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19. Ein treuer Freund.

Der dumpfe Schall der ins Schloß fallenden Tür weckte Marcus Phillips aus seiner Erstarrung. Aufstöhnend warf er sich auf den Diwan und vergrub sein Gesicht in den Kissen. Capri hatte ihn verlassen, und mit ihr alle Hoffnung auf die Zukunft. Die Welt erschien ihm trostlos und öde, sein Dasein zwecklos. Wofür sollte er leben und streben mit dieser nie heilenden Wunde im Herzen?

Stundenlang lag der junge Künstler beinahe bewegungslos auf dem Diwan und konnte es nicht fassen, wie Capri ihn so grausam zu verlassen, sein und ihr Schicksal so zu vernichten vermochte. Er würde, wenn sie es verlangt hätte, jedes Opfer für sie gebracht haben, selbst der Tod hätte ihn nicht zurückgeschreckt, und sie, die er für edel und keusch gehalten, wollte nicht einmal einem hohlen Titel entsagen, um der Stimme ihres Herzens zu folgen? Diese grausame Enttäuschung war die bitterste Pille, die er je geschluckt. Im Geiste ging er noch einmal all die Szenen ihres Abschiedes durch; wie einen Dolchstoß empfand er die Nachricht von ihrer Verlobung, er hörte die harten Worte, die er ihr sagte, ihren Verzweiflungsschrei, sah sich zu ihren Füßen, sie beschwörend, den Ehrgeiz, der ihr Leben vergiften würde, zu unterdrücken. Kein Schutzengel hätte die Seele seines Schützlings wärmer verteidigen und um sie kämpfen können, als er um diejenige seines Lieblings gekämpft.

Vergebens, sie blieb taub für seine Bitten, ließ ihn gebrochenen Herzens zurück, um einem Leben voll Lug und Trug entgegenzugehen. All die Teufel, die einst den heiligen Antonius in Versuchung führten, trieben jetzt ihr Spiel mit ihm; er streckte verlangend die Arme nach dem Weibe aus, das seine krankhaft aufgeregte Phantasie ihm vorgaukelte und all seine Sinne gefangennahm.

Erst die Töne einer Drehorgel, die plötzlich in der Stille des Sommerabends zu ihm heraufdrangen, weckten ihn aus seiner seltsamen Stimmung, das Luftgebilde verflog, und er erwachte zu neuem Schmerze. Nach kurzer Zeit trat Newton Marrix ein. Der Künstler war durchaus nicht in Plauderstimmung und wollte den Besucher fortschicken, besann sich aber rechtzeitig darauf, daß die Anwesenheit eines guten Freundes ihm seine Vereinsamung vielleicht weniger empfindlich machen werde.

»Was machst du in dieser Finsternis?« fragte der Schriftsteller, über einen Stuhl stolpernd. »Geschlafen?« Und er setzte sich zu ihm aufs Sofa, ihm die Hand schüttelnd.

»Vielleicht.«

»Soll ich Licht machen? Ich habe Streichhölzchen bei mir.«

»Ich möchte, wenn du nichts dagegen hast, lieber im Dunkeln bleiben. Ich glaube, das wird mich beruhigen.«

»Beruhigen?! Was zum Geier ist denn mit dir los, altes Haus? Heraus damit! Beichte mir!«

Und nach kurzer Zeit beichtete der Maler. Er sagte dem Freunde alles, alles. Dieser war sehr erstaunt und meinte:

»Sie ist deiner einfach unwürdig! Tausendmal unwürdig, teurer Freund! Ich bitte dich dringend, nicht mehr an sie zu denken. Meide und vergiß sie.«

»Halte ein! Sie ist trotz allem der zärtlichsten Hingebung würdig, und wenn ich nicht mehr an sie denken dürfte, wäre mein Unglück noch viel größer, ich kann und will ihr Bild nicht aus meinem Herzen bannen!«

»Die Zeit wird's dich lehren! Sie hat schon an vielen gebrochenen Herzen Wunder geübt!«

»In der Dichtung!«

»Noch öfter in der Wirklichkeit.«

»Du bist gefühllos.«

»Aber vernünftig.«

»Versprich mir, nie mehr auf den Gegenstand zurückzukommen.«

»Ich verspreche es dir auf Ehrenwort. Denn je weniger du an die Treulose denkst, desto rascher wirst du sie vergessen lernen,« rief Newton und schlug herzlich in die dargebotene Hand ein.

»Jetzt kannst du Licht machen, wenn du willst.«

»Ob ich will! Bei Licht sieht sich alles viel freundlicher an,« erwiderte Marrix, zündete ein Wachshölzchen und mit diesem das Gas an. Dann wandte er sich wieder an Marc, mußte sich aber zusammennehmen, um einen Ausruf des Entsetzens zu unterdrücken, denn sein Freund hatte sich in wenigen Stunden furchtbar verändert. Er sah um mindestens zehn Jahre älter aus; die Augen blickten düster aus ihren eingefallenen Höhlen, und ein Zug um den Mund erzählte von dem tiefen Weh, das er empfand.

»Du hast mein letztes Bild und meinen ersten Auftrag noch nicht gesehen?« fragte Marc, bemüht, ein gleichgültiges Gespräch anzuknüpfen.

»Nein,« entgegnete Marrix und trat vor die Staffelei, auf welcher dieses stand. »Eine entzückende Landschaft! Soweit ich bei der schlechten Beleuchtung urteilen kann, ist dir der Widerschein der dunkeln Baumwipfel auf dem stillen Wasserspiegel vorzüglich gelungen. Der Fluß zieht sich so natürlich in seinem Bette hin, daß man förmlich das Murmeln der Wellen zu hören vermeint.«

»Gefällt es dir wirklich, New?« fragte Marcus erfreut.

»Das will ich meinen!« rief dieser begeistert.

»Der Anblick dieser Idylle weckt in mir die Sehnsucht, der Stadt den Rücken zu kehren und ein ähnliches friedliches Fleckchen Erde aufzusuchen.«

Der Künstler steckte seine Hände in die Hosentaschen und fand in einer derselben seine kurze Pfeife, die er sofort stopfte und anzündete.

»Darf ich dir eine Zigarette anbieten?«

»Wenn du erlaubst, nehme ich ein bißchen Tabak aus deinem Topfe, ich habe meine Pfeife mitgebracht. Du, Marc, wenn ich dein Talent besäße, würde ich die Welt nicht für eine trostlose Wüste halten. Erhebe vorläufig die Kunst zu deiner Geliebten, das übrige wird sich nach und nach finden!«

Stillschweigend bliesen sie dichte Rauchwolken aus ihren Pfeifen, dann neigte sich Marcus liebevoll über das Bild, wie etwa ein Vater sich über sein schlafendes Kind neigen würde, und sagte:

»Ach ja, die Kunst ist die edelste Geliebte, an ihrem Herzen kann man das herbste Leid vergessen, sie tröstet und richtet auf.«

Er nahm einen Pinsel zur Hand und fing an, da und dort einen Strich auf die Leinwand zu machen. Sein Freund beobachtete ihn aufmerksam und bemerkte, wie nach und nach die düsteren Wolken von seiner Stirne schwanden. Er sagte sich, daß nur angestrengte Arbeit das Herz des jungen Künstlers heilen könne, da er bei dieser alles andere vergesse.

»Marc, ich habe eine famose Idee!«

»Ich gratuliere dir! Willst du die Heldin durch Gift oder durch einen Dolchstich sterben lassen?« fragte er, matt lächelnd.

»Nein, dafür aber meinen Helden von tiefem Herzeleid befreien. Er soll zum Wohle der Menschheit gesunden, und das kann er nur, wenn ich ihn ins Ausland schicke – sagen wir ins sonnige Italien, wo er Kunst und Kunstgeschichte studieren soll.«

»Ist dein Held ein Künstler?«

»Und was für einer! …O Marc, glaube es mir, es wäre für dich das einzig Richtige, du schnürtest je eher, je lieber dein Ränzel, sähest dir die schöne Gotteswelt an, machtest in Italien Studien und kehrtest nach Jahresfrist an Leib und Seele gesund in unser Nebelland zurück.«

Marcus Phillips reichte dem Freunde gerührt die Hand:

»Ich danke dir, New, deine Teilnahme tut mir wohl, sie lehrt mich, daß man niemals an der Menschheit zu verzweifeln braucht, selbst wenn man die bittersten Erfahrungen gemacht hat …Auch magst du recht haben, daß mir eine kleine Reise wohl täte, aber ich kann jetzt nicht weit fort.«

»Versuche es nur.«

»Ich werde aufs Land gehen und vielleicht in Kent oder Sussex der Natur manches ablauschen.«

»Das ist das einzig Richtige für dich. Du mußt ein ganz neues Leben beginnen, neue Menschen und Gegenden kennen lernen. Die Bildergalerien Italiens, die köstlichen Schätze, die man in dem Halbdunkel alter Kirchen versteckt findet, aufsuchen, dich an ihnen bilden, und das kannst du nur an der Wiege der Kunst – im alten Rom.«

»Ja, ja, es wäre herrlich, aber ich sage dir ja, daß ich in diesem Jahre noch nicht in der Lage bin.« –

»Nicht in der Lage? Aber Menschenkind, du hast doch für die ›Bettelmaid‹ ein Heidengeld bekommen.«

»Ich bin froh, daß ich es noch nicht angetastet habe und es dem Besitzer zurückerstatten kann, denn ich bin fest entschlossen, das Bild, wenn es irgend geht, zurückzuerlangen.«

»Unsinn! Bedenke doch, welchen Preis du dafür bekommen!«

»Ja, von ›ihm‹! Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß er es behalten soll.«

»Welchen Plan hast du damit, wenn er gewillt wäre, es dir zurückzugeben, was ich sehr bezweifle?«

»Noch gar keinen.«

»Ich sehe schon, du willst es für dich behalten. Das geht aber nicht an, denn es würde dich verrückt machen, das Bild zu jeder Stunde des Tages vor dir zu sehen. Und wenn du es verkaufst, warum soll es Lord Harrick nicht ebenso gut besitzen, wie irgendein anderer Käufer, der dir nicht einmal die Hälfte dafür bieten würde?«

»Sprechen wir nicht weiter darüber; ich muß wenigstens versuchen, es wieder in meinen Besitz zu bekommen, und werde eine Bekannte, die den Verkauf vermittelt hat, bitten, ihn rückgängig zu machen.«

»Diese Bekannte ist Mrs. Stonex?«

»Ja.«

»Ein edles, hochherziges Weib.«

»Das ist sie.«

»Deren Liebe jeden Mann beglücken müßte …Ich wundere mich nur darüber, daß sie noch immer Witwe ist.«

»Wahrscheinlich liebt sie ihre Freiheit.«

»Das mag sein …Freiheit ist für Männer ein goldenes Gut, aber für Frauen …«

»Für Frauen nicht minder.« –

»Du stimmst also für die Gleichberechtigung der Geschlechter?«

»Ja, sie würde nur Nutzen bringen.«

»Bedenke doch, daß die Freiheit des Weibes gleichbedeutend ist mit Ehelosigkeit. Ein Junggeselle schlägt sich ganz gut durch die Welt, aber eine alte Jungfer muß sich doch schrecklich einsam und verlassen vorkommen …Ich bin überzeugt, daß etwas dahintersteckt, weshalb die junge, reiche, schöne und vielbegehrte Mrs. Stonex Witwe bleibt.«

Marcus fielen plötzlich die Worte Capris ein, und er durchlebte in Gedanken noch einmal jenen Morgen, an dem Mrs. Stonex ihn wegen des Verkaufes der ›Bettelmaid‹ zu sich gebeten. Es war ihm ein Etwas in ihrem Wesen aufgefallen, was er damals nicht zu verstehen, was er sich aber jetzt zu erklären vermochte. Nur wenige Frauen waren ihm mit einer solchen Zartheit und Verständnisinnigkeit entgegengekommen wie Mrs. Stonex.

»Sie fühlt sich wahrscheinlich als Witwe glücklicher, denn sie herrscht jetzt über viele, während sie als Gattin nur einen Untertan hätte,« entgegnete Marc.

»Frauen wie diese wollen gar nicht herrschen, übrigens sollte es gar keine tun.«

»Du bist ein Despot.«

»Durchaus nicht! Ich halte es für die Pflicht der Frauen, in allen Dingen gehorsam, treu und nachgiebig zu sein.«

»Tyrann!«

»Scherz beiseite, ich habe schon oft darüber nachgedacht, weshalb deine Gönnerin bereits zwei glänzende Anträge zurückgewiesen hat, darunter einen Pair.«

»Ich habe es auch gehört,« entgegnete Marc unruhig.

»Sie hat entweder kein Herz, oder sie ist verliebt … Wollen wir übrigens nicht ein wenig Luft schnappen? Du mußt dich dieser trüben Gedanken entschlagen und dich ein wenig zerstreuen …Im Gaiety-Theater wird eine neue Posse gegeben.«

»Ich bin wirklich nicht in der Verfassung, in das Theater zu gehen …aber wenn es dir recht ist, wollen wir zuerst etwas essen und dann – – –«

»Philosophieren; nach Tisch ist das die angenehmste Beschäftigung.«

»Hol der Teufel die Philosophie!«

»Ganz deiner Ansicht. Ich bemerke überhaupt, daß sich deine Weisheit von Minute zu Minute steigert. ›Philosophie bedeutet Weisheit, und nur Narren sind weise, weise Männer also Narren‹, hat ein Philosoph gesagt …Doch, was wollen wir nach Tisch beginnen?«

»Am liebsten einen Spaziergang durch den Hyde-Park machen.«

»Angenommen!«


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