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8. Der Morgenbesuch.

An dem verabredeten Tage begab sich Capri in das kleine Haus in Mayfair.

Die Uhren der benachbarten Kirchen schlugen in den verschiedenartigsten Tonarten die Mittagsstunde, als Capri den großen Klopfer an der kleinen Tür in Mayfair in Bewegung setzte. Um dieses zu können, mußte man zwei riesige Zähne eines in der Naturgeschichte unbekannten Tieres gegen dessen Kinn drücken; der Rachen bildete den Einwurf für Briefe.

Die Besucherin brauchte nicht lange zu warten, schon nach dem ersten Schlage öffnete ein in eine funkelnagelneue Livree gekleideter Diener. Sein Haar war hell und glattgebürstet, sein Gesicht rosig und glänzend, seine Haltung steif wie ein Haubenstock, er machte in der glänzenden Livree den Eindruck eines Automaten, der eben aus der Fabrik gekommen.

»Mrs. Lordson zu Hause?« fragte Capri, durch den Anblick dieses seltsamen Musterbildes etwas eingeschüchtert.

»Ihr Name?«

»Miß Dankers.«

»Spazieren Sie nur gefälligst hinauf in den Salon,« sagte er in einem Tone, als ob er eine Schulaufgabe wiederholte, und betrachtete das Mädchen von Kopf bis zu Fuß. Er begleitete sie hinauf, riß die Flügeltüren auf und meldete:

»Miß Dankers.«

Capri sah sich plötzlich der imposanten Erscheinung der Hausfrau gegenüber. Diese saß in einem niedrigen Lehnstuhle, den sie vollständig ausfüllte, in einem geblümten mattgelben Damastschlafrocke, den viele olivfarbige Atlasschleifen zierten; ein Spitzenhäubchen bedeckte ihr Haar, eine dicke goldene Kette mit großem Medaillon umschloß ihren wirklich schönen Hals und eine Anzahl kostbarer Ringe ihre Finger.

»Ich freue mich, daß Sie Wort gehalten …wie geht es Ihnen, liebes Kind?« begrüßte sie Mrs. Lordson in ihrer gutmütigen Weise, ohne sich jedoch von ihrem Sitze zu erheben, denn das wäre eine Anstrengung für sie gewesen, der sie sich so frühmorgens nicht gerne unterzog.

»Ich danke, gut,« entgegnete die Besucherin schüchtern.

»Nehmen Sie Platz, bitte, mir gegenüber, damit ich Ihr hübsches Gesichtchen besser sehen kann.«

»Wie angenehm kühl Sie es haben,« bemerkte Capri, sich auf die äußerste Kante des niedrigen Stuhles setzend.

»Sind Sie erhitzt?«

»Ein wenig.«

»So legen Sie doch Hut und Jacke ab, ich hoffe, Sie wenigstens mehrere Stunden bei mir behalten zu können,« sagte die liebenswürdige Hausfrau. Capri tat, wie ihr geheißen, und stellte sich ihr ganz zur Verfügung.

»Aber Kind, ohne Hut sind Sie ja noch viel reizender!« rief Mrs. Lordson und starrte das Mädchen an, als ob es ein Bild oder eine Statue wäre.

Ein rosiger Hauch huschte über deren dunkle Wangen, und ein seltsames Licht blitzte in ihren Augen auf, das sie gar nicht zu verbergen suchte, denn sie wußte wohl, daß dies ihre Reize noch erhöhte. Durch dieses Kompliment hatte sich die Amerikanerin ihr Herz erobert. Oft kann ein einziges Wort, gedankenlos hingeworfen, uns Menschen zu Freunden oder Feinden machen. Es ist nur schade, daß wir nicht stets überlegen, ehe wir sprechen, wir könnten uns dadurch das Leben viel angenehmer gestalten.

»Rücken Sie näher zu mir, bitte.«

Das Mädchen erhob sich, schob einen Schemel zu Füßen der Dame, kauerte sich in einer graziösen Stellung darauf nieder und blickte mit einem gewinnenden Lächeln in das gutmütige Antlitz derselben.

»So ist's recht, ich habe mir vorgenommen, daß wir gute Freunde werden sollen. Ich werde Sie künftig bei Ihrem Taufnamen nennen, ›Fräulein Dankers‹ klingt so fremd.«

»Ach ja, nennen Sie mich Capri, wie alle meine guten Bekannten tun.«

»Capri?«

»Ja, ich heiße nach der Insel, auf der ich geboren!«

»Das habe ich noch nie gehört …Wo liegt diese Insel?«

»In der Nähe Neapels,« entgegnete das junge Mädchen lächelnd.

»Sie sind also Ausländerin und deshalb so brünett,« bemerkte sie mit liebenswürdiger Offenheit.

»Mein Vater hat während eines Aufenthaltes in Neapel meine Mutter dort geheiratet.«

»Und Ihr Vater?«

»Ist ein Brite. Ich kam einige Jahre nach dem Tode meiner Mutter nach England, als mein Papa sich zur Ruhe setzte.«

»Von was?«

»Er war Offizier in der englischen Armee.« Capri blickte zu ihr auf, um den Erfolg ihrer Worte zu beobachten.

»Ist er Oberst?«

In den Vereinigten Staaten gibt es nämlich so viele Oberst wie Brombeeren. Die freie Tochter der Republik verachtete diese Sorte von Menschen daheim, aber während ihres Aufenthaltes in Europa fing sie an, den Unterschied zwischen den sogenannten Obersten der Neuen Welt und denjenigen der Alten zu begreifen und Vorliebe für das Militär zu bekommen. Sie war ein wenig enttäuscht, als sie hörte, daß Capris Vater nur Hauptmann außer Dienst sei; er konnte übrigens als solcher doch auch in der Gesellschaft eine Rolle spielen.

»Wo wohnen Sie?«

»In der Euston Road,« entgegnete das Mädchen ohne Zögern, »Papa geht es jetzt nicht besonders gut; wir leben sehr zurückgezogen.«

Die Amerikanerin erriet sofort die ganze Sachlage und blieb eine Weile gedankenvoll. Dann begann sie:

»Ein Vertrauen ist des anderen wert. Sie werden auch über meine Verhältnisse etwas erfahren wollen. Ich bin vergangenen Herbst nach Europa gekommen, um mich von einem schweren Schlage, dem Tode meines Gatten, zu erholen …Ich bereiste Italien und Frankreich.«

»Wie angenehm muß das gewesen sein!«

»Das kann ich gerade nicht behaupten. Die fremden Städte gefielen mir gar nicht, und die Leute noch weniger. Sie gestikulieren, während sie sprechen, als ob man sie dadurch besser verstände. Man trifft nur selten jemand, der Englisch versteht, die Idioten haben gar nicht den Verstand, es zu lernen, und setzen voraus, daß wir Ausländer ihre Sprache wissen müßten, wenn wir ihr Land bereisen, und das kann man doch nicht von uns verlangen! So verließ ich den Kontinent, trotzdem ich einige Städte, die sehr viele Kunstschätze enthielten, wunderschön fand. Sie werden durch die Kunst und das Geld, das sie den Reisenden erpressen, reich.«

»Die Reisen haben Sie also ermüdet?«

»Sehr. Ich habe mich entschlossen, nach England zu kommen. Trotzdem man mir versicherte, daß es entsetzlich altmodisch und steif sei, daß man nichts von Picknicks und Landpartien wisse, gefallen mir die Menschen hier weit besser, als auf dem Kontinent.«

Sie fuhr Capri mit ihren Fingern durchs Haar.

»Wie gefällt Ihnen mein Zimmer, Kleine?«

»Wunderbar!«

»Es hat aber auch eine Unmenge Geld gekostet,« entgegnete Mrs. Lordson, durch Capris Antwort geschmeichelt.

»Das kann ich mir denken,« entgegnete diese.

»Dort das Wandschränkchen habe ich in Italien gekauft, es gehörte einer gewissen Katharina von Medici; wissen Sie etwas von dieser Dame?«

»Ja.«

»In dem herzoglichen Palaste in Florenz habe ich eine Venus von Medici gesehen, ein schamloses Ding, denn sie hat sich splitternackt modellieren lassen; aber sie ist ein schönes Weib, das muß ich zugeben. Noch schöner als Sie, mein Kind. Von einer Katharina de Medici habe ich aber nichts gesehen, wahrscheinlich weil sie nicht so schamlos war, wie ihre Verwandte, die Venus.«

Das Schränkchen der Katharina de Medici war in der Tat ein Kunstwerk ersten Ranges, Ebenholz mit Elfenbein eingelegt. Capri erhob sich, um es mit gebührender Ehrfurcht anzustaunen. Solche Möbelstücke hatte sie bis jetzt nur in Museen gesehen.

»Sie müssen wissen, ich bete die Kunst an und lebe für sie. Ich finde nur an Kunstgegenständen Gefallen.« Dabei wanderten ihre Blicke von der chinesischen Vase auf die unzähligen kostbaren Nippsachen. »Jetzt will ich Ihnen etwas ganz besonders Schönes zeigen.«

Sie trat vor eine seltsam geschnitzte Truhe in der Form eines antiken Sarkophages, die Capris Blicken entgangen war.

»Von außen ist nicht viel daran, aber um so mehr von innen.« Mit diesen Worten hob sie den ziemlich schweren Deckel in die Höhe. Das Mädchen stieß einen Ausruf des Entzückens aus; auf einem roten Hintergrunde erblickte man gemalte Cherubim, welche Kränze aus goldenen Rosen, Purpur-Früchten und gelben Blättern schwangen. Die Leisten ringsum waren mattgolden mit reichverschlungenen Arabesken in blassestem Rosa und Dunkelgrün.

»Was sagen Sie dazu? Mancher der englischen Raritätensammler würde sein rechtes Auge dafür hergeben. Ursprünglich gehörte die Truhe der Kollektion Sechan an. – Das zeigt doch deutlich, wie sehr ich die Kunst liebe,« schloß die gute Dame, denn sie bemaß den Wert eines Kunstwerkes nur nach der Summe, die sie dafür bezahlte.

»Singen Sie?« fragte sie Capri laut und deutete auf das offene Piano.

»Ja,« antwortete das Mädchen und setzte sich ohne Zögern ans Instrument. »Was soll ich singen?«

»Was Sie wollen, mein Kind. Ich liebe die Musik und begeistere mich an ihr, denn sie gehört zu den schönen Künsten.«

Capri hatte noch niemals auf einem so schönen Klavier gespielt; die Töne kamen rein, tief und klangvoll heraus, als sie die ersten Akkorde anschlug. Sie sang ein liebliches Schubertsches Lied, das klagend beginnt, um sich immer höher und höher zu erheben und dann wie in einem Seufzer zu endigen. Capri besaß die glückliche Gabe, mit ihrer Stimme die Herzen der Zuhörer zu rühren, und auch diesmal gelang es ihr, der Amerikanerin Tränen zu entlocken. Nachdem sie geendigt, erhob sie sich, nahm ihren Platz zu deren Füßen wieder ein und legte ihr Köpfchen in deren Schoß, als ob sie Zuflucht und Liebe bei ihr suchen wollte. Mrs. Lordson war eine Zeitlang keines Wortes mächtig; sie wischte sich die Tränen aus den Augen und strich ihr zärtlich über das weiche Haar.

»Sie haben wohl viele Freunde, Capri?« begann diese, nachdem sie sich gefaßt.

»Freunde? …Nein!« entgegnete diese, denn sie glaubte vernünftiger zu handeln, wenn sie die Besuche in Marcs Atelier, dessen Hingabe und die Freundschaftsbeweise der Schüler ihres Vaters verheimlichte.

»Nicht? Wie ist das möglich?«

»Ich lebe sehr zurückgezogen, Papa empfängt nur wenige Besuche – in einer Großstadt muß man mit Bekanntschaften sehr vorsichtig sein. – Ich bin fast den ganzen Tag allein, denn Papa geht viel aus,« schloß sie seufzend.

»Das ist für ein junges Mädchen nicht angenehm.«

»Gewiß nicht; aber ich habe mich schon daran gewöhnt.«

Mrs. Lordson blickte nachdenklich vor sich hin und streichelte dabei fortwährend Capris Wangen, plötzlich fragte sie:

»Wollten Sie nicht als Gesellschafterin zu mir kommen?«

Das war es, was Capri mit dem Eintritte in dieses Haus ersehnt. Die Antwort erstarb ihr auf den Lippen, sie hörte ihr Herz heftig pochen, als ob es zerspringen wollte, und alles Blut war aus ihren Wangen gewichen. War ihr das Schicksal wirklich so hold? Wachte oder träumte sie? Fast jubelnd entrang sich ihr endlich der Ausruf:

»Einzige, beste Frau Lordson, es wäre mein sehnlichster Wunsch!«

»Gut! …Sie sehen, ich lebe allein, und obgleich ich viel ausgehe, fühle ich doch das Bedürfnis, jemand um mich zu haben, mit dem ich nach Belieben plaudern kann. Sie gefielen mir schon, als ich Sie in der Galerie kennen lernte …«

»O, wie danke ich dem Zufalle, der mich gerade an dem Tage hinführte!« unterbrach sie Capri.

»Wenn Sie also einwilligen, meine Gesellschafterin zu werden, und Ihr Vater es erlaubt, sollen Sie hundert Pfund jährlich bekommen, und Sie können zu mir ziehen, sobald es Ihnen paßt. Je eher, desto lieber.«

Das Mädchen traute ihren Ohren kaum, war es denn möglich, daß man ihr hundert Pfund bot? Sie brauchte nicht länger in einer Straße zu wohnen, wo vom frühen Morgen bis zum späten Abend die Obst- und Gemüsehändler laut schreiend ihre Ware feilboten, und in deren Nähe man auf Schritt und Tritt der Armut und dem Elende ins Auge blicken mußte! Hier in dem eleganten Hause, mitten im Aristokratenviertel, umgeben von Reichtum und Luxus, wartete ihrer eine Zukunft, wie sie sie sich, seitdem sie denken konnte, erhofft. Mrs. Lordsons Vorschlag dünkte ihr wie eine Aussicht auf das Paradies, wäre sie allein gewesen, sie hätte laut aufgejubelt und wäre im Zimmer herumgesprungen, wie ein übermütiges Fohlen. Der Gedanke an ihr neues Leben raubte ihr beinahe die Sinne, und sie saß eine Weile atemlos da. Nach und nach beruhigte sie sich soweit, daß sie stammeln konnte:

»O, wie ich Ihnen danke!«

»Ich erwarte Sie möglichst bald, vorausgesetzt, daß Ihr Herr Papa nichts dagegen hat.«

Capri nahm sich vor, die wenigen Tage, die sie noch zu Hause zubringen sollte, sich von Padre Pallamari belehren zu lassen, im übrigen baute sie auf ihr gutes Gedächtnis und ihre lebhafte Phantasie. Die beiden Damen sprachen noch lange über die Kunst und ihren Einfluß auf Herz und Gemüt, sie beschlossen, künftig gemeinsam dahin zu wirken, daß diese auch ins Volk dringe. Eben, als sich Capri verabschieden wollte, ertönte der Türklopfer, und einen Augenblick später trat Newton Marrix ins Zimmer.

»Sie haben wohl nicht erwartet, Fräulein Dankers bei mir zu treffen?« fragte Mrs. Lordson, dem Eintretenden die Hand reichend.

»Nein, wahrhaftig nicht. Ich bin sehr angenehm überrascht,« entgegnete er, an ihrer Seite Platz nehmend.

»Ich habe Capri neulich in der Galerie gebeten, mich heute zu besuchen, und wir gefallen uns gegenseitig so gut, daß wir in Zukunft zusammen das Leben genießen wollen. Sie hat nämlich eingewilligt, mir alter Frau Gesellschaft leisten zu wollen.«


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