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15. Lord Harrick kreuzt Marcus Phillips' Pläne.

Marcus Phillips fühlte sich auf dem Wege zu Capri glücklich wie ein Junge, dem es gelungen, die Schule zu schwänzen; sein Gesicht strahlte förmlich vor Freude, so daß viele Passanten ihm erstaunt nachblickten.

Die ganze Erde erschien ihm in neuem Lichte, er glaubte, daß die Sonne im Mai noch nie so warm geschienen habe, wenigstens in England nicht, daß die Luft noch nie so warm und würzig, der Himmel noch nie so wolkenlos und blau gewesen sei, wie heute. Ja, selbst die Leute auf der Straße sahen zufriedener und heiterer aus als gewöhnlich.

Dann fiel ihm Mrs. Lordson ein. Ob sie ihn wohl mit Capri allein lassen werde? Noch ehe er sich die Frage beantworten konnte, blieb der Wagen vor ihrem Hause stehen; er sprang rasch heraus, bezahlte den Kutscher und setzte den Klopfer kräftig in Bewegung. Der Neulivrierte öffnete und wollte ihn gerade nach Name und Begehr fragen, als ein rothaariger junger Mann in enganliegenden, nach der neuesten Mode geschnittenen Kleidern die Treppe herunterkam.

Marcus bemerkte, daß der Diener, dessen Haltung bisher so steif war, als ob er ein Lineal verschluckt hätte, aus den Verbeugungen gar nicht herauskam, bis sich die Tür hinter dem anscheinend hohen Gaste geschlossen. Als dies geschehen und er seine gewöhnliche Haltung angenommen, wandte er sich wieder an Marc, den er in das im oberen Stockwerke liegende Empfangszimmer führte. Ehe er noch den Namen des Gastes melden konnte, hatte dieser Zeit, zu bemerken, daß sich Capri allein darin befand und in Gedanken versunken zum Fenster hinausstarrte. Sie schreckte zusammen, als sie sich plötzlich umkehrte und den Künstler erblickte. Eine heiße Blutwelle stieg ihr ins Gesicht und sie senkte ihre Augen vor den seinigen, – lauter Anzeichen, die er zu seinen Gunsten auslegte, als sie, sich langsam nähernd und ihm beide Hände reichend, sagte:

»Ich freue mich, dich zu sehen! …Wie lieb von dir, daß du mich besuchst, doppelt lieb, weil ich weiß, daß du am Morgen nur ungern deine Arbeit unterbrichst.«

Er antwortete nicht gleich, sondern blickte ihr nur tiefernst ins Gesicht. Sie hatte sich, wie er gefürchtet, schon in der kurzen Zeit verändert; ihr Wesen erschien ihm nicht mehr so offen und natürlich, wie er es gewohnt war. Konnte die neue Umgebung sie so beeinflußt haben, oder war es nur mädchenhafte Schüchternheit dem Geliebten gegenüber am fremden Orte? Vielleicht glaubte sie es auch ihrer neuen Stellung schuldig zu sein, als Dame von Welt aufzutreten und ihr kindliches, natürlich-ungezwungenes Wesen aufzugeben. O, seine Capri sollte sich nicht mehr lange diesen Zwang auferlegen! Er nahm an ihrer Seite Platz und entgegnete:

»Ich habe heute nicht gearbeitet. Als ich des Morgens anfing, erhielt ich einen Brief, der mich veranlaßte, sofort auszugehen.«

»Und hierherzukommen?«

»Indirekt. Doch bevor wir weiterplaudern, sage mir aufrichtig, ob ich nicht störe?«

»Durchaus nicht. Mrs. Lordson ist bei ihrer Toilette, und diese wichtige Beschäftigung wird sie mindestens noch eine Stunde in Anspruch nehmen, so daß wir ganz ungestört bleiben werden. Ich bin neugierig, wem du so früh einen Besuch abgestattet hast?«

»Ja, wenn du wüßtest!«

»Spanne mich doch nicht auf die Folter.«

»Das ist gar nicht meine Absicht, denn ich bringe gute Nachrichten.«

»Abscheulicher Mensch!« rief sie halb scherzend, halb ärgerlich, in ihren alten kameradschaftlichen Ton verfallend.

»Wie undankbar du bist! Ich habe die Kosten einer Droschke nicht gescheut, um dir brühwarm die Neuigkeit mitzuteilen, und du schiltst mich noch!« Er zögerte absichtlich, ihr den eigentlichen Zweck seines Besuches zu erklären, um sich an dem Ausdrucke der Ungeduld und Neugier zu weiden, der ihrem Gesichte einen eigenartigen Reiz verlieh. – »Übrigens wäre deine Neugier schon längst befriedigt gewesen, wenn ich nicht draußen in der Vorhalle hätte warten müssen, bis der diensteifrige Lakai einen jungen, rothaarigen, etwas plumpen Dandy zur Tür hinauskomplimentierte. Denke dir meine Ungeduld! Wer war der Herr?«

»Lord Harrick.«

»Lord Harrick?« Zum zweitenmal hörte er heute diesen Namen, und zum zweitenmal empfand er bei Nennung desselben ein schmerzhaftes Gefühl. »Kennt er Mrs. Lordson?« fragte er gepreßt.

»Ja, er kam heute so früh, um sie zu fragen, ob er sie morgen nach Richmond fahren dürfe.«

»Lord Harrick,« sagte er leise, als ob er mit sich selbst spräche, »ist der Käufer meiner ›Bettelmaid‹.«

Ein Zittern überlief ihren Körper, sie erbleichte, und einen Augenblick stockte ihr Atem. Sie mußte sich in den Stuhl zurücklehnen und nach ihren Schläfen fassen, um das Hämmern dort zu dämmen. Lord Harrick, der ihr selbst gesagt, daß er sich für Kunst nicht interessiere, daß Bilder ihn langweilen, hatte ›Die Bettelmaid‹ gekauft, weshalb? – Doch nur, weil diese ihr getreues Ebenbild! Sie fühlte, wie all ihr Blut nach dem Herzen drang, das so heftig pochte, als ob es sich aus seiner engen Zelle befreien wollte. Die Worte des Künstlers brachten einen Sturm in ihrem Innern hervor, der ihr die Fassung raubte. Hatte Harrick das Bild gekauft, um ihr Gesicht stets in seiner Nähe zu haben, oder weil er es seiner Familiengalerie als das der zukünftigen Baronesse Harrick einzuverleiben gedachte?

»O Marc!« rief sie, ihn – heute zum erstenmal – bei seinem Vornamen nennend, »die Nachricht hat mich um meine Fassung gebracht, mich verwirrt, denn du hast mir sie so plötzlich und unvermittelt mitgeteilt.«

Marcus lachte vergnügt auf, denn er glaubte, daß sein Erfolg Capri so ergriff. Er hatte sich zwar ihren Freudenausbruch ganz anders vorgestellt, sie jubelte und tanzte nicht, wie er erwartet hatte, aber das übermütige, impulsive Kind hatte sich eben in ein ernstes, gereiftes Weib verwandelt, dessen Gefühle sich anders, darum aber nicht minder tief und aufrichtig ausdrückten. Das bewies ihm ihre Erregung und der Ausdruck des inneren Glückes in ihren Augen.

»Was hat er dir dafür bezahlt, Marc?« fragte sie hastig. Sie wollte aus der Summe, die der Lord für das Bild geboten, die Tiefe seiner Gefühle beurteilen.

Marc war jedoch überzeugt, daß nur ein lebhaftes Interesse für ihn ihr die Frage entlockt; deshalb antwortete er lächelnd:

»Er hat mir noch gar nichts bezahlt.«

»Du sagtest doch, daß er das Bild gekauft.«

»Ja, er hat mir durch Mrs. Stonex ein Angebot machen lassen.«

»Welches du angenommen hast?«

»Ja.«

»Nun?«

»Was wünschest du noch zu wissen?« fragte er neckend.

»Du bist heute schrecklich! Wieviel hat er dir geboten?«

»O, du Evastochter! Nun denn, höre und staune: zweihundertfünfzig Guineen! ja, sage zweihundertfünfzig Guineen!«

Capri starrte ihn mit weitgeöffneten Augen wie geistesabwesend an. Zweihundertfünfzig Guineen! Das sprach deutlicher als Worte! Und es ward ihr nun ganz klar, daß Lord Harrick das Bild nur gekauft habe, weil es ihr wohlgetroffenes Porträt war und er sie liebte. Daran, was diese in ihren Augen ungeheure Summe für Marc, den aufstrebenden und stets mit Geldnot kämpfenden Künstler, zu bedeuten habe, dachte sie gar nicht. Sie war nur mit sich und der Möglichkeit, Vicomtesse Harrick zu werden, beschäftigt.

Der Künstler beobachtete sie stillschweigend; es gewährte ihm eine große Genugtuung, den freudigen, beinahe triumphierenden Ausdruck ihres Gesichtes zu studieren, den – wie er sich einbildete – nur der Gedanke an sein unverhofftes Glück hervorgezaubert haben konnte! Capri hingegen hatte seine Anwesenheit ganz vergessen und baute Luftschlösser, in denen sie ihm kein Plätzchen gönnte. Endlich begegneten sich ihre Blicke, sie errötete über ihre eigene Selbstsucht und vermochte nur zu stammeln:

»O Marc, wie ich mich freue! – Es wird dir sehr nützen, wenn man sieht, daß du das Bild so rasch verkauft hast. – Neue Aufträge werden dir zuströmen, und du wirst, wie ich dir so oft prophezeit, Reichtum und Ruhm ernten.«

»Das ist nicht das Höchste, was ich mir vom Schicksale erbitte: meine Wünsche versteigen sich höher, Capri,« entgegnete er ernsten Tones. – Seine liebestrunkenen Worte sprachen beredt.

»Reichtum und Ruhm werden mit der Zeit alles andere mit sich bringen,« entgegnete sie leise. Sie wollte ihn eben nicht verstehen.

»Was ich mir wünsche, ist so wenig und so viel!« entgegnete er, ihr immer näher rückend.

»Das klingt ja widersprechend!« meinte sie und ließ ihre Blicke unruhig im Zimmer umherschweifen. »Übrigens hast du mir noch gar nicht gesagt, wie dir der Salon meiner Gönnerin gefällt? – Findest du nicht, daß die grellen Farben dem Auge wehtun? – Wenn ich für Augenblicke meine ermüdeten Augen schließe, glaube ich doch noch große gelbe Flecke vor mir zu sehen, die Farbe verfolgt mich sogar bis in meine Träume.«

Marcus lehnte sich enttäuscht und mißvergnügt in seinen Stuhl zurück. Die Worte erstarben ihm auf den Lippen. – Wie vermochte Capri gerade heute auf seine ernste Bemerkung eine so leichtfertige Entgegnung zu geben! Fühlte sie denn nicht, wie sein ganzes Sein zu ihr hinstrebte? Vor einem Augenblick war er nahe daran, ihr zu Füßen zu fallen, sie zu bitten, sein starkes, treues Herz und seine unendliche Liebe anzunehmen und sein Weib zu werden, dem er den Himmel auf Erden bereiten wollte, und sie hatte leichtfertig das Gespräch auf Mrs. Lordsons geschmacklose Möbel gelenkt! Das tat ihm weher, als er sich selbst eingestand.

»Die Stühle bereiten mir Kopfschmerz,« fuhr sie in demselben Tone fort. »Zuerst überwältigte mich ihre Pracht, aber jetzt finde ich sie entsetzlich. Wenn ich allein hier bin, kommen sie mir mit ihren Ebenholzarmen, den gepolsterten Rücken und Seiten wie reiche, dicke Cityherren in hellen Atlaswesten vor, die mir entgegenschreien: »Komm, komm, du bescheidenes Kind des Volkes, sieh uns nur an und rate, wie viel wir wert sind!« – Ich weiß, daß sie ein kleines Vermögen gekostet, und doch ziehe ich ihnen unsere alten Roßhaarstühle zu Hause vor und gäbe viel darum, wenn ich mich an ihrem Anblicke ergötzen könnte!«

Capri sprach wie jemand, der nur spricht, um zu sprechen, weil sie fürchtete, Marc könnte die Frage an sie richten, ob sie bereit sei, künftig Freud und Leid mit ihm zu teilen und ihn als ihren natürlichen Beschützer zu betrachten. Sie hätte ihm heute nicht zu antworten vermocht, denn wilde Wünsche und ehrgeizige Pläne erfüllten ihr Herz und erstickten in demselben alle besseren Gefühle. So plauderte sie denn, ohne selbst zu wissen, was, und ohne ihm Zeit zur Antwort zu lassen.

»Du müßtest Mrs. Lordson im roten Atlaskleide hier sitzen sehen, – wenn du dann nicht Kopfweh bekommst, hast du Nerven von Stahl, – bunte Farben und Juwelen.«

Ein leiser Seufzer Marcs unterbrach ihr Geschwätz, sie blickte zu ihm auf, mußte jedoch sofort vor seinem vorwurfsvollen Blicke das Haupt zu Boden senken.

»Capri,« fragte er nach einer kleinen Pause, »Capri, möchtest du mich nicht dieser Tage nach Hampton oder Kew begleiten?«

»Wie kann ich?«

»Mrs. Lordson wird dir schon einen Tag Urlaub gewähren. Du weißt, daß wir uns schon längst vorgenommen haben, zusammen einen Landausflug zu unternehmen. In Gottes freier Natur wollen wir alle Amerikanerinnen und Lords, ja sogar die ›Bettelmaid‹ vergessen und als echte Bohémiens einen frohen, freien Tag genießen. Wenn es dir lieber ist, führe ich dich nach Twickenham,« fuhr Marc zärtlich fort. »Ich rudere dich bis Kensington; stelle dir vor, wie köstlich es sein muß, unter dem Schatten der Bäume lautlos dahinzugleiten! Nur das Gezwitscher der Vögel, das Murmeln der Wellen und deine süße Stimme werden die Stille unterbrechen. – Du wirst am Steuer sitzen und mir eine deiner lieblichen Barcarolen vorsingen, das Wasser, der blaue Himmel über uns, der tiefe Friede ringsum, – alles wird dich in deine Heimat zurückversetzen, und du wirst wieder die lebensfrohe, heitere Capri sein. – Zur Abwechslung kann ich dir auch das Ruder überlassen, deinen Platz am Steuer einnehmen und eine Zigarre rauchen.«

Das Mädchen saß wie versteinert da und lauschte seinen Worten.

»Darf ich dich am Mittwoch abholen? Paßt dir der Tag?«

Sein hübsches, offenes Gesicht strahlte vor Vergnügen, in seinem ganzen Wesen offenbarte sich eine freudige Erregung, die sich am deutlichsten in seinen treuen Augen widerspiegelte. Sie warf ihm unter ihren gesenkten Lidern einen sehnsuchtsvollen Blick zu und seufzte tief auf.

O, wenn sie nur Lord Harrick niemals gesehen und gekannt, wenn dieser wahnsinnige Ehrgeiz, sein Weib zu werden, sie nicht erfaßt hätte, wie glücklich könnte sie jetzt sein! Noch vor wenigen Wochen würde sie, bei der Aussicht, mit dem Künstler einen Ausflug machen zu können, vor Freude in die Hände geklatscht haben und ihm dankbar um den Hals gefallen sein. Aber seither hatte sich so vieles geändert; der Strom ihres Daseins hatte eine neue Richtung eingeschlagen, die sie nicht mehr ins alte Bett zu leiten vermochte. Eitelkeit und Ehrgeiz übertönten die warnenden Stimmen ihres besseren Ichs; ein wildes Fieber raste in ihren Adern und raubte ihr die Ruhe, den Frieden und die kindliche Unbefangenheit ihrer früheren, glücklichen Tage für immer. Aus dem frohen, übermütigen Kinde war über Nacht ein vom Sturme bedrängtes Weib geworden, in dessen Innerem die guten und die bösen Geister um die Oberherrschaft kämpften.

»Du vergissest, Marc,« entgegnete sie so sanft wie möglich, um ihm die Enttäuschung nicht so fühlbar zu machen, »daß ich jetzt nicht mehr über meine Zeit verfügen kann.«

»Mistreß Lordson wird dich einen Tag entbehren können.«

»Das weiß ich nicht, denn die Saison steht jetzt auf ihrem Höhepunkte, und ich muß meine Herrin täglich an einen anderen Vergnügungsort begleiten.«

»Frage sie nur, Capri, sie wird nicht so grausam sein, dir dieses Vergnügen zu wehren! Du sollst sehen, wie glücklich wir sein werden, wir wollen die ganze törichte Welt um uns vergessen – –«

»Ich fürchte, daß dies nicht mehr möglich ist,« sagte sie, zum Fenster hinausblickend; »seit ich mein neues Leben begonnen, weiß ich, daß ›die Welt‹ sich von denjenigen, die sich ihr einmal in die Arme geworfen haben, nicht vergessen läßt …Du bist zu sehr Bohémien, um das zu begreifen. Ich, die ich unserem fröhlichen Lande erst seit kurzem den Rücken gekehrt habe, empfinde schon ganz anders, als ich empfunden habe, solange ich seinem sorglosen Stamme angehörte.«

Die heitere Miene erstarb während des Sprechens allmählich auf seinem Gesichte, um einem düsteren Ernste Platz zu machen.

»Vor einem Monate noch hätte ich mit tausend Freuden deinen Vorschlag angenommen und wäre wie ein freigewordenes Fohlen mit dir um die Wette umhergetollt, dabei alles vergessend, nur dich nicht; aber heute muß ich bei jedem Schritte, den ich tue, an das wachsame Auge der bösen Fama denken und alles vermeiden, was ihr Veranlassung geben könnte, später kein gutes Haar an mir zu lassen. Vor einem Monate wäre ich bei der Aussicht, einen ganzen Tag im Freien zubringen zu können, vor Freude beinahe toll geworden; die ungebundene Freiheit, der frische Odem der göttlichen Natur, die schattenspendenden Bäume, der helle Sonnenschein, der Anblick des Wassers, eine Bootfahrt mit dir allein, nur den blauen Äther zum Zeugen, würde für mich ein Paradies auf Erden bedeutet haben.«

»Und warum hat es heute an Bedeutung verloren?« fragte er traurig.

»Weil ich in der Welt lebe und diese es unschicklich fände, wenn eine junge Dame mit einem jungen Manne ohne Gardedame einen Ausflug unternähme. Das wäre ein schrecklicher Verstoß gegen die gute Sitte,« schloß sie mit einem ironischen Lächeln um die Lippen.

»Hole der Teufel die gute Sitte!«

»Amen, Marc! Aber solange der Mann mit dem Pferdefuße unseren frommen Wunsch nicht erfüllt, muß ich mich schon Mistreß Lordson zuliebe fügen.«

»Legst du denn so viel Wert auf das Urteil der Welt?«

»Muß ich es nicht so lange, als ich in ihr lebe? O, mein Freund, sie ist sehr weise.«

»Wie eine Schlange!« entgegnete er bitter, erhob sich und trat an das Fenster.

»Höre, Marc, ich habe in den goldenen Apfel gebissen, den mir Mistreß Lordson gereicht, und besitze jetzt die Erkenntnis, das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Der Preis war hoch, denn zur Strafe mußte auch ich für immer mein Paradies verlassen.«

Sie folgte ihm mit den Blicken und mußte sich gestehen, daß sie Marc nie schöner und männlicher gesehen habe. Wie lächerlich mußte sich neben dieser Erscheinung jene andere, die sie im Wachen und Traume verfolgte, ausnehmen!

»Macht dich deine neugewonnene Erkenntnis glücklich?«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht; ich habe noch nicht reiflich darüber nachgedacht; aber das weiß ich, daß ich, selbst wenn ich wollte, in mein Paradies nicht mehr zurückkehren könnte.«

»Meinst du damit, daß du nicht mehr glücklich werden könntest?« fragte er, drehte sich rasch vom Fenster um und blickte sie ängstlich gespannt an.

»Nein, das meinte ich nicht. Ich wollte damit nur sagen, daß ich mein früheres Leben nicht mehr führen könnte, nachdem ich einmal in den goldenen Apfel gebissen. Du weißt am besten, wie ich unter den Verhältnissen gelitten! Sie mögen zwar für die Stählung des Charakters ganz gesund sein, aber mir schmeckten sie bitter.«

»O, Capri, ich fürchte, daß die neuen Verhältnisse dich sehr verändert haben!« sagte der Künstler traurig.

»Du irrst,« entgegnete sie leichthin. »Du weißt, daß ich immer praktische Ideen entwickelte und dir immer versicherte, ich sei nicht so gut, wie du glaubst.«

»Du legst zu viel Wert auf den äußeren Schein und das Urteil der Welt.«

»Nur so viel, als unbedingt notwendig, um ihr gerecht zu werden, weil sie sich sonst verletzt fühlen würde. Sie hält ihre Meinung für Gesetz, und dieses darf man nicht ungestraft übertreten.«

»Ein Gesetz, das ich verlachen würde!«

»Sonst wärst du ja kein echter Bohémien. Leute deiner Klasse werden von der ›Gesellschaft‹ entweder verhätschelt oder nur geduldet, aber sie stehen immer außerhalb ihrer Grenze – das vergißt sie vielmals.«

»Es scheint mir, Capri, als ob unser Leben nicht nur ein viel freieres und glücklicheres ist, sondern auch ein viel aufrichtigeres, als das der sogenannten ›Gesellschaft‹.«

»Aber auch ein viel bescheideneres, und das ist der gefährliche Felsen, an dem es so oft scheitert. Reichtum kann uns alles Schöne verschaffen, der Anblick des Schönen erfreut das Herz und macht glücklich. Kannst du das bestreiten?«

»Das Glück ruht in unserem Herzen, aber nicht in Äußerlichkeiten.«

»Du als Künstler mußt wissen,« fuhr sie fort, ohne auf seine Bemerkung einzugehen, »was für eine Natur wie die meinige schöne Gemächer, kostbare Kleider und die tausend Kleinigkeiten bedeuten, die das Leben angenehm machen und die nur der Reichtum verschaffen kann. Glaube mir, ich kann ohne alle diese Dinge nicht mehr leben.«

»Ist treue Freundschaft, unendliche starke Liebe nicht weit mehr wert, als all der Flitterkram, von dem du sprichst? Glaube mir, Capri, deine Welt trügt; sie wird dein Herz verhärten und alle besseren Gefühle ersticken; denn ganz töten kann sie sie nicht. Eines Tages wirst du aus dem Rausche, der deine Sinne jetzt gefangen hält, erwachen, deine Umgebung verachten und dich nach den unscheinbaren Schätzen zurücksehnen, die du jetzt von dir wirfst. Laß dich überzeugen, daß treue, echte Liebe das höchste Geschenk der Vorsehung ist.«

»Das kann ich nicht,« entgegnete sie, sich langsam erhebend, denn das Gespräch berührte wieder einen Punkt, den sie ängstlich zu vermeiden suchte. »Du vermagst als Mann gar nicht zu beurteilen, welche Macht schöne Kleider und Juwelen auf ein schwaches Frauenherz ausüben,« schloß sie lachend; am liebsten hätte sie laut aufgeschluchzt.

Zum erstenmal, seit er sie kannte, verletzte ihn ihre Heiterkeit. Sie stand in der Mitte des Zimmers; er näherte sich ihr und fragte mit bebender Stimme:

»Willst du wirklich nicht morgen, oder sagen wir übermorgen, mit mir kommen?«

»Ich kann nicht,« entgegnete sie ernst. »Mistreß Lordson würde es mir auch nicht gestatten.«

»Wenn du dich vor ›der Welt‹ fürchtest, werde ich noch Padre Pallamari dazu einladen; die frische Luft wird ihm wohltun, auch Newton und die beiden Töchter deiner gewesenen Hausfrau.«

»Newton Marrix begleitet morgen Mistreß Lordson und Lord Harrick nach Richmond.«

»Und du?«

»Ich wahrscheinlich auch – als fünftes Rad am Wagen,« entgegnete sie bitter.

Marc sagte nichts mehr, aber die unaussprechliche Freude, die ihn beim Eintritte in dieses Haus beseelt, war erstorben; eine Wolke, deren Form und Farbe er noch nicht zu unterscheiden vermochte, stellte sich zwischen ihn und die Sonne seines Lebens und machte ihn elend.

Hätte Capri ihn nur von seiner Liebe sprechen lassen, er hätte ihr gesagt, wie er den Tag herbeisehnte, an welchem sie vereinigt würden! Er erhob sich, um zu gehen, und wollte noch einen Versuch machen, ihr sein Herz zu offenbaren, aber seine Kehle war wie zugeschnürt, er brachte keine Silbe hervor; so reichte er ihr denn nur die Hand, blickte betrübt in ihre Augen und stammelte:

»Lebe wohl, Capri!«


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