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1. In Marcus Phillips' Atelier.

S Stillgesessen Capri!« rief Marcus Phillips, hörte zu malen auf, blickte prüfend von der Leinwand auf das Mädchenantlitz und dann wieder zurück.

»Das ist leichter gesagt als getan, Marc,« entgegnete sie vertraulich. »Ich kann ja gar nicht stillsitzen – außer wenn ich ernstlich nachdenke.«

»Pflegst du das zu tun?«

»Welche Frage! Du denkst wohl, ich sei immer so kindisch, wie hier bei dir?«

»Es täte mir leid, wenn du es nicht wärest,« bemerkte er, eifrig weitermalend.

»O, Freund, es gibt Tage, an denen ich denke und denke, bis mir der Kopf schmerzt! Nächte, die ich wachend verbringe, von dem einen Gedanken gequält, wie sich mein künftiges Leben gestalten wird!« Sie seufzte bei diesen Worten tief auf und warf den Kopf zurück.

»Aber Capri, du hast die Stellung wieder geändert! Du könntest die Geduld eines Fra Angelico auf eine harte Probe stellen. – Blicke etwas mehr nach rechts. – So geht's nicht.« Damit trat der Künstler auf das Mädchen zu, nahm ihr Köpfchen in beide Hände und gab ihm die gewünschte Haltung.

»Ich bitte dich, sitze nur noch ein kleines Weilchen still, wir können ja dabei weiterplaudern. – Doch, um auf unser Gespräch zurückzukommen: jeder Mann und jedes Weib hat auf Erden seine Bestimmung zu erfüllen. Wäre es nicht besser, du überließest dem allgewaltigen Schicksale, das Rätsel deines Lebens weiterzuspinnen?«

»Ich weiß nicht; das Schicksal scheint mir sehr langsam vorzugehen.«

»Du bist ja noch so jung.«

»Nicht so jung, wie du glaubst,« entgegnete sie nachdenklich. »Ich zähle schon achtzehn Jahre. Wir Kinder des Südens entwickeln uns rasch. – Ich werde bald eine ›junge Dame‹ sein, lange Kleider und hohe Frisuren tragen und dich Herr Phillips nennen müssen.« Dabei lachte sie fröhlich auf, wie ein übermütiges Kind.

»Ich kann mir dich gar nicht als steife englische ›Miß‹ vorstellen.«

»Davor mögen mich auch alle Heiligen bewahren! O Marc!« fügte sie nach einer Weile ernst hinzu, »solange man jung ist, ist es sehr schön und angenehm, aber hier in England muß man ehrbar und reich werden, wenn man die »Zehn« hinter sich hat, – namentlich eine Frau.«

»Muß man?«

»Ja; nicht, daß ich viel nach der sogenannten ›Achtbarkeit‹ frage; sie macht die Leute dumm, schwerfällig und langweilig; aber ich wünsche mir Geld, viel Geld.«

»Es gibt bessere Dinge in der Welt,« entgegnete er, ihr ernst ins Gesicht blickend.

»Ich kenne nichts Besseres,« sagte sie mit niedergeschlagenen Augen.

»Jetzt vielleicht noch nicht; aber es dürfte eine Zeit kommen, da du anders denken wirst.«

»Nein, Marc, ich niemals. Glaube mir, nichts in unserer Welt, wie sie beschaffen ist, ist so begehrenswert, wie Reichtum. – Die Erfahrungen und Gedanken eines Weibes sind oft reifer, als die des Mannes.«

Sie nickte ihm überlegen zu und ließ dann ihre Blicke durchs Dachkammerfenster über die gegenüberliegenden Dächer schweifen.

»Wenige empfanden und empfinden den Mangel des Geldes so sehr wie ich, aber ich habe nicht vergebens gekämpft und weiß, wo seine Macht aufhört. Es verhilft den Menschen zu wertvollen Dingen, selten jedoch zu ehrlichen Freunden und treuer Liebe.« Er suchte ihre Augen, während er sprach, aber sie hielt sie zu Boden gesenkt, damit sie den seinigen nicht zu begegnen brauchten.

»Man kann ohne Freunde und Liebe leben, aber nicht ohne Geld!« antwortete sie hart.

»Welch kaltes, elendes und glanzloses Dasein wäre das!« sagte er, ging zum Kamin, stopfte seine kurze Pfeife mit billigem Tabak, zündete sie an, kehrte zur Staffelei zurück und nahm die Pinsel wieder zur Hand.

»Geld zieht Freunde an, wie Blumen die Bienen,« fuhr sie nach einer Weile fort, »und für Geld kann man täglich Liebe kaufen.« Diesmal lachte sie bitter auf und blickte dem Maler voll ins Gesicht.

»Dem Manne wünsche ich Glück, der Liebe für Geld erkauft!«

»Wirklich? – Ich gebe zu, daß man so starke Ausdrücke wie ›kaufen‹ und ›verkaufen‹ im Alltagsleben nicht anwendet. Die Phrase ›Ehekontrakt‹ klingt bei weitem besser. – Kupido ist alt und weise geworden und hat die Binde von seinen Augen entfernt. Er sieht jedoch noch scharf genug, um die Herzen der heutigen Weiber nur für diejenigen Männer in Liebe entflammen zu lassen, die schwere Renten haben oder volle Geldkassen ihr eigen nennen.«

»Du bist ungerecht!«

»Durchaus nicht; ich spreche die Wahrheit. Wir leben leider nicht mehr in Arkadien. Die guten alten Götter und Göttinnen verliebten sich nach Herzenslust, ohne viel nach Geld, Equipagen, kostbaren Kleidern zu fragen, und waren glücklich dabei. Ich wünschte, ich hätte damals gelebt!«

Der junge Künstler blieb einige Minuten die Antwort schuldig, dann nahm er die Pfeife aus dem Munde und sagte:

»Etwas muß dir heute quer gegangen sein, Capri, sonst würdest du nicht so verbittert sprechen.«

»Vielleicht; das wäre übrigens bei mir nichts Neues,« entgegnete sie errötend.

»Erzähle mir alles, es wird dich erleichtern.«

»Und dich langweilen!«

»Capri! Du weißt, daß du mir versprochen, mich als deinen wahren Freund zu betrachten. – Mißtraust du mir?«

Sie sprang auf und schlang ungestüm ihre Arme um seinen Hals, so daß die Palette aus seiner Hand mit den Farben nach unten fiel.

»Du bist der treueste, beste Freund, den Männlein und Weiblein sich wünschen können,« rief sie stürmisch und küßte ihn mit der Freiheit und Sorglosigkeit eines Kindes auf die Stirn. Das Blut stieg dem Jüngling heiß ins Gesicht, und in seinen Augen flammte es seltsam auf.

»Nun, Capri, was hat dich heute so verstimmt?« fragte er, als sie ihn von der süßen Last ihrer Arme befreit und rasch wieder ihren Sitz eingenommen hatte. Sie antwortete nicht gleich, und er benützte die Zeit, um die beim Falle durcheinandergemischten Farben zu reinigen.

»Bitte, bitte, Capri, beichte mir, während ich diese wenigen Striche vollende, solange es hell ist. Dann sollst du Kaffee kochen, ich habe kaltes Brathuhn, Schinken, Wurst und Weißbrot. Wir wollen das lukullische Mahl genießen und lustig sein wie – –«

»– – die Bacchanten. – Manchmal denke ich, du, Marc, müßtest eine Frau gewesen sein und in Arkadien gelebt haben. Ich bin überzeugt, du tanztest einst nach Pans Pfeife in den kühlen, herrlichen Wäldern, nahmst an den Gelagen von Silenus teil und tummeltest dich, mit heiligen Rosen- und Myrtenketten gebunden, mit den Dryaden um die Wette herum –«

»Wie glücklich muß ich gewesen sein!«

»Und du wärest es noch, wenn du dich nicht in die Tochter eines Sterblichen verliebt hättest, zur Strafe aus Arkadien verbannt und als Sterblicher in diese hausbackene, fleisch- und puddingessende Welt versetzt worden wärest.«

»Ich wollte, ich könnte in diese meine Heimat zurückkehren,« bemerkte er, auf ihren Scherz eingehend.

»Das würde dir nichts mehr nützen, da du einmal unter den Erdenkindern gelebt und von dem Baume der Erkenntnis genossen hast. – Die liebe Einfalt, die du als Faun besessen, hast du verloren und kannst sie ebensowenig wiederfinden, wie die armen Sünder trotz aller Buße ihre Seelenreinheit wiederfinden können.«

»Vielleicht doch! Mein Erdenwallen würde mir als Traum erscheinen.«

»Sehnen wir uns denn niemals nach Dingen, die wir im Traume erschaut oder empfunden?« fragte sie gedankenvoll und saß dann eine Weile still, die der Künstler benützte, um hier und dort einen Strich an dem Bilde zu ändern. Endlich hielt er inne und sagte: »Du hast mir noch immer nicht mitgeteilt, was dich heute so verstimmt hat?«

»Es ist nichts. Immer und immer wieder die alte Geschichte. Papa hatte mit unserer Hausfrau wegen der rückständigen Miete Streit und nicht einen Penny in der Tasche. Seine Pension ist erst nächste Woche fällig.«

»Und bis dahin?«

»Lebt er von dem Gelde, das er von seinen Freunden entlehnt,« entgegnete sie bitter. »Seit Jahren und Jahren kenne ich nichts anderes, und doch kann ich mich an ein solches Dasein nicht gewöhnen; es ekelt mich an.«

»Mir war es immer ein Rätsel, wovon du lebst. Sage es mir, Capri.«

»Ich schlage mich schon durch. Papa hat ganz recht: Mrs. Fums – unserer edlen Wirtin – Bellen ist weit schlimmer als ihr Beißen. Ich gebe ihren beiden Töchtern Gesangsstunde und habe es zuwege gebracht, daß sie mich lieben; ihre Liebe ist der sichere Paß zum Herzen der Mutter. Papa muß die Geduld der braven Frau auf eine harte Probe gestellt haben, daß sie heute so barsch mit ihm umging. Glaube mir, es ist schrecklich, einen Vater zu haben, der all seine Freunde ausbeutet und bei Bekannten Schulden macht, aber noch schrecklicher, in zwei Hinterzimmern zu wohnen, die man nie bezahlen kann! – Ich stehle mich oft wie eine Verbrecherin treppauf, treppab, aber ich kann es auf die Dauer nicht ertragen und werde –«

»Was?«

»Der Himmel weiß es; ich nicht. Der Bühne darf ich mich nicht widmen, weil Papa es nicht erlaubt, und dann möchte ich ihn jetzt auch noch nicht verlassen …Er würde sicherlich auf Abwege geraten …«

»Nein, Capri, du darfst ihn nicht verlassen! Hast du mir nicht erzählt, daß er dein einziger Verwandter ist? Du mußt bei ihm ausharren, bis du jemand das Recht gegeben, fürs Leben dein Beschützer zu sein.« Aus seinen Worten sprach die Tiefe seiner Empfindung.

»Du meinst, bis ich mich verheirate? Das kann noch lange dauern – – – vielleicht länger, als ich es ertragen kann.«

Es trat eine Pause ein. Capri dachte über ihre Zukunft nach, während der junge Maler sich zum ersten Male nach irdischen Gütern sehnte und seine Armut verwünschte.

»Papa ist so …so töricht, ich kann ihn nicht achten, so sehr ich mich auch bemühe,« nahm sie das Gespräch bald wieder auf. »Als er im vergangenen Quartale seine Pension bekam, bestellte er ein Souper und ein halbes Dutzend Flaschen Rotwein, ohne mir etwas davon zu sagen, lud sich Gäste ein …Gäste mit wohlbekannten, guten Namen, aber schlechten Manieren. Du weißt, daß Papa eine Leidenschaft für gute Diners und Titel hat. So brachte er denn Lord Harrick und einige andere langweilige Aristokraten, die er in der Turnanstalt, wo er Fechtunterricht erteilt, kennen gelernt; aber seine erprobten Freunde, dich, den guten alten Pallamari und Newton Marrix, vergaß er einzuladen.«

»Dein Vater ist eben nicht Bohémien genug, um sich in der Gesellschaft eines alten Musiklehrers und eines Farbenklecksers wohlzufühlen. Du darfst ihm das nicht nachtragen.«

»Aber Anleihen macht er bei ihnen; dazu sind sie ihm gut genug …Gestern bat er einen seiner sogenannten Freunde mit gutem Namen aber schlechten Manieren um Vorschuß für die Fechtstunde. Der edle Mann hat es ihm rundweg abgeschlagen.« Sie lachte bei den letzten Worten hellauf, aber das Lachen hatte eine bittere Beimischung.

»Ich wundere mich oft, wie ein solcher Vater zu einer solchen Tochter kommt!« warf der Künstler ein.

»Ich werde heute mein Versprechen einlösen und dir meine Lebensgeschichte erzählen …Willst du?«

»Ob ich will …! Wir wollen sofort die Sitzung beendigen,« sagte er, indem er die Pinsel ausspritzte und das Bild noch einmal prüfend musterte. Capri erhob sich und betrachtete, an seine Schulter gelehnt, das halbfertige Gemälde lange und aufmerksam.

»O, wie schön hast du mich gemacht, Marc! Aber wie kamst du darauf, mich gerade als Cophetua zu malen?«

»Ich weiß es nicht. Ich glaube, weil du dich so sehr dazu eignest. Sollte ich dich als Ophelia, Desdemona oder gar als Kleopatra verewigen?«

»Nein, nein! Ophelia und Desdemona waren närrische Geschöpfe, die für ihre Liebe gelitten haben, dessen bin ich nicht fähig …Und für die Kleopatra fehlt mir die nötige Hoheit …Du hast recht, der Charakter der ›Bettelmaid‹ paßt am besten für mich.«

»Mit Kron' und Purpur stieg hinab der König
Vom Thron, um zu begrüßen diese Maid.
Da sprachen alle Lords: Das ist kein Wunder,
Denn schöner ist sie, als der lichte Tag,«

rezitierte Marc.

»Schönheit ist doch eine alles bezwingende Gabe!«

»Aber oft auch eine gefährliche!«

»Das ist noch die Frage, mein Freund,« entgegnete sie, blickte wieder prüfend auf das Gemälde und von diesem in den kleinen Spiegel, der an der niedrigen Dachkammerwand hing. Ein Lächeln der Genugtuung umspielte ihre Lippen und ließ ihr Antlitz in freudigem Glanze erstrahlen, denn sie ward sich in diesem Augenblicke ihrer siegesgewissen Schönheit bewußt. Man konnte sich aber auch kaum ein entzückenderes Mädchenantlitz denken, als dasjenige Capris mit seinem vollendeten griechischen Schnitte. Die Stirn niedrig und gerade, die Nase edel, wie aus Marmor gehauen, der Mund klein und doch voll, Empfindungsfähigkeit und zugleich Freude am Genuß ausdrückend; schöngeformte Augenbrauen, dunkle, mandelförmige, feuchtschimmernde, unergründliche Augen, volles, dunkles Haar mit leichtem Goldschimmer, und ein matter, olivenfarbiger Teint, der den Neid der Göttinnen hätte wachrufen können.

Marcus Phillips betrachtete ernst das kindliche Entzücken, das sich auf ihren Zügen ausprägte, während sie das Gemälde mit ihrem eigenen Ich im Spiegel verglich. Mit dem angeborenen Instinkte des Künstlers liebte er alles Schöne, aber er hatte bis jetzt dem jungen Mädchen gegenüber noch mit keinem Worte angedeutet, wie reich Mutter Natur sie beschenkt hatte.

»Mit Schönheit erreicht man vieles im Leben, aber ihre Macht kann auch verderbenbringend wirken, wie diejenige des Goldes,« unterbrach er nach einer Weile ihr Spiel, schob die Staffelei zur Seite und stellte ein kleines Tischchen in die Mitte des Zimmers.

»Wenn man nur viel damit erreichen kann. Aber lassen wir jetzt das Philosophieren, Marc, und gib mir den Kaffee, damit ich ihn bereite, ich bin unmenschlich hungrig! …Übrigens ist zu allen Zeiten ein schönes Frauenantlitz imstande gewesen, die weisesten, besten und tapfersten Männer vom Pfade ihrer Pflicht abzulenken und – zu beherrschen …Menschliche Natur bleibt immer menschliche Natur! …Doch jetzt will ich allen Ernstes den Kaffee kochen, decke einstweilen den Tisch, so gut du kannst – Männer sind in solchen Dingen stets ungeschickt.« Sie warf ihm einen schelmischen Seitenblick zu und kniete selbst vor dem Kamin nieder, um mit Aufbietung aller Kräfte die unter der Asche glimmenden Funken zu hellen Flammen anzufachen, was ihr auch gelang. Bald kochte das Wasser, und Capri konnte mit der Anmut einer Hebe den Kaffee kredenzen. Der Künstler hatte inzwischen das Zimmer aufgeräumt, den Tisch mit einer weißen Serviette bedeckt, und aus einem vom Alter geschwärzten Wandschränkchen die versprochenen kulinarischen Genüsse herbeigeholt. Wie zwei lebensfrohe, mutwillige Kinder nahmen die beiden einander gegenüber Platz und griffen herzhaft zu.

»Wie schade, daß du arm bist! Oder besser gesagt, wie schade, daß du nicht reich bist, Marc!« unterbrach das junge Mädchen die Pause, die eingetreten war.

»Weshalb ist es schade? Ich fühle mich ganz glücklich!«

»Du begreifst die Wohltat und Annehmlichkeit des Reichtums gar nicht!« entgegnete sie neckend.

»Um so besser für mich.«

»Wenn du reich wärest, hättest du statt dieser niedrigen Dachkammer ein eigenes luftiges Atelier inmitten eines farbenprächtigen Gartens, rote Samtgardinen, persische Teppiche, an den Wänden italienische Stiche; die Statuen alter Götter und Göttinnen, beschattet von hohen Palmen, orientalische Diwans, – mir scheint, deine Tasse ist leer? Marc, darf ich dir nochmals einschenken? Die Kanne ist noch zur Hälfte voll, – alte Waffen, kostbare Schnitzereien und Spiegel! O, Freund, wäre das nicht herrlich?« Dabei blitzten ihre Augen vor Vergnügen.

»Das mag sein, aber ich bin überzeugt, daß ich nicht halb so glücklich wäre wie jetzt, denn ich könnte nicht an einem selbstgedeckten Tische mit dir allein Tee trinken.«

»Kaffee, wenn ich bitten darf. Aber wenn du reich wärest, würde ich dich besuchen, und du würdest mich mit einem neuen Samtrock und einem Zylinderhut empfangen …«

»Im Atelier?«

»Unterbrich mich nicht! Dein Page würde uns echten russischen Tee in echten Meißner Tassen servieren, und du würdest mich dann malen, wie eine der Rubensschen Frauengestalten, angetan mit prachtvollem Samt.«

Sie seufzte schwer auf und ließ ihren Blick über den kleinen, abgetretenen Teppich und die wenigen ärmlichen Möbelstücke schweifen.

»Was nützt es, sich auf den Mond zu sehnen, wenn man auf der Erde bleiben muß?« bemerkte der Künstler.

»Der Mond wird eines Tages zu dir herabsteigen, Marc, das heißt, du wirst noch reich sein. Pallamari sagt, daß der Genius dich umschwebt, und er versteht viel von der Kunst …Überdies weiß ich aus eigener Erfahrung, daß in deinen Bildern ein unnennbares Etwas ist – man muß sie ansehen und wieder ansehen und kann sie nachher nicht vergessen.«

»Wie schade, daß der Aufnahme-Ausschuß der Kunstausstellung nicht so denkt!«

»Das Urteil des Hänge-Komitees ist nicht maßgebend! Du kennst doch die Geschichte von dem ehrlichen Mitgliede der Kunst-Akademie, das im vorigen Jahre ein Bild anonym einschickte und es sofort zurückerhielt …Sobald du erst berühmt geworden, wirst du für die schlechteste Kleckserei einen fünfzigmal höheren Preis erzielen, als heute für das sorgfältigst ausgearbeitete Bild.«

»Seit wann bist du Prophetin?«

»Das ist Nebensache. – Ich weiß bestimmt, daß du einmal berühmt wirst, aber das wird noch lange dauern, mein lieber Freund!«

»Wenn ich jemand hätte, der mit warten wollte, bis das Glück an meine Tür pocht – –,« sagte er zaghaft.

»Du bist ja noch ein halbes Kind – kaum vierundzwanzig Jahre alt,« unterbrach sie ihn mit fröhlichem Lachen. »Warum willst du jahrelang eine schwere Kette mit dir schleppen und am Ende gar vor lauter Liebe in einer Londoner Dachstube verhungern, ehe Frau Fortuna bei dir anklopft? Törichter Idealist! – Blicke mich nicht so zornig an, sonst weine ich. – Ich schneide wie der Arzt in die Wunde, um sie zu heilen. – Glaube mir, ich bin dabei nicht grausam.«

Marc antwortete nicht; ein schmerzlicher Zug prägte sich in seinem ausdrucksvollen Gesichte aus; ihre Worte hatten seine empfindsame Seele verletzt. Er stand auf und machte sich ein Weilchen am Kamine zu schaffen.

»Ihr Männer müßt Jahre hindurch, und zwar die schönsten eures Lebens, kämpfen und ringen, um Selbständigkeit und Ruhm zu erlangen; bei uns Frauen ist das anders. Ein schönes Weib kann, wenn es auch noch so dumm ist, in einem Tage, nein, in einer Stunde sich beides erobern.«

»Capri!« unterbrach er sie. Ihr scharfes Ohr entdeckte, daß seine Stimme rauher war als sonst. »Du verleugnest dein eigenes Herz – dein besseres Ich!« Seine ehrlichen blauen Augen blickten sie durchdringend an. Sie neigte ihr Haupt und gab keine Antwort, denn sie wußte, daß er die Wahrheit gesprochen.

»Umstände machen uns zu dem, was wir sind,« begann Capri nach einer Weile wieder. – »Bitte, bediene dich noch mit etwas Wurst, Marc. – Ich glaube, mein ganzes bisheriges Leben war ein verfehltes. Ich frage mich oft, wozu ich eigentlich geboren ward. Aber da ich einmal bin, muß ich mein Dasein so gut gestalten, als ich vermag. Es dauert nur so lange, bis das Gute kommt!«

»Und die Zeit ist die ärgste Feindin des Weibes.«

»Werde nur nicht epigrammatisch, das ist nicht dein Fach,« sagte sie neckend, fuhr aber gleich ernst fort: »Seit meiner frühesten Kindheit habe ich nichts als Mangel gekannt; so weit ich mich zurückerinnere, war ich eigentlich niemals Kind. Sorgen machen frühreif.«

»Arme, arme Capri, dann bedaure ich dich aufrichtig! Die Kinderjahre sind eigentlich die schönsten. Das reinste spätere Glück kann nicht für ein verlorenes Kinderparadies entschädigen.« Inniges Mitleid sprach aus seinen Worten.

»Vielleicht nicht,« entgegnete sie und klapperte mit ihrem Löffel in der leeren Tasse. »Ich glaube, ich wäre glücklicher und besser geworden, als ich bin, wenn meine geliebte Mutter nicht so früh von mir geschieden wäre.« – Ihre sonst so munteren Augen hatten einen traurigen Ausdruck angenommen. »Sie war Sängerin an der Oper in Neapel und schön, viel zu schön, um lange auf Erden weilen zu können, sagten die Leute, und sie hatten recht. – Ich erinnere mich ihrer nur aus ihren letzten Tagen, wo ein leidender Zug ihre himmlischen Züge entstellte, aber ich werde dieses Gesicht nie vergessen. – Sie verliebte sich in Papa, der bei der englischen Armee stand, aber nach Neapel gekommen war, seine angegriffene Gesundheit wiederherzustellen. Meine Mutter blieb der Bühne treu, ich erblickte das Licht der Welt auf der Insel, die mir den Namen und noch etwas mehr verliehen. Kurz darauf verlor Mama die Stimme, wurde brustkrank und konnte kein Geld mehr verdienen. – Papa war immer selbstsüchtig und nur auf sein eigenes Wohl bedacht. Als die Mutter ihren Verpflichtungen an der Oper nicht mehr nachkommen konnte, erkaltete seine Liebe für sie, und er mußte plötzlich nach England zurück. Dies brach ihr das Herz und beschleunigte ihren Tod.«

Capri mußte einen Augenblick innehalten, denn Tränen erstickten ihre Stimme.

»Sie trug ihr Leid mit himmlischer Geduld. Gute, treue Freunde – einfache Kinder des Volkes – nahmen sich ihrer auch in dieser schweren Zeit an, denn sie liebten sie, wie sie nachher mich als ihr Vermächtnis liebten. – Sie klammerte sich ans Leben und schied nur um meinetwillen ungern aus demselben. Wie oft drückte sie mich leidenschaftlich an ihre Brust und bedeckte mich mit Küssen, während Tränen ihre eingefallenen Wangen näßten! – Ich konnte damals nicht begreifen, warum meine schöne, angebetete Mutter stets weinte, wenn sie mich liebkoste. – Eines Morgens, als ich mich an ihr Lager schlich, lag sie mit weitgeöffneten, starren Augen da; ich rief sie mit allen Schmeichelnamen an, aber sie antwortete nicht. Ich erfaßte ihre kleine, fast durchsichtige Hand, – sie war eiskalt. In meiner Angst holte ich unsere alte Teresina herbei; sie sagte mir, meine Mutter sei ins Himmelreich eingekehrt, der Kummer habe ihr das Herz gebrochen, und ich sei einsam und verlassen. – Die Welt erschien mir eine unendlich öde Wüste. Ich erwartete schmerzlich die Rückkehr meiner Mutter; damals kannte ich die Macht des Todes noch nicht. Teresina, die brave Seele, liebte und pflegte mich, als ob ich ihr eigenes Kind gewesen wäre. – Gott habe mich ihr gesandt, meinte sie, und betete Tag und Nacht den Rosenkranz für mein Wohlergehen. Der alte Pater lehrte mich lesen und schreiben; das war alles, was er für mich tun konnte. Ehe ich acht Jahre zählte, kannte ich Dante und Tasso vom ersten bis zum letzten Buchstaben. Baptista, der Orgelspieler unserer kleinen Kirche, war mein Musik- und Gesangslehrer; er behauptete, ich besäße die Stimme eines Engels. – Ich glaube, ich hätte bis an mein Lebensende glücklich und zufrieden mit jenen einfachen, aber herzensguten Leuten leben können, und ich wünschte oft, man hätte mich bei ihnen gelassen. – Als ich zehn Jahre zählte, kam Papa nach Neapel, um mich abzuholen. Ich weinte und beschwor ihn, mich nicht von meinen treuen Freunden fortzunehmen. Vergebens, wir reisten nach England. – Ich glaubte, mein Herz würde vor Gram brechen, wie das meiner Mutter. Bald darauf mußte Papa seinen Abschied nehmen vom Militär, weil er, wie er sagte, sein kleines Vermögen verloren hatte – ob er aber jemals welches besessen, das weiß ich nicht. Er erhält sich und mich seit damals durch Fechtunterricht, denn seine Pension reicht, wie dir bekannt, kaum zur Deckung der Miete. – So, jetzt kennst du meine Lebensgeschichte! Ich bin so neugierig, ob ich Neapel je wiedersehen werde! O, es ist ein herrlicher Ort, Marc!« Die Augen der Sprecherin leuchteten begeistert auf, und ihr ganzes Gesicht bekam einen verklärten Ausdruck, als sie fortfuhr: »Ich glaube, die liebe Sonne scheint nirgends so hell, und der Himmel ist nirgends so klar und blau wie dort. Die Erinnerung an Capri verfolgt mich an manchen Tagen wie ein schöner Traum. Ich sehe dann die kleine Hütte am Strande, in der ich so glückliche Stunden verlebt, die barfüßigen Fischer mit ihren roten Zipfelmützen, die von dem Gebrauche gebräunten, auf den Sand gezogenen Boote, die großen, gelben, zum Trocknen aufgespannten Netze; ich sehe das im hellen Sonnenlichte träumerisch schlummernde Neapel und weiter entfernt den alten Vater Vesuv, und ich höre das Rauschen der Wellen wie himmlische Musik!«

»Diese Erinnerungen haben dich zur Dichterin gemacht.«

»Jeder, der Neapel gesehen, schwärmt davon.«

»Wärest du nicht nach England gekommen, ich hätte dich wohl niemals kennen gelernt.«

»Wer weiß? Ich glaube an das Fatum. Wenn es bestimmt war, daß wir uns kennen lernten, so würde es geschehen sein, ohne daß ich meine Zauberinsel hätte verlassen müssen und ohne daß du bei meinem Vater das Fechten zu lernen brauchtest. – Aber, mein lieber Freund, alles nimmt ein Ende in dieser abscheulichen Welt, sogar deine Würstchen und all die Herrlichkeiten des heutigen Abends, und so will ich mich denn auf den Heimweg machen.«

Sie erhob sich von ihrem Sitze und reichte dem Künstler die Hand, die dieser in der seinigen behielt.

»Wann wirst du mir wieder sitzen?« fragte er, um das Mädchen so lange als möglich zurückzuhalten.

»Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen; vielleicht schon morgen, wenn es mir irgend möglich – aber versprechen kann ich es nicht. Ich plaudere so gerne mit dir, fast so gerne, wie mit mir selbst. – Ich pflege das zu tun, wenn ich allein bin, und das bin ich oft. – Du verstehst mich besser, als alle anderen, und bist auch der einzige, dem ich das traute ›Du‹ gestatte.«

»Versuche, morgen zu kommen.«

»Jetzt sage mir noch schnell, was du mit dem Bilde anfangen willst, wenn es erst fertig geworden? Wird mein holdes Antlitz das Schaufenster eines Kunsthändlers schmücken? – vielleicht verliebt sich irgendein reicher Lord in mein Gesicht, fragt, wer ich sei und sucht mich auf. Aber er müßte sehr reich sein.«

»Ich hoffe, daß dies nicht geschieht,« unterbrach sie der Künstler, nahm die Pfeife aus dem Munde und klopfte die Asche bedächtig heraus.

»Sie sind sehr freundlich, Herr Phillips,« entgegnete sie mit angenommener Entrüstung und brach dann in ein silberhelles Lachen aus. »Keine Furcht, heutzutage verlieben sich die Lords nicht so schnell, und Könige heiraten keine ›Bettelmägde!‹ Wie schade, daß gerade ich in diesem prosaischen Zeitalter leben muß!«

»Ich möchte die ›Bettelmaid‹ zur diesjährigen Kunstausstellung schicken; vielleicht bringst du mir Glück!«

»Wirklich? Wie herrlich wird es sein, sich von Anfang Mai bis Ende August den ganzen Tag lang von einer Menschenmenge bewundert zu sehen! Wie sie sich an das Bild drängen werden!« rief sie und klatschte begeistert in die Hände. Ihre Augen flammten vor Freude, und ihr Gesicht strahlte bei dieser Aussicht. »Wenn man es nur annimmt!« fügte sie nach einer Weile besorgt hinzu. Sie dachte dabei mehr an sich, als an den Künstler.

»Wer nicht wagt, gewinnt nicht,« entgegnete dieser lächelnd.

»Du hast recht, Marc. Aber jetzt muß ich wirklich fort. Schönen Dank für den vergnügten Nachmittag! Ich komme, sobald ich kann. – Bitte, hilf mir in meinen Mantel – zerre doch nicht so, er kostet nur dreizehn Schilling und ist sehr fadenscheinig. – Addio, caro mio! – Ah, wie du meine Hand drückst!« rief sie und schnitt eine Grimasse. »Lebe wohl, guter, alter Marc!« Und wie ein Wiesel war sie zur Tür hinausgehuscht.


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