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12. Zwei Freunde.

»Capri hat sich noch niemals Mühe gegeben, mir zu gefallen,« sagte Lord Harrick sich. – »Die Mädchen meines Standes sind stets auffällig freundlich mit mir; sie lieben alles, was ich liebe, verabscheuen alles, was ich verabscheue, und tauchen immer dort auf, wo ich mich gerade befinde. Die Kleine tut nichts von allen diesen Dingen, scheint auch nicht nach mir zu fragen, und ich bete sie an, das steht fest. Sie ist ein schrecklich liebes und aufrichtiges Ding, und ich bin überzeugt, daß ich mit ihr glücklicher werden könnte als mit jedem anderen Weibe auf Erden, wenn sie mich nur heiraten wollte. Als ich heute abend ihre Hand in die meinige nahm, zog sie sie nicht zurück, das ist ein günstiges Zeichen; auch trägt sie das Armband, das ich ihr schenkte. Ich hätte mich sicherlich erklärt, wenn der dumme Hauptmann uns nicht im entscheidenden Augenblicke gestört hätte.«

Er verfiel in eine angenehme Träumerei und sah sich als glücklichen Gatten Capris. Während er so in Gedanken versunken dasaß, trat ein Herr ins Lesezimmer, der um einige Jahre älter sein mochte als Lord Harrick. Er ging von Tisch zu Tisch und blätterte flüchtig in mehreren Zeitschriften. Als er in die Ecke kam, wo der Vicomte wachend träumte, stutzte er und beobachtete ihn ein Weilchen; dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht, er berührte die Schulter des Lords und sagte:

»Guten Tag, Harrick! Wie geht's dir?«

»Hallo, Guy! Wie kommst du so plötzlich hierher?« rief dieser, überrascht aufspringend und dem Freunde herzlich die Hand schüttelnd. »Ich hätte eher einen Geist zu sehen erwartet, als dich!«

Guy Rutherford, der mit seiner unerwarteten Ankunft Lord Harrick in solch freudiges Erstaunen versetzte, erfreute sich einer Erscheinung, die man nicht leicht vergessen konnte. Sein Gesicht war weniger schön als charakteristisch; es verwirrte und interessierte jeden, der Physiognomien zu lesen verstand, denn Weichheit und Strenge, Güte und Härte, Munterkeit und Melancholie waren darauf verzeichnet, – ein Gemisch, das auf ein originelles Ganzes schließen ließ. Aus seinem sonnverbrannten Gesichte guckte ein Paar geistvoller stahlblauer Augen mit einem selbstbewußten und doch gutmütigen Ausdrucke in die Welt; auch die gerade, kräftig gebaute Nase bekundete Energie, dagegen ließ die untere Partie des Gesichtes auf eine gewisse Weichheit schließen, namentlich ein Zug um den kleinen, vollen, sinnlichen Mund.

Nicht daß diese Charaktereigenschaften auf den ersten Blick zutage getreten wären, nein, man mußte ihn erst sprechen hören oder nachdenken sehen. Mit der Schnelligkeit eines Blitzes prägte sich alsdann bald diese, bald jene Stimmung darauf aus und verschwand wieder ebenso schnell. Sein interessanter Kopf saß auf einer vollendeten Gestalt von mittlerer Höhe und großer Geschmeidigkeit, die an die traditionelle Schönheit der jugendlichen griechischen Athleten erinnerte.

Lord Harrick schüttelte ihm immer wieder von neuem die Hand und konnte sich kaum von seiner Überraschung erholen.

»Nein, wie ich mich freue, dich endlich wieder zu sehen,« rief er ein über das andere Mal aus.

»Als ich dir das letztemal schrieb, weilte ich in Ägypten.«

»Ja, das ist aber schon länger als ein Jahr her, wenn ich mich recht erinnere.«

»Ich habe seither stets dort gelebt.«

»Seit wann bist du in London?«

»Seit gestern!«

»Setze dich, altes Haus, und erzähle mir von deinen Reisen; du hast wohl schon die halbe Welt gesehen?«

»So ziemlich; ich bin wie der Ewige Jude ruhelos umhergewandert, als ob ich von ihm abstammte. Ich würde ihn schon gern als meinen Ahnherrn anerkennen, wenn ich nur wüßte, daß der alte Mann sich irgendwo zur Ruhe gesetzt und einen eigenen häuslichen Herd gegründet hat, denn er ist wohl nicht weniger ehrbar und dabei weit älter, als der normännische Räuber, von dem ich abstammen soll. Übrigens wollte ich dich demnächst besuchen, Harrick, aber das Schicksal, das mir sonst nicht gerade gewogen ist, hat mir die Mühe erspart.«

»Erzähle mir von dem großen Wunder, das du auf deinen Reisen geschaut.«

Rutherford lachte und entgegnete mit seiner leisen, klangvollen Stimme:

»Soll ich es dir verraten?«

»Auf jeden Fall.«

»Nun denn, das größte Wunder, das ich bis zum heutigen Tage erschaut, war, daß ich dich in tiefe Gedanken versunken fand.«

Lord Harrick lächelte verlegen, gab jedoch keine Antwort.

»Ich möchte dein Beichtvater sein,« begann Guy neckend. »Ich bin überzeugt, daß nur drei Ursachen dich zum Nachdenken veranlassen können.«

»Und diese wären?«

»Entweder ist deine Frau – vorausgesetzt, daß du eine hast – durchgegangen.«

»Falsch; ich bin gar nicht verheiratet.«

»Oder hat dich deine Geliebte im Stiche gelassen?«

»Das ist vor länger als einem halben Jahre geschehen, ohne daß ich etwas vermißte.«

»Dann ist das Schlimmste eingetreten. Du bist verliebt.«

»Unsinn!«

»Erleichtere dein Herz, alter Freund, und gestehe die Wahrheit.«

»Ich sehe, du hast deine alte Gewohnheit, Freunde zu verspotten, nicht verlernt. Ich wünschte, du würdest endlich wie ein echter Engländer in der Heimat bleiben und ein ordentliches Mitglied der Gesellschaft werden.«

»Mich verheiraten –«

»Nun, das wäre noch nicht das Schlimmste.«

»Jetzt hast du dich verraten, Harrick. Du wünschest, daß ich dein Unglück teile.«

»Mein Unglück?«

»Ja, du bist über die Ohren verliebt und gedenkst in den heiligen Stand der Ehe zu treten. Leugne, wenn du kannst, du Heuchler! Ich wußte, daß du früher oder später dem Schicksale aller Lords verfallen würdest, welche die Vorsehung nur deshalb in die Welt geschickt, damit sie heiraten, Erben erzeugen, welche die Ehre und den Ruhm der britischen Aristokratie weiterpflanzen, und wenn sie ihre Pflicht erfüllt, sich zur Ruhe setzen, bis der Sensenmann sie ereilt und sie in der Familiengruft den ewigen Schlaf schlafen.«

»Was für Unsinn sprichst du doch, Guy!«

»Im Unsinn liegt oft die Wahrheit.«

»Hast du für heute etwas vor?«

»Nichts Besonderes. Ich erwarte nur meinen Schneider, der mir für sechs Uhr seinen hohen Besuch angekündigt hat.«

»Das freut mich. Ich erwarte dich also um acht Uhr zum Diner, ich wohne diesmal in meinem Palais in Park-Lane.«

»Ich werde mich pünktlich einfinden; ich brenne vor Neugierde, mit dir über gemeinsame Freunde zu plaudern, die ich seit fünf Jahren nicht gesehen.«

»Nun habe ich noch eine Bitte an dich,« sagte Harrick zögernd. »Es ist nur eine Laune von mir …wenn du in der Dämmerung ein halbes Stündchen opfern könntest?«

»Wie kann ich dienen?«

»Gehe in die Grosvenor-Galerie und sieh dir das Bild Nummer 79 an; es heißt ›Die Bettelmaid‹. Ich möchte gerne wissen, wie dir das Gesicht gefällt, denn ich kenne das Original persönlich,« stotterte er verlegen.

»Mit Vergnügen!«

Lord Harrick drückte Guy dankbar die Hand und entfernte sich eilig. Dieser blieb noch eine Weile zurück, denn das Benehmen des Freundes setzte ihn in Erstaunen. Zum erstenmal in seinem Leben hatte er diesen in Gedanken versunken gesehen. Was mochte das zu bedeuten haben? Er spielte niemals und wettete nur selten, aber selbst wenn er ungeheure Summen durch diese Leidenschaft verlöre, würde dieser Krösus das weder empfinden noch auch einen Gedanken daran vergeuden …Er konnte also nur verliebt sein! Wie mußte das Weib aussehen und welcher Gesellschaft angehören, welche das Herz dieses Mannes in Bande zu schlagen vermochte? Hatte er ihn nicht gebeten, in die ›Grosvenor‹ zu gehen, um dort ein Bild anzusehen – und er kannte das Original? Kein Zweifel, das war die Dame seines Herzens!

»Vielleicht wird mir der Anblick des Bildes das Rätsel lösen …Armer Harrick! Ich muß mir dieses moderne Wunder ansehen, das dich zum Nachdenken veranlaßt hat! Es wird dir wohl sauer genug geworden sein!« Damit sprang er auf, die Treppe hinunter auf die Straße und winkte eine Droschke heran, die ihn nach der Bond-Street fuhr.


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