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5. Die Bettelmaid.

Marcus Phillips zählte voll Ungeduld die Tage, denn Mrs. Stonex und ihr Freund waren die ersten fremden Gäste, die sein bescheidenes Atelier mit einem Besuche beehrten. Der dazu verabredete Samstag rückte endlich heran, und Newton Marrix stellte sich schon früh am Nachmittag ein, um seinem ›etwas unbeholfenen Freunde die Honneurs machen zu helfen‹, wie er sich ausdrückte.

»Jetzt, mein lieber Junge, laß uns vor allem sehen, wie wir die erbärmliche Bude ins beste Licht stellen,« bemerkte der praktische junge Schriftsteller, sich seines Rockes entledigend. Er warf denselben auf den nächsten Stuhl und stellte seinen Zylinderhut darauf. Dann schürzte er die Hemdärmel in die Höhe, kreuzte die Hände übereinander und ließ seine Blicke prüfend über das Atelier schweifen.

»Warte nur, in einem Augenblicke werde ich all diese Farbentiegel und Paletten weggeräumt haben, die dein Mißfallen zu erregen scheinen,« sagte Marc lachend, indem er auf die vielen Töpfchen, die ihn umringten, deutete. Er hatte nämlich bis zur Ankunft seines Freundes an der ›Bettelmaid‹ gemalt.

»Ich denke auch, daß es die höchste Zeit ist, aufzuhören, die Gäste können bald erscheinen – –«

»Es wäre schrecklich, wenn sie dieses Chaos sähen,« rief der Künstler entsetzt, spritzte rasch seinen Pinsel aus und schob seine Malutensilien hinter einen phantastisch drapierten Vorhang.

»Wir müssen die Staffelei mit der ›Bettelmaid‹ so stellen, daß sie gleich in die Augen fällt und in günstiger Beleuchtung steht – –«

»Da ist sie übrigens in eigener Person,« rief Capri lachend. Sie hatte zwei, drei Stufen auf einmal genommen und stand jetzt mit wogendem Busen und sanft geröteten Wangen wie ein Bild zwischen Tür und Angel.

Ihre dunklen Augen blitzten vor Erregung, ihr glänzendes schwarzes Haar umrahmte ein Antlitz, wie es ein griechischer Bildhauer des Altertums keiner Göttin schöner und vollendeter hätte verleihen können.

»Hier bin ich, Marc, um dir das Atelier in Ordnung bringen zu helfen, ehe deine vornehmen Gäste erscheinen. Das weibliche Auge vermag in derartigen Dingen Wunder zu wirken, Mister Marrix.«

»Es vermag auf jeden Fall mehr als die Arme zweier ungeschickter Männer,« entgegnete dieser, indem er bewundernd auf das Mädchen blickte.

»O, wie freundlich von dir, daß du gekommen,« rief Marc erfreut, während eine heiße Blutwelle seine Wangen rötete. Er blickte innig in ihre Augen und dann wieder auf ihr Ebenbild auf der Staffelei. Es war ihm gelungen, ein beinahe vollkommenes Porträt von ihr zu entwerfen, und doch lag ein gewisses Etwas in ihrem Gesichte, das er nicht wiederzugeben vermochte. Er bemerkte es und seufzte auf.

»Ich bin nicht imstande, dich zu malen, wie du wirklich aussiehst,« sagte er unzufrieden und berührte das Bild leicht mit dem Pinsel.

»Du bist undankbar gegen deine Muse, lieber Freund. Ich bin mit deiner Leistung zufrieden, und wenn sie meiner weiblichen Eitelkeit genügt – so sollte dir das die beste Gewährleistung für die Genialität deiner Arbeit sein.« Bei diesen Worten trat sie an seine Seite; er sah zu ihr auf und lächelte beglückt.

»Du hast recht, Capri,« flüsterte er.

»Es ist bei weitem deine beste Arbeit, altes Haus,« mischte sich Newton ins Gespräch, »aber du hast zu viel vom echten Künstler in dir, um jemals mit dir zufrieden zu sein.«

Er gesellte sich jetzt ebenfalls zum Künstler und seinem Modell, und alle starrten das Bild eine Weile schweigend an …

Capri ergriff zuerst das Wort.

»Ich bin neugierig, was ich in vierzig Jahren dazu sagen würde. Jetzt ist es mein leibhaftiges Ich. Dann werde ich vielleicht meine Wangen mit ebensoviel Farbe belegen, wie jetzt die Leinwand belegt ist, und ebenso nach meiner verblühten Jugend seufzen, wie ich jetzt nach Reichtum seufze.«

Sie lachte hellauf, und zwei Reihen tadelloser weißer Zähne kamen zum Vorschein; im nächsten Augenblicke stahl sich ein ernster Ausdruck in ihre feuchtschimmernden Augen.

»Wozu an die Zukunft denken?« meinte Newton.

»Sie haben recht,« entgegnete Capri. »Lassen Sie uns lieber an die Arbeit gehen!«

»Womit sollen wir beginnen?« fragte der Schriftsteller und schürzte seine Hemdärmel noch höher hinauf. »Verfügen Sie über Ihre ergebenen Untertanen, schöne Königin Cophetua.«

»Wollen Sie mir in allem gehorchen?«

»Mit größtem Vergnügen!«

»Bringen Sie die ›Bettelmaid‹ und alle anderen Studien und Skizzen in Marcs Heiligtum – ins Schlafkabinett – damit wir hier ungehindert schaffen können.«

»Zu Befehl, Majestät!«

»Ich habe mit deiner Wirtin gesprochen, Marc, und sie hat sich gnädigst herbeigelassen, dir für den Nachmittag einen großen türkischen Teppich zu borgen.«

»Einen türkischen Teppich!« riefen die Freunde gleichzeitig, und Newton ließ einen langgezogenen Pfiff zwischen den Zähnen ertönen, der das Übermaß seines Erstaunens ausdrücken sollte.

»Ja, und noch dazu einen funkelnagelneuen! Doch da kommt er, ihr könnt euch von seiner Pracht sofort selbst überzeugen.«

Sie riß die Tür weit auf, damit das Dienstmädchen, das ihn die Treppe heraufbrachte, eintreten könne.

»Eine herrliche Idee!« rief Newton begeistert und zerrte ihn eigenhändig mit solchem Eifer ins Zimmer, als ob es sich um einen Halbbetrunkenen handelte, den er eben retten wollte.

»Jetzt noch schnell fort mit den Pinseln, die du in der Hand hast!« kommandierte Capri. »Aber Marc, wie unordentlich bist du, eben hast du auf deinen besten Pinsel getreten!«

Newton Marrix hatte alle Bilder ins Schlafzimmer getragen, und die drei breiteten jetzt den Teppich in die Mitte des Ateliers.

»Er bedeckt glücklicherweise die meisten Ölflecke auf dem Fußboden,« rief Marc triumphierend.

»Wo ist deine zerbrochene Vase? Ich habe einen Strauß Primeln mitgebracht …Ach, da steht sie, aber sie ist mit Stiftchen, Stecknadeln und allerlei Knöpfen angefüllt. Du armer Junggeselle! Wie hilflos und unordentlich würden selbst die Besten unter euch sein, wenn sich nicht das schönere Geschlecht eurer erbarmte; jeder einzelne würde schließlich zugrunde gehen!«

»So ist es,« stimmte der galante Newton zu. »Ihre Worte haben mich bekehrt, und ich bin entschlossen, dem Junggesellentum abzuschwören.«

»Lassen Sie den Spott, mein Herr. Ihr Männer von der Feder seid bekanntlich die schlechtesten Ehegesponse, und ich wundere mich nur, daß ihr überhaupt noch Gattinnen findet.«

»Ihre Majestät urteilt gar zu streng.«

»Aber wahr …Diese Terrakottavase sieht zwar sehr alt aus, aber sie wird ihren Zweck doch erfüllen,« sagte sie und ordnete die ersten Frühlingsboten so geschickt, daß die zerbrochene Stelle gänzlich verdeckt wurde, sprang auf einen Stuhl, stellte die Vase auf ein kleines Wandbrettchen und sprang rasch wieder herunter, ehe einer der Herren ihr behilflich sein konnte, und bewunderte die Wirkung, die das reizende Arrangement hervorbrachte.

»Wie duftig die Primeln in dem alten roten Gefäß aussehen!« rief Newton begeistert.

»Ja, ich bin mit meinem Werke zufrieden. Aber Marc, wo sind deine Kreidezeichnungen?«

»In der Mappe,« antwortete dieser. »Was willst du mit ihnen beginnen?«

»Welche Frage! Ich werde den Herkules, die Venus von Medici und einige andere Perlen an die Wand hängen, um der ärmlichen Dachstube ein künstlerisches Aussehen zu geben.«

»Sie entwickeln heute ganz prachtvolle Ideen, schöne Königin,« lobte Newton. »Rasch heraus mit den Zeichnungen, mein Junge. Wenn das so fortgeht, werden wir deine Klause gar nicht wiedererkennen.«

»Ich werde sie zu einem gemütlichen Künstlerheim umgestaltet haben,« sagte Capri mit Befriedigung.

»Ihre Anwesenheit verleiht ihr erst die Weihe.«

»Sieh da, vorhin waren Sie ironisch, und jetzt werden Sie poetisch und machen mir gar Komplimente. Falschheit, dein Name ist Mann!«

»Das ist eine Deutung eines alten Satzes.«

»Und zwar eine richtige. Nur weil Shakespeare ein Mann war und die Vorurteile seines Geschlechtes teilte, konnte er sagen: Schwachheit, dein Name ist Weib!«

»Ich schweige!«

»Wenn Sie das könnten, würden wir nur gewinnen.«

»Wie unfreundlich! Aber gestatten Sie, daß ich Ihnen trotzdem die Kreidezeichnungen aufhängen helfe,« sagte der Schriftsteller und reichte ihr den Herkules. Capri befestigte, auf einem Stuhle stehend, die Studien mit kleinen Stiften, die sie zwischen ihren Rosenlippen hielt, und plauderte dabei fortwährend. Marcus Phillips sprach dabei kein Wort, sondern beobachtete aufmerksam jede ihrer Bewegungen. Ob sie nun die Arme über den Kopf erhob, diesen wandte, um eine Frage zu stellen, oder ihren schlanken Hals neigte: ihre Stellung war stets klassisch und lieblich in ihrer Anmut.

»So, Marc, jetzt kannst du die Bilder herausgeben,« befahl sie, vom Stuhle hüpfend und noch rasch einige Gipsarme und Füße abstaubend.

Die jungen Leute überboten sich in ihrem Diensteifer. Zuerst brachten sie zwei Seebilder zum Vorschein, dann eine Skizze, die das Innere der Kathedrale von Canterbury vorstellte, von der sich der Künstler selbst in den Tagen der herbsten Not nicht zu trennen vermochte, weil er sie noch während seiner theatralischen Laufbahn entworfen, als er mit seinem ersten Bühnenlehrer in dieser Stadt gastierte.

Auch einige kleine Studien, idyllische Landschaften bei Sonnenaufgang oder Mondschein, die Dämmerung am Meere und dergleichen mehr wurden zur Schau gestellt. Aus diesen Bildern konnte man die verschiedenen Stadien der Entwicklung des Künstlers beurteilen, und alle trugen mehr oder weniger den Stempel des Genies. Zuletzt kam ›Die Bettelmaid‹ an die Reihe, und Capris lebenswahres Porträt verlieh dem Atelier erst den rechten Glanz.

Es schien wirklich, als ob eine gütige Fee diesen Raum plötzlich verwandelt hätte. Der Gesamteindruck war in der Tat ein malerischer. Die drei Freunde standen am entgegengesetzten Ende des Zimmers und prüften dasselbe mit kritischen Augen, Newton Marrix mit zur Seite geneigtem Haupte, wie ein nachdenklicher Kanarienvogel. Capris lebhafte Augen wanderten von einer Ecke zu der anderen, um vielleicht noch etwas zu entdecken, das einer Veränderung bedurfte. Marcus starrte nur auf das Bild der Bettelmaid.

»Ich glaube, es bleibt uns jetzt nichts mehr zu tun übrig, als etwas Weihrauch anzuzünden,« unterbrach Newton das Schweigen; »denn zur vollendeten Kunst gehört es, alle Sinne auf einmal zu beschäftigen.«

»Ich weiß nicht, Marc,« bemerkte Capri und blickte ihn fragend an, »ob dir, wenn du ein geachteter Maler geworden – ich meine ein berühmter, der viel, sehr viel Geld verdient und echte Teppiche besitzt, statt sie von seiner Hausfrau zu borgen – dein Atelier so viel Freude bereiten wird, wie heute dieses?«

»Ganz bestimmt nicht, Capri,« antwortete er ohne Zögern und lächelte über den Ernst, mit dem sie die Frage gestellt. »Ich fühle mich in meiner jetzigen Lage überglücklich.«

»Und wir alle haben die beste Hoffnung für die Zukunft,« warf der aufstrebende Schriftsteller ein.

»Dieses Ringen nach Erfolg und Anerkennung, der Kampf ums Dasein schafft uns doch auch Vergnügen; meinst du nicht, Marrix?« fragte Marcus.

»Ja, wenn es nicht zu lange dauert. Ein fortwährender Kampf ist erschlaffend und todbringend in seiner Hoffnungslosigkeit.«

»Wenn das Herz einmal von Mißerfolgen und Bitterkeit erfüllt war, kann ihm kein späterer Erfolg die alte Kraft und Lebensfreudigkeit wieder verschaffen, mein lieber Junge.«

»Ich glaube, Sie haben recht,« meinte Capri mit gedankenvollem, ernstem Ausdrucke in den Augen, die unter den niedergeschlagenen Lidern ganz schwarz erschienen.

»Ich weiß, was dieses Ringen bedeutet,« fuhr Newton fort, die Arme über die Brust kreuzend und bitter auflachend. »Ich schaudere, wenn ich an die Nadelstiche, an alle die Kämpfe und Sorgen zurückdenke, die es mit sich bringt, wenn man vergebliche Versuche macht, seinen Namen den Augen des Publikums aufzudrängen, das blind sein will, weil es kein Interesse an der Existenz des Betreffenden hat. Die oft ohne ein Wort der Erklärung zurückgesandten Manuskripte, das aufregende Warten auf die Antwort des Verlegers, die unfreundliche Besprechung des Kritikers, weil man jung und unbekannt ist, spannen den Anfänger auf die Folter, und es ist mir ein Rätsel, wie er sie zu ertragen vermag. Ich glaube, junge Schultern sind von der Vorsehung zum Tragen solcher Lasten eingerichtet.«

»Aber eines können sie nicht erzwingen, und das ist die Geduld,« warf Capri schelmisch ein.

»Geduld kommt mit den Jahren,« bemerkte Marc weise.

»O, dann möchte ich schon gerne alt sein!« rief Capri mit ganz verändertem Gesichtsausdruck. »Ich verliere die Geduld mit mir und meinem Schicksale und hasse oft beide. Das Schicksal erfüllt meine Wünsche so langsam, daß mich die Erwartung fast zur Verzweiflung treibt.«

»Und worin bestehen diese Ihre Wünsche?« fragte Newton halb neckend, aber doch von dem Ernste, mit dem sie sprach, bewegt.

»Ich habe nur einen, und dieser ist allen Menschen gemein – Geld! Bildlich gesprochen, habe ich Frau Fortuna angerufen, bis ich ganz heiser wurde, aber ich habe mich vergebens bemüht, denn sie scheint am taubsten zu sein, wenn wir am lautesten ihre Hilfe erflehen,« sagte Capri und gestikulierte heftig, wie das ihre Gewohnheit, wenn sie erregt war. »Die wankelmütige Dame sieht und hört mich nicht,« fuhr sie fort, »und doch –«

»Und doch?« wiederholte der Autor, sie unterbrechend, und beobachtete dabei ihre blitzenden Augen und ihre von der Aufregung erglühten Wangen.

»Doch weiß ich, daß ich einmal reich, sehr reich sein werde, nur wird mir das Warten so schwer,« sagte sie seufzend, ließ plötzlich ihre erhobenen Arme sinken, schritt auf die Staffelei zu, wo ihr Bild stand, und lächelte es mit befriedigter Eitelkeit an, die etwas Kindliches in ihrer Einfachheit hatte. »Da,« fuhr sie fort, und wechselte wieder Ton und Ausdruck, »es schlägt vier Uhr, Marc.«

»Die Uhr geht zu rasch.«

»Deine Gäste können aber jeden Augenblick erscheinen, und du bist noch im Arbeitsrocke und hast farbenbekleckste Finger. Marsch, in dein Heiligtum! Adieu, auch ich muß fort.«

»So schnell?«

»Deine Hausfrau wird um fünf Uhr den Tee heraufschicken. Sie scheint ganz stolz auf ihren Mieter geworden zu sein, der so vornehme Gäste empfängt, aber diesen würde sie es wegen der Nachbarschaft nie verzeihen, wenn sie nicht in einer eleganten Karosse vorgefahren kämen. Karossen sieht man nämlich nicht alle Tage in der Fitzroy-Street; es würde einen Nimbus auf die ganze Straße werfen!«

»Kannst du nicht bleiben, Capri?« bat Marc. Das Mädchen schüttelte verneinend den Kopf.

»Tue es mir zuliebe. Ich würde mich so freuen, wenn du Mrs. Stonex und den Dichter Lucius Martyn kennen lerntest.«

»Nein, ich glaube, es ist besser, daß ich gehe. Allerdings müßte ich lügen, wenn ich sagen wollte, daß ich nicht für mein Leben gerne hinter dem Vorhange all das, was sie über mein Porträt sagen werden, hören möchte, aber ich müßte mich zu Tode schämen, wenn ich entdeckt würde.«

»Die Lauscherin könnte in diesem Falle nur Schmeichelhaftes hören,« bemerkte Newton Marrix galant.

»Davon bin ich nicht so vollständig überzeugt,« heuchelte Capri verschämt.

»Ich wünschte, du würdest den Gästen Gelegenheit verschaffen, das Original mit dem Bilde vergleichen zu können. Möchtest du nicht doch bleiben?«

»Wenn ich mir von dem Dienstmädchen Kleider borgen könnte, um euch dann den Tee zu servieren; aber ich fürchte, sie würden mich trotz der Verkleidung sofort erkennen, darum ist es besser, ich lasse euch allein. Aber erst müßt ihr mir versprechen, heute abend zu uns zu kommen, um mir alles zu erzählen, was hier gesprochen worden. Wollt ihr?«

»Mit Vergnügen,« antwortete Marrix für beide.

» A rivederci, amici miei!« sagte sie herzlich und reichte den Freunden die Hände zum Abschiede.

»Vergiß nicht, Marc,« verfiel sie wieder in ernsten Ton, »die Grundsteinlegung deiner und meiner Zukunft hängt von dem Erfolge meines Gesichtes ab.«

»O, dann ist unser Freund beneidenswert!« rief Newton, erfaßte Capris Rechte und hauchte einen Kuß auf ihre Fingerspitzen.

»Wie galant!« sagte sie, innerlich erfreut, und ließ ihr silberhelles Lachen ertönen, das beiden das Blut ins Gesicht trieb. »Jetzt, Marc, kannst du die andere küssen, sonst könnte sie eifersüchtig werden.«

Der Künstler befolgte nur zu gerne ihren Befehl und fühlte, während er die Lippen heiß auf ihre zartgeformte Hand drückte, ein angenehmes Rieseln durch seinen Körper dringen.

Newton Marrix begab sich diskret an das andere Ende des Zimmers, um dort noch etwas an der Staffelei zu ordnen, wie er sagte. Es stellte sich heraus, daß das eine Seebild schlecht stand, er wurde damit erst fertig, als er Capris leichten, raschen Schritt auf der Treppe hörte.

Kaum hatte sich die Haustür hinter ihr geschlossen, als auch schon ein eleganter Viktoriawagen vorfuhr, dem Mr. Freake, Graf Basano, Lucius Martyn und schließlich Frau Stonex entstiegen.

Der Lakai zog heftig die Glocke, was den Freunden im vierten Stocke die Ankunft der Gäste andeutete und dem Mädchen für alles drunten in der Küche einen solchen ehrfurchtsvollen Schrecken einjagte, daß ihr die Lieblingstasse ihrer Herrin, die sie gerade abtrocknen wollte, aus den Händen fiel, wie sie nachher der Zürnenden berichtete.

»Da sind sie, mein Junge,« flüsterte Newton seinem Freunde zu, als er Mrs. Stonex und ihre Begleiter die vierte Treppe heraufkommen hörte. Marcus ging ihnen entgegen; es war das für ihn ein entsetzlicher Augenblick, der Atem stockte ihm beinahe in der Brust.

»Ah, Herr Phillips! Ich halte mein Versprechen,« begann die Dame mit ihrer weichen musikalischen Stimme, »und komme als Kritikerin; ich habe auch drei gute Freunde mitgebracht.«

»Ich freue mich, daß Sie gekommen sind,« entgegnete er treuherzig, und seine ehrlichen blauen Augen leuchteten vergnügt auf, was den beobachtenden Blicken der Besucherin auch nicht entging.

»Wenn wir auch furchtbar an der Zahl sind, so sind wir es doch nicht in unserem Urteile,« bemerkte Mr. Freake scherzend, als er Mrs. Stonex ins Zimmer folgte, sah dabei jedoch dem Künstler so scharf ins Gesicht, als ob er ihn bis ins Innere ergründen wollte.

»Gott sei Dank,« keuchte Graf Basano, atemlos von dem Aufstiege, und warf sich in den nächsten Stuhl, die Hand aufs Herz drückend. »Ach, Kinder,« fügte er nach einer Pause hinzu, »ich werde alt.« Dabei reichte er zuerst dem Künstler, dann Newton Marrix die Hand.

»Die Zeit reift die Seele und versüßt die Frucht der Weisheit,« bemerkte Lucius Martyn, der Poet, als er langsam, gemessen, mit ruhiger Miene einige Minuten nach seinen Freunden ins Zimmer trat.

» Grazie, grazie, mio amico,« entgegnete der Graf, sich erhebend und verneigend, denn er war der Meinung, der Dichter hätte ihm auf seine vorangegangene Bemerkung über sein Alter etwas Liebenswürdiges gesagt, wenngleich er es nicht verstanden.

Martyn betrachtete ihn jedoch nicht weiter, sondern schritt, ohne nach rechts oder links zu blicken, geradeaus auf die Staffelei zu, auf der die ›Bettelmaid‹ stand und legte den einen langen, mageren Arm auf seinen Rücken, während er auf den andern sein Haupt nachdenklich stützte. In dieser Stellung prüfte er die Leinwand mit kritischem Blicke.

»Das Bild ist ganz feucht – ich habe bis vor einer Stunde daran gearbeitet, und es ist noch nicht einmal vollständig fertig,« stotterte Marcus, während er für Mrs. Stonex einen Stuhl davorsetzte, jedoch so, daß das volle Licht darauffiel. Der Poet trat ein wenig zur Seite, während der Graf sich hinter Frau Stonex stellte und sein goldeingefaßtes Augenglas bedächtig aufsetzte. Mr. Freake prüfte es von einer anderen Seite des Ateliers. Niemand sprach ein Wort, und es war ein kritischer Augenblick für den jungen Künstler. Er glaubte, das Stillschweigen würde nie enden, und doch wagte er nicht, es zu unterbrechen, sondern zählte die Sekunden und beobachtete ängstlich die Gesichter. Sein Blick blieb auf Mrs. Stonex haften. Ein ruhiger, gedankenvoller Ausdruck spiegelte sich in ihren Augen; als sie jedoch plötzlich den seinigen begegneten, veränderte sich derselbe merkwürdig, – ein eigentümliches Licht erglänzte in ihnen, das sich Marc nicht zu deuten wußte. Sie senkte die Lider, und ihre Gedanken, die einen Augenblick abgeschweift waren, kehrten zu dem Bilde zurück.

»Das ist ein vollendetes Gemälde,« wandte sie sich in entschiedenem Tone an Mr. Marrix, wie jemand, der sich seine Meinung gebildet hat und davon nicht mehr abgeht. »Das Antlitz ist lebenswahr und die Farben wunderschön.«

Kaum hatte sie den Bann gebrochen, als alle zu sprechen begannen.

»Es erfreut das Auge,« sagte der Poet, und ein schwaches Lächeln umspielte seine Lippen. Seine Freunde ersahen aus dieser Bemerkung, daß auch ihm das Bild gefiel.

»Der Faltenwurf erinnert an Giovanni di Masaccio,« bemerkte Mr. Freake wohlgefällig.

»Das ist kein Phantasiegebilde, das ist ein Porträt; das Original muß entzückend sein; wo ist es?« rief Graf Basano begeistert und blickte spähend im Zimmer umher, als ob er erwartete, es irgendwo versteckt zu finden.

»Sehen Sie sich die Augen an,« warf jetzt Newton ein, um seinem Freunde die Antwort auf des Grafen Frage zu ersparen.

»Sie sind sanft und süß,« flüsterte der Poet seufzend und ließ seinen rechten Arm sinken.

Darauf entstand wieder eine längere Pause, die Mr. Freake durch ein leichtes Hüsteln unterbrach. – Mit den Fingern durch seine langen Locken fahrend, begann er in einem Tone, der deutlich erkennen ließ, welch hohen Wert er selbst auf sein kritisches Urteil legte:

»Mr. Phillips, dieses Bild ist vielversprechend, und doch deutet manches darauf hin, daß es von einem jungen Künstler stammt; für ein modernes Gemälde lehnt es sich in der Haltung der Arme und dem ganzen Umriß zu sehr an Annibale Caracci an. Heutzutage suchen wir vergebens die weichen, warmen Linien, die Correggios Werke so entzückend machen, vergebens die harmonischen Tinten, die der Leinwand des Veroneser Meisters solche Weihe verleihen.«

Zum ersten Male seit ihrer Bekanntschaft schenkte Mrs. Stonex den Worten des Kritikers keine Beachtung.

»Das Haar ist prachtvoll gemalt, der Glanz so natürlich,« sagte sie, ohne die Augen von der Leinwand abwenden zu können.

Trotzdem sie Marcus Phillips nicht sah, fühlte sie seine Augen auf sich gerichtet und wußte, daß ihr Lob ihn erfreute.

»Das Bild ist gut, für einen Anfänger sehr gut,« bemerkte jetzt der Graf, der es die ganze Zeit über bewundernd anstarrte. »Sie werden Erfolg haben, junger Mann,« wandte er sich in gebrochenem Englisch an den Künstler. »Ich vermag das Werk eines Genies zu erkennen, denn ich habe schon viele junge Leute anfangen sehen, und ich weiß immer, ob sie in der Welt durchdringen werden.«

»Sie machen mir große Hoffnungen, Herr Graf,« sagte Marc, dankbar lächelnd.

»Vor zehn Jahren lebte in Rom ein Jüngling,« fuhr der Italiener fort, »namens Paolo Cotadini. Sein Lehrer war unzufrieden mit ihm, weil er wachend träumte und nichts Rechtes zu schaffen vermochte. Aber ich sagte: ›Lassen Sie ihn träumen, eines Tages wird er erwachen,‹ und wirklich erwachte er und schuf einen Endymion, aber, oh – ich werde diesen Endymion nie vergessen, so lange ich lebe. – Dieser Schäfer war göttlich! Der Künstler wäre sicher ein berühmter Mann geworden, aber leider starb er sehr jung,« schloß der Graf seine Erzählung und zerdrückte heimlich eine Träne.

»Es ist ein weises Naturgesetz, daß Menschen sterben müssen, um anderen, vielleicht noch bedeutenderen, Platz zu machen,« meinte Newton Marrix in seiner trockenen Weise.

»Wie gefällt Ihnen diese Landschaft?« wandte sich Marc, der das Gespräch von dem traurigen Thema ablenken wollte, an Mrs. Stonex, und reichte ihr eine Skizze, die das Yorkshirer Moorland darstellte.

»Ein solcher Friede ruht darauf!« antwortete die Gefragte, nachdem sie es voll Interesse angesehen, »über die unermeßliche, düstere Fläche scheint ein frischer Wind zu wehen, den man zu spüren vermeint.«

»Man fühlt den göttlichen Odem der Natur,« fügte Mr. Freake hinzu.

»Und die Natur ist der Spiegel von Gottes Antlitz,« sagte der Poet und faltete seine fast durchsichtigen weißen Hände.

»Deshalb ist sie stets so friedlich und glückspendend,« ergänzte Mr. Freake.

»Sie haben noch niemals etwas ausgestellt, Mr. Phillips?« fragte Mrs. Stonex plötzlich.

»Nein, ich hatte noch nicht das Glück, in einer Ausstellung angenommen zu werden.«

Die Dame dachte einen Augenblick nach, dann fragte sie weiter:

»Würden Sie gern in dieser Saison etwas in der Grosvenor-Galerie ausstellen?«

Newton Marrix, der die letzte Frage gehört, vermochte kaum sein Entzücken zu verbergen; hier bot sich seinem Freunde eine Aussicht, an die er in seinen kühnsten Träumen nicht zu denken gewagt.

»Nichts könnte mir mehr Freude bereiten und mir mehr nützen,« antwortete der Künstler aufrichtig und wechselte bei dem Gedanken an die Möglichkeit dieses Glückes die Farbe.

»Vielleicht gelingt es mir, für Sie eine Einladung zur Einsendung eines Bildes zu erwirken,« sagte Mrs. Stonex einfach.

»Wie soll ich Ihnen danken, wie Ihnen sagen, was das für einen Anfänger bedeuten kann?« rief Marcus Phillips aus.

»Ich weiß es,« entgegnete sie, sich an ihren Vater erinnernd, dessen Bilder jedes Jahr zurückgesandt wurden und den Fortuna bis zu seinem Sterbetage narrte. »Wie leicht ist es doch manchmal, Gutes zu tun,« fuhr sie nachdenklich fort, als sie in dem Antlitze des jungen Künstlers den hoffnungsvollen Ausdruck bemerkte, der sprechender war als alle Dankesworte. Sie ließ zum erstenmal ihre Blicke in dem Atelier umherschweifen, dessen Dürftigkeit ihr bis jetzt nicht aufgefallen; ihre ganze traurige Mädchenzeit tauchte plötzlich vor ihrem geistigen Auge auf: all die Kämpfe, die ihr Vater durchgemacht, der Kummer, die schlaflosen Nächte! Wenn ihm jemand angeboten hätte, seine Bilder auszustellen, er hätte ihn als einen von Gott gesandten Engel betrachtet! Hier, in Marcus Phillips Atelier, durchlebte sie all die Tage der Entbehrungen, der aufreibenden Versuche, die schäbige Vornehmheit wenigstens vor den Augen der ›Welt‹ zu halten, bis der Mann kam, der ihr mit seinem Namen ein Vermögen zu Füßen legte. Sie wurde sein Weib, aber ihr Herz blieb dabei tot, und ihr Leben floß weiter ohne Liebe, fruchtlos dahin. – Das Schicksal entriß ihr den Gatten, sie war frei, jung, reich, schön, von der Gesellschaft gesucht, und fühlte sich doch nicht befriedigt, denn sie hatte noch niemals jene Empfindung kennen gelernt, die Herzen zu Herzen zieht. Unter all ihren zahlreichen Verehrern war keiner, dessen Anblick ihre Pulse rascher schlagen machte, keiner, dem sie ihr Sein mit weiblicher Hingebung hätte widmen und der ihr das Leben zum Paradiese auf Erden hätte gestalten können. Mit all ihrem Bekanntenkreise, ihren Talenten, ihrem Reichtum fühlte sie sich einsam in der Welt. Nicht einer von den vielen, die sie täglich umringten, hatte es vermocht, die Eisrinde, die ihr Herz eingeschlossen hielt, zu sprengen, das Dornröschen zu neuem, glücknehmendem und -spendendem Leben zu erwecken. – Die alles überwältigende Macht der Liebe hatte bis jetzt noch nicht ihre innerste Natur erfaßt. – –

»Wie danke ich für Ihre Güte, mein Atelier aufgesucht zu haben, gnädige Frau!« unterbrach der Künstler das Stillschweigen mit seiner leisen, klangvollen Stimme, die Mrs. Stonex plötzlich aus ihren Träumereien erweckte und der sie mit neuartigen Empfindungen lauschte. Sollte diese Stimme am Ende imstande sein, das Eis zu schmelzen? Was bedeutete das seltsame Gefühl, das sie in Gegenwart dieses Mannes beschlich? War's eine Antwort auf ihre Träumereien von vorhin? Nur mit Mühe riß sie sich von ihren Gedanken los und antwortete leise:

»Ihre Bilder gefallen mir.«

»Dieses Bewußtsein wird mir Kraft verleihen, immer Besseres zu leisten,« sagte er, nicht in dem Tone eines Mannes, der ein Kompliment machen will, sondern mit einer Einfachheit, an der man die Aufrichtigkeit herausfühlte.

Sie sah zu ihm auf, während er sprach, und ein leichtes Rot stieg ihr in ihre Wangen, aber sie blieb die Antwort schuldig.

»Ich glaube,« fuhr Marcus fort, indem er an ihrer Seite Platz nahm, »Anfänger zu unterstützen ist das Edelste, was man tun kann.«

»Ein leichter Dienst, den man ihnen erweist, erscheint ihnen oft als eine Großtat.«

»Weil der Anfang eben das Schwerste ist. Wenn man erst festen Boden unter sich hat, schreitet man verhältnismäßig leicht vorwärts. Der erste Erfolg ist entscheidend. Sie kennen doch das deutsche Sprichwort: Wo Tauben sind, da fliegen Tauben zu.« Er sprach ernst, und seine blauen Augen leuchteten vor Erregung.

»Aber ist denn der Erfolg der höchste aller Wünsche? Gibt es nicht Begehrenswerteres im Leben?« fragte sie sanft und leise.

Die Frage kam ganz unerwartet, aber zum Glücke wurde ihm die Antwort erspart, denn in demselben Augenblicke klopfte das Dienstmädchen an der Tür und brachte das Teebrett. Sie stellte dasselbe auf ein kleines dreifüßiges Tischchen, das ebenfalls der Hausfrau gehörte, und entfernte sich mit ungeschicktem Knickse. Mrs. Stonex zog ihre Handschuhe ab und schenkte ein. Das Atelier sah jetzt sehr gemütlich aus.

»O, wenn nur Capri auch hier wäre!« dachte Marc. »Wie würde sie sich über das alles freuen!« Aber niemand in der Gesellschaft außer Marrix hatte eine Ahnung von ihrer Existenz, sie fragten nicht einmal nach dem Originale seiner ›Bettelmaid‹.

Das Bild stand auf der Staffelei, gerade gegenüber seinem Platze; so oft er seinen Blick erhob, mußte er es sehen, und es schien ihm, als ob es Capri selbst wäre. Indem er an das Mädchen mit dem klassisch-griechischen Profile, den ausdrucksvollen Augen dachte, vergaß er ganz die Anwesenheit seiner Gönnerin und versank in Träumereien. Er hörte nichts von den Auseinandersetzungen Mr. Freakes über die antike und moderne Kunst, nichts von den poetischen Einwendungen des Dichters, plötzlich wandte sich Mrs. Stonex an ihn und sagte ihm viele angenehme Dinge, dann erhob sie sich und mit ihr die ganze Gesellschaft. Die Bilder waren besichtigt, die Meinungen darüber ausgetauscht, der Tee geschlürft, es blieb also nichts mehr übrig, als sich zu empfehlen.

Marcus und sein Freund begleiteten die Herrschaften zum Wagen hinunter. Die Pferde scharrten schon ungeduldig auf dem Straßenpflaster, das silbergeschmückte Geschirr blitzte im Sonnenscheine, und die Hausfrau, die, hinter einem Vorhange versteckt, die Szene beobachtete, fühlte ihr Herz freudig schlagen. Es war doch keine Kleinigkeit, einen Mieter zu haben, dessen Besucher in der eigenen Equipage vorfuhren.

»Vergessen Sie nicht, daß ich jeden Donnerstag empfange,« sagte Mrs. Stonex, während Marcus ihr in den Wagen half.

»Ich danke sehr, ich werde daran denken.«

Sie reichte ihm noch einmal lächelnd die Hand, und im nächsten Augenblicke war der Wagen um die Ecke verschwunden. –

»Ich gratuliere dir von ganzem Herzen, altes Haus!« rief Newton, als sie wieder ins Atelier eintraten; sie waren wie übermütige Schuljungen hinaufgestürmt.

»Glaubst du wirklich, daß man mich auffordern wird, in der ›Grosvenor‹ auszustellen?«

»Ob ich's glaube? Ich weiß es bestimmt, denn ein Wort deiner Gönnerin genügt. Eines deiner Bilder wird so sicher in der diesjährigen Saison dort hängen, wie auf den Dezember der Januar folgt.«

»Aber was wird Capri dazu sagen, wenn ich die ›Bettelmaid‹ schicke?« fragte Marc, nachdenklich vor dem Bilde stehen bleibend.

»Sie wird halbtoll vor Freude werden, denn: ›Capri, dein Name ist Eitelkeit!‹ Sie ist ein wahres, echtes Weib.«

»Es ist ein großes Glück für mich, Newton. Ich kann mit Worten kaum ausdrücken, wie ich mich freue.«

»Du bist ein Genie, mein Junge, aber was bedeutet dieses ohne Glück? Eine unbequeme, tötende Gabe, die den Besitzer verhindert, sein Brot mit derselben Leichtigkeit zu verdienen, wie seine weniger begabten Mitmenschen. Es ist Unsinn, zu sagen, daß ein Genie sich stets seinen Weg bahnt; nur von der Unverschämtheit gilt dies!«

»Meinst du das wirklich?«

»Ich bin davon überzeugt. Frage all unsere berühmten Männer und Frauen, ob sie ihren Ruhm dem Zufalle – was gleichbedeutend ist mit Glück – oder ihrem Genie verdanken, und sie werden dir antworten: ›Dem ersteren.‹ Das Genie verhungert heutzutage geradesooft in einer Dachstube und wird in ein Armengrab gebettet, wie in den ›guten‹ alten Zeiten. Würde der begabte Dichter Chatterton Hand an sich gelegt haben, wenn der Staatsmann Horace Walpole ihm die verlangte Hilfe gewährt hätte? Würde die Welt jemals von Molière oder Lully gehört haben, wenn der Zufall sie nicht mit Ludwig dem Vierzehnten zusammengeführt hätte? Was für diese der mächtige König war, wird für dich Mrs. Stonex sein. Aber jetzt gib mir eine Zigarre zur Beruhigung meiner aufgeregten Nerven, – alter Knabe!«


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