Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2. Newton Marrix' Ratschläge.

Alles Licht schien aus dem Atelier verschwunden, nachdem Capri es verlassen, und es zeigte sich in seiner ganzen poesielosen Dürftigkeit. Die Grazie und Lieblichkeit des holden Kindes teilte auch ihrer Umgebung Farbe und Glanz mit. Marcus Phillips blickte seufzend um sich, setzte dann eine angefangene Landschaft auf die Staffelei und begann eifrig zu malen, um seinen nicht gerade angenehmen Gedanken zu entgehen. In seinen träumerischen blauen Augen, die bei der geringsten Erregung ins Violette spielten, schlummerte der Genius. Der kleine, frauenhafte Mund mit zwei Reihen tadelloser Zähne verlieh dem sonst männlichen Gesichte etwas ungemein weiches.

Marc war trotz der sanften, träumerischen Augen, des weichen Zuges um den Mund ein ganzer Mann, beinahe sechs Fuß hoch, mit breiten Schultern und wohlgeformter Gestalt. Er stand allein in der Welt. Kaum sechs Jahre alt, verlor er seinen Vater. Die Mutter verheiratete sich bald wieder und gab ihn in ein Pensionat. Er erinnerte sich noch ganz deutlich an den Tag, da ihn sein Lehrer ins Zimmer rief und ihm in wenig schonender Weise den Tod der Mutter anzeigte; er erinnerte sich noch ganz deutlich der Reise, die er ins Elternhaus antrat, um der Mutter das letzte Geleite zu geben.

Der Stiefvater hatte für eine Anzahl eigener Kinder zu sorgen und daher weder den Wunsch, noch die Absicht, Marc zu adoptieren. Mit achtzehn Jahren mußte dieser den Kampf ums Dasein beginnen, und es war ein schwerer Kampf, denn Marcus besaß weder Mittel, noch auch Erfahrungen. Er verließ das Haus, welches nicht sein Heim gewesen, für immer und ging nach London, dem Riesenbabel, das für die Jugend stets eine starke Anziehungskraft besessen hat, – oft zu ihrem Verderben. In dem Lärm, dem Geschäftstreiben, dem ewigen Wirrwarr liegt etwas, das jedermann zur Tätigkeit anspornt. London ist so mächtig, so unendlich groß, daß jeder unwillkürlich denkt, in diesem Chaos müsse sich noch ein Plätzchen für ihn finden. Die breiten Verkehrsstraßen sind so belebt und freundlich, die engen, schmutzigen Gäßchen des Armenviertels bieten zur Zeit der Not eine Zufluchtsstätte oder auch ein Versteck; der Fluß ist still und tief, wenn das Ärgste und Letzte kommt und jede Hoffnung in dem Herzen erstirbt.

Als Marc nach London kam, wurde es ihm zum ersten Male so recht bewußt, wie egoistisch die große Welt sei. Die Menge beachtete ihn nicht, und niemand bot ihm eine helfende Hand. Für keinen bestimmten Beruf erzogen, fühlte er sich in dem ungeheuren Häuser- und Menschenmeere haltlos und glaubte im Strudel untersinken zu müssen. Aber das Schicksal erbarmte sich seiner und führte ihm einen Vagabunden in Gestalt eines Schauspielers in den Weg, der ein ebenso weiches Herz wie einen schlechten Ruf sein eigen nannte. Dieser hörte die Lebensgeschichte des jungen Mannes, die sein Mitleid erregte, und schlug ihm vor, sich seiner Gesellschaft, die gerade die Provinz bereiste, anzuschließen. So wurde Phillips Schauspieler und berichtete es seinem Stiefvater, nicht, weil ihm an dessen persönlicher Meinung etwas lag, sondern weil er bestimmt wußte, daß diese Nachricht genügen würde, das Tischtuch für immer zwischen ihnen zu zerschneiden. Wie er erwartet, antwortete der Alte postwendend, daß er als gläubiger Christ und ehrenhafter Mann, der auf eine Erlösung im Himmelreiche hoffe, jeden Verkehr mit einem herumziehenden Schauspieler, dessen Seele auf dem besten Wege zur ewigen Verdammnis sei, abbrechen müßte. In der Provinz herrschte eben noch immer das puritanische Vorurteil, Mitglieder der Bühne für Kinder der Hölle zu halten.

Drei Jahre durchzog Marcus das Vereinigte Königreich. Dieses ungebundene, freie Leben, ohne Sorgen und Verantwortung, in treuer Kameradschaft mit seinen Kollegen, behagte ihm gar sehr. Er verdiente genug, um Leib und Seele zusammenzuhalten; weshalb sollte ihm die Welt nicht schön und angenehm dünken? Wenn er hie und da mit leerem Magen und leerer Tasche zu Bette ging, konnte ihm das seine Lebensfreudigkeit nicht rauben, denn er sammelte Erfahrungen über Menschen und Dinge, wie sie nur ein solches Leben bieten kann.

In einer der »Schmieren«, mit denen Marc umherzog, lernte er einen Dekorationsmaler kennen, der eine Zuneigung für ihn faßte und ihn lehrte, Farben zu mischen und mit Pinseln umzugehen.

»Es wird dir auf keinen Fall schaden, mein Junge, wenn du noch ein Handwerk erlernst,« sagte der Künstler, welcher der sanfteste Mensch und doch der »Schurke« der Gesellschaft war, allabendlich einen wilden, schwarzen Bart, hohe Reitstiefel und den Schlapphut tief im Gesichte trug und stets am Ende des letzten Aktes unter schrecklichen Todesqualen starb. »Es wird dir auf keinen Fall schaden,« wiederholte er. »Mich will ich gar nicht als Beispiel nennen, aber ich reiste mit einem Direktor, der selbst die Kulissen malte, in den Zwischenakten im Orchester Klavier spielte, jeden Abend den ersten Liebhaber gab und die Kostüme der ganzen Gesellschaft ausbesserte.«

In kurzer Zeit übertraf der Zögling den Meister, denn Phillips bekundete viel Farben- und Formensinn und Liebe für die neue Kunst, der er sich begeistert in die Arme warf.

»Marc, mein Sohn, wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich der Bühne ganz Valet sagen und mich nur der Malerei widmen. Die Natur hat dich zum Maler und nicht zum Schauspieler bestimmt. – Ich bin nur ein Stümper, aber das wahre Genie erkenne ich doch an seinen Leistungen, und ich prophezeie dir, daß du noch einmal das bedeutungsvolle K. A. hinter deinen Namen stellen wirst. – Du weißt doch, was es bedeutet? – Nicht? Nun, Mitglied der Kunstakademie,« bemerkte eines Tages der Dekorationsmaler im Tone der vollsten Überzeugung und Freundschaft.

»Ein Sperling in der Hand ist aber besser als die Taube auf dem Dache,« entgegnete Marcus. »Du weißt, ich habe nicht viel beiseite gelegt – wir Schauspieler sind bekanntlich kein sparsames Volk. In London wird es wohl Dutzende von Menschen geben, die mit Pinsel und Palette besser umzugehen vermögen, als ich, und die dennoch nicht vorwärtskommen. Wenn ich deinen Rat befolgte, würde ich wahrscheinlich verhungern.«

»Wie wär's also, wenn du vorläufig Muse Thalia treubliebest und in der Metropole ein Engagement suchtest? Mime bei Nacht und lerne malen bei Tage.«

»Der Gedanke ist nicht schlecht! Ich habe nicht übel Lust, ihn auszuführen.«

»Wenn du auf meinen freundschaftlichen Rat hörst, so tust du es je eher je lieber.«

»Ich kann ja immer zu euch zurückkehren, wenn mein Versuch mißlingt.«

»Streich das ›Wenn‹ aus deinem Wortschatze; für dich gibt es keinen Mißerfolg,« sagte der Theaterschurke mit Pathos. »Ich wünschte, ich könnte mein Leben von vorne beginnen, aber das heilige Band der Ehe fesselt mich an die erste Liebhaberin, wir haben der Kinder viere.«

Marcus reichte ihm voll Mitgefühl die Hand, die der Maler zärtlich an die Brust drückte.

Kurz darauf zog Phillips nach London, wo es ihm bald gelang, am Ophelia-Theater für kleinere Rollen engagiert zu werden. Er mietete in der Fitzroy-Street ein Dachkämmerchen und arbeitete angestrengt, denn er wußte, daß er noch viel lernen und seine ganze Energie und Ausdauer anspannen müsse, um sein Ziel zu erreichen. Bei einem bekannten Künstler in Kensington nahm er Unterricht im Modellieren; doch versäumte er dabei nicht, sich in seiner schauspielerischen Laufbahn zu vervollkommnen, und lernte bei Hauptmann Dankers Fechten und mit dem Säbel umgehen.

Nach drei Jahren fleißigen Studiums fing er an, Bilder zu malen, die ihm von Kunsthändlern für hübsches Geld abgekauft wurden, so daß er sich von der Bühne ganz zurückziehen konnte.

An dem Nachmittage, da unsere Erzählung begann, stand der junge Künstler träumerisch vor seiner Staffelei; mit der Arbeit ging's nicht vorwärts, denn seine Gedanken folgten Capri. – Nein, nein, es war unmöglich, daß sie dem Gelde so viel Wert beimaß, wie sie sagte, und um jeden Preis nach Reichtum strebte. – Ihr Charakter war so eigenartig, so impulsiv, daß man nur schwer beurteilen konnte, ob ihre Worte vom Herzen kamen und ob sie auch wirklich empfand, was sie sprach. – Sie wußte es oft selbst nicht recht. Ihr Leben floß nicht gerade angenehm dahin, sie fühlte sich trotz der vielen Freunde, – Schriftsteller, Maler, Schauspieler, – die bei ihrem Vater fechten lernten und alle mehr oder minder schwer ums tägliche Brot kämpfen mußten, sehr vereinsamt. Capri war der erklärte Liebling aller, und sie wetteiferten darin, ihr Freikarten für Theater, Konzerte und Gemäldeausstellungen zu geben, ihr Bücher und Noten zu leihen, und es kam nicht selten vor, daß der eine oder der andere sie aufsuchte, um ihr ein Kapitel eines Romanes oder ein Epos, das eben beendigt worden, vorzulesen. Nie hätte es jemand gewagt, sie mit Worten oder Blicken zu beleidigen, ihr nahezutreten. Und doch bedauerte Marcus das hübsche Kind, das niemals die Annehmlichkeit und Wohltat eines geregelten Familienlebens gekannt. All die Einflüsse des heimischen Herdes, die das Leben der meisten jungen Mädchen so angenehm gestalten, sie vor Gefahren und Sorgen schützen, hatte sie stets entbehrt. Sie kannte nur wenige ihres Geschlechtes, da sie sich schwer in den englischen Charakter zu finden vermochte. Sie war eben so ganz anders als die jungen Mädchen ihres Alters, mit denen sie in Berührung kam.

Marcus Phillips, der all dies und noch mehr dachte, ahnte gar nicht, daß sein Gefühl für Capri mehr als Mitleid sei. Liebe offenbart sich oft zuerst in Gestalt von Mitleid, und von dem einen zum anderen ist nur ein Schritt. Ganz anders Capri; sie wußte, daß der Künstler sie liebte. Das Weib hat eine gewisse Intuition für Liebesempfindungen und fühlt, daß der Mann sie liebt, ehe dieser noch von dem Vorhandensein der Leidenschaft träumt. Capri war bei ihrer Entdeckung von gemischten Gefühlen beseelt. Es schmeichelte ihr und erfüllte sie mit Stolz, seine Liebe gewonnen zu haben, sie fühlte sich aber derselben unwürdig, weil sie empfand, daß sie dieselbe nicht würdigen und erwidern konnte.

Während der Künstler noch darüber nachdachte, was das junge Mädchen ihm über den Wert des Geldes und der Schönheit in der heutigen Welt gesagt, pochte es an seine Tür, und sein Freund Newton Marrix trat ein.

»Du kommst mir gerade recht, alter Knabe. Ich brauche deinen Rat, der mir stets wertvoll ist,« sagte er und drückte dem Eintretenden die Hand. »Sieh dir mal diese Kleckserei an. Findest du den Himmel nicht zu gelb?«

»Nenne ihn lieber goldig.«

»Also goldig. Unser Publikum liebt zwar den Sonnenuntergang so zwischen den Farben Torneus und Rühreiern.«

»Nein, er ist nicht zu goldig,« entgegnete Marrix, ein in der Gunst des Publikums steigender Schriftsteller, der, wie es sich für einen solchen ziemte, bemüht war, in Kunstsachen strenge Kritik zu üben. »Aber ich glaube, ein leichter rosenroter Strich –«

»Sagen wir: karminroter.«

»Dort unten, ganz nahe den Wellen, würde er das Bild bedeutend verbessern,« bemerkte Marrix, der, mit der rechten Hand die Augen beschattend, wenige Schritte von der Staffelei entfernt stand und die Leinwand aufmerksam musterte.

»Ich werde den gewünschten Strich machen, solange du hier bist, damit du den Effekt bewundern kannst. – Dort auf dem Tischchen findest du Zigaretten, und auf dem Kaminsims steht der Tabaktopf, falls du deine Pfeife mitgebracht.«

»Famose Idee das!«

»Die Pfeife oder mein Sonnenuntergang?«

»Natürlich der Sonnenuntergang. Er muß sich in den Wellen widerspiegeln, die, nebenbei bemerkt, sehr grün sind.«

»John Bull schwärmt für grelle Farben. Ich sage dir, Freund, dieses Stück Leinwand wird nunmehr Sensation erregen,« bemerkte der Künstler, emsig weitermalend. »Rote Sonne, goldene Wolken, grüne See, weißbesegelte Boote, gelber Sand. Der britische Käufer wird für sein Geld Farbe genug bekommen.«

»Bei Gott, Marc, es ist ein reizendes kleines Bildchen, und seine dreißig Guineen wert.«

»Ich werde froh sein, wenn es zehn bringt.«

»Nur Geduld, in einem Jahrzehnt wird dir ein Stück Leinwand in dieser Größe mindestens hundert eintragen.«

»Ich wünschte, du würdest dich als Prophet im eigenen Vaterlande bewähren.«

»Ich wünsche es in deinem Interesse, alter Knabe.«

»Welche Fortschritte macht dein neuer Roman?«

»Nur langsame, heute habe ich, um der Poesie gerecht zu werden, einen Mann umgebracht, und einige andere Personen der Erzählung mögen zittern, denn auch ihnen droht dasselbe Schicksal.«

»Blutdürstiges Ungeheuer!«

»Meine Heldin hat zwei Gatten; der erste läßt sie im Stiche, dem zweiten entläuft sie, und alle übrigen Figuren verlieben sich nach dem Muster der ›Wahlverwandtschaften‹. – Ich sage dir, mein Junge, wenn ein aufstrebender Autor Anerkennung finden will, muß er seine Bücher so schreiben, daß sie für niemand geeignet sind, – dann wird sie sicherlich jedermann lesen und er bald auf dem Gipfel des Parnaß stehen.«

»Ist das der Weg zum Ruhme?«

»Einer der Wege. Der melodramatische Schurke mit dem bösen Gesichte und den boshaften Augen und die süße Naive sind mit der letzten Generation ausgestorben. Die Schurken von heute, die der Dichtung und der Wirklichkeit, tragen tadellose Wäsche und sehen wie Engel aus. Die Heldinnen sind nicht mehr die liebe Unschuld aus der arkadischen Schule, sondern Kinder der Hölle.«

»In der Dichtung muß es so sein, aber nicht im wirklichen Leben.«

»Ach, mein Junge, die Dichtung ist nur der Widerschein unserer Zeit, ein Bild der heimatlichen Zustände. Die Farben sind treu. Wenn man das Leben der Männer und Frauen, die man täglich dutzendweise umherirren sieht, erzählen könnte, es würde seltsamer klingen, als der seltsamste Roman, und markerschütternder, als die Phantasie des kühnsten Dichters erdenken kann. Das Unwahrscheinliche ist stets das Wahrscheinlichste, hat einmal ein Dichter richtig bemerkt.«

»Die menschlichen Geschicke und die menschlichen Herzen sind Mysterien, die wir oft gar nicht begreifen können.«

»Man lebt besser ohne sie,« antwortete Marrix. »Es sind Luxusartikel, – die Herzen nämlich, – die man in unseren Tagen erschwingen kann! ein Mann ist viel besser daran ohne Herz.«

»Das leugne ich.«

»Glaube mir, seine Tasche ist viel besser daran,« sagte Newton leichthin, aber ohne jeden Zynismus.

»Ihr Schriftsteller habt nicht mit solchen Schwierigkeiten zu kämpfen, als wir Künstler.«

»Wieso? Das kann ich gerade nicht finden.«

»Wir können keine Weiber malen, die ihren Männern entlaufen, noch auch Leute, die sich unter Mißachtung der landläufigen Moral verlieben.«

»Nein, aber ihr könnt Studien nach Modellen machen, die auch nicht der leichteste Flor bedeckt. Diese süßen, schlanken und nackten Leiber gefallen dem Publikum und locken es an. Versuche dich in dieser Richtung, und du wirst bei deinem Talente in sechs Monaten mehr Geld verdienen, als mit Landschaften in ebensoviel Jahren.«

Marcus Phillips lachte nur und beugte sich über die Leinwand, um die grünen Wellen besser ausführen zu können.

»Ohne Scherz, Marc, versuche es einmal! Dann kannst du Meroyn, den Kunstkritiker des ›Telegramm‹, veranlassen, einen Artikel zu schreiben, in welchem er die Nacktheit in der Kunst im allgemeinen und in deinen Bildern im besonderen heruntermacht und in einigen kraftvollen Sätzen den Lesern klarlegt, wie diese Richtung dem verdorbenen, überreizten Geschmacke der heutigen Generation Vorschub leistet. Auf diese Lockspeise beißt der ehrliche Brite und seine entrüstete Gemahlin stets an. Beide verstehen von Kunst so viel, wie ein Kannibalenkönig, und leben in dem Glauben, daß Nacktheit Häßlichkeit bedeute.«

»Du willst mich also von vornherein und für alle Zeiten verurteilt und niedergedonnert sehen?«

»Lieber Junge, du irrst. Meroyns Artikel würde täglich von mindestens einem Dutzend Zeitungsschreibern widerlegt und beantwortet werden; du selbst könntest eine Anzahl von Artikeln unter verschiedenen Namen veröffentlichen. Und während du so angegriffen und verteidigt wirst, ist dein Name in aller Leute Mund und dein Ruhm begründet.«

»Das Nackte in der Kunst deucht mir niemals profan,« warf der junge Maler ein.

»Niemand von Bildung und Geschmack; aber auf unsere Philister wirkt es wie das rote Tuch auf den Stier. Diese Esel brüllen so laut wie die Löwen über jeden neuen Schritt in der Kunst, welche die Zivilisation bedeutet, und die Welt ist zum Überströmen voll von solchen Langohren.«

»Sie sind in ihrer Weise manchmal nützlich.«

»Ja, das gebe ich dir gern zu. Ihr Geschrei erregt Aufmerksamkeit. Jeder Fortschritt in Wissenschaft und Kunst – sei's ein Bild, ein neuer Gedanke in einer Dichtung, eine neue Ära in der Musik oder die Ankündigung einer seltsamen psychologischen Tatsache – veranlaßt sie, sich in ihrer Leidenschaft auf der Fahrstraße der öffentlichen Meinung umherzuwälzen. Der Staub, den sie damit aufwirbeln, macht die Welt aufblicken. Auf diese Weise erfüllen sie unbewußt ihre Mission.«

»Und es gereicht denen zum Vorteile, die sie mit ihrem sinnlosen Geschrei verderben wollten.«

»So ist's. Über unserem Geplauder hätte ich beinahe den eigentlichen Zweck meines Besuches vergessen. Ich wollte dich zu Mistreß Stonex' Nachmittags-Empfang abholen; dort kannst du über Kunst und Literatur plaudern, bis du ganz blau im Gesichte wirst.«

»Eine sehr unkünstlerische Farbe für ein menschliches Antlitz. Übrigens kenne ich die Dame gar nicht und kann mich ihr doch nicht aufdrängen.«

»Das sollst du auch nicht. Ich werde dich bei ihr einführen, und zwar heute schon. Ein prächtiges Weib, sage ich dir! Sie wird sich freuen, dich kennen zu lernen, denn sie interessiert sich für alle Künstler.«

»Wenn du die Verantwortung übernimmst, will ich rasch den Rock wechseln.«

»Das laß dir ja nicht einfallen! Sie hat eine Schwäche für Samtröcke, namentlich, wenn sie mit Farbe vollgespritzt sind. Bleibe, wie du bist, so siehst du künstlerischer aus. Versuche auch nicht, deine Mähne zu bürsten, das würde sie dir niemals verzeihen, und lasse die Krawattenenden mit Bryonscher Grazie und Nachlässigkeit getrost flattern!«

»Das sieht aber verflucht unordentlich aus.«

»Die erste Pflicht, die wir uns und unsern Kunstfreunden schuldig sind, besteht darin, so malerisch als möglich auszusehen. Weißt du, Marc, daß Weiberaugen die getreuesten Spiegel für das starke Geschlecht sind? Wenn schon die äußere Erscheinung des Mannes ein Weib bestrickt, so kann er auf diesen Sieg stolz sein.«

»Verstehen sich die Frauen aber auch so gut auf die Beurteilung des inneren Menschen?«

»Dieser kommt in der modernen Gesellschaft gar nicht in Betracht. Moral und Geist stehen in zweiter Linie. Ein gut sitzender Rock gefällt besser, als ein guter Charakter. Wenn man sich nur nach dem neuesten Modejournal kleidet, was liegt da weiter an der Seele! Man ist hochherzig genug, diese dem Besitzer und der Vorsehung zu überlassen! Komm, komm, mein Junge, es wird spät.«

»Nur noch einen Augenblick!«

»Bei Gott, du wirst im Salon meiner Freundin Aufsehen erregen.«

»Aber die Hände darf ich mir doch wenigstens waschen?« fragte der Künstler lachend und eilte ins Schlafzimmer, um sich die Farbe von den Fingern abzuspülen.

»Beeile dich!« war die einzige Antwort, die er darauf erhielt. Nach wenigen Augenblicken machten sich die beiden auf den Weg zu Frau Stonex.


 << zurück weiter >>