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9. Ist's ein Traum?

Als Capri auf die Straße trat, fühlte sie sich versucht, laut aufzujubeln ob des großen Glückes, das ihr heute zuteil geworden. Die Sonne schien hell und freundlich auf die Erde, was sie als gutes Omen betrachtete. Selbst die Luft dünkte ihr von Freude erfüllt, und sie hätte in dem Augenblicke ihren Todfeinden verzeihen und die ganze Welt umarmen können. Sie beschleunigte ihre Schritte, um rasch nach Hause zu kommen, denn sie mußte, wenn sie nicht vor Freude laut aufjauchzen wollte, jemand ihre Erlebnisse mitteilen. Fast atemlos langte sie in der Euston Road an, öffnete mit dem Drücker die Haustür und rannte die Treppe hinauf, als ob jemand sie jagte. Oben fand sie das Nest leer. Verwundert ließ sie ihre Blicke umherschweifen. Sie konnte gar nicht begreifen, wie sich das Wohnzimmer während ihrer zweistündigen Abwesenheit hatte so verändern und wie sie so viele Jahre es in diesen dumpfen, schäbigen Räumen hatte aushalten können! Der Unterschied zwischen Mrs. Lordsons gelber Damastgarnitur, den kostbaren Teppichen, Statuen und Medicischränkchen und dieser Einrichtung war gar zu schrecklich.

Ein paar hundert Pfund Sterling, und selbst dieses unwirtliche Gemach könnte in ein behagliches verwandelt werden! Geld, Geld und wieder Geld! Nur mit Hilfe des Geldes hatte die Amerikanerin es vermocht, ihr Heim in Mayfair zu dem zu gestalten, was es war. Dieser Luxus, diese in die Augen fallende Farbenpracht und die süßduftenden, die Sinne berauschenden Blumen!

»Ja, wie konnte ich nur so lange dieses Leben voll Lüge und Heuchelei ertragen!« seufzte sie tief. »Ich glaube, mein Gewissen wäre heut viel leichter, wenn ich ein Verbrechen begangen hätte, als unter der entwürdigenden Last dieser Notlügen!« Zornig erfaßte sie einen Stuhl und schleifte ihn über den fadenscheinigen Teppich hinter sich bis zum Tische, wo sie sich darauffallen ließ, das Gesicht mit beiden Händen bedeckte und laut aufschluchzte. Plötzlich erhob sie den Kopf; ein harter Ausdruck lag in ihren Augen und ein verächtliches Lächeln um ihre Lippen. Sie erfaßte den verschlissenen Band von Shakespeare, der gerade vor ihr lag, und schleuderte ihn heftig in den Kamin. Nach diesem Zornesausbruche fühlte sie sich erleichtert; sie konnte das Verlangen, etwas zu zerreißen oder zu zerbrechen, nicht unterdrücken.

Da hörte sie, wie sich jemand der Tür näherte, und ehe sie noch Zeit gefunden, sich zu fassen, klopfte es auch schon.

»Herein!« rief sie zornig, ohne sich umzuwenden.

»Miß Capri zu Hause?« flötete der Eintretende, wie in angenehmer Überraschung.

»O, Lord Harrick! Schon so früh?« sagte sie unfreundlich, ohne sich zu erheben.

Er sah so knabenhaft schüchtern aus, als er verlegen um Entschuldigung stammelte, daß Capri lächeln mußte.

»Papa ist noch nicht zu Hause.«

»Wenn es Sie nicht geniert, Fräulein Capri, möchte ich warten, bis der Hauptmann kommt. Ich hatte gerade Besorgungen in dieser Gegend, und es lohnt nicht, daß ich noch zur Stadt zurückkehre.«

»Bitte,« entgegnete sie, sich zur Freundlichkeit zwingend, denn sie war schlechter Laune und fühlte das Verlangen, allein zu sein. Sie erhob sich und bot ihm den schäbigsten und schlechtesten Roßhaarstuhl an, in der Hoffnung, daß dies dem verwöhnten Gaste das Bleiben verleiden werde.

»Wie liebenswürdig Sie sind!«

»Ich?« fragte sie erstaunt und nahm ihm gegenüber Platz, nachdem sie Hut und Jacke abgelegt. Sie stützte ihr Haupt auf den Ellbogen und blickte noch mißmutig drein. Er hatte sie bis zu dem heutigen Tage stets heiter und sorglos wie ein Kind gesehen; der ernste Ausdruck in ihrem Gesichte war ihm neu und interessierte ihn ungeheuer, denn es wurde ihm plötzlich klar, daß er es mit einem vollständig entwickelten, überaus schönen und eigenartigen Weibe zu tun habe und nicht mit einem impulsiven, anziehenden Backfisch, als den er Capri bislang gekannt.

Es wurde ihm bei dieser Offenbarung so seltsam zumute, daß er das Mädchen nur staunend anstarren konnte, was Capri, die in Gedanken versunken vor ihm saß, gar nicht bemerkte. Auch er vermochte nicht zu sprechen, denn sein Auge und sein Geist waren vollständig damit beschäftigt, die neuen Reize auf sich wirken zu lassen. Noch niemals hatte ein weibliches Wesen vermocht, ihn mit solcher Bewunderung, die an Anbetung grenzte, zu erfüllen, wie eben dieses Kind des Südens. Schon neben ihr zu sitzen, in ihr liebliches Antlitz zu blicken, gewährte ihm unsagbares Vergnügen; ihre Hand zu berühren, verursachte ihm ein Wonnegefühl, das er bislang nicht gekannt! Wie lange die beiden noch stumm nebeneinander gesessen hätten, ist nicht zu sagen. Zum Glück machte Capri eine Bewegung mit dem Arme, daß ihr Silberreif klirrend zu Boden fiel; dies brachte sie in die Gegenwart zurück, und sie erinnerte sich auch an den Geber desselben.

In einer Anwandlung von Dankbarkeit bedauerte sie, ihn so unfreundlich empfangen zu haben, und nahm sich vor, in Zukunft liebenswürdiger zu sein. Ihre schlechte Stimmung verschwand allmählich, und sie vermochte es über sich, ihr Gegenüber heiter lächelnd anzublicken. Durch diese Aufmunterung wurde auch der Lord gesprächiger.

»Wissen Sie, wo ich heute war?«

»Wie kann ich das?«

»Raten Sie einmal?«

Wie ein Blitz schoß es ihr durchs Hirn, daß er in der Grosvenor-Galerie gewesen, um die ›Bettelmaid‹ zu sehen, aber sie sagte bloß:

»Das wird schwer halten …Doch warten Sie, ich hab's, Sie waren im Hyde-Park …Nicht? …Nun, dann bei einem Morgenkonzert …Auch nicht? Also in der Akademischen Kunstausstellung.«

»Jetzt hätten Sie es beinahe erraten.«

»In der Grosvenor-Galerie?«

»Ja.«

»Ich war neulich dort. Waren Sie befriedigt?«

»Das will ich meinen; namentlich ein Bild hat es mir angetan!«

»Jephthas Tochter?« fragte sie harmlos, wartete aber gespannt auf die Antwort.

»Das Gemälde ist großartig; aber die ›Bettelmaid‹ ist verblüffend schön!«

»Ich freue mich, daß sie Ihnen gefällt.«

»Sie gefällt jedem. Eine Menge Besucher standen vor ihr, als ich dort war, und man hörte nur Ausrufe der Bewunderung.«

Capri klatschte freudig in die Hände und lachte vergnügt. Ihr silberhelles Lachen wirkte auf den Lord ansteckend, und er stimmte heiter ein. Endlich sagte er:

»Wer hat das Bild gemalt?«

»Weshalb fragen Sie?«

»Weil es ein Meisterwerk ist und unübertrefflich!«

»Wie verstehen Sie das?« fragte sie schelmisch.

»Nun, ich meine, es ist …es ist schön, reizend, wie soll ich nur sagen, es sieht Ihnen wunderbar ähnlich,« stotterte er verlegen.

»Das klingt ja, als ob Sie mir Komplimente machen wollten …Ich wußte gar nicht, daß Sie sich dazu hergeben.«

»Habe ich das getan?« fragte er naiv. »Es ist wirklich meine innerste Überzeugung!«

»Da, wieder eines!« rief sie fröhlich.

Lord Harrick war entzückt von dem Fortschritte, den er heute in ihrer Gunst gemacht. Capri legte absichtslos ihre Rechte auf den Tisch, im Nu hatte er, der im Laufe des Gespräches nähergerückt war, sie mit seiner Faust bedeckt und sagte scherzend:

»Wie klein und zierlich ist Ihr Händchen; es verschwindet ganz unter meiner Handfläche.«

Capri versuchte es, sie mit einem Rucke wegzuziehen, aber je mehr sie sich anstrengte, desto fester hielt er sie, bis sie sie schließlich ruhig unter der seinigen ließ. Während sich ihre Hände berührten, durchzuckte sie plötzlich ein Gedanke, der ihr das Blut ins Gesicht trieb. Wie, wenn Lord Harrick sie liebte? Bis jetzt hatte sie nie an diese Möglichkeit gedacht; sie wußte selbst nicht, wie sie gerade heute darauf kam. Schon die bloße Vermutung raubte ihr beinahe den Atem. Liebte er sie wirklich, oder war sie ihm nur ein angenehmer Zeitvertreib, ein Mittel, eine müßige Stunde totzuschlagen? War es nur eine gewöhnliche Liebelei, die er bald wieder vergessen würde?

Nein, nein! Diese ehrlichen, dummen Augen kannten die Lüge nicht, sie verrieten ihr mehr, als Worte es vermocht hätten. Wie eine Erleuchtung kam es über sie, was die ehrenhafte Liebe dieses Mannes – an eine andere vermochte das keusche, reine Wesen nicht zu denken – für sie bedeuten konnte! Diese verwirrende, in weitem Felde stehende Aussicht erschien ihr wie eine Fata Morgana, die im nächsten Augenblicke verschwinden müsse wie ein Traum, an den man keinen ernsten Gedanken verschwenden darf.

Während all dies in ihrer Seele vorging, veränderte sich der beinahe kindliche Ausdruck ihres Gesichtes in einen ängstlich gespannten, das Lächeln erstarb, und ihre Augen glühten vor Erregung. Sie versuchte, den törichten Gedanken, der sie so plötzlich erfaßt, zu bannen, aber vergebens, denn er hatte sich in eine schwache Hoffnung verwandelt, die sich in ihr Herz geschlichen und die ihr mit einem Schlage die ganze Welt umgestaltete. Sie zwang sich, wenigstens äußerlich ruhig zu erscheinen.

»Also, mein Bild gefällt Ihnen?« fuhr Capri, in ihren leichten Konversationston zurückfallend, fort, was ihr anfangs etwas schwer fiel, denn ihr Herz pochte heftig und sie glaubte, daß er es hören müsse.

»Und wie sehr!« entgegnete er begeistert, ohne den wilden Sturm in dieser Mädchenseele bemerkt zu haben; er war mit seinen eigenen, ihm selbst fremden und doch beglückenden Gedanken zu sehr beschäftigt. »Sie wissen, Fräulein Capri, daß ich nicht viele Worte machen kann, um das auszudrücken, was ich empfinde – – – aber – – – aber – – –«

»Ich weiß, ich weiß,« unterbrach ihn diese, um ihm aus der Verlegenheit zu helfen. »Ich fürchte, Mylord, daß ich oft unfreundlich, vielleicht sogar unartig gegen Sie war,« fügte sie plötzlich ganz unerwartet hinzu.

»O, bitte, sagen Sie das nicht, sonst muß ich mich verteufelt unbehaglich fühlen,« entgegnete er verlegen, drückte aber ihre Hand noch fester.

»Sollte es der Fall sein,« fuhr sie fort, als ob sie seine letzten Worte nicht gehört, »dann bedaure ich es lebhaft. Sie werden sich wundern, weshalb ich gerade heute meine Entschuldigung hervorbringe. Nun denn, ich verlasse dieses Haus bald, sehr bald.« Sie sprach absichtlich mit leichtem Pathos und beobachtete dabei sein Gesicht. Der freudige Ausdruck, der es während ihrer ersten Bemerkung belebte, verschwand plötzlich. In seinem Erstaunen gab er ihre Hand frei und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

»Sie wollen Ihr Heim verlassen? …Das ist doch wohl nur ein Scherz?« stammelte er.

»Durchaus nicht. Ich bin seit heute bei einer reichen Amerikanerin, Frau W. Achilles Lordson, als Gesellschafterin engagiert.«

»Und Sie wollen mit ihr nach Amerika gehen?«

»Nein, nur zu ihr nach Mayfair,« entgegnete sie mit einem Lächeln der Genugtuung.

»Das ist ein Unterschied,« atmete er erleichtert auf, erfaßte mit seinen beiden Händen ihre Rechte wieder und drückte sie herzlich.

»Ja, ein großer,« antwortete Capri lächelnd.

»Nun, Mayfair ist nicht allzu entfernt,« meinte er beruhigt. Er hatte im ersten Augenblick gefürchtet, sie aus dem Gesichte zu verlieren, und dabei ein eigenartig schmerzliches Gefühl empfunden.

»Ich werde wohl kaum lange bei ihr bleiben können,« denn sie ist Witwe und ungeheuer reich; sie wird früher oder später einen Gefährten fürs Leben finden, und ich werde dann wieder ohne Stellung sein,« sagte Capri schwermütig.

»Das ist eine entzückende Aussicht!« rief er erfreut und suchte dabei ihrem Blicke zu begegnen, was ihm jedoch nicht gelang.

»Daß Mrs. Lordson einen Gefährten fürs Leben finden wird?«

»Nein!«

»Daß ich meine Stellung verlieren soll?«

»Ja …nein! …Ich meine nur … mißverstehen Sie mich nicht! …Ich freue mich, daß Sie dann wieder frei sein werden!«

Beide verstummten. Lord Harrick kaute an einem Ende seines Schnurrbartes, ein Beweis, daß er nachdachte. Die zukünftige Freiheit Capris beschäftigte seinen Gedankengang; eine kühne Idee hatte ihn erfaßt, die er gar nicht auszudenken wagte. Eine Totenstille herrschte im Zimmer, keine Fliege wagte es, sich zu rühren. Die Sonne schien durch die roten Vorhänge quer auf den abgetretenen Teppich, das Geräusch der auf der Straße hin und her fahrenden Omnibusse und Mietskutschen drang nur schwach zu dem Paare hinauf, die Uhr der St. Pankraskirche schlug drei.

Das Schweigen zwischen den beiden dauerte noch eine Weile fort. Unter solchen Umständen konnte es entweder gefährlich oder unangenehm werden. Und unangenehm wurde es keinem der beiden. Capri fragte sich im stillen nochmals, ob der Lord sie wirklich liebe, und wenn ja, ob er sie zur Vicomtesse Harrick erheben werde. Sie fühlte, daß er sie liebe und daß sie, wenn sie nur wollte, ihn in ihre Netze verstricken könne, denn sie besaß die gefährliche Gabe, Leute durch ihr gewinnendes Wesen und ihre eigenartige Schönheit bezaubern zu können.

All die Vorteile, die sie durch den Besitz dieses Mannes zu erlangen vermochte, traten plötzlich vor ihr geistiges Auge. Den verhältnismäßig geringen Kampf belohnte der hohe Preis reichlich. Der Lord gehörte nicht gerade zu den weisesten Männern, er war im allgemeinen dumm und temperamentlos, aber wenn er sich etwas in den Kopf setzte, konnte er sein Ziel eigensinnig verfolgen. Seine Eltern waren tot, und da er bereits dreiundzwanzig Jahre zählte, brauchte er sich auch keinem Vormunde mehr unterzuordnen und war Herr seines Willens. Die alte Herzogin von Devonshire, seine Großmutter, die er jedes Jahr einigemal besuchte, übte gar keinen Einfluß auf ihn aus. Alles vereinigte sich, um Capri ihrem Ziele nahe zu bringen. Sie bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und schloß die Augen. War es am Ende doch nur ein wilder Traum, die Ausgeburt ihrer lebhaften Phantasie, was ihr Blut so aufregte? Das Bild, das vor ihrem geistigen Auge aufstieg, verwirrte sie und machte ihr Herz heftig pochen.

Und doch, war es wirklich so unmöglich? Lehrte die Weltgeschichte nicht, daß reiche, angesehene Männer arme Mädchen zu sich emporhoben? Heirateten nicht Aristokraten schöne Schauspielerinnen? Warum sollte dieser Mann nicht ihr König Cophetua sein, war sie doch die Bettlerin? Schöner als sie konnte die biblische auch nicht gewesen sein! Nein, nein, es war kaum denkbar! Sie, die so oft mit hungrigem Magen zu Bette gehen, tausend Nadelstiche und Demütigungen ertragen mußte, sie, die für einen Schilling die Stunde den Töchtern ihrer Hausfrau Singunterricht gab, in zwei elenden Zimmern an der Seite eines halbverkommenen Vaters ihr Dasein fristete, sie, die niemals die Wohltat eines eigenen Heimes, niemals die Liebe und Sorgfalt zärtlicher Eltern gekannt, sollte plötzlich eine Vicomtesse von England und Baronin von Schottland werden! Sie, eine eigenwillige, ungebildete Bohémienne, mit einem hübschen Lärvchen und etwas Verstand! Ihr Erfolg bei der Amerikanerin mußte ihr die Sinne vollständig verwirrt haben. So sagte sie sich selbst, suchte die Hoffnung, die in ihrem Herzen Wurzel gefaßt, auszurotten und nahm sich vor, nie mehr an Liebe oder an Lord Harrick zu denken.

Sie ließ die Hände, mit denen sie die ganze Zeit ihr Gesicht bedeckt hatte, auf den Tisch sinken, der Silberreif rasselte dabei ein wenig, worauf Lord Harrick schüchtern fragte:

»Denken Sie manchmal an mich, wenn Sie den Reif tragen?«

»Das muß ich ja,« entgegnete sie weich.

Er reichte ihr dankend die Hand und hielt dann die ihrige fest. Sie bemerkte, wie das Blut in seine Wangen stieg und seine Augen glänzten. Unwillkürlich preßte sie die freie Hand gegen das Herz.

»Werden Sie mir gestatten, Sie hie und da einmal in Mayfair zu besuchen?«

Sie wollte ihrem Vorsatz, jeden Gedanken an ihn als Anbeter zu bannen, treu bleiben und antwortete daher ausweichend:

»Ich weiß nicht, ob ich frei über meine Zeit werde verfügen können, da ich nur die Gesellschafterin der Mrs. Lordson bin. Wenn Sie diese besuchen, werde ich Sie vielleicht auch begrüßen dürfen.«

»Ich kenne die Dame leider nicht.«

»Sie könnten aber im Laufe der Saison ihre Bekanntschaft machen, wenn Sie wollen.«

»Wo?«

»Zum Beispiel bei Mrs. Stonex, deren Donnerstage Sie wohl besuchen?«

»Verkehrt sie dort?«

»Mr. Newton Marrix hat sie eingeführt.«

»Dann gehe ich schon nächsten Donnerstag hin und lasse mich ihr vorstellen,« sagte er eifrig. »Ich langweile mich zwar stets, wenn ich hingehe, denn die Gesellschaft ist mir zu künstlerisch.«

Während er eifrig sprach, blickte Capri verstohlen auf sein kurzgeschnittenes rötliches Haar, sein volles Gesicht, seine plumpen Hände und Füße, und fragte sich, weshalb Mutter Natur gerade ihm dieses wenig anziehende Aussehen verliehen.

»Es wäre mir gar zu schmerzlich gewesen, Sie aus den Augen zu verlieren,« begann er zögernd.

»Wirklich?«

»Und …und ich hoffe, es wäre Ihnen auch nicht angenehm gewesen …«

»Was?«

»Mich nicht mehr zu sehen.«

»Ich müßte das erst erproben,« entgegnete sie lächelnd.

»Sagen Sie das nicht …Es tut mir weh!«

»Ich hoffe, Sie werden mich nicht auf die Probe stellen …«

»Weshalb machen Sie sich über mich lustig?« fragte er ernst.

»Das fällt mir ja gar nicht ein. Es ist mein sehnlichster Wunsch, in meiner neuen Stellung alle alten Freunde begrüßen zu können …Ich würde mich sehr einsam fühlen, wenn dies nicht der Fall wäre.«

»Wissen Sie, daß …daß –?«

»Was?«

»Daß ich zu Ihren treuesten Freunden gehöre …Daß …daß ich Sie liebe!«

Sie blieb bewegungslos sitzen und senkte die Lider. Er rückte zu ihr heran, sie fühlte seinen warmen Atem auf ihrer Wange und den heißen Druck seiner Hand auf der ihrigen. Er hätte in diesem Augenblicke willig sein halbes Vermögen geopfert für einen Kuß von ihren schwellenden Lippen, aber man hörte Schritte auf der Treppe, und Capri erhob sich, so daß er ihre Hand freigeben mußte.

»Es ist Papa,« sagte sie und rückte ihren Stuhl zurück.

Lord Harrick murmelte etwas zwischen den Zähnen, das einem Fluche nicht unähnlich war, und wünschte den Hauptmann ins Land, wo der Pfeffer wächst. Die Türe ging auf, und dieser trat geräuschvoll ein.

»Ah, Mylord, heute pünktlich!« rief er, sich tief verbeugend.

»Ja, es ist drei Uhr, und heute sind auch Sie ausnahmsweise pünktlich!« Damit begab er sich in die Ecke des Zimmers, wo die Rapiere standen, und nahm das seinige zur Hand. Capri erhob sich, setzte ihren Hut auf, zog Handschuhe und Jacke an und wandte sich zur Türe.

»Wohin, mein Herz?« flötete der Vater zärtlich.

»Zum Padre Pallamari; in einer Stunde bin ich wieder hier.«

Lord Harrick trat rasch vor, öffnete die Türe und sagte leise:

»Auf Wiedersehen!«

Sie neigte leicht das Haupt, ohne aufzusehen; im nächsten Augenblick schloß sich die Türe hinter ihr.


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