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7. In der Grosvenor-Galerie.

Die ersten Tage des Mai waren herangerückt und mit ihnen heller, warmer Sonnenschein. Die Bäume in den Parks und Squares schienen über Nacht ihren Blätterschmuck bekommen zu haben; wohin das Auge blickte, erfreute es sich am keimenden Grün.

›Rotten Row,‹ – eine fashionable Reitallee im Hyde-Park – war jeden Morgen mit eleganten Reitern und Reiterinnen überfüllt, und am Nachmittag konnte man alle Berühmtheiten und Schönheiten Londons bewundern. Drei neue Stücke von bekannten Autoren lockten jeden Abend das Publikum in die drei besten Theater, und alle Bildergalerien standen dem Publikum den ganzen Tag zur Besichtigung offen. In diesem Jahre bildete die ›Grosvenor‹ den Hauptanziehungspunkt für die feine Welt. Die Anhänger der präraffaelitischen Schule waren sehr stark vertreten. Viele Besucher hielten deren Bilder für Meisterwerke, andere wieder meinten, daß es schade um die Arbeit und die gute Farbe sei.

Das Bild eines jungen Künstlers, ›Die Vision von Jephthas Tochter‹ darstellend, erregte allgemeine Bewunderung. Am nächsten in der Gunst des Publikums stand ›Die Bettelmaid‹. Diesem war der Name Marcus Phillips' noch fremd, und daher war es auch anfangs unschlüssig, wie es sich gegen ihn und sein Werk verhalten sollte.

In allen Salons sprach man von den beiden Bildern, und vom Morgen bis zum Abend drängten sich die Leute in die ›Grosvenor‹, teils um ›Jephthas Tochter‹, teils um ›Die Bettelmaid‹ zu sehen.

Marcus Phillips hatte für die erste Ausstellungswoche einen Nachmittag bestimmt, an welchem er Capri dahin begleiten wollte.

»Ich sterbe vor Ungeduld,« sagte das Mädchen, »und fürchte mich doch, dahin zu gehen. Ich bin überzeugt, der Anblick des Bildes wird mich laut aufweinen machen.«

»Unsinn, Capri, das bildest du dir nur ein.«

»Es ist kein Unsinn, mein Lieber. Du hast keine Ahnung, in welch fieberhafter Aufregung ich mich befinde, wenn ich mir jeden Morgen drüben vom Papierhändler die Zeitungen borge, um die Kritik, die an mir geübt wird, zu lesen.«

»Du hast doch noch nichts Unangenehmes gefunden?«

»Das nicht; weißt du, Marc, was ich gerne tun möchte?«

»Was?«

»In einem mich unsichtbar machenden Mantel einen ganzen Tag vor dem Bilde stehen, um alle Bemerkungen zu hören, welche die Vorübergehenden darüber machen.«

»Ich glaube, die Lust dazu würde dir bald dabei vergehen,« entgegnete der Künstler lächelnd.

»O, wir Frauen ermüden niemals, Angenehmes über unsere Person zu hören.«

»Nun gut, du kannst vor der ›Bettelmaid‹ sitzen, so lange es dir Vergnügen bereitet. Ich hole dich am Mittwoch nachmittag ab.«

»Bis dahin werde ich meine Toilette in Ordnung gebracht haben, damit du dich meiner nicht zu schämen brauchst,« bemerkte sie schelmisch. Im Geiste dachte sie darüber nach, wie sie ihren Vater würde veranlassen können, ihr eine Guinee für ein neues Kleid zu schenken, denn ihr altes war schon gar zu abgetragen für eine so ›feierliche‹ Gelegenheit.

»Kann ich dir in irgendeiner Weise behilflich sein?« fragte er zärtlich, senkte aber dabei verlegen seinen Blick zu Boden.

»Nein, mein Freund,« entgegnete sie dankbar. Sie hatte mit der raschen Intuition des Weibes seine Absicht, ihr eine beliebige Summe vorzustrecken, erraten. »Verlaß dich darauf, meine Mittel sind ausreichend, und du wirst von meiner Toilette überrascht sein.«

Endlich kam der ersehnte Mittwoch, und mit ihm Marc, um seinen Schützling abzuholen, der ihn schon sehnsüchtig erwartete. Als er ins Wohnzimmer trat, fand er dieses leer; er ließ sich ruhig in einen Stuhl nieder, plötzlich sprang Capri hinter der Tür, wo sie sich versteckt gehalten, kichernd hervor und blieb, als er ihr die Hand entgegenhielt, vor ihm stehen, verbeugte sich graziös und sagte:

»Wie gefalle ich dir jetzt?« Sie betonte das letzte Wort, um ihn aufmerksam zu machen, daß etwas in ihrer äußeren Erscheinung verändert sei.

»O!« rief Marc erstaunt aus und verstummte dann.

»Das ist alles, was ihr Männer sagen könnt! – Wie gefällt dir mein neuer Hut? Ich habe ihn selbst garniert. – Du bewunderst mich doch, nicht wahr?« Das alles rief sie in einem Atem.

Sie war wirklich bewundernswert. Die Veränderung in ihrer Toilette verminderte zwar einerseits ihre Reize, steigerte sie jedoch andererseits: Sie hatte ihr dunkles Haar tief in die Stirn gebürstet, ein großer Rembrandt-Hut beschattete ihr kleines, olivenfarbiges Gesicht, ein enganliegendes, hellgraues Kleid aus weichem Stoff schmiegte sich an ihren wohlgeformten Leib, und die niedlichen, in französischen Schuhen steckenden Füßchen guckten kokett hervor.

»Ich habe dir immer gesagt, daß ich eines Tages höchst vornehm aussehen werde,« sagte sie, indem sie bewundernd ihren Rock glättete.

»Und du hast Wort gehalten,« entgegnete er lächelnd, »ich hätte dich beinahe nicht erkannt.«

»Sieh dir mal die Handschuhe an. Sechs Knöpfe. Nicht einer weniger. Der alte Pallamari hat sie mir geschenkt, als er hörte, daß ich die Galerie besuchen würde. Wie gut sie zur Farbe meines Kleides passen!«

»Und das silberne Armband?« fragte der Künstler.

»Lord Harrick brachte es mir neulich,« sagte sie leichthin.

»Lord Harrick?« rief er erstaunt aus.

»Ja, Papa hatte ihn beim Fechten verwundet, und ich spielte die Rolle einer barmherzigen Schwester. Am nächsten Tage schickte er mir das Ding da. Papa sagte, ich könne es annehmen. Blicke doch nicht so zornig. Ist denn etwas Schlimmes dabei?«

Er gab keine Antwort. Ein düsterer Schatten überflog einen Augenblick sein Gesicht, aber das junge Mädchen bemerkte es nicht oder tat, als ob sie es nicht bemerke, und blickte in einen kleinen Spiegel, der an der Wand hing. Der Vorfall mißfiel Marc, er fühlte jedoch, daß er kein Recht habe, etwas zu rügen, was der Vater Capris für gut fand, auch wollte er es gerade an diesem Tage vermeiden, ihre gute Stimmung zu trüben.

»Ich glaube nicht, daß die Leute ›Die Bettelmaid‹ im Rembrandt-Hut suchen werden,« sagte Capri lächelnd, als sie die Bondstraße entlangfuhren. »Ob die Galerie heute stark besucht sein wird?«

»Kein Zweifel,« antwortete der Künstler, der seine gute Laune wiedergefunden hatte.

»Werde ich aber auch wirklich hören, wie die Leute über mich urteilen?«

»Gewiß, wenn du Lust hast, darauf zu achten.«

Als sie die große Vorhalle der Galerie betraten und Capri die weiße, breite Marmortreppe, die beiden Diener in hellblauer Livree hinter den Flügeltüren, und die hinauf- und hinabströmende Menschenmenge erblickte, empfand sie etwas wie Angst. Sie hatte die ›Grosvenor‹ noch niemals gesehen, und alles erschien ihr neu und überwältigend. Sie hatte die Empfindung, als ob sie ein Teil dieser Schaustellung wäre oder in irgendeinem Zusammenhange mit ihr stünde. Denn drängte sich die Menge nicht herbei, um ihr Bild anzustarren, darüber zu medisieren und zu kritisieren? War ihr Gesicht nicht mit die größte Anziehungskraft in der bisherigen Ausstellung? Sie war überzeugt, daß alle Vorübergehenden sie anstarrten, während sie mit Marc nach dem Mittelzimmer, wo ›Die Bettelmaid‹ hing, zustrebte.

Die größten Ereignisse in unserem Leben, die wir oft gar nicht vorauszusehen wagen, nehmen, wenn sie noch so unerwartet eintreten, den gewöhnlichsten Charakter an. Die Erfüllung unserer Wünsche bleibt stets hinter den Erwartungen zurück. Auch Capri wunderte sich über sich selbst, wie sie so ruhig vor dem Bilde, das sich hier so herrlich ausnahm, zu sitzen vermochte. Sie hatte zu Hause gedacht, ihr Herz würde vor Freude springen.

»O Marc,« flüsterte sie mit zurückgehaltenem Atem, »das Bild ist wundervoll; es nimmt sich hier weit besser aus, als in deinem Atelier.«

»Die Umgebung trägt viel dazu bei.«

»Ich kann mir nicht helfen, aber ich muß es wiederholen, es ist überwältigend schön, und dann dies herrliche Zimmer, die livrierten Diener und die weißen Marmortreppen! Ich habe das Gefühl, als ob dies alles mir gehörte.«

Beide lachten über diesen Einfall.

»Das ist nicht mein Verdienst, Mutter Natur meinte es eben gut mit dir,« gestand er ehrlich.

Sie fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoß und ein seltsam seliges Gefühl ihr junges Herz erfüllte. Sie blieb die Antwort schuldig und blickte ›Die Bettelmaid‹ an, die ihr wie ein guter alter Freund zuzuwinken schien. Auch Marc vermochte seinen Blick nicht von dem Bilde zu wenden und prüfte die Wirkung, die es, von verschiedenen Seiten gesehen, hervorbrachte. Capri würdigte jetzt auch die anderen Bilder einer Besichtigung, aber nicht, weil sie sie besonders interessierten oder weil sie einen Vergleich mit Marcs Werk anstellen wollte, sondern nur, weil sie wußte, daß ihre Anerkennung für dieses steigen werde. Dann unternahm sie einen Rundgang durch die Galerie, um die Besucher zu beobachten; es hatte stets zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehört, Gesichter zu studieren; man lernt oft viel durch Beobachtung von Kleinigkeiten, denn aus diesen setzt sich ein Menschendasein zusammen.

Die Galerie war überfüllt, alle Diwans und Stühle waren besetzt, und immer kamen und gingen neue Gruppen. Eine alte Dame durchschritt die Räume mit einer Doppelbrille auf der Nase und dem Katalog in der Hand, dem sie weit mehr Aufmerksamkeit schenkte, als den Bildern selbst, die sie nur mit einem flüchtigen Blicke streifte, denn sie war fest entschlossen, sämtliche an dem einen Nachmittage zu sehen.

Newton Marrix und seine Begleiterin kamen nur langsam näher, denn er erklärte ihr jedes Bild und erzählte ihr Anekdoten über die betreffenden Künstler, denen sie aufmerksam lauschte.

Plötzlich blickte Newton auf und erkannte seine Freunde.

Er flüsterte der Dame etwas zu, und beide näherten sich Capri.

»Ah, Fräulein Capri!« begrüßte er diese, ihr die Hand reichend. »Das ist eine Überraschung! Du Schlaukopf!« wandte er sich an Marc, »hast mir ja gar nicht verraten, daß du heute unsere Freundin herbringst. Mrs. Lordson, gestatten Sie, daß ich Ihnen meine Freunde vorstelle: Fräulein Dankers und Herrn Marcus Phillips.«

»Bin hoch erfreut, die Herrschaften kennen zu lernen,« entgegnete diese in der nasalen Sprechweise, die den Amerikanern eigen ist.

Marcus erhob sich sofort und bot ihr seinen Platz auf dem Sofa an, in das sie sich mit jenem Behagen sinken ließ, welches alle korpulenten Leute nach physischer Anstrengung empfinden, wenn ihnen die Ruhe winkt.

»Ich danke Ihnen, denn ich bin wirklich froh, ein Weilchen sitzen zu können,« sagte sie, ihr kostbares, mit einem großen Aufwande von Spitzen garniertes dunkelrotes Atlaskleid glättend.

Mrs. W. Achilles Lordson, eine reiche amerikanische Witwe, war nur nach England gekommen, um, wie sie offen gestand, die ›Gesellschaft‹ Londons kennen zu lernen. Sie hatte sich vorgenommen, mit den Mitgliedern der oberen Zehntausend in Verbindung zu treten, die berühmten Männer und Frauen von Angesicht zu Angesicht zu sehen und zu sprechen, kurz, in die Mysterien der vornehmen Welt einzudringen.

Die Tochter der Republik setzte eben ihren Ehrgeiz darein, ›noble‹ Bekanntschaften zu machen. Der vor zwei Jahren verschiedene W. Achilles Lordson hatte sich durch Schweineschlächterei ein unermeßliches Vermögen erworben, das er seiner kinderlosen Witwe zur alleinigen Verwaltung und Benützung hinterließ und wodurch er sie in die angenehme Lage versetzte, den größten Luxus treiben zu können. Von dem unerwarteten Tode des Gatten niedergebeugt, mußte sie eine Erholungsreise antreten.

Da eine Anzahl ihrer Bekannten sich nach Europa einschifften, schloß sie sich ihnen an. Sie hatte einen Winter still in Florenz verlebt und sich dann etwas getröstet von ihren Freunden getrennt, um Rom kennen zu lernen. Von da war sie nach Frankreich gegangen und hatte vier Monate in Paris verbracht, aber ›ich liebe die Ausländer nicht, man versteht nie, was sie sprechen, denn sie schwatzen und kreischen wie die Affen,‹ erzählte sie Newton in ihrer lebhaften Weise. Vor kurzem war ihr die Idee gekommen, England mit ihrer Anwesenheit zu beglücken und vorläufig London zu ihrem Wohnorte zu erwählen. In dem vornehmen Mayfair richtete sie sich ein elegantes Heim ein. Nach einer vierzehntägigen Anwesenheit in der Stadt führte sie der Zufall Newton Marrix in den Weg. Ein gemeinsamer Bekannter, auf dem Sprunge, nach Norwegen zu reisen, machte sie miteinander bekannt und ersuchte Newton, Mrs. Lordson in alle Mysterien der Saison einzuweihen, was er auch bereitwillig versprach.

Die Amerikanerin sah in dem liebenswürdigen jungen Schriftsteller, der wie ein Schmetterling in der Gesellschaft ein und aus flog, von jedermann gekannt wurde und jedermann kannte, einen Menschen, der ihr vielfach nützlich sein konnte. Newton hinwieder war klug genug, sofort den Schluß zu ziehen, daß ihm die Freundschaft der in dem ungeheuren Häusermeer Londons gestrandeten reichen Witwe, deren Sucht nach Bekanntschaften er leicht zu befriedigen vermochte, große Vorteile bieten konnte. In diesem, wenn auch unausgesprochenen Bewußtsein, einander Dienste leisten zu können, gestaltete sich ihr Verkehr sehr angenehm.

Mrs. Lordson, hochgewachsen, wie fast alle ihre Landsmänninnen, war vielleicht etwas zu stark und rundlich. Ihrem Gesichte, das bei warmem Wetter wie poliert aussah, hatte die Natur den Stempel der Gutmütigkeit aufgedrückt, weiter aber auch nichts. Die meisten Männer würden sie trotz ihrer auffallenden Erscheinung und ihres mittleren Alters für ein hübsches Weib erklärt haben. Wenn sie ging, warf sie ihr Haupt zurück; ihre Haltung drückte eine gewisse Freiheit der Bewegungen und eine Energie aus, die sehr angenehm wirkte.

Frau Lordson legte eine Vorliebe für bunte Farben an den Tag, auch alte Spitzen erschienen ihr für eine Dame von Welt unentbehrlich. Ihr dunkelrotes Seidenkleid, dessen echte Spitzen ein kleines Vermögen gekostet, bedeckte die verschüchterte Capri, die noch niemals solche Pracht in der Nähe gesehen.

»Mr. Phillips ist der Maler, der Nummer 79 gemalt hat,« bemerkte Newton nicht ohne Absicht.

»Wirklich?« rief die Dame erfreut aus, und etwas wie Ehrfurcht beschlich sie bei dem Gedanken, einem anerkannten Künstler gegenüberzustehen. Ein angenehmes Lächeln verschönte sein offenes, ehrliches Gesicht, aus dem zwei blaue Augensterne ihr entgegenstrahlten, die ihr gefielen.

»Und Miß Dankers ist das Original zur ›Bettelmaid‹,« fuhr Newton fort, nachdem er der Dame Zeit gelassen, sich von ihrem Erstaunen zu erholen.

»Ist das Ihr Ernst?« fragte sie jetzt noch mehr überrascht, und blickte von Newton auf das Bild, und von diesem auf Capri, der die Szene bereits Spaß machte. »Wahrhaftig, Sie haben recht,« rief sie aus, nachdem sie das Antlitz des Mädchens mit dem der ›Bettelmaid‹ verglichen. Sie erhob sich mit einiger Anstrengung vom Diwan, trat dicht an das Gemälde heran, dann wieder vor Capri und fixierte beide.

»Sieht es mir ähnlich?« fragte Capri gutgelaunt.

»Das will ich meinen!«

»Eine Tatsache, die niemand leugnen kann,« bemerkte Newton trocken.

»Es wäre für mich auch nicht sehr schmeichelhaft, wenn man es könnte,« warf jetzt Marcus Phillips ein.

»O, es ist wundervoll!« sagte die Amerikanerin begeistert, »ebenso wundervoll wie das Original selbst.« Sie nahm wieder auf dem Diwan Platz und dankte dem Schriftsteller im stillen, daß er sie mit so bemerkenswerten Personen bekanntgemacht. Capris Augen fielen zufällig auf die massiv goldene Kette, an der viele Kleinode baumelten, und wanderten dann weiter auf das gutmütige Gesicht der Dame. Ihre Augen begegneten sich, und Capri lächelte ihr vergnügt zu. Dieses sonnige, gewinnende Lächeln drang direkt in Mrs. Lordsons Herz und erwärmte es wie ein Sonnenstrahl.

»Wie schön Sie sind!« bemerkte sie in einer plump-mütterlichen Weise und starrte Capri bewundernd ins Gesicht.

»Herr Phillips hat mich auf dem Bilde sehr idealisiert,« antwortete diese bescheiden. Sie ließ das vertraute ›Marc‹ fallen und tat, als ob die Komplimente dem Bilde und nicht ihr gälten.

Die Amerikanerin war sich nicht recht klar, was Capri unter dem Wort ›idealisieren‹ verstand und nahm sich vor, Newton Marrix, den sie bereits als ihren Mentor betrachtete, bei nächster Gelegenheit, wenn sie unter vier Augen mit ihm sein würde, darnach zu fragen.

»Wir gehen jetzt in eine andere Abteilung der Galerie, um ›Jephthas Tochter‹ zu bewundern,« sagte New; mit ›wir‹ meinte er sich und Marc.

»O, es ist ein Kunstwerk,« ließ sich die Amerikanerin hören, die das Bild schon gesehen und von Newton über dessen künstlerischen Wert belehrt worden war.

Die Herren verneigten sich, und entfernten sich Arm in Arm, die Damen zurücklassend – eine wohlberechnete Absicht des Schriftstellers.

»Haben Sie das Bild ›Jephthas Tochter‹ gesehen?« begann Frau Lordson.

»Nein, wir waren noch nicht lange hier, als wir das Vergnügen hatten, Sie zu treffen, aber ich möchte es gerne sehen.«

»Das müssen Sie auch. Es stammt aus der präraffaelitischen Schule,« belehrte die Amerikanerin, die eine Manie hatte, Kenntnisse über Kunst auszukramen, aber nichts davon verstand.

»Gedenken Sie lange in London zu bleiben?« fragte Capri bescheiden.

»Ich will mich gänzlich hier niederlassen und habe in Mayfair ein kleines Haus gemietet – für mich ist's jedoch groß genug, denn ich besitze weder Kind noch Kegel in der ganzen weiten Welt«

Das Mädchen bewegte zufällig ihren rechten Arm, und ihr etwas zu großer Silberreif fiel zu Boden. Sie bückte sich rasch danach, um ihn den Blicken ihrer Gefährtin zu entziehen. Sie hatte ihn bis heute für hübsch und wertvoll gehalten, aber seit sie Mrs. Lordsons kostbare massive Armspangen gesehen, erschien er ihr häßlich.

»Wie hübsch Ihr Reif ist!« sagte diese verbindlich und von dem Wunsche beseelt, dem Mädchen eine Freude zu bereiten.

»Er ist einfach; Lord Harrick hat mir ihn geschenkt.«

»Lord Harrick!« wiederholte die Amerikanerin, auf die der Name des Vicomte die von Capri beabsichtigte Wirkung ausübte.

»Er ist Papas Freund,« sagte Capri in einem Tone, als ob das eine selbstverständliche Sache sei, daß ihr Vater mit den Pairs des Reiches verkehre.

»Gehen Sie oft in Gesellschaft?«

»Nein, wir leben sehr zurückgezogen. – Ah, da kommen unsere Freunde wieder.« Die Amerikanerin hätte gern noch verschiedene Fragen gestellt, aber Newton und Marc waren bereits in Hörweite, und so beschränkte sie sich denn darauf, Capri aufs wärmste einzuladen.

»Sie versprechen mir, recht bald zu kommen, liebes Kind?«

»Mit großem Vergnügen,« beeilte sich Capri zu versichern.

»An einem Vormittag, wenn ich allein bin. Sagen wir nächsten Montag. Paßt es Ihnen gegen zwölf Uhr?«

»O ja, sehr gut,« entgegnete sie eifrig. Diese Einladung erfüllte sie mit einem Entzücken, das sie kaum verbergen konnte. Sie war damit wieder um einen Schritt ihrem ersehnten Ziele nähergerückt und freute sich über den günstigen Eindruck, den sie auf die reiche Amerikanerin gemacht. Sie hatte die erste Gelegenheit, die ihr das Schicksal geboten, sich vorwärtszubringen, geschickt ausgenützt und war zufrieden mit sich.

»Ich glaube, wir könnten jetzt aufbrechen,« wandte sich Mrs. Lordson an ihren Mentor, als dieser mit seinem Freunde zurückgekehrt war. »Ich bin schon ganz verwirrt von all den Bildern. Macht Ihnen das viele Sehen nicht auch Kopfweh?« fragte sie Capri.

»Nein, ich finde es entzückend,« entgegnete diese. Sie hatte bis jetzt zwar noch nicht viele Galerien gesehen, sprach aber trotzdem mit der Begeisterung eines routinierten Bilderjägers.

»O, Marc,« rief Capri ungestüm, als die beiden gegangen, »warum hast du nicht mehr mit ihr gesprochen? Sie hat in Mayfair ein Haus gemietet und betet die Kunst an, wie sie erzählt!«

»Nun?«

»Nun; wenn sie ein Haus hat und die Kunst anbetet, kauft sie auch Bilder. – Sie ist sehr reich,« sagte das berechnende Mädchen und blickte überlegen zu dem blonden Manne an ihrer Seite auf.

»Woher diese Weisheit?« fragte er scherzend.

»Woher deine Träumerei?« ahmte sie seinen Ton nach. »Du solltest die Bekanntschaft mit dieser Frau pflegen. Wenn ich du wäre, würde ich sie baldmöglichst einladen, mein Atelier zu besuchen – das würde sie in Begeisterung versetzen – und ihr dann irgendeinen Ladenhüter für eine tüchtige Summe Geldes verkaufen.«

»Du geldgieriges Geschöpf!«

»Ich sagte dir ja immer, daß ich es bin.«

»Und ich glaubte es dir nie.«

»Aber eines Tages wirst du es glauben müssen.«

»Hoffentlich nicht.«

»Das wird sich zeigen. Aber, um auf Mrs. Lordson zurückzukommen: sie versteht von Kunst absolut nichts, aber sie wird ihr Haus mit Bildern überfüllen, um ihre Unkenntnis zu verbergen. Leute ihres Schlages machen es immer so.«

»Was kümmert das mich?«

»Mein Gott, bist du denn so unpraktisch? – – Du sollst sie verhindern, Schund zu kaufen.«

»Wie kann ich das?«

»Indem du ihr einige deiner Bilder anhängst, z. B. die Moorlandschaft, den Herkules und dergleichen mehr. Sie wird sie dir besser bezahlen, als deine schachernden, hartherzigen Händler. Und du dienst damit dir und ihr gleichzeitig.«


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