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3. Die Fechtstunde.

Hauptmann Dankers bewohnte zwei Hinterzimmer in einem mit dem Omnibus und der Bahn leicht zu erreichenden Hause an der Euston Road, wie er in den Zeitungsanzeigen, in denen er sich als Fechtmeister anbot, bemerkte. Durch diesen »Beruf« vermehrte er sein Einkommen, das in einer halben Hauptmannspension bestand. Der seltsame Kauz hatte die Gewohnheit, die Dinge nie beim rechten Namen zu nennen, weil er glaubte, daß hochtrabende oder umschreibende Bezeichnungen seiner Person mehr Würde und Wichtigkeit verliehen. Jetzt, da die Zeit der Zweikämpfe in England vorüber war, herrschte keine große Nachfrage nach der erhabenen Kunst der Säbel- und Schwertübungen, wenigstens nicht in dem Maße, wie der Hauptmann es gewünscht hätte. Seine Schüler waren Schauspieler und Dilettanten, junge Leute besserer Stände, die, der neuesten Mode folgend, den Akrobaten ins Handwerk pfuschten und allerlei Kraftübungen lernten. Zu ihnen gehörte ein junger Mann, dem der Fechtmeister besondere Aufmerksamkeit und Rücksicht angedeihen ließ. Lord Harrick zählte zweiundzwanzig Jahre und erfreute sich ungeheurer Reichtümer; sein jährliches Einkommen belief sich auf über siebzigtausend Pfund Sterling.

Richard Vicomte Harrick in der Pairswürde Großbritanniens und Baron Jesson in der Pairswürde Schottlands, zeichnete sich nicht durch so hervorragende Eigenschaften aus wie sein Vater, der ein vortrefflicher Botaniker und bekannter Naturforscher gewesen war und sein Leben lang auf seltene Insekten Jagd gemacht, dabei stets Zwirnhandschuhe getragen, religiöse Bücher und Traktätchen mit Aufmerksamkeit gelesen und niemand ein freundliches Gesicht gezeigt hatte. Charakterverschiedenheiten zwischen Vater und Sohn gehören heute nicht zu den verwunderlichen Dingen. Der junge Lord Harrick scherte sich nicht einen Pfifferling um alle Insekten der Welt, solange sie ihn in Ruhe ließen; auch hatte er, seitdem er die Schulbank verlassen, nicht eine Zeile geschrieben, bis auf einige wenige Liebesbriefe, die ihm genug Kopfzerbrechen verursachten. Er wußte das Geld zu schätzen, weil er täglich sah, welche Ausnahmestellung es ihm im Leben verschaffte. Er war nicht geizig, lieh seinen Freunden ohne Sicherstellung und bezahlte sogar einmal die Schulden eines leichtsinnigen Vetters, eines jungen Garde-Fähnrichs, der die kostspieligen Gelüste eines Herzogs und das Einkommen eines Gerichtsdieners besaß. Harrick wettete und spielte nur auf Verlangen seiner Freunde zu deren Vergnügen und Nutzen und war infolgedessen auch sehr beliebt bei ihnen. Man kann sich kaum ein temperamentloseres Menschenkind denken als ihn, seine Haltung war eine gewöhnliche und entbehrte jeder natürlichen Anmut; er verletzte die Gesellschaft nie durch den leisesten Versuch von Originalität und erregte auch nicht den Neid seiner Freunde durch Witz und Geist.

Wenn er sprach, so geschah es stets über gleichgültige Dinge; aber er gab einen vortrefflichen Zuhörer ab, – eine Tatsache, die allgemein Anerkennung fand. Er kleidete sich stets nach der neuesten Mode und interessierte sich nicht einmal für Pferderennen und Politik, diese beiden Lieblingsbeschäftigungen des englischen High life. Die gütige Mutter Natur hatte wahrscheinlich, als sie ihn als sechsten Vicomte seiner Linie in die Welt setzte, vorausgesehen, daß Talente ihn nur langweilen würden, und ihm diese in ihrer Weisheit vorenthalten.

So wie er war, besaß er weniger Phantasie als sein Groom, und weniger Bildung als sein Kammerdiener, der in seinen Mußestunden dem Hausmädchen Byron vorlas und erklärte.

Wäre er nicht der reiche Lord Harrick gewesen, es hätte sich niemand um ihn gekümmert und man hätte ihn für dumm erklärt, aber Geld ist ein Schlüssel, der alle Tore und viele Herzen öffnet. Wer im Reichtum geboren ist, braucht keine eigenen Gedanken und Meinungen zu haben. Man kauft sie in den Tagesblättern, wie man Brot beim Bäcker kauft. Wozu auch? Der Redakteur eines Leiborganes macht es den Leuten so hübsch bequem. Die weisesten Gedanken in die hübscheste Form gekleidet, sprühender Geist, gesunder Menschenverstand können das ganze Jahr hindurch jeden Morgen für eine Kupfermünze gekauft werden! Nur dem Armen hat die Vorsehung Verstand verliehen, damit er ihn in Geld umsetzen könne. Es ist das seine Mission auf Erden.

Trotz alledem betrachtete die große Gesellschaft Lord Harrick als das Musterbild eines englischen Aristokraten, und die Mütter heiratsfähiger Töchter wünschten nichts sehnlicher, als ihn zum Schwiegersohne zu bekommen, denn sie waren vollständig überzeugt, daß sich jedes Mädchen glücklich schätzen müsse im Besitze eines Gatten, der reich genug war, ihr eine fürstliche Rente auszusetzen, und dumm genug, um sich um ihre Privatvergnügen zu kümmern.

Als Capri aus Marcs Atelier heimkehrte, traf sie ihren Vater nicht zu Hause, dagegen wartete bereits die jüngere Tochter ihrer Wirtin, der sie Gesangunterricht erteilte.

»Kommen Sie, Kleine,« sagte sie zu ihrer Schülerin, die ebensogroß war wie sie selbst, und führte sie eine Treppe tiefer in den ›Salon‹, wie sie das notdürftig möblierte Hinterzimmer nannte, ließ sie vor dem alten, gebrechlichen Spinett Platz nehmen und begann sofort mit der Lektion.

Capri überhäufte ihre beiden Schülerinnen stets mit Zärtlichkeiten und Liebkosungen, welche die verschiedensten Früchte trugen. Ihre Wirtin war niemals unfreundlich mit ihr, selbst wenn die Miete einen ganzen Monat rückständig blieb, und die beiden ungraziösen Töchter brachten ihr bald bunte Bänder, bald billige Schmuckgegenstände, oder auch Handschuhe, – Dinge, für die Capri mehr als eine gewöhnliche weibliche Vorliebe hatte. An diesem Abende war sie noch liebenswürdiger als sonst und gab sich größere Mühe beim Unterrichte, ja, sie küßte sogar das Mädchen beim Abschiede auf den Mund, und das alles nur, weil sie an den Streit ihres Vaters mit der Wirtin dachte und diese vergessen machen wollte, was vorgefallen.

Sie blieb vor dem Klavier sitzen, nachdem ihre Schülerin sie verlassen, schlug bald diesen, bald jenen Akkord an und summte dazu eine Arie aus einer Oper oder den Anfang einer Serenade oder eines Volksliedes, das sie in längstvergangenen Tagen gelernt. Und sie sang sehr süß, mit einem leichten Anflug von Pathos; in ihrer Erinnerung tauchte die Insel auf, deren Namen sie trug, die ehrlichen, gutherzigen, sonnenverbrannten Bauern, die ihre ersten und besten Freunde gewesen, die hohen Klippen, die im hellen Sonnenlichte erglühten, und das unendliche blaue Meer, dessen Wellen spielend den Sand küßten und dessen Rauschen ihr, wenn sie träumend in der Vergangenheit lebte, noch immer wie liebliche Musik in den Ohren tönte. Sie war so sehr in ihre Gedanken versunken, daß sie nicht einmal ein zweimaliges Klopfen an der Tür hörte, und erst aufblickte, als der eingetretene Lord Harrick mit verlegenem Lächeln sagte:

»Fräulein Capri, ich fürchte, daß ich Sie störe.«

»Durchaus nicht,« entgegnete diese, ihm voll ihr Gesicht zuwendend.

Er machte eine ungeschickte Verbeugung, legte Hut und Handschuhe auf einen Stuhl und näherte sich ihr.

»Beweisen Sie, daß ich Sie wirklich nicht störe, indem Sie weiterspielen.«

»Mit Vergnügen! Ich dachte, Sie seien kein Freund von Musik und fürchtete, daß diese Sie langweile,« meinte Capri etwas spöttisch.

Lord Harrick ließ sein Monokel fallen und lächelte; er war bereits an ihre Eigenart gewöhnt und glücklich, daß er so mit ihr auskam.

Heutzutage kleiden sich die Lakaien in England wie Kavaliere, und diese wie Lakaien. Und auch Lord Harrick bemühte sich, wie ein solcher auszusehen; sein rotes Haar war kurzgeschnitten, ein zierliches Schnurrbärtchen zierte die Oberlippe. Seine runden, wasserblauen Augen blickten stets verwundert in die Welt, und sein volles, glattrasiertes Antlitz hatte den eigentümlichen Teint, der allen Rothaarigen eigen ist. Bei dieser Gelegenheit trug er einen ebenso kurzen, wie engen Rock, eine farbige Weste und enganliegende Beinkleider, die deutlich erkennen ließen, daß sein Körper sich nicht der symmetrischen Formen eines Apollo von Belvedere erfreute.

»Ich höre Sie so gerne singen oder spielen,« sagte er, während er auf Capris Geheiß nahe beim Klavier Platz nahm und sich mit dem Schildkrötenknopfe seines Spazierstockes fortwährend das Kinn rieb.

»Wirklich?«

»Ja, aber Sie gönnen mir nur selten diese Freude.« Dabei starrte er sie mit seinen runden Augen an.

»Ich hatte keine Ahnung, daß Sie musikalisch sind,« entgegnete sie und sang, ohne sich weiter zu zieren, mit ihrer süßen, innigen Stimme ein Liedchen.

»Tausend Dank!« rief er begeistert aus, als sie geendigt. »Bei Gott, es war entzückend!«

»Hat es Ihnen gefallen, Lord Harrick?«

»Außerordentlich! – Es ist – es ist ganz famos!«

»Nun, ein guter alter Freund, Signor Pallamari, der Musiklehrer ist, hat es kürzlich komponiert. Er möchte es so gerne drucken lassen, aber das kostet fünf Pfund, und er nennt nicht einmal fünf Schilling sein eigen. Es bleibt ihm daher nichts übrig, als sich in sein Schicksal zu ergeben.«

»Wie bedauerlich!« stammelte der Lord verlegen. Er hätte sehr gerne Capri das Geld angeboten, um ihr eine Freude zu bereiten, doch wußte er nicht, wie er das anstellen sollte, ohne sie zu beleidigen.

»Die Veröffentlichung dieses Liedes würde dem alten Manne nicht nur viel nützen, sondern ihm auch große Freude bereiten.«

»Wo wohnt er?«

Die Augen des jungen Mädchens blitzten vergnügt auf. Sie hatte ihre Absicht, den reichen Gast für ihren Freund zu interessieren, erreicht.

»Er wohnt nur einige Häuser von hier entfernt in einer kleinen Dachkammer, die seine ganze Welt ist. O, Sie müssen ihn einmal geigen hören, Mylord! Nicht einmal Paganini strich den Bogen besser! – Als ich nach England kam, war er es, der sich zuerst meiner annahm, mir Musikstunden gab und sich nicht einen Heller bezahlen ließ. – Eine wilde Begeisterung erfaßt mich, so oft ich den alten Maestro spielen höre!«

Sie sprach sehr rasch, bei jedem neuen Gedanken wechselte der Ausdruck ihres Gesichtchens. Lord Harrick griff in seine Brusttasche.

»Wollen Sie die große Liebenswürdigkeit haben, diese Kleinigkeit Signor Pallamari einzuhändigen und ihm sagen, daß einer ihrer Freunde, der das wunderbare Lied gehört, es gerne gedruckt sehen möchte?« sagte er, Capri eine Banknote überreichend. Ein Ausruf der Überraschung entschlüpfte ihren Lippen, dann nickte sie ihm dankbar zu und hielt das wertvolle Papier beinahe ehrfurchtsvoll zwischen ihren Fingern.

»Wie freundlich Sie sind, Mylord! Ich werde Ihnen für die Tat ewig dankbar sein!« Dabei hielt sie ihm offenherzig die Hand entgegen und blickte ihm vergnügt in die Augen. Er nahm sie in die seinige und drückte sie herzlich; seine blauen Augen wurden noch runder, und seine ohnehin rote Gesichtsfarbe verdunkelte sich noch mehr. Capri zog ihr Händchen rasch zurück. Dies verwirrte den Lord dermaßen, daß er zuerst verlegen mit seiner Uhrkette spielte, und als er trotzdem keine Worte fand, endlich seine Uhr zog und stammelte:

»Es ist schon nach sechs!«

»Dann hat Papa sich wieder verspätet, aber er kann nicht mehr lange fortbleiben. – Heute ist er besonders beschäftigt,« entgegnete sie, ihre Phantasie zu Hilfe nehmend, denn in Wirklichkeit hatte sie keine Ahnung davon, was ihr Vater den ganzen Tag trieb. Sie konnte nur vermuten, daß er, wie so oft, über einem oder mehreren Gläschen Schnaps seinen vornehmen Schüler vergessen, – aber das durfte sie diesem doch nicht eingestehen. »Da Sie ein Musikfreund sind,« fuhr sie fort, »werde ich Ihnen vorspielen, bis er kommt.«

»Sie sind – schrecklich gut, aber – aber ich habe heute abend Eile, und ich wünschte, Hauptmann Dankers würde seine Verabredung pünktlicher einhalten,« platzte er heraus, wurde aber sofort über und über rot.

»O, Lord Harrick, Sie sind durchaus nicht galant!« meinte Capri gutmütig. »Sie sollten froh sein, oder doch wenigstens tun, als ob Sie es wären, daß Papa noch nicht hier ist und ich mit Ihnen noch plaudern oder Ihnen etwas vorspielen kann.«

»Sollte ich? Nun, ich bin es auch,« entgegnete er, wieder gefaßt, »aber wissen Sie, ich kann es nicht vertragen, wenn man mich warten läßt.«

»Auch nicht, wenn ich hier bin, um mit Ihnen zu plaudern?« fragte sie neckend.

Lord Harrick fühlte sich getroffen und blickte beschämt zu Boden. Noch niemals hatte ein weibliches Wesen so mit ihm gesprochen wie Capri, und dieses halb kindliche, halb kokette Geplauder gefiel ihm.

»Ich …ich …ich wollte …«

»Als gerechte Strafe kommt eben Papa,« unterbrach sie ihn, die schweren Schritte des Hauptmanns erkennend. Sie hatte den Satz kaum beendet, als dieser auch schon ins Zimmer polterte.

Man erkannte trotz seines liederlichen und verkommenen Aussehens auf den ersten Blick, daß er Soldat gewesen. Seine glattrasierten Wangen waren unangenehm rot geschminkt, die wässerigen Augen bewegten sich unruhig, die etwas starke Nase erglänzte an der Spitze bläulichrot, und ein buschiger, sorgfältig gewichster und gefärbter Schnurrbart ließ ihn militärisch erscheinen.

Sein größter Stolz, die Taille, so schlank wie die eines Knaben, schien der Drehpunkt zu sein, um den sich sein ganzer Körper bei jeder Bewegung schwenkte. Sein bis an den Hals zugeknöpfter, etwas fadenscheiniger Rock saß faltenlos, so daß man vermuten mußte, er trage ein Korsett, von einem weißen Hemde keine Spur. Sein Zylinder glänzte so verdächtig, als ob er morgens mit dem Kaminrost zusammen eingeschwärzt worden wäre. In seinen Schuhen konnte man sich spiegeln. In der rechten Hand trug er mit der Geziertheit eines alten Gecken die Handschuhe, deren ursprüngliche Farbe man nicht mehr erkennen konnte. Er verbeugte sich tief vor Lord Harrick und lüftete mit einer Hand theatralisch den Hut, während er mit der anderen sein Haar glättete.

»Verzeihung, mein Lord, ich habe mich etwas verspätet,« begann er mit schnarrender Stimme, während er den Hut auf einen Stuhl setzte und dem Schüler nur zaghaft die Hand entgegenstreckte, wohl fürchtend, daß dieser sie nicht nehmen würde. »Ich komme eben von der Fechtstunde, die ich im Hause eines Schülers erteile …Capri, mein Herz, wo sind die Papiere?«

»Dort in der Ecke,« entgegnete sie, ohne auch nur Miene zu machen, sie zu holen.

Während der Hauptmann wohl oder übel sich selbst dahin bemühte, warf sie Lord Harrick einen halb lustigen, halb schwärmerischen Blick und eine Kußhand zu und schlüpfte geräuschlos aus dem Gemache.

Er blickte ihr erfreut nach und brummte lächelnd:

»Bei Gott, sie ist ein pyramidal hübsches Mädchen, hole der Teufel den Alten, der uns störte!«

Die beiden Männer warfen ihre Röcke ab, streiften die Ärmel hoch, zogen die Fechthandschuhe an und nahmen die Papiere zur Hand.

»Jetzt, mein Lord,« belehrte der Hauptmann, der bereits Stellung genommen, »den rechten Fuß vor, das rechte Knie leicht eingebogen …so ist's recht …Stützen Sie sich fester auf Ihr linkes Bein …sehr gut, sehr gut! …Jetzt stoßen Sie auf meine Brust,« kommandierte er weiter und bereitete sich auf eine tapfere Verteidigung gegen den heftigen Angriff vor. »Stoßen Sie stärker zu. Bravo! Jetzt parieren Sie!«

Die Waffen flogen heftig aneinander, Funken sprühten, der Atem flog, dann hielten die Kämpfer inne, um ein wenig auszuruhen.

»Diese Szene erinnert mich lebhaft an den armen Lord Byron,« begann der Hauptmann in einem melancholischen Anfluge in seiner Stimme. »Als wir in Korsika stationiert waren, focht ich mit ihm und erlag.«

»Focht er gut?«

»Ich habe noch nie jemand so graziös und vornehm fechten sehen, und er war sich dieses Talentes gar nicht bewußt.«

»Hat er nicht auch geboxt?«

»Ja, aber einmal schlug ihn einer unserer Soldaten, ein handfester Kerl aus Yorkshire, grün und blau, und Byron belohnte ihn noch mit einer Flasche Schnaps, sprach aber nie von seiner Niederlage …So, jetzt haben wir genug gerastet.«

Die Klingen schlugen mit noch größerer Kraft aneinander, plötzlich senkte Lord Harrick ermüdet die seinige, und der Fechtmeister, der gerade ausholte, streifte den Arm seiner Schülers.

»Zum Teufel!« schrie dieser auf, als er einen leichten Schmerz fühlte und Blut sah.

»O, es tut mir so leid,« stammelte der Hauptmann.

»Tut nichts, es war meine eigene Schuld,« beruhigte ihn der Lord, der sich seiner Barschheit schämte und mit seinem Taschentuche das vordringende Blut zu trocknen suchte.

»Wir wollen lieber einen regelrechten Verband anlegen,« meinte Dankers.

»Bemühen Sie sich nicht.« Aber dieser hörte nicht auf ihn, sondern öffnete die Tür und rief:

»Capri, Capri, komm herunter, mein Herz!« Er hatte stets die Gewohnheit, in Gegenwart von Fremden seine Tochter mit Kosenamen zu nennen. Sie kam aus ihrem eine Treppe höher gelegenen Schlafzimmer und blieb einen Augenblick erstaunt zwischen Tür und Angel stehen; dann trat sie auf den Verwundeten zu.

»Sind Sie verletzt?« fragte sie, mehr belustigt als besorgt.

»Ja, aber es war gar nicht notwendig, Sie zu bemühen.«

»Sie bluten ja! Wie schrecklich!« rief sie in einem Tone, der ihn verblüffte, weil es ihm nicht klar war, ob sie scherzte oder im Ernste sprach.

»Meine Liebe, bringe rasch etwas laues Wasser und Leinwand,« befahl der Hauptmann.

Sie verließ das Zimmer, kehrte aber bald mit den gewünschten Dingen zurück, streifte flink den Ärmel Harricks noch etwas höher, entfernte das Taschentuch von der Wunde, die noch immer stark blutete, und wusch dieselbe eifrig aus.

»Sie sind schrecklich gut,« sagte er. Ein seltsam angenehmes Gefühl durchrieselte ihn, so oft sie seinen Arm mit ihren weichen, schlanken Fingern berührte.

»Ich glaube, die Natur hat mich zur Krankenwärterin bestimmt,« entgegnete sie lächelnd, »zu einer zweiten Florence Nightingale, einer barmherzigen Schwester auf dem Schlachtfelde –«

»Ich wollte, ich wäre dann einer der glücklichen Soldaten –«

»Der sich verwunden ließe, daß ich ihn pflegen könnte.«

»Ganz richtig, Fräulein Capri.«

Sie ließ ihre Blicke im Zimmer umherschweifen, um zu sehen, ob ihr Vater in Hörweite sei, dann flüsterte sie schüchtern:

»Ich glaube, ich würde aufschreien, wenn ich Sie angeschossen oder sonst verwundet sähe.«

»Würden Sie das wirklich?«

»Versuchen Sie es doch.«

Es dauerte lange, ehe sie das Blut zu stillen vermochte, das immer und immer wieder aus der Wunde drang. Das Wasser in der Schüssel war schon ganz dunkelrot gefärbt. Er bedauerte es, daß der Verband endlich fertig war, denn er hätte gerne noch länger das seltene Glück genossen, das Antlitz des hübschen Mädchens so nahe dem seinigen zu wissen, ihren süßen Atem, den Duft ihres Haares und den Druck ihrer weichen Hand zu spüren, hätte gerne noch länger ihre lachenden, halb ernsten, halb neckenden Augen mit beinahe kindlicher Lebhaftigkeit, dabei ohne jede Spur von Keckheit, auf sich gerichtet gesehen.

»Jetzt habe ich die erste Pflicht der Barmherzigkeit, die Verwundeten zu heilen, erfüllt und fühle mich als Heldin. Ich kann mir zum erstenmal in meinem Leben sagen, daß ich nicht umsonst gelebt habe.«

»Wie soll ich Ihnen danken, mein Fräulein?« In diesem Augenblicke näherte sich ihnen der Hauptmann, und Capri nahm rasch die Schüssel auf, um damit hinauszugehen.

»Ich bedaure lebhaft, Ihnen so viel Mühe verursacht zu haben,« fuhr der Lord unbeirrt fort und blickte ihr ernst ins Gesicht.

»Ich hatte wenigstens etwas zu tun, und das ist immer eine Abwechslung,« entgegnete sie, ihm freundlich zulächelnd, und verließ das Zimmer. Die Fechtstunde wurde dann ohne weiteren Zwischenfall fortgesetzt.


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