Morgenröte seines Ruhmes solche Erfolge brachte, was konnte er erst erwarten, wenn dieser auf seinem Zenit stand! Was wird Capri zu dieser Neuigkeit sagen? Sind zweihundertfünfzig Guineen genug, um einen Hausstand zu gründen? Wenn ja, konnte er sie sofort, mit ihrer Einwilligung natürlich, aus ihrer abhängigen Stellung befreien und zu seinem Weibe machen! Dieser Gedanke raubte ihm fast den Verstand. Am liebsten wäre er gleich aufgesprungen, um zu ihr hinzueilen, aber das war ja nicht gut möglich.

Frau Stonex bemerkte, daß ihn sein Glück beinahe überwältigte, und sagte freundlich, obgleich ihr ruhiges graues Auge den inneren Schmerz, den sie dabei empfand, verriet:

»Ich freue mich sehr, daß die Summe Ihnen genügt.«

»O, ich fühle, daß ich dieses Glück nur Ihnen verdanke!«

»Nein, nein, Sie verdanken es nur sich selbst.«

»Sie sind mir als guter Engel erschienen!«

»Vielleicht wird noch ein Tag kommen …,« antwortete sie selbstvergessen; doch sie beendete den Satz nicht und drückte die Lippen fest aufeinander, als ob sie schon zu viel gesagt hätte.

Er schwieg und sah sie erstaunt an, was ihr jedoch entging, da sie ihren Blick zu Boden gesenkt hielt.

»Sie sind also mit dem Preise zufrieden?« fragte sie leise, nur um etwas zu sagen.

»Mehr als das!«

»Aber das Bild ist die Summe wert.«

»Haben Sie das dem Käufer auch gesagt?«

»Ja, denn es ist meine feste Überzeugung.«

»Das nenne ich Freundschaft!«

Ihre Augen begegneten sich, und Marc bemerkte zu seinem Erstaunen wieder das wunderbare Feuer in ihnen aufleuchten.

»Sie sollten das Bild als ›verkauft‹ bezeichnen lassen,« fuhr sie ruhig fort. »Der Käufer wird Ihnen morgen den Scheck schicken.«

Der Künstler glaubte, daß dies ein Wink für ihn sei, sich zu verabschieden, er erhob sich denn auch, fragte aber noch zögernd:

»Darf ich jetzt auch wissen, wer der generöse Käufer ist?«

»Lord Harrick.«

»Lord Harrick!« wiederholte er langsam. Er hatte ihn nie gesehen, aber von Capri mehrere Male den Namen nennen gehört. Einen Augenblick empfand er einen Schmerz in der Herzgegend, der aber sofort verschwand. Nun brannte ihm der Boden unter den Füßen; am liebsten wäre er zu Capri hingeflogen, aber die Gegenwart seiner Gönnerin dämpfte seine Freude, und so beeilte er sich denn, fortzukommen.

»Gestatten Sie, daß ich Ihnen noch einmal meinen innigsten Dank für all Ihre Liebenswürdigkeit ausspreche. Sie soll mir Mut zu weiterem Schaffen verleihen.«

»Ich freue mich, daß das Schicksal gerade mich ausersehen, Ihnen zu Ihrem ersten Erfolge zu verhelfen,« sagte sie, sich erhebend und ihm herzlich die Hand reichend.

»Unsere Schutzengel bringen uns immer das Glück,« entgegnete er bewegt. Ein schwaches Rot färbte ihre bleichen Wangen, und sie erinnerte sich noch oft nachher mit wehmütiger Freude an diese Worte. Die Tür schloß sich hinter ihm, und Mrs. Stonex blieb allein.

Die junge, reiche, schöne Witwe sank in einen Stuhl, bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen, und eine Träne nach der anderen rieselte durch ihre Finger. Wie kam es, daß gerade dieser Mann in ihrem Herzen einen Sturm wachgerufen, der sie bis ins Innerste erschütterte, sie zu neuem, schönerem Leben erweckte? Gerade dieser Mann, den sie erst einigemal gesehen, von dem sie nichts Näheres wußte, als daß er in ein schönes, junges Mädchen – noch halb Kind – verliebt sei, hatte, ohne es zu ahnen, in ihrem Herzen eine Saite angeschlagen, die einen melodischen Ton hervorrief und ihr einsames Leben verschönte. Jetzt fühlte sie erst, wie einsam dieses dahingeflossen war, trotzdem sie einen der Mittel- und Anziehungspunkte der Londoner feinen Gesellschaft gebildet hatte.

Wie es in dem törichten Herzen jubelte und tobte! Die Liebe hatte ihren Einzug darin gehalten, sie mochte sich dagegen auflehnen, wie sie wollte. Eine Liebe, rein und keusch, die sie vor fremden Augen verbergen mußte, damit sie nicht entheiligt werde. Das Schrecklichste war, daß auch derjenige, dem sie galt, nichts davon ahnen durfte, denn er hatte ja sein Herz einer anderen geschenkt.

Und doch mußte sie der Vorsehung dankbar sein, die sie von der unendlichen Leere, die sie all die Jahre empfunden, befreit und ihr das beseligende Gefühl einer tiefen, wahren Leidenschaft geoffenbart hatte. Brachte ihr dieselbe auch Schmerzen, so gab sie ihr auch die Kraft, diese zu tragen. Hätte sie Marcus niemals gesehen, so wäre ihr wohl der Kummer, aber auch die Freude erspart geblieben. Sie würde, selbst wenn es in ihrer Macht stände, nicht mit ihrem gewöhnlichen Seelenzustande tauschen, trotzdem sie wußte, daß sie weder Frieden noch Ruhe mehr finden könne, solange der einzige Mann, der ihr ganzes Sein gefangennahm und nunmehr die Sonne ihres Lebens war, nichts von ihrer Liebe ahnte. O, sie wollte alle Qualen unerwiderter Liebe erdulden, für diese ihr Herzblut opfern, aber nur nicht in ihren früheren Zustand zurückfallen, wo sie mehr einer Statue als einem Weibe geglichen; ihr Pygmalion hatte sie zum Leben erweckt und ihr die Bedeutung desselben erschlossen. Wahre Goldminen an Zärtlichkeit und weiblicher Treue schlummerten in den Tiefen ihres Herzens, – wie überreich würde sie den Finder belohnen!

»Es ist besser, zu lieben und zu verlieren, als nie geliebt zu haben,« sagte sie seufzend, nachdem sich der Sturm in ihrem Inneren gelegt. »Er soll wenigstens glücklich werden, wenn ich es nicht kann!« Eine halbe Stunde später beteiligte sie sich am Korso!


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