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23. Marcus Phillips' Herzenswunde heilt.

Eine Woche nach seinem Abschiede von Mrs. Stonex verließ Marc England, um seine Ferienzeit in der Bretagne zu verbringen.

Newton Marrix ließ in allen nennenswerten Tagesblättern eine Notiz erscheinen, der junge Künstler sei Studien halber ins Ausland gereist und seine Bewunderer könnten sich gefaßt machen, in der nächsten Saison wieder ein seiner würdiges Kunstwerk ausgestellt zu sehen.

Marcus Phillips kümmerte sich jetzt wenig darum, was die Presse und das Publikum von ihm dachten. Sein Ehrgeiz war erstorben, nicht minder seine Hoffnung für die Zukunft; es trieb ihn weit weg von der Stätte, wo sein Glück begraben lag. Er fühlte sich geistig und körperlich erschöpft und erhoffte von dem vollständigen Wechsel der Verhältnisse Besserung seines Zustandes. Vor seiner Abreise hatte er an Lord Harrick einen höflichen Brief geschrieben, ihn ersuchend, von dem Kaufe der ›Bettelmaid‹ abzustehen, da er sich entschlossen, das Bild selbst zu behalten.

Schon am nächsten Morgen erhielt er die ebenso höfliche Antwort, der Lord sei bereit, eine größere Summe für dasselbe zu bewilligen, falls die bereits übersandte dem Künstler zu niedrig dünke, aber er sei nicht gewillt, den Kauf rückgängig zu machen. Marcus mußte sich zufrieden geben.

Als die Grosvenor-Galerie am 1. August geschlossen wurde, übersiedelte die ›Bettelmaid‹ nach dem Harrick-House, wo sie auf Anordnung des Besitzers in Capris Boudoir aufgehängt wurde. Am Abend nach ihrer Ankunft in London führte Harrick seine Gattin in das elegante, im Pompadourstil eingerichtete Gemach und zeigte ihr das Bild – von der Hoffnung beseelt, ihr damit eine Freude zu bereiten. Capri erbleichte beim Anblicke ihres Ichs, das mit einem Male alle unterdrückten Erinnerungen heraufbeschwor. Ihre Augen hafteten wie gebannt darauf, und der Abschied von Marc tauchte vor ihrem geistigen Auge auf. Damals glaubte sie den Künstler zu lieben, jetzt wußte sie besser, was Liebe sei. Eine große, unendliche Leidenschaft erfüllte ihr Herz, gegen die sie ankämpfen mußte, trotzdem sie wußte, daß sie zu neuem Leben erweckt und daß sie ohne diese zugrunde gehen würde.

Je länger sie das Bild anstarrte, desto bleicher wurde sie und desto weher ward es ihr ums Herz, denn es sprach zu ihr von Tagen und Stunden reinen, ungetrübten Glückes, wie sie es nie wieder empfinden würde, von einer Vergangenheit, die für immer begraben sein mußte. Es war nicht nur ihr wohlgelungenes Porträt, sondern auch der Spiegel ihrer Vergangenheit!

In dem kindlich-unschuldigen, süßen Antlitz der ›Bettelmaid‹ spiegelte sich ihr Bohemienleben wider, das sie als Trägerin eines alten Namens nie mehr aufnehmen durfte. Die Vicomtesse Harrick konnte mit diesem Kinde des Impulses nichts mehr gemein haben, dessen träumerische und doch schelmische Augen sie vorwurfsvoll anzublicken schienen. Eine große Kluft, die nie mehr überbrückt werden konnte, trennte sie von der Vergangenheit. Nie …nie mehr! …Jetzt, da es zu spät war, wußte sie, daß es etwas Besseres und Beglückenderes gab, als Reichtum, hätte sie doch damals Marcs Worten Beachtung geschenkt, sie würde sich heute nicht so unglücklich gefühlt haben! Ja, sie verachtete das Geld und hätte es willig für ihre Freiheit hingegeben; sie selbst hatte sich verschachert, ihre Seele, ihr besseres Ich für ein Phantom geopfert! Und sie durfte dem Manne, dem sie sich verkauft, nicht einmal zürnen, denn er bemühte sich, ihr den Himmel auf Erden zu gestalten, wenn sie nur ihr Herz, ihr törichtes Herz ersticken könnte, dann wäre das Leben ja erträglich. »O, Guy, Guy, warum mußte ich dir begegnen!« schrie es in ihr auf.

Lange stand sie mit krampfhaft ineinandergefalteten Händen bleich und wortlos neben ihrem Gatten, der vergebens auf den Ausbruch ihrer freudigen Überraschung harrte. Endlich faßte sie sich und sagte tonlos:

»Es war sehr aufmerksam von dir, das Bild hier anbringen zu lassen; aber es paßt nicht gut zu dem Stile dieses Gemaches, und du wirst mir nicht zürnen, wenn ich es im Frühstückszimmer aufhängen lasse?«

Sie würde es nicht ertragen haben, das Bild immer vor sich zu sehen. Ihr Gatte war zwar sehr enttäuscht, daß seine Aufmerksamkeit ihr nicht mehr Freude bereitete; aber da sie die Absicht aussprach, daß sie es in einem anderen Zimmer untergebracht wünsche, stimmte er ihr bei.

»Ich danke dir.« Kein Wort wurde mehr darüber gesprochen.

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Marcus Phillips bereiste die Bretagne und ließ sich endlich in dem kleinen, malerisch gelegenen Fischerdorfe St. Incet nieder. Er wohnte bei einem alten Fischer, dessen Häuschen auf einer kleinen Anhöhe stand, von seinem Fenster aus konnte er das unendliche Meer beobachten, das hier fast ebenso blau schimmerte wie die Adria, und in dessen glatter Fläche sich Licht und Schatten, Sonne und Wolken wie in einem ungeheuren Spiegel widerspiegelten. Das Meer paßt sich allen Stimmungen des Menschen an.

Marcus war entzückt von dem stets wechselnden Anblicke desselben; die kräftige und doch milde Luft, die einfache Lebensweise, der Verkehr mit den biederen, tüchtigen Fischern, die täglich ihr Leben aufs Spiel setzten, war von sehr wohltuendem Einflüsse auf seine Gemütsstimmung.

Er erhob sich bei Sonnenaufgang von seinem harten Lager, frühstückte Schwarzbrot mit Milch und suchte dann, ausgerüstet mit Staffelei, Leinwand und Feldstuhl, ein geeignetes Plätzchen auf, um der Natur manches abzulauschen.

In seinem Geiste nahm Capri an allem teil, was er unternahm, seine Phantasie beschäftigte sich unausgesetzt mit ihr. In jedem Fischermädchen, das ihm begegnete, fand er eine Ähnlichkeit; bei der einen erinnerte ihn die Stimme, bei der anderen die Augen oder der Gang an die verlorene Geliebte.

Nach und nach jedoch vermochte er ohne Bitterkeit an diese, die längst das Weib eines anderen geworden, zu denken. Ja, nach wenigen Wochen war er so weit, daß er ihr nurmehr selten einen Gedanken schenkte. Und dieses Wunder hatte die ernste Fee ›Arbeit‹ vollbracht. Die Kunst sollte fürder seine einzige Geliebte sein, in ihren Armen wollte er Vergessenheit finden. Während er arbeitete, fühlte er sich vollständig befriedigt, aber in seinen Mußestunden empfand er eine innere Leere, die ihn unglücklich machte. Er war eine liebebedürftige Natur, die sich an jemand klammern, für jemand wirken und schaffen mußte. Es war ihm ganz unmöglich, ein Dasein zu führen ohne ein liebendes Wesen an seiner Seite …Weil ein Weib ihm die Treue gebrochen – folgte daraus, daß alle treulos sein müßten?

Alle? Nein, gewiß nicht. Er selbst kannte eines, das sich für ihre Liebe opfern würde. Ohne daß er dessen bewußt wurde, fingen seine Gedanken an, sich mit Mrs. Stonex zu beschäftigen. Und was war natürlicher als das? Hatten ihm nicht schon Capri und Newton angedeutet, daß sie ihm gut sei? Hatte sie sich nicht schon mehrfach als seine treueste Freundin bewährt? Verdankte er doch seinen ersten großen Erfolg einzig und allein ihr! Ohne ihre Fürsprache hätte ihn die ›Grosvenor‹ sicherlich nicht aufgefordert, dort auszustellen, und er hätte noch jahrelang bloß um des Erwerbes willen für Kunsthändler arbeiten müssen. Er erinnerte sich all ihrer freundlichen Trostesworte bei seinem Abschiede und wiederholte sich dieselben täglich.

Dann begann er zu grübeln, weshalb sie wohl Witwe geblieben und ob ein Dasein ohne Liebe sie auf die Dauer befriedigen würde. Vermochte das aufreibende Gesellschaftsleben ihr zu genügen? Sehnte sie sich nicht, den reichen Schatz ihrer Liebe jemand mitzuteilen, und wer würde dieser jemand sein? …Er dachte auch darüber nach, ob sie in ihrer ersten Ehe ein volles Glück genossen, oder ob ihr Herz die Liebe, die alles überwältigende Liebe kennen gelernt …Er erinnerte sich, gehört zu haben, daß Mr. Stonex um viele Jahre älter war als Felice, die kaum siebzehn Jahre zählte, als sie heiratete, daß er reich, sie hingegen arm gewesen sei. Dieses halbe Kind konnte den alten Mann unmöglich geliebt haben, suchte er sich einzureden. Nur die Notwendigkeit zwang sie, seine Hand anzunehmen, und das freute Marc …›Die Welt‹ behauptete, Mrs. Stonex habe überhaupt kein Herz; aber er wußte es besser. Sie hatte zwei glänzende Heiratsanträge zurückgewiesen; wenn sie ehrgeizig gewesen wäre, hätte sie ebensogut eine Pairsgattin werden können wie Capri. Ihr zweiter Freier war jung, sogar schön und als Künstler berühmt; er liebte sie leidenschaftlich, und auch ihn wies sie ab. Das bewies doch klar, daß sie nur ihrem Herzenszuge zu folgen gedachte; in ihrem Wesen wohnte eine Sanftmut und Milde, wie sie kalten Naturen niemals inne wohnt. Er errötete, als er daran dachte, wie zärtlich sie ihm beim Abschiede die Hand gedrückt, wie innig sie ihm ins Auge geblickt.

Der Gedanke an Felice verdrängte Capris Bild immer mehr aus seinem Herzen. Felice hatte ihn gebeten, sich durch den ersten heftigen Schmerz nicht niederbeugen zu lassen, und ihm versichert, daß Leid das menschliche Herz stähle und veredle. Aus dem Tone ihrer Stimme hatte er herausgefühlt, daß sie aus eigener Erfahrung spreche. Auch er wollte geläutert aus dieser Prüfung hervorgehen, um, wenn Capri richtig gesehen, der Liebe seiner Trösterin, die immer mehr Raum in seinem Herzen ausfüllte, wert zu sein. Beim Abschiede hatte er die rote Rose, die sie ›damals‹ an der Brust getragen, mitgenommen. Er wollte sie als Erinnerungszeichen an die schwerste Stunde seines Lebens aufbewahren und ahnte nicht, daß aus den verwelkten Blättern das wunderbare Blümchen Liebe keimen und sprießen würde.

Den ganzen Herbst hindurch arbeitete er angestrengt. Dieser, die schönste Jahreszeit in der Bretagne, bot ihm die verschiedenartigsten Studienstoffe und Anregungen. Die trostlose Leere und Gleichgültigkeit seines Inneren schwand von Tag zu Tag, und er kam allmählich in den Vollbesitz seiner physischen und geistigen Kräfte. Ja, noch ehe der Herbst seinem Ende entgegenging, erfüllte eine Hoffnung sein Dasein, die er gar nicht in Worten auszudrücken wagte, die ihm aber seine frühere Heiterkeit und Elastizität wiedergab.

In der ernstesten Arbeit hielt er plötzlich inne, um seligen Träumereien nachzuhängen, und gar oft ertappte er sich dabei, wenn er einen gewissen Namen in den weichen Sand des Strandes schrieb.

Trotz all der Schönheit und landschaftlichen Reize erfaßte ihn eines Tages ein krankhaftes Heimweh; er packte sein Ränzel und reiste ohne Aufenthalt nach London.

Fast undurchdringlich lag der Nebel in der Millionenstadt, als Marc am 26. November wieder in seine alte Wohnung in Fitzroy Street einzog. Jedes Haus schien ihm freundlich zuzunicken, und er war ganz entzückt, endlich wieder den betäubenden Lärm und Wirrwarr Londons zu hören und zu sehen.

Seine Hausfrau, welcher er den Tag seiner Ankunft mitgeteilt, empfing ihn an der Haustür, als er aus dem Wagen sprang, und wurde gar nicht müde, ihm zu versichern, wie sehr sie sich freue, daß er gesund und heil wieder da sei und daß das ›Ausland‹ ihm nicht geschadet habe.

In dem Kamin seines Ateliers brannte ein lustiges Feuer, ein Herbstblumenstrauß stand neben dem Teebrette auf dem Tische. Diese zarte Aufmerksamkeit der Frau aus dem Volke tat Marc wohl, und er betrachtete es als eine gute Vorbedeutung für seine Zukunftspläne. Sofort nach seiner Ankunft ließ er das beste Bild, das er in St. Incet gemalt, einrahmen. Es war ein kleines Landschaftsgemälde. Die grünen und blauen Tinten der See, die rauhen, ehrlichen Gesichter der Fischer, der Strand, die gelbliche Färbung des Himmels waren eine Meisterleistung, und Newton Marrix versicherte dem Freund, daß dies das beste Gemälde sei, welches er seit Jahren gesehen, und daß es an künstlerischer Ausführung die ›Bettelmaid‹ bei weitem übertreffe. Marc konnte die Stunde kaum erwarten, da er es Mrs. Stonex überreichen durfte. Nur ihr Lob hatte jetzt für ihn Bedeutung.

Fünf Tage nach seiner Ankunft begab er sich endlich nach Kensington. Schon der Anblick des Hauses machte seine Pulse höher schlagen. Wie oft war sein Geist von dem einsamen Fischerdorfe in der Bretagne hierhergewandert, und wie vertraut erschien es ihm jetzt!

Mrs. Stonex empfing Marc im Salon. Auch sie war erst vor wenigen Tagen aus Südfrankreich zurückgekehrt. Marc lehnte das Bild an die Wand neben die Tür und eilte auf die Hausfrau zu, die ihn herzlich willkommen hieß. Noch ehe er wußte, wie es kam, saß er in eifrigem Gespräche an ihrer Seite.

»Die Bretagne hat Ihnen also gefallen?«

»Außerordentlich! Kein anderes Fleckchen Erde hätte mich meiner trüben Stimmung besser entreißen können!«

»Ich wußte es!«

»Wann werde ich je imstande sein, mich all Ihrer Güte würdig zu zeigen! Was verdanke ich Ihnen nicht alles!«

»Mir verdanken Sie gar nichts, mein Freund.«

»Ich kann Ihnen gar nicht beschreiben, wie wohl mir der Aufenthalt in St. Incet getan hat. In der idyllischen Ruhe und im Schoße der göttlichen Natur habe ich mich wiedergefunden.«

»Ich freue mich herzlich darüber,« sagte sie sanft; ihre Augen begegneten sich.

»Ich habe oft Ihrer Worte gedacht: Leiden macht das menschliche Herz stark.«

»Haben Sie das nicht auch gefunden?«

»Ja; ich habe mein Leid überwunden.«

»Sind Sie jetzt wieder ganz glücklich?« fragte sie leise und lauschte atemlos auf die Antwort.

»Ich kann Ihnen diese Frage nicht beantworten; die Zeit muß es entscheiden,« erwiderte er und sah sie bedeutungsvoll an.

»Haben Sie fleißig gearbeitet?« fragte sie, um ihre Verwirrung zu verbergen.

Er antwortete nicht sogleich, sondern überlegte, ob es passend sei, jetzt schon die Frage an sie zu stellen, die sein Glück entscheiden sollte. Aufblickend bemerkte er, daß sie ihn gespannt ansah, und er entgegnete lächelnd:

»Sie sollen selbst beurteilen, ob ich Fortschritte gemacht habe. Hier eine kleine Probe.« Während er sprach, stellte er das Bild auf einen Stuhl. Ein Ausruf der Bewunderung entschlüpfte ihren Lippen: »Das ist ja entzückend! – Ein vollendetes Meisterwerk!«

»Wollen Sie mir die Freude erweisen, es als kleines Zeichen meiner Dankbarkeit anzunehmen?«

Sie zögerte einen Augenblick und sagte einfach: »Mit tausend Dank! Sie sind sehr großmütig, mein Freund.«

»Wäre es ein Wunder bei einer solchen Lehrmeisterin?« entgegnete er lächelnd. »Ich habe es für Sie gemalt, und deshalb hat mir mein Genius den Pinsel geführt.«

Sie streifte ihn mit einem innigen Blick, dann senkte sie die Lider. Ein leichtes Zittern durchlief ihren Körper.

»Sie haben mich gelehrt,« fuhr er mit gedämpfter Stimme fort, »stark zu sein, wo ich der Stärke bedurfte. Sie haben mir Ihr Wohlwollen geschenkt, das seltsame Hoffnungen in meinem Herzen erweckte, Sie haben sich in der Stunde meiner höchsten Not als treue Freundin bewährt; werden Sie es als Anmaßung von mir betrachten, wenn ich Ihnen gestehe, daß mir alles dies nicht genügt, daß meine Wünsche sich noch höher versteigen und ich Sie bitten muß, mir nicht nur Ihre Freundschaft, sondern noch etwas weit, weit Köstlicheres zu schenken – Ihre Zuneigung und Liebe, die ich als den höchsten Schatz gewinnen möchte. – Ich verlange viel, sehr viel – darf ich hoffen?«

Ihr Haupt senkte sich bei seinen Worten immer tiefer, ihr Busen wogte stürmisch, und er bemerkte, daß sogar ihr weißer Nacken sich rosig färbte. Er zögerte einen Augenblick, dann jedoch erfaßte er ihre kleine zitternde Hand und führte sie an seine Lippen. Sie blieb noch immer stumm, ließ ihn jedoch gewähren und wagte es nicht, seinem liebevollen Blicke zu begegnen.

»Habe ich vielleicht zu viel verlangt?« fragte er mit vor banger Erwartung zitternder Stimme. »Sind meine Wünsche zu heftig? – Ich weiß – ich fürchte, – ich verdiene nicht, daß Sie mich erhören, aber glauben Sie mir, ich biete Ihnen die Ergebung eines geläuterten Herzens an, das Ihnen bis übers Grab in treuer Liebe zugetan bleiben wird, wie immer Sie entscheiden mögen.«

»Marcus,« begann sie, den Druck seiner Hand leicht erwidernd, »das, was Sie von mir verlangen, gehört schon längst Ihnen! Mein Herz, das noch keinem anderen Manne warm entgegengeschlagen, flog Ihnen zu, noch ehe Sie an Felice auch nur dachten; ich liebte Sie, als ich Sie das erstemal gesehen.«

»Gott sei Dank!« entrang es sich jubelnd seinen Lippen, und er blickte mit einer Welt voll Zärtlichkeit in ihre glückstrahlenden grauen Augen. »In diesem Augenblicke habe ich den reichsten Schatz gehoben, den ein Irdischer zu heben vermag. Mein Weib, mein alles!«

Sie schloß die Augen, als ob ihr vor dem großen Glücke schwindle. Nach vielen Jahren trostloser Öde blühte nun auch in ihrem Herzen die Wunderblume Liebe; sie wollte schon dafür sorgen, daß sie ewig darin wurzle und immer reichere Blüten treibe. Aber ehe sie das entscheidende Wort sprach, mußte sie dem Geliebten noch einen Gedanken, der sie beunruhigte, offenbaren.

»Marcus, es gäbe viel weniger Sünde und Elend in der Welt, wenn es in unserer Macht stände, Herzen zu verschenken und wieder zurückzunehmen.« Es kostete sie eine Überwindung, fortzufahren, doch sie sprach ohne Zögern tapfer weiter:

»Wissen Sie bestimmt, daß Ihr Herz jetzt frei ist, daß Sie darüber verfügen können?«

»Glauben Sie, daß ich es wagen würde, es Ihnen anzubieten, wenn ich dessen nicht ganz sicher wäre? Glauben Sie, daß ich so ungerecht sein könnte, um Ihre Liebe zu bitten, wenn ich die meinige nicht voll und ganz zum Tausche anbieten könnte? O, Felice, halten Sie mich für so ehrlos?«

»Nein, nein! Ich habe nur die Frage gestellt, weil ich aus Erfahrung weiß, wie wenig wir unser eigenes Herz kennen.«

»Da haben Sie recht. Aber ich hatte Zeit und Muße, das meinige zu prüfen, und ich habe nach vielen Kämpfen entdeckt, daß die Leidenschaft, welche noch vor wenigen Monaten mein ganzes Sein erfüllte und mich dann aus allen Himmeln auf die nüchterne Erde warf, nichts hinterließ, als eine schmerzlose Narbe. Und das verdanke ich einzig und allein Ihnen. Ohne Ihre sanften Trostesworte und guten Lehren wäre ich ein Zyniker geworden. Kann es Sie wundernehmen, daß die Retterin meiner Seele, meines besseren Ichs, in meiner stillen Einsamkeit, inmitten der herrlichen Natur allmählich in meinem Herzen einen immer größeren Raum ausfüllte und jenes andere Bild daraus verdrängte? O, Felice, ich liebe Sie unaussprechlich!« Sie sah ihm in die Augen und wußte, daß diese blauen Augensterne nicht logen. Ein überwältigendes Glücksgefühl erfüllte sie, die ganze Welt erschien ihr plötzlich in dem rosigsten Lichte.

»Da ich Ihnen schon gestanden habe, daß mein Herz Ihnen gehört, seit ich Sie kenne, so will ich auch noch hinzufügen, daß mich Ihre Liebe beseligt und zum glücklichsten Weibe auf Erden macht,« entgegnete sie zärtlich.

»Sie haben mich gelehrt, mein eigenes Ich zu prüfen, und so lange ich lebe, gehört jeder Atemzug Ihnen.«

War es nur ein schöner Traum, der beim Erwachen der nüchternen Wahrheit Platz machen würde? Sie seufzte tief auf. Seine süßen Worte klangen wie Musik in ihren Ohren und hallten in ihrem Herzen nach, und doch mußte sie stark sein und seine Liebe auf eine Probe stellen. Sein Antrag brachte Sonnenschein in ihr Leben, und wenn dies so bleiben sollte, durfte kein Schatten ihn trüben.

»Zweifeln Sie an meinen Worten?« fragte er, wie ihr dünkte, vorwurfsvoll.

»Nein; ich weiß, Sie meinen all das, was Sie sagten.«

»Meine Liebe zu Ihnen ist rein und groß. Ihre Worte, Ihre Handlungen haben mich begeistert und ein Gefühl in mir großgezogen, das nur wahr und aufrichtig sein kann. Glauben Sie mir, ich kann nur in Ihrer Nähe glücklich sein.«

»Seit ich denken kann, hat mich nichts so beglückt, als dieses Ihr Geständnis. Mein Herz gehört Ihnen, wird bis zu meinem Tode Ihnen gehören. Wenn Sie in drei Monaten die Frage an mich stellen wollen, ob ich Ihr Weib werden mag, werde ich mit Ja antworten.«

»Das ist für so hohen Preis nur ein kleines Opfer,« entgegnete er feurig, »obzwar mir die Wartezeit schrecklich lang werden wird.«

»Ich werde Sie Geduld lehren.«

»Von einer solchen Lehrmeisterin, was wollte ich da nicht lernen, Felice! – In diesen drei Monaten wird meine Liebe noch ins Unendliche wachsen,« rief er lächelnd. Sie errötete wie ein junges Mädchen, und er glaubte, sie noch nie so schön gesehen zu haben.

»Ich werde die Tage zählen, aber du darfst mich dann auf keine weitere Probe stellen, denn ich fürchte, meine Geduld würde reißen,« sagte er. Bei dem trauten ›Du‹ erröteten beide.

»Dessen kannst du sicher sein.«

»Und nach den drei Monaten?«

»Bin ich dein,« erwiderte sie zärtlich.

Er zog sie an sein wildpochendes Herz und bedeckte ihren Mund mit Küssen, die sie leidenschaftlich erwiderte. Dann machte sie sich sanft aus seinen Armen los und schlüpfte, noch ehe er sich dessen recht bewußt wurde, durch die kleine Tapetentür hinaus.


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